Wiener Festwochen 2017: Jude Law spielt Theater

Februar 17, 2017 in Bühne, Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Tomas Zierhofer-Kin präsentiert sein erstes Programm

Ein Hollywoodstar spielt in Wien Theater: Jude Law wird in Ivo van Hoves Visconti-Adaption „Obsession“ auf der Bühne im MuseumsQuartier stehen. Bild: Jan Versweyveld

Donnerstag Vormittag präsentierte Tomas Zierhofer-Kin, neuer Intendant der Wiener Festwochen, gemeinsam mit Geschäftsführer Wolfgang Wais und Wiens Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny im magdas Hotel sein Programm für die erste Saison. Von 12. Mai bis 18. Juni will er die Stadt in einen „kulturellen Ausnahmezustand“ versetzten und mit neuen Ideen frischen Wind ins mehr als 65 Jahre alte Festival bringen.

„Das Neue braucht Freunde“, fiel Mailath-Pokorny dazu ein. Zierhofer-Kin, der Mann, der zuvor das Kremser donaufestival als Hort der Avantgarde etablierte, will auch diesmal auf „Hochglanz“ verzichten. Wobei das so nicht ganz stimmt, haben doch auch eine ganze Menge Theaterstars ihr Kommen angesagt. Auf die Frage einer Journalistin, ob er aufs Publikum über 40 verzichten wolle, konnte Zierhofer-Kin daher kontern, er wünsche sich, dass sich Stamm- und junges Publikum mischen, und die jeweils einen den anderen den Weg von Theatersaal zu Performanceraum, von der Sub- zur Hochkultur und retour zeigen.

Überhaupt ist Mitmachen, miteinander Machen eine Sache, die dieses Jahr groß geschrieben wird. „In einer Zeit, die sich tagtäglich albtraumhaft zum Negativen verändert, wollen wir einen anderen, ungewöhnlichen Blick auf die ,echte‘ Welt eröffnen“, so Zierhofer-Kin. „Wir verstehen Kunst als Tool zur Selbstermächtigung. Wir wollen das Publikum einbeziehen und ihm Raum zum Nachdenken eröffnen. Wir haben nämlich Vieles, nur einfache Antworten auf komplizierte Fragen haben wir nicht.“ Das „Viele“, so Wolfgang Wais ergänzend, wird mit einem Budget von 13 Millionen Euro finanziert, davon 10,5 Millionen Subventionen. Mit 40.000 Karten kommen etwas weniger als im Vorjahr in den Verkauf. „Das ist so“, so Wais, „weil viele Produktionen bei freiem Eintritt zu besuchen sind.“

Akademie des Verlernens und Performeum

Drei neue Programmschienen wird es heuer geben: Die Akademie des Verlernens knüpft an die Gründungszeit der Wiener Festwochen an. „Sie wird als ein Denkmodell entstehen, das sich ins restliche Programm integriert“, erklärt Zierhofer-Kin. Künstler, Aktivisten, Philosophen sind eingeladen, mit den Zuschauern (in kostenlosen Workshops) über den Zustand der Gesellschaft zu diskutieren. Literaturwissenschaftlerin Gayatri Chakravorty Spivak wird die Akademie mit ihrem Vortrag „What Time is it on the Clock of the World?“ im Rathaus eröffnen. Die Anti-Fascist Ballet School lädt zum gemeinsamen Tanzen in die Lugner City, bei Hamamness kann man sich von Badepersonal verwöhnen lassen, beim Simmeringer Frühschoppen bittet die Burschenschaft Hysteria zu Würstel, Bier und Politdiskussion. Ein Muss ist der Vortrag der Journalistin Carolin Emcke „Gegen den Hass“ am 19. Mai im MQ. Für ihr gleichnamiges Buch wurde Emcke 2016 mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Mit dem Performeum wird auf einem ÖBB-Gelände nahe des Hauptbahnhofs ein temporäres Performancemuseum entstehen. „Wir wollen dort möglichst viele unterschiedliche Bereiche von Performance zeigen: Tanz, Klang, Installationen, Medienkunst …“, so Zierhofer Kin, der empfiehlt: „Am Wochenende morgens hingehen und bis zum Abend bleiben.“ Zwei der spannendsten Programmpunkte: Ben Pryors „House of Realness“, ein Ort für queeren ekstatischen Widerstand gegen eine Trump-Welt – für Zuschauer ab 18 Jahren, und „Nathi.Aha.Sasa“. Für diese Gruppenausstellung hat Kuratorin Zohra Opoku afrikanische Künstlerinnen, die in Europa weitgehend unbekannt sind, aufgefordert die Geschichte ihres Kontinents und „Herstory“ darzustellen. Hyperreality schließlich beschäftigt sich in vier Nächten mit elektronischer Musik.

Musiktheater: Jonathan Meese zeigt endlich seinen Parzifal

Die diesjährige Eröffnungsproduktion: „Ishvara“ des chinesischen Shootingstars Tianzhuo Chen. Bild: Zhang Yan

Musiktheater nach Mozarts „Entführung aus dem Serail“: Les Robots ne connaissent pas le Blues. Bild: Knut Klassen

Die Eröffnungsproduktion der Festwochen 2017 ist die Europa-Premiere von Ishvara. Der junge chinesische Künstler Tianzhuo Chen untersucht in seinem Opernhappening Geschichte und Religion, die menschliche Existenz und die spirituelle Ausbeutung in der modernen Welt. Dazu mischt er Buddha mit South Park, Hinduismus mit Popkultur – eine bildgewaltige, stark politische Performance, die einen visuellen und akustischen Sog entwickelt. Besonders freut sich Zierhofer-Kin, dass er nach der Absage von Bayreuth, Jonathan Meese gewinnen konnte, sein Parzifal-Projekt für Wien weiterzuentwickeln (mehr dazu: www.mottingers-meinung.at/?p=20786).

Das hat der Kunstberserker nun mit Komponist Bernhard Lang, dem Klangforum Wien und dem Arnold Schoenberg Chor getan. Das Ergebnis dieses sehr kreativen Umgangs mit Wagner heißt Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutterz der Abwehrz), eine Space Opera und laut Zierhofer-Kin „ziemlich gewaltig“. Mozarts „Türkenoper“ haben Monika Gintersdorfer und Benedikt von Peter zum Ausgangspunkt ihrer Arbeit gemacht. Nach der „Entführung aus dem Serail“ zeigen sie mit Les Robots ne coinnaissent pas le Blues die Konfrontation zweier heterogener Kulturen.

Sprechtheater und mehr: Von Peter Brook und Ivo van Hove bis zu Romeo Castellucci

Peter Brook zeigt seine jüngste Arbeit „Battlefield“, eine Kurzversion seiner Inszenierung des Mahabharata. Bild: Caroline Moreau

Nach Jelineks „Schutzbefohlenen“ die neue Arbeit der „Schweigenden Mehrheit“: Traiskirchen. Das Musical. Bild: www.christianstangl.at

Mit den Zuständen der USA befassen sich zwei Produktionen: Romeo Castelluccis Arbeit Democracy in America beschäftigt sich mit der Gründung der Vereinigten Staaten als Utopieprojekt des kolonialistischen Europa und mit Alexis de Tocquevilles „De la démocratie en Amérique„. Es geht um Puritanismus, Populismus und die Tyrannei der Mehrheit.

Saint Genet zeigt in Promised Ends: The Slow Arrow of Sorrow and Madness die Migrationstragödie der Donner Party. 1846 waren 87 Siedler auf dem Weg in den Westen. Nachdem sie in der Sierra Nevada in einen Schneesturm geraten waren, passierten zwischen den Überlebenden unfassbare Gräueltaten. Saint Genet gehen der Frage nach, was passieren muss, damit eine Gesellschaft die Tabugrenzen niederreißt, und Kannibalismus an die Stelle von Empathie tritt.

Autor Mohammad Al Attar und Regisseur Omar Abusaada schildern im Drama Während ich warte den Syrienkrieg aus sehr persönlicher Sicht: In einem Krankenhaus liegt der junge Taim im Koma, doch sein Gehirn arbeitet und dokumentiert gesehene Szenen von Verzweiflung und Liebe, Aufbegehren und Ohnmacht. So wird sein Krankenzimmer zum Sinnbild für ein ganzes Land, das zwischen Leben und Tod schwebt.

Nach viel zu langer Absenz darf man sich endlich wieder auf eine Arbeit von Peter Brook freuen. Der Regiealtmeister hat dreißig Jahre nach seiner legendären Inszenierung des indischen Epos „Mahabharata“ eine Kurzfassung erstellt. Battlefield zeigt die apokalyptischen Auswirkungen des Krieges zwischen zwei Königsfamilien – wie immer mit großem spielerischem Ernst. Da verwandlen sich Schals in Flüsse und Leichentücher, und die Lebenden wie die Toten werden von Adlern und Würmern begleitet.

Nach der von Identitären gestörten Aufführung von Elfriede Jelineks „Schutzbefohlenen“, zeigt Die Schweigende Mehrheit im Volkstheater ihre jüngste Produktion: Traiskirchen. Das Musical. Tina Leisch und Bernhard Dechant haben erneut ihr Künstlerkollektiv aus Helfern und Hilfsbedürftigen zusammengetrommelt, um in einem verwegenen Spektakel die dringenden Fragen dieser Tage zu stellen. Ein Sittengemälde der Gesellschaft ist auch Die selbsternannte Aristokratie der Truppe La Fleur. Entlang der Romane und Erzählungen von Honoré de Balzac werden arme, ehrgeizige junge Menschen porträtiert, die Kontinente überqueren, um in den westlichen Metropolen ihr Glück zu versuchen. Zierhofer-Kin: „La Fleur geht es darum, zu zeigen, wie Menschen auf der Flucht Rollen annehmen, die ihnen zugeschrieben werden, und so in Muster verfallen, die ihnen gar nicht entsprechen.“ Regisseur Milo Rau, bekannt für seine künstlerischen Auseinandersetzungen mit Anders Breivik und Marc Dutroux, wird mit dem Journalisten und Blogger Robert Misik im Schauspielhaus Wien eine performative Agora kreieren, in der Publikum, Politiker, Experten und Ensemblemitglieder des Hauses gemeinsam diskutieren sollen. Die Agenda wird vom Publikum mitbestimmt, sei’s österreichisches Tagesgeschehen oder Weltpolitik.

Auch ein Hollywoodstar wird in Wien erwartet: Jude Law wird in Ivo van Hoves Visconti-Adaption Obsession in der Rolle des Gino auf der Bühne stehen. Mit „Ossessione“, der bahnbrechenden Verfilmung des Klassikers „Wenn der Postmann zweimal klingelt“ von James M. Cain, gilt Luchino Visconti als Wegbereiter des italienischen Neorealisums. In kurzen Szenen, roh, poetisch und brutal, erzählt er die Geschichte von zwei Liebenden am Rande der Gesellschaft: Gino, einem attraktiven Herumtreiber, und Giovanna, einer jungen, unglücklichen Ehefrau eines Tankstellenbetreibers, die versucht, ihrem früheren, von Armut geprägten Leben zu entkommen. Zusammen entwerfen sie den Plan, Giovannas Mann zu töten …

Drei besondere Tipps von mottingers-meinung.at

Zum Mitmachen für Mutige: Haircuts by Children. Bild: John Lauener

Das australische Back to Back Theatre zeigt mit Lady Eats Apple die Vertreibung aus dem Paradies und den Aufbruch in eine unbekannte Welt. Die Schauspieler mit Down Syndrom erklären in einer aufblasbaren Skulptur die Schöpfung aus ihrer Sicht. Ein Mitmachen für Mutige ist die Performance Haircuts by Children, die genau das ist, wonach es klingt: Kinder werden von professionellen Friseuren in einem Crash-Kurs unterrichtet.

Dannach betreiben sie einen Frisiersalon und bieten einen kostenfreien Haarschnitt der besonderen Art. Die Übung: sich einem Kind anzuvertrauen und eine einmalige Erfahrung mit ihm zu teilen. Das kanadische Kollektiv Mammalian Diving Reflex wird nicht nur mit Wiener Kinder Grenzen durchbrechen, sondern auch mit sechs Wiener Seniorinnen und Senioren, Vertretern einer Großelterngeneration, die man in All the Sex I’ve Ever Had nach den Dingen fragen kann, die einem die Eltern nie erklärt haben.

Der Online-Kartenverkauf startet jetzt.

www.festwochen.at

Wien, 16. 2. 2017

Wiener Festwochen 2017: Jonathan Meese inszeniert einen neuen „Parsifal“

Juni 15, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Zeitgenössische Würdigung der letzten Wagner-Oper

Thomas Zierhofer-Kin, Jonathan Meese und WienTourismus-Chef Norbert Kettner. Bild: ©WienTourismus-Fehringer

Thomas Zierhofer-Kin, Jonathan Meese und WienTourismus-Chef Norbert Kettner. Bild: ©WienTourismus-Fehringer

Bühnenbildentwurf. Bild: Jonathan Meese

Bühnenbildentwurf. Bild: Jonathan Meese

Jonathan Meese kommt als Regisseur zu den Wiener Festwochen 2017, dies verriet deren designierter Intendant Tomas Zierhofer-Kin als einen seiner ersten Pläne für die erste Saison. Der deutsche Künstler wird die Uraufführung einer Neuinterpretation von Richard Wagners „Parsifal“ durch den österreichischen Komponisten Bernhard Lang inszenieren – ein Projekt, das den Wagner-Mythos in ein weit entferntes Revolutionsjahr der Zukunft transportieren wird: „Mondparsifal Alpha 1-8 (Erzmutter der Awehrz)“ sei eine zeitgenössische Würdigung der letzten Wagner-Oper, heißt es in einer Aussendung der Festwochen.

„Wenn Jonathan Meese und sein kongenialer Partner Lang auf Richard Wagners ‚Parsifal‘ treffen, dann ist davon auszugehen, dass es sich nicht um eine Begegnung der nachschöpferischen Art handeln wird. Vielmehr treffen hier künstlerische Urgewalten aufeinander“, so Zierhofer-Kin. „Meese und Lang dekonstruieren die Mythen Wagner und Parsifal, zerlegen sie in ihre Einzelteile, laden sie in einem künstlerischen Schaffensprozess neu auf und kreieren so ein zeitgenössisches künstlerisches Kraftfeld, das die Idee Oper in Inhalt und Form neu definiert.“

Performance, Musik, visuelle Kunst und Theater sollen so zu einem „Kunst-Raumschiff“ fusionieren, das Vergangenheit und Zukunft miteinander verbindet. Meese, dessen individuelle mythologische Kunstwelt eng mit Wagner verknüpft ist, zeichnet auch für das Bühnen- und Kostümbild verantwortlich. Bernhard Lang hält sich an das Libretto und die Struktur der Oper Wagners, um daraus einen vollkommen neuen Klangkosmos zu schaffen. Dazu ein Statement Meese: „Richard Wagner ist, wie Meese, ein Kunstfanatiker mit dem Tunnelblick K.U.N.S.T. Richard Wagner ist keine Ersatzreligion, Richard Wagner ersetzt alle Religionen. Richard Wagner ist die Machterzergreifung KUNST, Meese’s Parsifal ist Kunstherrschaft. Meese dient dem Richard Wagner ohne Falsch.“

www.festwochen.at

Wien, 15. 6. 2016

donaufestival im WUK

Dezember 10, 2014 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

REAL DEAL!  Festival für Postspekulative Kultur

RealDeal Bild: (c) godsentertainment

RealDeal
Bild: (c) godsentertainment

12./13. 12. Hosted by God’s Entertainment & dem designierten Intendanten der Wiener Festwochen Tomas Zierhofer-Kin.

Die fortschreitende Kapitalisierung der Gesellschaft geht auch an der Kunst – und Kulturpolitik nicht spurlos vorbei. Wo Förderungen gerechtfertigt werden müssen, fallen vorrangig Begriffe wie Umwegrentabilität, Indexanpassung oder Kosteneffizienz. Die Terminologie des ökonomischen Denkens dominiert die Strategien und Überlegungen zur Auf – und Umverteilung der vorhandenen aber schwindenden Ressourcen quer durch die Institutionen. Subventionsgeber spekulieren mit Theatern, Theater spekulieren mit Künstlern, die Künstler mit der Kunst und alle zusammen mit dem Publikum. Dabei übersehen oder ignorieren die Repräsentanten oft genug, dass die, die sie repräsentieren sollen und wollen, weder auf der Bühne noch im Zuschauerraum vertreten sind. Oder andersrum, aber auch nicht viel besser, dass sie ausschließlich vertreten sind.

REAL DEAL! will keine Kunden sondern Komplizen, will keine Kritik an bestehenden Verhältnissen, sondern andere Verhältnisse. Die Veränderung von Koordinaten der festgelegten Strukturen ist das Ziel die Realität selbst neu zu denken und jedes Vorhaben unabhängig von vorgegebenen Strukturen zu verwirklichen.

Mit REAL DEAL! analysieren, psychedelisieren, dekonstruieren und theatralisieren God’s Entertainment zusammen mit Christina Kubisch, geheimagentur, Ann Liv Young, Shrack!, The Bug, Lady Leshurr, Jaap Blonk, Ventil, Billy Roisz, etc. die Emotionen hinter den Fassaden des WUK.

REAL DEAL! remixt Performancekünste und Club Kultur: ein Karneval der diplomierten Zuschauer, ein Mantra für Unbefriedigte, eine Pre-formance für ein neues Zeitalter, eine Turbospekulation.

www.gods-entertainment.org

www.wuk.at

www.donaufestival.at

Wien, 10. 11. 2012