Burgtheater: Das Leben ein Traum

September 12, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Auf der Schutthalde der Geschichte

Franz Pätzold als Sigismund. Bild: Andreas Pohlmann

Kurz vor Schluss, da hat das Publikum bereits spöttisch über Clotalds „Geh‘ ins Kloster“-Rat an seine Tochter gelacht, mehr noch als die Herren-Menschen die Damen untereinander aufteilen – Astolf: Wenn Rosaura wirklich Clotalds Tochter ist, na gut, dann nehm‘ ich sie halt, Sigismund: Fein, dann kann sich die Estrella auch nicht beklagen, weil ich sie mit dem Besseren vermähle, nämlich mit mir -, kurz vor knapp also kommt Martin Kušej erst auf den Punkt.

Da nämlich verflicht er die barocken Verse mit Pasolinis Stück „Calderón“, genauer mit dessen dritten Teil, Rosaura träumt sich als Insassin eines nationalsozialistischen Konzentrationslagers, zwar mit einer Revolutionsutopie, doch wie Schauspielerin Julia Riedler als geschändete, ungerächte, ins Ehebett ihres Übeltäters verkaufte Rosaura daliegt, da kollidiert der Lager-Monolog heftig mit dem pathetischen Gehabe davor. Und vor einem liegt die Institutionalisierung der Unmenschlichkeit. Das Erbe der Jetztzeit.

Ruhigen Gewissens hätte sich Kušej auf die Kraft des querdenkerischen Filmemachers und Publizisten verlassen können, der den Niedergang sozialer und politischer Strukturen in seinem Werk sezierte, einen darob entstehenden neuen Faschismus analysierte – und für sein Weltbild mit dem Leben büßte. Doch der Direktor setzt als erste Premiere der #Corona-Saison Pedro Calderón de la Barcas „Das Leben ein Traum“ an, mehr als drei lange Stunden von ihm selbst inszeniert, heißt: in der Kušej-typischen Ästhetik von Zappenduster bis Schwarzseherisch. Aber mit einem selten gebrauchten Händchen für feinklingigen Sarkasmus.

Das Bühnenbild von Annette Murschetz ist beeindruckend monumental, die Kostüme von Heide Kastler historisierend, die Musik von Bert Wrede irgendwo zwischen dem Kreischen von Vögeln, Industriemaschinen und Gefolterten. Da stehen sie nun, Calderóns Protagonisten, der polnische Hof, auf der Schutthalde der Geschichte, turnen den Koks-Berg im Kohlenkeller auf und ab, während von der Rampe oben immer mehr Briketts herabrieseln – das hat Schauwert, diese mitunter atemberaubende Akrobatik, auch wenn man sich fragt, warum sie das tun, und sich die Pausengespräche ums Was-will-uns-Kušej-eigentlich-sagen? drehen.

Norman Hacker und Franz Pätzold. Bild: Andreas Pohlmann

Franz Pätzold und Wolfram Rupperti. Bild: Andreas Pohlmann

Franz Pätzold und Julia Riedler. Bild: Andreas Pohlmann

Und es macht Mühe, aus diesem seltsam antiquierten Drama mit seinen verquasten Handlungssträngen das zu schälen, woran die Zuschauerin/der Zuschauer dieser Tage andocken kann. Der Ruf nach Freiheit, die Beschwörung des freien Willens, ja natürlich, doch dies ausgerechnet von dem, der sich, erst an der Macht, an deren Missbrauch delektieren wird – Fußnote: Man glaubt Franz Pätzolds Sigismund zum Glück die vom Himmel gefallene Katharsis samt Heilsbringerschaft in keinem Augenblick.

Was demnach? Basilius, König von Polen, hält seinen Sohn Sigismund seit dessen Geburt ob ungünstiger astrologischer Weissagungen zu ebendieser in einem Turm in der Wildnis gefangen. Bis er sich besinnt, und den Wildling an seine „rechtmäßige“ Position absoluter Macht katapultiert. Der Königssohn, entledigt der Ketten, kennt keine Schranken, wird Mörder, Wüstling, wieder eingekerkert, von Aufständischen befreit – und ist trara ein Guter. Nebenhandlung I: Astolf, Herzog von Moskau, spitzt auf Basilius-Nichte Estrella und den Thron; Nebenhandlung II: Rosaura, von Astolf ihrer Ehre beraubt, hat vor diesen zu töten, wird aber von Sigismunds Kerkermeister Clotald, der sich als ihr Vater enttarnt, ausgebremst. Dazwischen viel Narkotika und ein Sigismund, dem die Gesellschaft erzählt, mal diese, mal jene Realität wäre ein Traum.

Da liegt er, Sigismund, im Prosektur-weißen Verlies auf entsprechend blanker Liege, Franz Pätzold nackt, und philosophiert sich mit dem Schicksal hadernd in neonröhr-lichte Höhen. Ein malträtierter Geist in einem geschundenen Körper, Kušej wird dieses Ecce Homo später um eine gewittrige Christus-am-Kohlehaufen-Geste erweitern, damit ist was anzufangen, Pätzold wie immer brillant als menschliches Experiment, als vielleicht, man weiß es nicht, reine Seele, die durch Vaters Versuchsanordnung erst schmutzig wurde.

Roland Koch und Tim Werths. Bild: Andreas Pohlmann

Andrea Wenzl und Johannes Zirner. Bild: Andreas Pohlmann

Julia Riedler und Andrea Wenzl. Bild: Andreas Pohlmann

In Zeiten, da die Objektifizierung von Menschen vielerorts wieder als politisches Propagandamittel eingesetzt wird, die Entmenschlichung anderer zum eigenen Machterhalt, und dies dem Stimmvolk vielerorts erfolgreich unter dem Signum einer „neuen Normalität“ angedreht wird, scheint Kušej mit Calderón deutlich machen zu wollen, wie man erschafft, was später zu fürchten ist. Kušej inszeniert das knallhart, die Szenen wie stets durch Blackouts zerstückelt, die eiskalte Politik, in der Pätzold vom Beherrschten zum Beherrscher, vom „Tier“ zum unterkühlt kalkulierenden Machthaber wird.

Im Programmheft bemüht das Burgtheater Thomas Hobbes‘ Theorien über den Souverän aus seinem „Leviathan“, die Abgabe des Selbstbestimmungsrechts ans Staatsoberhaupt, den Verzicht auf kontroverse öffentliche Debatten, auf Meinungsbildungsprozesse, auf die demokratische Abstimmung über die vielbemühten „Werte“. Das spröde dargebotene Schauspiel, Kušejs nüchterne Hinterfragung alternativer Wirklichkeiten ist ein Widerhall vom Wind, der draußen weht, ein jung-dynamischer und konsequent den Staat umbauender Landesführer, diesmal nicht hässliche, sondern „schreckliche Bilder“, ein „menschenunwürdiges System“.

Das Kalkül kommt daher mit Langsamkeit, zwar sind Mantel und Degen zur Hand, und für Roland Koch als mutmaßlich unfreiwillig kauziger Clotald eine (?) Augenklappe. Es wird gefochten und geblutet, Andrea Wenzl und Johannes Zirner als Estrella und Astolf tragen im Zweikampf etliche Blessuren davon, zwei Spiegelfechter sind sie, die weder Emotionen noch Motive für ihr Handeln erahnen lassen. Enervierend langsam lässt Kušej sein Ensemble die Sätze zerkauen, jedes Wort will hier im Intrigen-durchtränkten Politsumpf überlegt sein, und großartig ist, wie Johannes Zirner zwischen Estrella und Rosaura wegen des Medaillons in Bedrängnis gerät – ein teflonbeschichteter Lügner, gefangen im eigenen Gespinst.

Norman Hacker, Franz Pätzold, Andrea Wenzl, Roland Koch und Johannes Zirner. Bild: Andreas Pohlmann

Es wurde an dieser Stelle schon bemängelt, dass Kušej mit Frauenfiguren wenig anzufangen weiß, dagegen erweist er sich diesmal beinah als Feminist. Die Wenzl und mehr noch Julia Riedler agieren kraftvoll als Estrella und Rosaura, zwei Frauen als Spielbälle im Männermatch, sie demaskieren die Definitionsgewalt der Männer darüber, was „normal“, was Fakt, was „wirklich“ ist. Allein mit Attitüde macht erstere klar, dass sie auf diese Gewalt mit Gegengewalt reagieren wird, bis die First Lady die Erste im Staate ist. Rosaura, und so steht’s nicht bei Calderón, entzieht sich der Opferrolle durch den Freitod …

Als Erfreulichkeit des Abends glänzt Tim Werths als Diener Clarin. Ein witzig katzbuckelnder Wendehals im Bemühen diesen aus der Schlinge zu befreien. Ein grandios doppelzüngiger „gracioso“, wiewohl der einzige unter allen, der sein Herz auf dieser trägt – was ihm die Lacher garantiert. Bleibt Norman Hacker als undurchsichtiger Basilius, teils verschrobener „Wissenschaftler“, wie er eingangs in Unterhose und Strümpfen auf die Bühne taumelt und sich nur unter Schwierigkeiten fertig bekleiden kann, teils zynischer Despot. Die erste Begegnung mit Sigismund fällt im Wortsinn von oben herab aus, wird aber – „Das Leben ein Traum“ – sofort mit einem weinerlichen, reuigen, Sigismunds Knie umklammernden Basilius wiederholt.

„Hilfe bringt vielleicht die Wahrheit“, sagt Norman Hacker. Dem ist bei diesem Deutungsversuch einer Arbeit über Deutungshoheit nichts hinzuzufügen. Am Ende tötet Basilius – auch das steht nicht bei Calderón – den Soldaten, Wolfram Rupperti, der Sigismund befreit hat, per Gurgelschnitt. Die kohlenschwarze Mördergrube und der Weiße-Westen-Palast überlappen zum anthrazitfarbenen, neuen Absolutismus des Sigismund. Man hat es kommen sehen, an der Macht sind die, die „recht tun“. Auf der Schutthalde ihrer eigenen Geschichte.

Teaser: www.youtube.com/watch?v=cYWMDoF4ASM           www.burgtheater.at

  1. 9. 2020

Burgtheater: Die Hermannsschlacht

November 29, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zersägte Jungfrau in fünfzehn Einfriersackerln

Im Liebesblutrausch nach der Jagd auf den Auerochsen: Bibiana Beglau als Thusnelda und Bardo Böhlefeld als Ventidius, Legat von Rom. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Auf der Innenseite des Programmhefts sind die Standorte der Cherusker, Sueven und Cimbern verzeichnet, und mitten drin der Stamm der Miss- vergnügten, und nein, das ist kein Feixen punkto Zuge- hörigkeiten, so dramatisch ist es nicht. Eher ist es das zu wenig. Weshalb mit folgenden Anmerkungen begonnen werden soll, nämlich, dass zum einen kaum jemals ein Burgtheater-Ensemble seinen Text so wortundeutlich vor sich hingemurmelt hat.

Als auf der Bühne der Satz fällt „Ich verstehe kein Wort“, ertönt aus dem Publikum ein belustigtes „Wir auch nicht!“ – und Lacher!, und nur, weil das Nachbarhaus genau dafür seit Jahren gescholten wird, Ringseitenwechsler Rainer Galke als Sueven-Fürst Marbod ist der bei Weitem Bestverständliche. Zum anderen aber, und das scheint tatsächlich schwerer zu wiegen, ist die Lesart der Thusnelda eine fatale, nicht nur aus frauenbewegter Sicht, sondern auch aus dramaturgischer, wurde der Figur doch jede tragische Fallhöhe genommen. Bei einem werkeinführenden Gespräch leitete Darstellerin Bibiana Beglau vom einstigen Kosenamen ihres Charakters zum nunmehr salopp abwertenden „Tussi“ über – und bei dieser Rollenzuschreibung ist sie auch geblieben.

So weit, so … also: Martin Kušej hat gestern seine erste Neuinszenierung für Wien präsentiert, der Chef, weil die Betitelung Direktor mag er gar nicht, der sich gern als kontroversieller Regisseur gibt, ein ebensolches Stück für diese Auftaktarbeit ausgewählt, Heinrich von Kleists „Hermannsschlacht“, und am Ende mit gutgelaunter Castorf’scher Geste die gelegentlichen Buh-Rufer zu einem „Mehr! Mehr!“ eingeladen. Allein, dazu verebbte der Applaus allzu bald.

Von Kleist 1808 geschrieben und angesiedelt 9 n. Chr., verweist der stets jenseits der etablierten Literaturlager stehende Außenseiterautor mit der Vernichtung der Varus-Legionen im Teutoburger Wald auf der Deutschen Virtualität gegen die napoleonischen Truppen, die „Hermannsschlacht“ ein fünfaktiger Aufruf zu Widerstand und Waffengang, die Cherusker ganz klar die Preußen, die Römer gleich den Franzosen und die Sueven eine Handvoll Österreicher. Doch waren’s nicht Kleists Zeitgenossen, sondern erst die Nationalsozialisten, die das Historiendrama als teutschen Mythos und Appell zum totalen Krieg freudig aufführten.

Aufgedonnert für die Römer: Markus Scheumann und Bibiana Beglau. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Die Ehe ist ein Ringelspiel: Markus Scheumann und Bibiana Beglau. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Feldherr Varus hat „Tussi“ Thusnelda reich beschenkt: Bibiana Beglau. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Zwischen diesem ideologisch kontaminierten Pol und dem des baskenbemützten Peymann’schen Partisanenkämpfers aus dem Jahr 1982 bewegt sich Kušej, der als seine Referenz die Schriften von Barbara Vinken, vor allem ihre Monografie „Bestien. Kleist und die Deutschen“ nennt, und in Kenntnis dieser wird offenkundig, dass Kušej deren Thesen vollinhaltlich spielen lässt. Heißt: „Die Hermannsschlacht“ nicht als Propaganda-, sondern als Lehrstück in Sachen derselben, heißt: Hermann als zynischen Hetzredner, Vinken nennt seine bevorzugte Rhetorik die der Rhetoriklosigkeit, Kušej ihn einen „Bruder im Geiste aller Fake-News-Populisten“, Hermann ein Kriegs-Führer ohne Schlachtenmoral, ein Gatte, der seine Frau Thusnelda systematisch vom sexuellen Lockvögelchen für Ventidius zur Bestie entmenscht.

Auf der Bühne des Burgtheaters hat Martin Zehetgruber einen Wald aus phallischen Betonwellenbrechern aufgebaut, und ein rotierendes Pferdekarussell. Doch bevor dies zu sehen ist, findet Stefan Wieland als Römer Scäpio in der den Abend dominierenden Düsternis noch einen ausgeweideten Frauenkörper. Das Opfer einer Kulthandlung, mit Hirschgeweih/Dornenkrone und in Blut gezeichnetem, hakenkreuzähnlichem Symbol auf der Schulter, eine Warnung an alle, dass weitere Gräueltaten folgen werden. Siehe die bei Kušej eindeutig von Hermann als Befehl an seine Schergen ausgegebene und den Gegnern angelastete Massenschändung eines germanischen Mädchens.

Die Hally-Szene, die hier darin gipfelt, die zersägte Jungfrau als sozusagen fachmännisch aufgebrochene Jagdtrophäe in fünfzehn Einfriersackerln den ebenso vielen Stämmen zu übermitteln – ein Anblick, der je nach Betrachtung von freiwillig gewählter oder unfreiwilliger Komik ist, während Kušej den Ventidius‘schen Bärenfraß deutlich dezenter andeutet, ist im lichtlosen Zwinger ja nichts zu erkennen, dafür umso mehr zu erahnen. Thusnelda wurde von Hermann zu dieser hasserfüllten Handlung heißgemacht, der Bärendienst einer Barbarin, und Kušej lässt, wie im Fall Hally, keinen Zweifel daran, dass der Brief, in dem Thusneldas römischer Lover seiner Kaiserin Livia deren Goldhaar als Kriegsbeute verspricht, vom Cherusker-Fürsten fingiert ist.

Wie gesagt, Bibiana Beglau macht die manipulierte Rachsüchtige, erst mit Ventidius halbnackt-erotisch vom rohen Auerochsenfleisch fressend, dann hundehechelnd zu Hermanns Füßen, wenig später sich blöd-begeistert mit Varus‘ Goldgeschenken behängend, der Dressurakt von Weib zu Weibchen zu wildem Tier frühzeitig vollzogen, vorweggenommen, Effekt im Eimer. Wobei von der von Kušej angekündigten einzigen Humanistin weit und breit von Anfang an keine Spur ist, und er letztlich auch ihr entsetzliches Ehedrama verschenkt. Stattdessen spielt die Beglau eine an die Schmerzgrenze gehende Stupidität. „Schau mal!“, schreit dieser Blondinenwitz auf Beinen den Hermann an, damit er sieht, wie sich seine Landpomeranze, in Highheels stöckelnd, mit grellblauen Augen-Makeup, ihr zerzaustes Haarnest als Römerinnen-Style ausgebend, für den Besuch der Besatzer zurechtgemacht hat.

Der römische Schreiber Scäpio findet im Wald ein ausgewaidetes Frauenopfer: Stefan Wieland und Valerie Martin. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Gipfeltreffen: Scheumann, Wieland, Falk Rockstroh als Varus, Böhlefeld, Wolfram Rupperti als Aristan und Till Firit als Septimius. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Fackelzug in Gauleitergelb: Dietmar König als Egbert, Scheumann, Paul Wolff-Plotegg als Eginhardt und Max Gindorff als gemeuchelter Bote. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Die österreichischen Sueven bei Bratwürstl und 16er-Blech: Marcel Heuperman als Attarin, Rainer Galke als Marbod und Robert Reinagl als Komar. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Markus Scheumann hingegen ist als Hermann ein intellektueller, listenreicher, vornehmlich jedoch leiser Intrigant, der fast unmerkbar fein Freund und Feind verhöhnt, und der vor der Pause vorwiegend so agiert, als ginge ihn das alles nichts an. Mit moralinsaurer Miene ordnet dieser Teflonmann die ärgsten Monstrositäten an, motiviert andere eiskalt zu Meuchelmorden, nicht ohne darauf hinzuweisen, dass das alles nicht in seinem Interesse geschehe – umso abscheulicher die Verwandlung im zweiten Teil, wenn er Gift und Galle spuckend mit den dumben, deutschen Ochsen abrechnet, die seine Intentionen nicht begreifen können, Scheumanns Hermann nun mutiert zum rechtsnationalen Demagogen, vom völkischen Beobachter zum Gewaltherrscher.

Als sein Kontrahent Varus bleibt Falk Rockstroh so blass, als hätte er sich bereits mittels des eigenen Schwertes entleibt, der Rest, Paul Wolff-Plottegg, Dietmar König, Sabine Haupt, Daniel Jesch, Till Firit, Wolfram Rupperti, Arthur Klemt …, verkörpert Diverse und dies durchwegs unauffällig. Zur Kennzeichnung der allesamt Anzugträger sind die germanischen Haudraufs barfuß, die römischen Politfunktionäre in schicken Schuhen unterwegs. Die Sueven, Rainer Galke, Marcel Heuperman und Robert Reinagl, trinken zu ihren Würsteln Ottakringer aus der Dose, einige Sätze der Römer sind in ein Küchenlatein übertragen, durch welches holpernd sich nur Bardo Böhlefeld als Ventidius mit leicht italienischem Idiom tapfer schlägt.

Es war von Kušej vorab vermeldet, er werde „Die Hermannsschlacht“ zur politischen Positionierung des Burgtheaters benutzen, ergo geschieht der Hinterhalt gegen Varus als Fackelzug in gauleitergelben Langmänteln samt Fasces-Armbinden. Unter der Montur sind die Germanen nackt, so wie die Jünglinge, die das Ringelspiel hereinrollt – ob das als Seitenhieb auf SS-Homosexualitäten zu interpretieren sein soll, bleibt einem selbst überlassen. Und das Resultat – fad: Kleists Splatterorgie kommt in Kušejs langatmiger Auslegung nur bedingt zu ihrem Recht. Zwar gelingen Zehetgruber starke, mitunter giftgrüne oder schwefelgelbe Nebelbilder, zwar dröhnt die Musik von Bert Wrede äußerst unheilvoll zu den – no na – Blackouts, doch insgesamt kommt die Angelegenheit nicht in die Gänge. Warum nur wurden die Darsteller dazu angehalten, derart zu unterspielen?

Als Schlussbild jedenfalls stehen die geeinten Mannen als Burschenschafter im Festwichs und mit glänzenden Stiefeln da, Thusnelda nun ein BDM-Gretchen in grau-biederem Kostüm, und rufen ihrem Hermann „Heil!“. Die Grußbotschaft verstanden? Aber ja!

www.burgtheater.at

TV-TIPP: ORF III zeigt am 1. Dezember, 20.15 Uhr, eine Aufzeichnung der Inszenierung „Die Hermannsschlacht“: tv.orf.at/program/orf3

  1. 11. 2019

Akademietheater: Die Geburtstagsfeier

September 4, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Stück für Schwarzseher

Eine Polonaise fürs Geburtstagskind: Nina Petri, Oliver Stokowski, Max Simonischek, Andrea Wenzl und Roland Koch. Bild: Bernd Uhlig

Andrea Breths Interpretation von Harold Pinters „Die Geburtstagsfeier“ ist von Salzburg nach Wien übersiedelt, wo die Comedy of menace am Akademietheater mit Jubel und Applaus bedacht wurde. Nicht, dass man das Ganze nicht auch in 90 Minuten hätte erzählen können, aber Breth trat an, ihren Pinter zu zelebrieren (es ist ihr zweiter nach dem „Hausmeister“), und wer ihre Liebe zu Dada und gaga kennt, zum Absurden und zum Abwegigen, weiß wohin dieser Weg führte.

Über die doppelt so lange Strecke jedenfalls, und gefühlt ging‘s an jeder Abzweigung Richtung „Arsen und Spitzenhäubchen“. Gelacht wurde jedenfalls exakt so viel. Das Spätwerk des Literaturnobelpreisträgers ist fast so ausinterpretiert wie der „Hamlet“. Ungefähr jeder Literaturkritiker hat schon seinen Senf dazu gegeben, weil nicht sein kann, was nicht sein darf, nämlich dass der politische Mahner einfach mal so einen Thriller mit Funfaktor geschrieben hat. Nein, Stanley (Pinter hat das reale Vorbild einst in Eastbourne kennengelernt) muss ein Zivilisations-, Gesellschafts-, Kirchenflüchtling sein, einer, der sich als Individuum über die Bedürfnisse der Gemeinschaft stellt, weshalb diese ihn einholt und zur Strecke bringt.

Wahlweise ist er Verbrecher/Vergewaltiger, ein Betrüger sowieso, Mitglied jener ominösen „Organisation“, der auch Goldberg und McCann angehören – was wiederum von Kirche bis Gauner, oder beides, reichen kann. Das Judentum wird auch bemüht, schließt heißt Stanley Webber und Goldberg, na eben Goldberg.

Wie Pinter – er schrieb Uraufführungsregisseur Peter Wood, Stanley werde sich „ganz sicher nicht dazu äußern“ – schert sich auch Breth einen feuchten Kehricht um all das. Sie lässt das Geheimnis, wo es hingehört, und das ist gut so. Aufs Schärfste zurückzuweisen ist der von der Salzach herübergeschwappte Vorwurf, das Stück wäre schlecht. Das dem grumpy old man, der es meisterhaft verstand, das Publikum in die Abgründe seines eigenen tagtäglichen Geschwätzes blicken zu lassen? Dessen Pausen beredter sind als anderer Dramatiker Dialoge?

Lulu lässt sich schänden: Andrea Wenzl und Roland Koch. Bild: Bernd Uhlig

Mit so tollen Zähnen wird man der Boss: Roland Koch und Oliver Stokowski. Bild: Bernd Uhlig

Breth trägt dem Rechnung, der Thriller-Variante mit Pause nämlich: Sie zerhackt, was Pinter in drei Blöcke geteilt hatte, in kurze, manchmal längere, von Blackouts getrennte Szenen. Mitunter sieht man starre Einzelbilder, mitunter wird interagiert (aber einander dabei nie direkt ins Gesicht geblickt), das Tempo wechselt. Das ist so filmisch, dass einmal sogar die Zeitlupe zum Einsatz kommt. Bei einem Blinde-Kuh-Spiel. Breth macht aus der „Geburtstagsfeier“ das Stück für Schwarzseher. Und Bert Wrede darf sich dazu mit spooky Wabersound austoben. Geräusche, wie die Zeitung umblättern, Tee einschenken …, werden via Mikrophon verstärkt – ein gelungener Effekt. Bestechend ist das Lichtdesign von Friedrich Rom.

Bestechend auch das Bühnenbild von Martin Zehetgruber. Er zeigt eine abgehauste, versiffte Privatpension an einem englischen Strand, die längst von Sanddünen und trockenen Grasbüscheln erobert wurde. Vor der Tür krängt ein angeschlagenes Holzboot, nach der Pause wird es sich bis in den Innenraum vorgearbeitet haben. Obwohl alle ständig vom strahlenden Sonnenschein schwafeln, hängt der Nebel tief. Dies wohl der Kern von Pinters Aussage. Allüberall verbal vermittelter Selbstbetrug; man muss es sich nur einreden, und gut ist’s.

In dieses Biotop nun hat sich der ominöse Stanley zurückgezogen. Der angeblich verkrachte Konzertpianist hat wie seine Behausung die Körperpflege eingestellt, und müffelt in jeder Bedeutung des Wortes vor sich hin. Umflattert wird er von der ältlichen Hausherrin Meg, die, ausgestattet mit einem kolossalen Iokaste-Komplex, sich zwischen Muttergefühlen und sexueller Belästigung schwankend auf ihn stürzt. Dritter im Haushalt ist Megs Mann Petey, die meiste Zeit dabei, stoisch seine Zeitung zu lesen. So heiß ihr unterm Kittel ist, ihn lassen die Faxen seiner Frau längst kalt.

Dieses Trio Infernal gestalten Max Simonischek als Stanley, Nina Petri und Pierre Siegenthaler vom Feinsten. Petri vibriert vor Betulichkeit und (vorgetäuschter?) Naivität, Simonischek zahlt es ihr mit grantiger Grausamkeit heim. Im Verhältnis der beiden manifestiert sich schon die Aggression und Gewaltbereitschaft, die in weiterer Folge die Handlung dominieren wird.

Die Stimmung eskaliert: Roland Koch, Andrea Wenzl, Max Simonischek, Nina Petri und Oliver Stokowski. Bild: Bernd Uhlig

Und der Nagelzwicker kommt zum Einsatz: Oliver Stokowski, Max Simonischek und Roland Koch. Bild: Bernd Uhlig

Auftritt nun nämlich Roland Koch als Goldberg und Oliver Stokowski als McCann. Es ist verwunderlich, dass sich keiner wundert, dass es zwei Herren im Anzug an den A**bgrund der Welt verschlägt. Aber Meg hat eine Erklärung: „Wir sind sehr empfohlen“, lautet ihr Mantra. Dass die Fremden hinter Stanley her sind, ist gleich klar. Meg hingegen beginnt auf dessen Kosten eine Geburtstagsfeier rauszuschinden, und weil dieser nur halbherzig bestreitet einen solchen zu haben, gibt’s als Geschenk eine Kindertrommel. Derweil laufen Goldberg und McCann zur Höchstform auf, was die Alkoholbeschaffung betrifft.

Man sagt, die Vorbilder für Goldberg und McCann wäre das in den 1950er-Jahren extrem populäre Komikerduo Jewel und Warriss. Und Stokowski und Koch legen es zumindest ähnlich an. Stokowski, der den im Original verlangten irischen durch den hessischen Akzent ersetzt hat, ist als der Mann fürs Grobe das Sensibelchen. Umso erschreckender die Momente, wenn ihm die Kontrolle abhanden kommt, und er sich nur mühsam davon abhalten kann gegen jemandes Kopf oder andere Körperteile zu treten. Doch in ihren Unterwerfungsspielchen ist der wahrhaft Brutale der elegante, eloquente Goldberg.

Wie diese Figur das Geschehen, so dominiert Roland Koch die Inszenierung. Seine Performance als unterschwellig gefährlicher Charmeur ist schlichtweg großartig. Er misshandelt die Frauen – Andrea Wenzl als zunehmend betrunkener Nachbarin Lulu bricht er fast die Hand, bevor er aus ihr einen One-Night-Stand macht -, ohne es zu merken. Meg drückt er bei jeder Gelegenheit gegen die Wand, wohl weil er Platz für seine Persönlichkeit braucht. Allein schon Roland Koch ist es wert, sich diesen Abend zu gönnen. Und auch sonst entfaltet die Aufführung, so man sich auf sie einlässt, einen mächtigen Sog. Breths „Geburtstagsfeier“ ist ein beklemmend belustigendes Erlebnis.

Das Ende? Die Brutalitäten gegenüber Stanley nehmen zu, seine Brille bricht – und was ist mit seiner Zunge passiert? Black. Alles beim Alten. Nur Stanley ist weg. Lulu, das bereitwillig sexuelle Opfer, sieht sich zurückgelassen. Meg redet sich ein, die Partyqueen gewesen zu sein. Und Petey? Wiewohl er schon wieder Zeitung liest, hatte er seinen Moment des Aufbegehrens – und vielleicht als einziger den Durchblick.

www.burgtheater.at

  1. 9. 2017