Akademietheater: Hotel Strindberg

Januar 27, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Misanthropen beim Misstrauisch-Sein beobachten

Franziska Hackl, Caroline Peters und Martin Wuttke, Roland Koch und Michael Wächter, Barbara Horvath und Simon Zagermann. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Die Wucht, die ganze Wut des Autobiografischen enttarnt sich erst am Ende. Davor ist’s fast Sport Querverweise und Verbindungen zu suchen. Da gerinnt ein „Gespenstersonaten“-Thema zu jenem von „Der Vater“, dort blitzt ein „Pelikan“ auf, da scheint eine Figur aus „Nach Damaskus“ zu der „Stärkeren“ zu werden, und nachdem zwei „Mit dem Feuer spielen“ tritt prompt der „Gläubiger“ auf …

Mit seinem „Hotel Strindberg“ versucht Theatermacher Simon Stone den ganzen Kosmos des schwedischen Schriftstellers zu fassen. Eine Übung, die angesichts der Uraufführung am Akademietheater als aufs Vorzüglichste gelungen bezeichnet werden kann.

August Strindberg, der Frauenhasser und darob vielfach Geschiedene, der oft dem Wahnsinn Nahe, von Obsessionen Besessene, von seinen eigenen Dämonen Gejagte, der nicht nur Theaterstücke, Romane, Erzählungen schrieb, sondern auch als Maler und Fotograf seiner Zeit weit voraus war, inspirierte Stone entlang von dessen Stücken einen eigenständigen Text zu verfassen. In sechs übereinander geschachtelten Hotelzimmern und einem Stiegenhaus (Bühne: Alice Babidge), in Betten, auf Sofas und vor dem Fernseher führt er Paare und deren Krisen vor. Wie ein Voyeur blickt man durch Fenster auf diese mal tragischen, mal komischen, stets aber leicht grotesken Begegnungen.

Fast fünf hochemotionale, mitunter überreizte Stunden lässt sich Stone Zeit, um die Schicksale seiner Figuren darzulegen; getrennt von zwei Pausen gilt es diese Misanthropen beim Misstrauisch-Sein zu beobachten, der zweite Teil dabei der stärkste, der letzte schon ein wenig zerfasert und deshalb schwerer zu fassen. Dies Panoptikum mit Beziehungsgeschädigten gestalten neun Schauspieler mit ganzer Spielfreude und in unzähligen Rollen. Sie sind Fernsehmacher, Dramatiker, Fotografen, Fremdgeher, Ehefrauen, (Ab-)Wartende, sie ergehen sich in Grausamkeiten aller Art, Sex inbegriffen, tragen ihre Psychoduelle aus, und der Tod, der kommende wie der schon geschehene, ist ihnen ein beinah ständiger Begleiter.

Barbara Horvath und Franziska Hackl, Martin Wuttke, Max Rothbart und Simon Zagermann. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Caroline Peters und Martin Wuttke, Max Rothbart, Simon Zagermann und Barbara Horvath. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

All das besticht durch Sprachwitz und Situationskomik. Vor allem Caroline Peters und Martin Wuttke verstehen es, mittels eines Satzes vom Anrührenden ins Absurde zu kippen. Als Alfred und Charlotte tragen sie einen immerwährenden Ehestreit ums Kind und dessen Künstlerkarriere aus, wunderbar, wie sie ihn zwar mit Gemeinheiten bewirft, dabei aber in Sorge ist, er könnte über seine runtergelassenen Hosen stolpern und sich verletzen, als Julia und Erik sehen sie sich mit der Endlichkeit des Lebens konfrontiert. Eine weitere Szene mit der Peters, die man nicht missen möchte, ist, wenn sie ihren Schwiegersohn auf der Treppe verführt … Franziska Hackl schreit die ganze Verzweiflung ihrer Figur heraus, als diese, schwanger, erkennen muss, dass sie keine Verlobte, sondern nur ein Seitensprung ist. Dies die eindrücklichsten, intensivsten Leistungen des Abends.

Mit der von Roland Koch, der als spooky zuvorkommender Concierge, als Charlottes Bruder Klaus oder Jakobs Schwager über die Gänge schleicht. Letzterer, Michael Wächter als Autor in der Schaffenskrise, hat gerade seine noch nicht ganz Ex-Frau gewürgt und braucht mit dem ohnmächtigen Körper dringend Hilfe … Barbara Horvath, Simon Zagermann und Max Rothbart gestalten unter anderem eine Dreiecksgeschichte, bei der in die Herzen Zank und Zerwürfnis gepflanzt wird. „Sie wollen keine Gleichberechtigung, sie wollen Rache“, stellt ein Mann über die Frauen in einer von Stones Miniaturen fest, die immer öfter parallel statt nur nebeneinander verlaufen. Immer wieder auch steigen die Schauspieler in das Zimmer ein, das der Musik von Bernhard Moshammer vorbehalten ist, und greifen dort zu den Instrumenten.

Die Fülle des Szenenchaos findet sich schließlich im so zu nennenden dritten Akt zusammen. Da werden im Erdgeschoss die Rezeption und im ersten Stock der Frühstücksraum nach und nach ausgeräumt, der Mensch so nackt wie die Bühne, und die Welt endlich, was sie ist: ein Irrenhaus. Figuren verschwimmen, Falsche erkennen einander, Klaus wird erst der Concierge, dieser dann der von Julia gefürchtete David, die von Jakob bis zum Sterben strangulierte Sylvie wieder taucht auf; auch andere Gespenster irren durch dies Haus der Halluzinationen.

Max Rothbart und Anne Schwarz, Michael Wächter und Franziska Hackl, Simon Zagermann und Ensemble, Martin Wuttke. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Und inmitten all der verlorenen Seelen gibt Martin Wuttke den Nick-Cave-Klon. Sein nach einer Offenbarung Charlottes seiner Identität verlustig gegangener Alfred wird zu Holger, dem abgefuckten, von Aenne Schwarz erotisch umringten Punkopa, der noch einmal ein Album aufnehmen will und an Songtexten bastelt. Oder ist das alles nur ein Albtraum? Umringt von hysterischen bis besorgten (Ex-)Ehefrauenfiguren kreischt und tobt und zetert sich Wuttke dem Ende entgegen.

Also wird nun klar, von wo aus August Strindberg die Simon-Stone-Storys die ganze Zeit beobachtet hat. Nämlich, wenn der virtuose Wuttke zum Schluss kommt. „Ich hab‘ das geschrieben …“

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  1. 1. 2018

Schauspielhaus Wien: Noch ein Lied vom Tod

Januar 11, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Poesie und Brutalität im Plattenbau

Steffen Höld, Florian von Manteuffel, Simon Zagermann Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Steffen Höld, Florian von Manteuffel, Simon Zagermann
Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Das Personal ist da: der Barkeeper, der Gambler, die Saloonschönheit, der (in dem Fall die) Leichenbestatter(in), der Sheriff mit dem dunklen Geheimnis, das erst knapp vor Ende enthüllt wird, Tumbleweed, dazu immer wieder das musikalische Motiv von „Cheyenne“ Jason Robards. Und verwahrloste Kinder. „Noch ein Lied vom Tod“ heißt das Stück von Juliane Stadelmann, das nun in der Regie von Daniela Kranz am Schauspielhaus Wien uraufgeführt wurde. Zum Glück eine Western-Farce (weil’s sonst nicht zum Aushalten wäre), für die Sergio Leone der Pate war. Und doch viel mehr. Eine wahre Geschichte. 1999 entschied in Frankfurt an der Oder eine junge Mutter 14 Tage lang mit ihrem neuen Lover um die Häuser zu ziehen. Ihre zwei- und dreijährigen Söhne ließ sie zu Hause zurück. Im Plattenbau. Sie haben geweint, sie haben geschrien, die haben mit Löffeln auf Türlinken getrommelt. Im Plattenbau ist es laut, da hören die Nachbarn weg. Als man sie fand waren – so Frau Tod – ihre Knie das Dickste am Körper, ihre Leichenflecken durch das Sofa gesickert. Die Geschichte ist topaktuell, egal, ob einen die Mutter im Stich lässt oder Vater einen „versehentlich“ mit kochend heißem Duschwasser tötet.

Die Grausamkeit treibt es mit dem Schicksal wie eine wilde Hure und bringt sich dabei selbst um den Verstand.

Hans-Gratzer-Stipendiatin  Stadelmann hat einen großartigen Text verfasst, der zwischen Poesie und Brutalität changiert. Und durchaus – so paradox es klingen mag – sehr zum Lachen ist. Zum Schluß folgt noch ein Cut, in dem das mutmaßliche Sterben der Kinder veranschaulicht wird, dass einem übel wird. Eine interessante, intelligente, in Summe gewaltige Leistung. Daniela Kranz fackelt dazu ein Ideenfeuerwerk wie funkensprühende Sporen ab. Kranz‘ Bühnenbild ist ein schiefgelegter Plattenbau. Balkone wie Erdlöcher, aus denen die Protagonisten auftauchen. Gleichzeitig der Ex-DDR-Kiosk, an dem an sich mit Hochprozentigem abfüllt. Alles und alle sind hier sehr cool. Eine Überlebensstrategie.

Im Mittelpunkt der Handlung steht Sheriff/Kommissar Udo in Person von Florian von Manteuffel, der inmitten von „nur Kindern und Mördern“ versucht, das Unbegreifliche zu verstehen. Hans, der Kioskbetreiber oder Barkeeper, dargestellt von Steffen Höld, sieht das alles lakonisch. Leben geht und Leben kommt. So wie seines, das einem Riesenkaktus zum Opfer fällt. Das Personal ist wie einer Realitysoap à la „Frauentausch“ entliehen. Wenn man glaubt, tiefer geht’s nicht mehr, kommt von irgendwo ein Treppchen nach unten her … Barbara Horvath ist eine wunderbar naive Nachbarin Nadine, die gaaar nichts weiß, außer, dass man „Draußen“ mit Pavillon und Büschen irgendwas tun sollte, damit was auch immer neu wird. Und die ganz nebenbei den Kommissar verführt. Johanna Tomek ist als Clara die daueralkoholisierte Bestatterin, die whiskytrunken zu jeder Tages- und Nachtzeit die Anektdote parat hat, wie sie eine Ratte mit dem Fahrrad überrollt hat. Once Upon a Time in the East. Sie wird die Buben schließlich in ihrem großen Wagen abholen – und weil sie am Baumarkt vorbei kommt, den Pavillon gleich dazu – ihnen den Mund zunähen, die Haare neu kämmen und etwas Rouge auflegen. Tote müssen schön sein. Johanna Tomek ist Dreh- und Angelpunkt des Abends. Simon Zagermann will als kleiner Tom – mit Melone und Ass in der Hutkrempe – nur erwachsen werden, um dem Plattenbau-Schicksal zu entgehen.

Die Helden des Abends sind aber Martin Vischer und Gideon Maoz als Tackenförster und Ottenzwerg. Zwei Buben, die im Fall „recherchieren“, voller Angst, der Sandmann also das Einschlafen in der metallicaartigen Auslegung „Enter Sandman“, könnte ihnen auf den Fersen sein. Rotztrotz- und dreckverschmiert soll ihnen das Schutzhüllenwort „Arschloch“ gegen jedes und jeden Sicherheit bieten. Doch die Wohnungstür fällt zu. Sind es die gleichen Buben? Oder andere? Noch mehr Tote.

Namenlose. Mundharmonikathema. Ende. Krass, wie die Buben sagen würden.

Theater, das in mehr als einer Beziehung unglaublich ist.

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Wien, 11. 1. 2014

Schauspielhaus Wien: Hunde Gottes

Oktober 12, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Who killed Bambi?

Gideon Maoz, Florian von Manteuffel, Nicola Kirsch, Katja Jung, Steffen Höld, Simon Zagermann Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Gideon Maoz, Florian von Manteuffel, Nicola Kirsch, Katja Jung, Steffen Höld, Simon Zagermann
Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Um die Persistẹnz österreichischer Dramatik muss man sich keine Gedanken machen. Thiemo Strutzenberger etwa, der das Schauspielhaus Wien schon mit einem Emily-Dickinson-Stück beschenkte www.mottingers-meinung.at/schauspielhaus-wien-queen-recluse/, lud nun zur Uraufführung seines neuen: „Hunde Gottes“. Hollywood und sein Meisterregisseur der 1950er-Jahre, Douglas Sirk, stehen diesmal im Mittelpunkt seines Interesses. Der gebürtige Hamburger, der Rock Hudson groß und Jane Wyman noch größer machte, war DER Magier des Melodrams. Alles larger than life. Mit Taschentuchalarm. Gefühlvoll geschilderte Frauenschicksale. An der Kinokasse wie bei den Kritikern geliebt. Rock Hudson als Gärtner, der die reiche Witwe vergöttert, oder „Solange es Menschen gibt“, eine zurückhaltende Studie über Rassenvorurteile und die Unfähigkeit, Gefühle und Karriere zu vereinen, „Zeit zu leben und Zeit zu sterben“, das war’s, was die Leute sehen wollten.

Stutzenberger wäre aber nicht Thiemo, würden seine Figuren einfach Dick, Tom und Harry heißen. So begibt er sich namenstechnisch ins italienische Frühmittelalter und nennt die Rollen:

Dante Alighieri (Dichter und Philosoph, Verfasser der „Göttlichen Komödie“ /angestellter Architekt, der, weil er im Krieg Himmel und Hölle durchwanderte, einen Kameraden, mit dem ihn eine besondere Art Liebe verband, in Fetzen gerissen sah, die Kleider einer italienischen Witwe – eigentlich gehört die schwarze Abendgarderobe seiner Frau – trägt). Betty Alighieri (Beatrice / Schauspielstar, liebte in Abwesenheit des Gatten den Gärtner). Leonardo (da Vinci / Sohn des Hauses, der sich neben seinem Collegestudium im Rotlichtmilieu halbnackt um Stangen schlängelt. Er wird im Laufe des Stücks erfahren, dass er der Sohn des Gärtners ist.). Francesco Petrarca (Dichter und Mitbegründer des Humanismus / Architekt und Dantes Vorgesetzter. Er will Laura, sein Pygmalion-Projekt, heiraten.) Laura (verheiratete Liebe Petrarcas, Quelle seiner Inspiration, starb an der Pest / Tochter des Gärtners, Prostituierte, will bei Petrarca an Bildung abgreifen, was geht.) Mr. Deagan (Gärtner, von Dante im Wahn für seinen doch noch heimgekehrten Kameraden gehalten / der einzige historisch greifbare war ein William Francis, Army-Major und Architekt, Demokrat in New York unterm korrupten Bürgermeister „Beau“ Jimmy Walker, für den er Stadtumgestaltungen vornahm / weiterführende sachdienliche Hinweise erbeten.)  Auf diese erquickende Verqickung von „U“ und „E“ sei er gekommen, sagt Strutzenberger im Interview, weil in Florenz auf jedem Bierdeckel Dante stehe.

Womit auch schon viel von der Handlung erklärt ist. Es geht um Sodomie. Jenes christliche Konstrukt für sündiges, angeblich widernatürliches Sexualverhalten, das nicht der Fortpflanzung dient, nicht zu verwechseln mit Zoophilie, sondern einfach verbotene, weil von der Gesellschaft nicht akzeptierte Liebe, die in manchen Ländern bis in die Neuzeit mit dem Tode bestraft wurde. Es geht um die Suche nach dem Selbst und das Nicht-mehr-bei-sich-Sein, wenn man es nicht findet. Oder doch findet. Es geht um die wie Leonardo gefallene kosmische Ordnung und – haha, der vitruvianische Mensch – um die Architektur des Leibes und der Seele, wenn Eros alle Grenzen wegwischt. Es geht darum, dass die große Tragödie nicht für die Mittelklasse erfunden wurde, sondern für sie das Melodram. Mit all seiner Aufrichtigkeit und all seinem Sentiment; nur die Ernsthaftigkeit zum letzten Schritt bleibt ihm unter Geigengewimmere versagt. Am Ende und am Ende, es gibt nämlich einen Schluss und einen Filmschluss, liegt ein Ermordeter auf der Bühne. Und weil das jetzt nun mal wirklich nicht sein muss, verkleidet er sich schnell als Reh – eine Re­mi­nis­zenz an Sirks „Was der Himmel erlaubt“.

Nach Ende des Einführungsunterrichts kann nun gesagt werden: „Hunde Gottes“ ist ein Abend zum Lachen. Von einer zeitgereisten Ironie, die sich Sirk stets verbeten hat. Ganz großes Kino. Gefühlsecht. Im Bühnenbild von Johannes Weckl – ein Garten mit diesen unbequemen 50er-Jahre-Gartenstühlen, durch deren kunterbunte Schnürungen meist früher als später der Popo rutschte, mit halbem Davidshaupt, mit angedeutetem Innenraum, dessen Vorhang als Leinwand dient – inszeniert Barbara Weber temporeich, mit Sinn für Slapstick in dem Sinne, dass ihr die Situationskomik immer in den tragischsten Momenten auskommt. Wie’s einem eben so geht, wenn man die alten Schinken wiedersieht. Da leidet der Held, während man schon vom Sofa fällt, weil so heute niemand mehr … Strutzenberger legt seinen Geschöpfen Halbsätze in den Mund. Die ganze Wahrheit wäre wahrscheinlich zu schwer auszusprechen. So mäandern sie von Handrücken-an-die-Stirn-haltend zu trivial-lakonisch. Größte Peinlichkeiten werden zu Allgemeinplätzchen verkleinert. Ein großartiger Text, der aber erst durchs Spiel des wie immer hervorragenden Schauspielhaus-Ensembles seine volle Kraft entfaltet.

Katja Jung ist als Betty ganz Hollywood-Diva. Visconti will mit ihr drehen, da kann rundherum die Welt aus den Fugen geraten. Die Jung „schmiert“ und outriert, dass es eine Freude ist. Gibt einerseits die Egomanin, andererseits die mit dem größten Besen zum Unter-den-Teppich-Kehren. Nur kein Skandal, der dem Image schadet. Und doch wird sie sich später als die beste Mutter erweisen, als wär’s die Rolle ihres Lebens. An Überkandideltheit kann ihr nur Steffen Höld als Dante das Wasser reichen. Noch „normal“, als er seinen Vorgesetzten zum Dinner lädt, obwohl ihm vor dessen Architekturausführungen graut, steigert er sich in einen Furor, der seinesgleichen sucht. Und ist als vedova ernsthafte Konkurrenz für Silvana Mangano in Camerinis „Ulisse“. Gideon Maoz als missratener Sohn ist ein eiskalter Todesengel. Es gilt Leonardos Gesetz. Die Reibungskraft ist unabhängig von der Grösse der Auflage. Der Gärtner muss weg. Florian von Manteuffel spielt einen jovialen Petrarca, der nicht versteht, warum rund um ihn alle so … aber wirklich interessiert es ihn nicht, so lange er darüber philosophschwafeln kann, BevHills in ein Neo-Florenz umzugestalten; dabei ist er optisch vom Stetson über die protzige Gürtelschnalle bis zu den Stiefeln der Parade-Ami. Nicola Kirschs „Laura“ hält alles und jeden auf Distanz. Das Misstrauen in Person. Um nichts gefühlswärmer als Leonardo. Ihr Vater Deagan (Simon Zagermann) hingegen ist die gutmütige Seele, ja Ma’am, danke Ma’am, wie es sich für einen Bediensteten anno anno gehört.

Am Abend von Bettys Filmpremiere sind die Pulverfässer längst an ihren Plätzen, die Lunte gezündet. Alle sind jetzt noch künstlicher, künstlerisch wertvoller. Die Geschichte läuft noch einmal ab. In Technicolor, Großleinwandformat. Wer dachte, mehr geht nicht, weiß nun: Mehr ist mehr. Und das wollen wir auch: Mehr Schauspielhaus, mehr Strutzenberger, mehr … Drama des Exzess‘. Ach ja, der Titel. „Hunde Gottes“ führt wieder ins Florenz des 15. Jahrhunderts zurück, ist wörtlich übernommen von den Dominikanern, die die Inquisition ein- und durchführten, weil sie sicher wussten, was falsch und was richtig ist, gottgefällig, und deshalb ihren heftigsten Bußprediger, Savonarola, auf den Scheiterhaufen schickten.

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Wien, 12. 10. 2014

Schauspielhaus Wien: Allerwelt

März 26, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Jeder flüchtet in seine Wirklichkeit

Steffen Höld Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Steffen Höld
Bild: © Alexi Pelekanos / Schauspielhaus

Phillipp Weiss, in dieser Spielzeit Hausautor am Schauspielhaus Wien, ist kein Dramatiker für den Elfenbeinturm. Er ging hinaus in die Simmeringer Pampa, Macondo, eine Flüchtlingssiedlung, die 1956 auf dem Grundstück eines Kasernenbaus aus dem Ersten Weltkrieg errichtet wurde und in der derzeit fast 3000 Flüchtlinge aus 22 Nationen leben. Viele, die diesen Ort nur als Zwischenstation sahen, sind bis heute dort geblieben. Flüchtlinge von aktuellen Kriegsschauplätzen treffen hier auf Menschen, die in Macondo seit den 1950er Jahren leben. Phillipp Weiss hat sich dorthin auf Recherche begeben.

Und nannte das Stück, das daraus entstand „Allerwelt“. Eine Collage an Geschichten, an Weltentwürfen, an Gedankenkosmen. Jede Figur lebt hier in ihrem eigenen. Die Schicksale hat er zeitlich verortet. Ungarn 1956. Prag 1968. Chile 1969. Somalia 1974. Kabul 1984. Ein Vater von sechs Töchtern wollte ein besseres Leben für sie. Bagdad 2003. Durch die Siedlung geht die Figur Mila Katz (Nicola Kirsch), eine Art Alice in Allerwelt, begleitet von einer Katze. Inmitten der Menschen, die ihre Identität auf dem Weg liegen gelassen haben, sucht sie die ihre. Sucht ihre Wurzeln, Heldenhaftes und Tragisches ihrer Ahnen – und wird natürlich nicht fündig werden. Logisch, den die Bewohner unterscheiden sich durch Schicksal, Sprache, Herkunft, Kultur, Ideologie. Sie teilen nichts, außer der Erfahrung Flüchtling zu sein, am äußersten Stadtrand des elften Hiebs, umschlossen von Wellblechmauern, vergleichbar einem Gefängnis. Oder einer Nervenheilanstalt (Bühnenbild: Janina Audick – ein Drehwürfel mit Einblicken und Livekamera). Denn es gibt einen Gerichtspsychiater – zu ihm später …

Regisseur Pedro Martins Beja hat für Weiss‘ Fantasie viele Sprachen gefunden. Für diese biblischen Biografien, für diese alttestamentarischen Ahnenreihen. Da ist zunächst Gaspar (Steffen Höld wie immer fantastisch), der Grenzer, der mit bärbeißigem Akzent erzählt, wie er nach einem Saufgelage in Österreich nicht mehr nach Hause konnte. Er kennt Allerwelt noch als malerische Auenlandschaft, grub Brunnen, pflanzte Gemüse und Bäume. Heute ist er arbeitslos, die Brauerei hat ihm immerhin noch ein paar Kisten Bier spendiert. Die wunderbare Katja Jung sitzt als Tereza wie eine tschechische Carmen im knisternden Abendkleid an der Holzhüttenwand. Sie war mal Gaspars Geliebte. Der Iraker Naseer (Gideon Maoz) hat den Jugendslang darauf und verachtet den aus Istanbul verprügelten transsexuellen Yasar (Simon Zagermann). Fatima (Veronika Glatzner) ist mit ihren Zwillingen aus Somalia geflohen und steht nun in Allerwelt wieder auf der Straße: „Wenn heute genauso Probleme sind, wenn alles erinnert, wenn wir einen Fluchtvirus haben. Wie soll einer weiterleben?“ Der chilenische Revolutionär Guillermo (Florian von Manteuffel) reagiert auf diese Erfahrung, indem er die alte, längst nicht mehr existierende Wirklichkeit glorifiziert. Er geht ins zweite, ins innere Exil. Ebenso wie die geheimnisvolle Malalai (Barbara Horvath), die ein Schild um den Hals trägt: Ich habe Angst vor Uniformen. Und deren Glieder im Maschinentakt der Band Portishead zucken. Tatatata. Tatatata. Eine tadellose Ensembleleistung.

Einen roten Schmetterling wählte Beja als Symbol für Freiheit. Fürs Fliegen. Doch Schmetterlinge haben ein kurzes Leben. So ist Allerwelt träge Realität, eine Kommune mit allem Für und Wider. Organisierte Anarchie. Weiss/Beja zeigen, wie unter Flüchtlingen Feindbilder entstehen, wie Arbeitslosigkeit, Not zu Illegalität führt. Und rechten Parolen (das zeigen sie nicht, das ist nicht ihr Auftrag). Die Langeweile wird mit Überlebensspielen totgeschlagen. Und damit, dass man sich wieder und wieder die gleiche, eigene Story erzählt. Und Würde. Die gilt es zu bewahren. Denn der Psychiater will’s ganz genau wissen: Wie oft wurden Sie missbraucht? Können Sie die Wunden zeigen? (Zu Yasar:) Wann haben Sie entdeckt, dass Sie abnormal sind? Geht da nicht die Fantasie mit Ihnen durch? Wo man den Fuß hinsetzt, tritt man auf ein Stück Geschichte. Doch der Gutachter ist ein Abschieber. Der Blick von außen ist Gewalt.

Philipp Weiss: „Unter Innenministerin Maria Fekter wurde das frühere, zu diesem Zeitpunkt aber bereits leerstehende „Integrationshaus“ im Inneren der Siedlung Macondo umfunktioniert. Aus dem „Integrationshaus“ wurde ein „Abschiebezentrum“. Eine zynische Wendung. „Flüchtlinge“, so die brachiale Logik, sollten zu „Flüchtlingen“ kommen, dann habe alles seine Ordnung. An diesem isolierten Ort muss niemand die unbeliebten Abschiebungen mit ansehen. Besser gesagt. Allein diejenigen, die selbst oftmals durch ihre Flucht traumatisiert sind und nun tagtäglich vor Augen  haben, wie es ihnen ergehen könnte. Die Nähe zum Flughafen spricht klar für den Standort.“

In „Allerwelt“ wölbt sich der Himmel noch über alle. Man hätte es niemals vergessen sollen, manche haben’s getan. Philipp Weiss weißt wieder daraufhin: Ein Mensch ist ein Mensch ist ein Mensch …

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Wien, 26. 3. 2014