Leopold Museum: Menschheitsdämmerung
Januar 20, 2021 in Ausstellung
VON MICHAELA MOTTINGER
Schau über die Malerei der Zwischenkriegszeit

Herbert Boeckl: Stillleben mit Ofenrohr, 1925 © Leopold Museum, Wien, Bild: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger © Herbert Boeckl-Nachlass, Wien
Mit zehn Ausstellungen und einem weiteren Gastspiel des ImPulsTanz Festivals startet das Leopold Museum in das bereits zwanzigste Jahr seines Bestehens. Ab der für 10. Februar vorgesehenen Öffnung nach dem aktuellen Lockdown zeigt das Haus wieder die mehr als 1.300 Objekte umfassende Dauerpräsentation „Wien 1900. Aufbruch in die Moderne“, deren neues Highlight seit Ende des vergangenen Jahres eine Schenkung, das Klimt-Gemälde „Altar des Dionysos“ darstellt. Mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=32405
Zwei Ausstellungen, die bisher nur wenige Tage im Dezember zu sehen waren – „Emil Pirchan. Visuelle Revolution“ (mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=43177) und „Inspiration Beethoven. Eine Symphonie in Bildern aus Wien 1900“ zum 250. Geburtstag des Komponisten –, werden bis 6. Juni verlängert.
Gleich zu Beginn des Neustarts am 10. Februar präsentiert Leopold Museum-Direktor Hans-Peter Wipplinger die erste neue Ausstellung 2021, die an die letzten Kapitel der „Wien 1900“–Schau anknüpft und die österreichische Moderne zwischen 1918 und 1938 in den Mittelpunkt stellt. „Menschheitsdämmerung. Zwischen lyrischer Empfindsamkeit und sachlicher Weltauffassung“ umfassr Werke von elf Künstlern, die in der Zeit der Ersten Republik einen bedeutenden Beitrag zur malerischen Moderne Österreichs geleistet haben.

Gustav Klimt: Altar des Dionysos, 1886 © Leopold Museum, Wien, Schenkung aus Wiener Privatbesitz, Bild: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger
Alfons Walde, Albin Egger-Lienz, Anton Kolig, Herbert Boeckl, Gerhart Frankl, Anton Faistauer, Josef Dobrowsky, Hans Böhler, Alfred Wickenburg, Rudolf Wacker und Sergius Pauser kennzeichnen den Pluralismus zwischen einem zurückhaltenden, von Innerlichkeit geprägten, epressiven Kolorismus und einer vom nüchternen Blick auf die Dingwelt geleiteten Neuen Sachlichkeit.
Gesellschaftliche, wirtschaftliche und politische Umwälzungen nach dem Untergang der Monarchie und den traumatischen Ereignissen des Krieges trugen, wenn auch verklausuliert, thematische Akzente bei. Anstelle begrabener Utopien traten Dystopien auf den Plan; soziale Nöte, Depression und Lebensskepsis machten sich breit. Künstlerische Panoramen zeugen von einer Flucht in verspielte Darstellungen, in zeitlose Stillleben oder in märchenhaft erscheinende Landschaften, die in Anbetracht der Wirklichkeit eskapistisch anmuten. Das Spektrum reicht von heiter und traumhaft beschwingten Darstellungen bis zu melancholischen, von Traurigkeit durchdrungenen Sujets.

Rudolf Wacker: Stillleben mit Puppe und Hund, um 1923 © Leopold Privatsammlung, Bild: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Anton Kolig: Sitzender Jüngling („Am Morgen“), 1919 © Leopold Museum, Wien, Bild: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger

Sergius Pauser: Mädchen vor dem Spiegel, 1931 © Leopold Privatsammlung, Bild: Leopold Museum, Wien/Manfred Thumberger © Nachlass Sergius Pauser
Die expressionistischen Ausdrucksmodalitäten jener Zeit spiegeln sich in einer gefühlsbetonten Bildsprache wider, die das Hinterfragen von Identitätsmodellen im Blick hat. Farbintensiv-leuchtendes wie auch dunkeltönig-erdiges Kolorit, das zunehmend autonom eingesetzt wird, bestimmt diese malerische Manier. Pastose Farbflecke treiben die Bildstruktur vereinzelt zur Auflösung und werden als bildgestaltendes Material eingesetzt.
Neben den expressionistischen Ausformungen sind es die Tendenzen der Neuen Sachlichkeit, die dominierten. Die Sehnsucht nach Struktur, Klarheit und Ordnung war nach der Apokalypse des Ersten Weltkrieges evident und führte zu einem scharfkantig-linearen Stil, zu fest umrissenen Formen und einer gewollt nüchternen und kühlen Darstellungsweise. Ruhe, Erstarrung und Reglosigkeit der verarbeiteten Sujets sind dabei gepaart mit koloristischer Zurückhaltung und einer Verfestigung der Form, die sich durch sachliche Zugänge an der neuen Wirklichkeit zu orientieren sucht.
20. 1. 2021