Johannes Krisch in Felix Mitterers „Märzengrund“

August 20, 2022 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

In die Berg bin i gern

Johannes Krisch. Bild: © Metafilm

Johannes Krisch. Bild: © Metafilm

Doch, doch, es gibt ihn, den modernen Heimatfilm, den quasi Anti-Heimatfilm über Außenseiter in ländlicher Gegend. Evi Romens „Hochwald“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=47728) ist eines der bestechendsten Beispiele dafür. Nun zog’s, als Nachfolgeprojekt seines Sensationserfolgs „Die beste aller Welten“ im Jahr 2017, Regisseur und Drehbuchautor Adrian Goiginger Richtung Dreitausender.

„Märzengrund“, ab 19. August im Kino, erzählt die wahre Geschichte des Zillertalers Simon Koch, vom großen Tiroler Volksdichter Felix Mitterer 2016 zum Bühnenstück veredelt, Mitterer, der am „Märzengrund“-Skript mitschrieb und momentan mit Andrä-Hofer-Land im Clinch liegt. In schonungsloser Manier schildert er den schmerzhaften Weg einer Selbstfindung, die ein Leben lang nicht aufhört.

Harte Wirklichkeit statt Gebirgsidyll soll’s also sein, und siehe: Es scheint in der Tat eine ordnende Hand zu brauchen, wie am Theater z.B. die der Stephanie Mohr, um des Autors durchaus zum Pathos neigende Natur- schauspiele umzusetzen. Goiginger hingegen hat alle Hände voll zu tun, den Kitsch-Hang nicht zur Lawine werden zu lassen. Dieses ständige „Aufi muas i!“ ist zu dünn, zu höhenluftig, um zwei Stunden Film zu tragen.

Offen gesagt, zur Halbzeit wird es einem fad, die imposante Landschaftskulisse von Klemens Hufnagl und Paul Sprinz, durch die je ein anderes miniaturkleines Männlein oder Weiblein schweren Schrittes stapft, die Emotions-Stereotypen, psychologische Entwicklung nur als Behauptung, die eh-scho-wissen-Dorfjugend, die sich in der Disco prügeln muss, die allzu holzschnittartigen Elternfiguren und deren hartleibige Familientraditionen. „Märzengrund“ ist ein Paradebeispiel für genretypisch – nix gegen Heimatfilm!

Doch statt sich als Betrachter, Betrachterin in die Szenen zu involvieren, was bei „Die beste aller Welten“ so mühelos-warmherzig gelang, steht man auf seltsame Weise draußen vor der Sennhüttentür. Das ändert sich allerdings, sobald Johannes Krisch die Gebirgler anzieht, das sind endlich die Momente, in denen der Film erdigen Boden unter den Füßen bekommt – Krisch ist wie stets im Spielen eine Naturgewalt.

Jakob Mader. Bild: © Metafilm

Gerti Drassl. Bild: © Metafilm

Harald Windisch. Bild: © Metafilm

Womit es wohl Zeit wird, kurz zum Inhalt zu kommen: Der junge Elias (Jakob Mader), wiewohl mit einem silbernen Löffel auf die Welt gekommenen, hat keine Freude damit, der Hoferbe, der Jungbauer zu sein. Lieber liest er, als seinem Vater, dem reichsten Landwirt in der Gegend (Harald Windisch ganz Patriarch), dabei zuzusehen, wie der einem spielsüchtigen Nachbarn Hab und Gut abknöpft. In der Disco lernt er die Moid kennen – die aktuelle Buhlschaft Verena Altenberger, die schon Goigingers Helga Wachter war, hier aber nichts darzustellen hat.

Ausgerechnet die Gschiedene, noch dazu Ältere. Als die Mutter (Gerti Drassl) die beiden beim nackert Schmusen im Teich ertappt, setzt es was – von dieser Mater dolorosa der Drassl, die einem derart auf die Nerven geht, dass man das nur ganz große Schauspielkunst nennen kann. Nun heißt’s auf die Alm mitm Buam, doch der hatte ohnedies schon beschlossen zum Eremiten zu mutieren: Als wär’s seine Initiation in die Berg steigt er dort in einen eiskalten See – und als um 40 Jahre älterer Mann wieder heraus.

Der Krisch ist geboren – und mit ihm jene mürrisch-wortkarge, sturschädelige Intensität, die man von ihm kennt und liebt, ein weißbärtiger Wurzelsepp wie aus dem Bilderbuch. Wenn er im wild-sprudelnden Bach watet und sich offenbar kindlich wohl dabei fühlt, gibt es ein Stückchen Ahnung von der Befreiung, der bedingungslosen Freiheit, die ein nur von der Natur bestimmtes Leben bietet kann. Es muss da schließlich etwas sein, dass uns Angepasste an Aussteigerstorys so fasziniert. Jung-Elias liest – Symbol as Symbol can – „Robinson Crusoe“.

Die Dorfjugend unterwegs zur Disco. Bild: © Metafilm

Verena Altenberger und Jakob Mader. Bild: © Metafilm

Harald Windisch und Gerti Drassl. Bild: © Metafilm

Iris Unterberger. Bild: © Metafilm

In „Märzengrund“ gibt es eine Klammer: Zu Beginn des Films findet sich orientierungs-, weil eben noch bewusstlos der alte Elias im Krankenhaus wieder. Diagnose: Prostatakrebs, Operation, Reha und die Empfehlung sein Einsiedlerdasein aufzugeben. Am Ende ist dieser Elias immer noch im Tal, in der sich selbst so nennenden Zivilisation (als die Krankenschwester, die nach einem Schlaganfall ebenfalls im Heim lebende Mutter reinschiebt, entfährt einem ein: Was die Alte lebt immer noch?), sieht sich dort mit den desaströsen Ergebnissen seiner Entscheidung konfrontiert – und wieder: Gefühlaufwallungen so glitzernd wie Kunstschnee.

Da ist der andere Schluss besser, der den alten Elias zur Frage des jungen zurückbringt: Wie will ich leben? Und wenn Johannes Krisch zuletzt in lichten Höhen in die gleißende Sonne geht, statt die Therapie im Krankenhaus fortzusetzen, scheint diese Frage auch die Möglichkeit eines selbstbestimmten Todes zu beinhalten …

metafilm.at/film/maerzengrund

18. 8. 2022

WUK – Bum Bum Pieces: ALT. Ein Robotermusical

Januar 13, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Immer schön lieb sein zur Maschine

Ein Schal für die Maschine: Victoria Halper performt und strickt. Bild: Marie Pircher

Die Gelenke knarzen, der Arm ist bleischwer, der Griff lockerer, auch langsamer als früher. Altsein ist als Zustand gnadenlos. Wie grausam, ausrangiert zu werden, weil, wer nicht länger arbeiten kann, keinen Wert mehr hat. Sie ist allein gelassen, einsam, und wenn sie leise weinend singt „Weißt du noch, wer ich bin? / Weißt du noch, wo ich bin? / Weißt du, eigentlich bin ich immer noch ich …“, ehrlich, dann hat man an seiner Betroffenheit schon zu schlucken.

Ein Seelenstich, den das Künstlerkollektiv Bum Bum Pieces selbstverständlich sehr bewusst setzt. Die Steirer Simon Windisch und Nora Winkler, die sich mit dieser Aufführung im WUK erstmals in Wien vorstellen, erzählen vom Altwerden – andersrum. In Zeiten, da der Pflegenotstand zum Kleingeld ranschaffenden Polit-Schlagwort geworden ist, sind Maschinen in der Seniorenbetreuung bereits keine Dystopie mehr. Von Geh- und Aufstehassistenten über automatisierte Streichelhände bis zu künstlichen Kuschelrobben ist alles da, was die zwischenmenschliche Beschäftigung mit der Vergänglichkeit hinfällig macht.

In „ALT. Ein Robotermusical“ ist der Apparat, der nicht mehr so recht funktioniert und daher der Fürsorge bedarf, allerdings keiner aus Fleisch und Blut, sondern ein Fertigungsgreifer. Empathische Elektrik, der Performerin Victoria Halper – gemeinsam mit Dramaturg Kai Krösche bekannt als Gründerin des Nestroypreis-2019-Nominees DARUM (www.darum.at) – als Pflegekraft einen Lebensabend in Würde bescheren soll. Das ist so absurd wie amüsant wie traurig, dies musikalische Kammerspiel, zu dem Manfred Engelmayr und Robert Lepenik die Live-Klangflächen beisteuern, so zutiefst menschlich, dass man bald keinen Gedanken mehr daran hat, dass es hier „nur“ um eine Maschine geht.

Nie wieder, geschworen! wird man nach diesem Abend den Laptop anpflaumen oder sich gewissenlos vom kaputten Toaster trennen! Dass einen derlei Gefühle überfluten, ist das Verdienst von Performerin Nora Winkler, sie auch die Sängerin der Band Binder & Krieglstein (www.binderundkrieglstein.com) und auch in „ALT“ für den Greifarm-Gesang zuständig, die den von Stefan Bauer eigens für das Stück gebauten Roboter wie eine überdimensionale Puppe bewegt, und so in Dialog mit Pflegerin Halper tritt.

Halper mit Robert Lepenik und Manfred Engelmayr. Bild: Marie Pircher

Nora Winkler ist als Roboter Trumpf, re: Victoria Halper. Bild: Marie Pircher

Der Blick, den einen Regisseur Windisch im Anschluss an die Vorstellung in den Rentner-Innenraum werfen lässt, macht Winklers Leistung noch großartiger, auf kleinstem Raum zu steuern, zu inter/agieren und dabei noch live Musik zu machen. Durch sie wird der Arm zum Lebewesen, das schaut, sichtlich denkt, buchstäblich begreift, reagiert. Berührend, wie dieses Geschöpf beim Die-Tage-Zubringen unter Depression und Langeweile leidet, bis ihm Halper den Fernsehapparat einschaltet und ihm Filme von seiner alten Fließbandarbeit vorspielt.

Ein Gebäudeabriss mit Longfront-Bagger wird da zum Actionreißer à la „Terminator“, während die Pflegerin sorgsam kalibriert und schmiert, Halper fabelhaft, wie sie die unaufgeregte Selbstverständlichkeit der stoischen Fachfrau darstellt. Herzzerreißend, wie die beiden Karten spielen, „Zehner, König, König, Trumpf“ singt die Maschine beim Zweierschnapsen, und auch „Liebe, Liebe, Liebe, Ass“, eine Schicksals- gemeinschaft, die zwischen Vertrauens- und Abhängigkeitsverhältnis changiert, bevor, auch das ist Betroffenen bekannt, aus Innigkeit Renitenz wird. Und Inkontinenz.

Und Halper, die ihren Charakter beinah ausschließlich mit Gesten sprechen lässt, Putztuch/Erwachsenenwindel angewidert entsorgt. Als aber der Arm einen Albtraum hat, ist alles wieder gut zwischen ihnen, den Schal, den Halper an seiner Seite strickt, wird sie ihm zum Schluss als Geschenk umlegen – auch sie bis dahin im körperlichen Volleinsatz, da sie den Riesenarm samt Insassin Winkler mittels Hubwagen/Rollstuhl über die Spielfläche befördert.

Von – natürlich kostengünstigen – Pflegemaschinen, die niemals müde werden, schwärmen deren Hersteller. Nach Ansicht von „ALT“ können einem jedoch Zweifel kommen, ob die künstliche Intelligenz tatsächlich nicht zu Stimmungsschwankungen, Ungeduld, Erschöpfung neigt. In Japan ist Parlo auf dem Siegeszug, der kleine Serviceroboter, der 365 Unterhaltungsprogramme abspulen kann, vom Rätselraten bis zum Rhythmusspiel. Für jeden Tag eins in der Tristesse der Seniorenheime. Die Frage, ob alte Menschen derart nicht eigentlich noch mehr isoliert, da von wirklicher Kommunikation abgeschnitten werden, wird womöglich eine sein, die unsere Generation am eigenen Leib beantwortet finden wird. Wobei diese nach „ALT“ eindeutig so ist, dass man sich eine Pflegerin, wie die gezeigte wünscht …

Nächste Vorstellungen von 15. bis 19. Jänner.

bumbumpieces.at           www.wuk.at

  1. 1. 2020

Theater Nestroyhof Hamakom: Valentinstag

März 8, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Frederic Lion inszeniert Iwan Wyrypajew

Ingrid Lang (Katja) Bild: Nick Mangafas

Ingrid Lang (Katja)
Bild: Nick Mangafas

Die großen vaterländischen Väter, von Lenin bis Putin, blicken von oben, von der Vidiwall, auf das Geschehen herab. Dazu hämmern sich ein Sowjetmännerchor und Industriegeräusche in die Ohren, bis sie bluten. Fortschritt! In einem Stück, in dem vornehmlich Rückschritte gemacht werden. Frederic Lion hat an seinem Theater Nestroyhof Hamakom Iwan Wyrypajews „Valentinstag“ inszeniert. Die Tragikomödie einer Dreierkombination. Denn: Die Hassliebe um die es hier geht, kennt drei Protagonisten – Valentin, Valentina und Katja. Die beiden Vs waren – wie Kasimir (eine Rolle, in der Hauptdarsteller Harald Windisch schon zu sehen war www.mottingers-meinung.at/theater-in-der-josefstadt/) und Karoline – ein Jugendliebespaar. Auf Missverständnis und Intrige folgte die Heirat mit Katja (Valentina aber blieb seine Geliebte). Und Valentins früher Tod. Ein Herzinfarkt um null Uhr. Zurück bleiben die beiden Frauen und Valentins Gewehr. Und wie bei Tschechow muss es im vierten Akt schießen.

Lions Regie ist „nüchtern“, lässt weder Rührseligkeit aufkommen noch Tränendrüsendruck zu, folgt aber gleichzeitig Wyrypajew auf seinem Weg ins Skurril-Surreale. Eine Disziplin, in der die russischen Autoren Weltmeister sind. Die Zeitebenen Damals und Heute schieben sich ineinander; werden gebrochen durch Rückblenden, das Aufsagen von Briefwechseln und Regieanweisungen und einem Aus-dem-Stück-Aussteigen-weil-die-Figur-die-Handlung-so-nicht-will. Lion macht aus dem Trialog mit einem Toten ein Spiel mit dem Schicksal, das schließlich in Schuldzuweisungen eskaliert. Verrat lauert überall.

Gabriele Dossi ist im violett-glitzernden Zirkusdirektorenfrack als Valentina sarkastisch und spröde, dann wieder wehleidig weinerlich. Durch Beiseitesprechen macht sie sich das Publikum zum Komplizen. Ist sie im Recht? Sie glaubt’s. Ingrid Lang trägt als Katja ein längst verschlissenes Brautkleid, ist mittelschwer gaga und ausgestattet mit gackerndem Gelächter. Eine Alkoholikerin mit Akkordeon. In einer seifenblasigen Traumsequenz steht sie wie Sterntaler und wird doch von den Ereignissen aufgerieben. Ein Opfer. Das schwächste Glied in der Kette? Man mag’s nicht glauben. Wie Elizabeth und Maria Stuart um Graf Leicester gehen die beiden in den Infight um einen Mann, den es nur noch in der Erinnerung gibt. Ihn, Valentin, den Katalysator der Katastrophe, spielt Harald Windisch virtuos. Als Untoter (in den Rückblenden) ist er ein übermütiger, liebenswerter Kauz, als Toter leichenkalt und emotionslos. Ein außenstehender Beobachter des Ehefrau-Geliebten-Dramas, das er einst angezettelt hat.

Wyrypajew seziert die von der Macht der Liebe wundgeschlagenen Körper. Doch er wäre nicht er, wenn er fürs Private keine politische Metaebene parat hätte. Und so seziert er auch die Stagnation Russlands. Vom Kommunismus über Perestroika bis Krim. Die Irrationalität, die Brüchigkeit des Lebens an sich interessiert ihn. Weshalb Frederic Lion in Bild und Ton zu folgendem Ende findet: Pussy Riot und Neil Young – Rockin‘ in the Free World.

Schluss-Szene:  Valentina läuft herein. Sie stürzt zum Tisch und liest:
KATJAS LETZTER BRIEF
Liebe Valetschka, Valja. Valentina! Sollen doch Flugzeuge am Himmel fliegen, Schiffe die Meere durchpflügen, Soldaten Russlands Grenzen schützen. Soll doch jeder das tun, wozu er Lust hat, mir ist das völlig egal. Denn ich mache mich auf zu einer interplanetaren Expedition. Im Rahmen des internationalen Raumfahrtprogramms: „Mars – die Energiequelle“!!
P.S.: Ich wünsche dir viel Glück! Mach’s gut!
P.P.S.: Ja, beinahe hätte ich’s vergessen! Valja, letzte Nacht habe ich von Gott geträumt. Er hat zu mir gesagt, erstens, dass es ihn gibt, und zweitens, dass du an einem Herzinfarkt sterben wirst, heute um Mitternacht, null Uhr. Also nochmals, mach’s gut.
Deinen Wein hab ich doch ausgetrunken. Katja.

Über den Autor:

Iwan Wyrypajew: Geboren in Irkutsk, studierte Schauspiel an der dortigen Theaterhochschule. Nach verschiedenen Engagements an Theatern in Sibirien, gründete er 1998 das Theaterstudio „Spielraum“ und begann eine Regieausbildung an der Moskauer Theaterhochschule Schtschukin. Er arbeitet seit 2001 mit seiner zehnköpfigen Theatertruppe in Moskau als Autor, Regisseur und Schauspieler am von ihm mitgegründeten „Zentrum Neues Drama: Theater.doc“ und beim TV-Sender TVS. „Spielraum“ sowie zahlreiche Stücke Wyrypajews wurden zu verschiedenen internationalen Festivals eingeladen, u.a. zu den Wiener Festwochen. 2006 führte er bei seinem ersten Spielfilm Euforija, dessen Drehbuch er auch schrieb, Regie, 2009 folgte die Verfilmung von Kislorod („Sauerstoff“). Im Wiener Schauspielhaus wurde 2010 sein Stück „Karaoke-Box“ uraufgeführt, 2013 wurde „Illusionen“ ebendort erstmals in Österreich gespielt. Für seine Theaterstücke ist er mehrfach ausgezeichnet worden, 2009 mit dem Bansemer & Nyssen Dramatiker Preis, 2012 mit dem Paszport Polityki in der Kategorie Theater. „Valentinstag“ erhielt 2003 beim „Heidelberger Stückemarkt“ den Publikumspreis. Er zählt zu den wichtigsten russischen Dramatikern seiner Generation.

www.hamakom.at

Wien, 8. 3. 2014

Garage X: Gegen die Wand

Februar 13, 2013 in Bühne

Liebe heilt nicht, sie reißt Wunden auf

Die Einfachheit der Raumlösung von Monika Nguyen ist nicht nur außergewöhnlich flexibel, sondern auch zweckmäßig: Versiffte Schaumstoffmatten als Bühnenbild lassen sich leicht vom Wohnzimmer der Brauteltern in Wien zur Rezeption eines Hotel in Istanbul umschichten. Sie können für Sexturnereien herhalten. Oder für Wutanfälle. Und sie schützen das Ensemble davor, sich zu verletzen, wenn es „Gegen die Wand“ läuft.

Verletzungen aller Art bietet der Stoff ohnedies genug.

Garage-X

Bild: Yasmina Haddad

In der Garage X haben Leila Abdullah und Regisseur Alexander Simon Fatih Akins vielfach preisgekrönten Kinofilm für die Bühne nicht „adaptiert“, sondern ein eigenständiges Stück Kunst daraus gemacht. Und: Den Kassenschlager des türkischstämmigen Hamburgers auch gleich nach Wien verlegt – als österreichisch-türkische (es wird in beiden Sprachen gesprochen) Ballade zweier Suizidverliebter, die in inneren wie äußeren Gefängnissen festgehalten werden, und trotzdem zu einer atemlosen Tour de Force aufbrechen. Immer schön auf Kriegsfuß mit der Vernunft.

So beginnt das Ganze auf der Baumgartner Höhe: Cahit (Harald Windisch, derzeit im Theater in der Josefstadt auch als Horvaths „Kasimir“ zu sehen), hauptberuflich schwerer Alkoholiker, ist mit dem Auto absichtlich oder unabsichtlich gegen die Wand gefahren. Sibel (Zeynep Buyrac) hat sich die Pulsadern aufgeschnitten. Ergo: Psychiatrie. Wo sie den Plan fasst, ihn nur deshalb zu heiraten, damit sie dem Zwang ihrer Familie entkommt (Die Mutter: „Nie denkst du bei dem, was du tust, an mich.“), und dabei übersieht, dass er längst den Boden der Flasche erreicht hat.

Alexander Simon wagt es, diese Anfangsszenen satirisch überhöht, humorvoller, clownesker fast, als laut Filmvorlage zu inszenieren. Da wird Cahit beim Brautwerben von seinem Freund ein falscher Atatürk-Bart aufgeklebt – dieser, Seref, großartig dargestellt von Dennis Cubic, ist übrigens Geschäftsführer im Flex -, da wird die Brautmutter durch die garantiert alkoholfreien Pralinen von Schoko-Stück zu Schoko-Stück ausgelassener, bis schließlich alles in einem Augenzwinkern endet. Aber nur für manche.

Aus dem Augenzwinkern wird für Cahit und Sibel nämlich ein pathologisches Lidzucken; Windisch und Buyrac sind ausdrucksstark in ihrem Leid. Zwei labile Charaktere auf dem Weg in die Katastrophe. Sie will tanzen, Freiheit, Fremdficken, er dann doch lieben – aber zu spät. Und so kommt’s zu Gewalt, seiner Verhaftung, ihrer Flucht nach Istanbul. Ein unhappy End in einer Macho-Gesellschaft. Eine starke schauspielerische Leistung von Windisch und Buyrac. Wobei er seinen Cahit hinter der schroffen Fassade verletzlicher, zerbrechlicher sein lässt, weniger den brutalen Trinker raushängt, als sein Film-Alter-Ego Birol Ünel. Zeynep Buyrac ist wie Sibel Kekilli, die mit Fatih Akin zur Berühmtheit, mittlerweile sogar zur „Tatort“-Kommissarin, wurde, eine ausgeflippte Henn’.  Buyracs Sibel „verliert“ ihren Cahit mehr, als sie ihn flüchtet. Liebe heilt eben keine Wunden, sie reißt sie erst auf.

Das sechsköpfige Ensemble spielt wie um sein Leben. Wie um eines, das Cahit und Sibel gern gehabt hätten.

www.garage-x.at

Von Michaela Mottinger
Wien, 10. 2. 2013

 

30.12.2012,Von Michaela Mottinger

Ihr nächstes gemeinsames Projekt ist eine Sitcom für den ORF: In „Salambo“ spielen Thomas Stipsits (li.) und Manuel Rubey ein schwules Paar, das ein Stundenhotel betreibt.
Letztes Update am 30.12.2012,Von Michaela Mottinger http://kurier.at/autor/mag-michaela-mottinger/8.527

 „Mach es mal nicht so langweilig“

Das dynamische Duo Thomas Stipsits und Manuel Rubey über ihr Schwarzsehen fürs Fernsehen.

KURIER: Ihr Kabarettprogramm „Triest“ ist der Grund für dieses Interview. Darin ziehen Sie eine natürlich frei erfundene TV-Starschauspielerriege von Christiane Hörbiger bis Harald Krassnitzer gehörig durch den Kakao. Sie beide sind auf diesem fiktiven Set die Loser. Welche traumatischen Erfahrungen haben zu dem Programm geführt?
Manuel Rubey: In diesem Beruf gehört es naturgemäß dazu, dass man immer wieder erniedrigt wird. In der Figur des Regisseurs wirken all jene Menschen, die uns im Laufe der Jahre erniedrigt haben. Krassnitzer und Hörbiger sind Platzhalter im System, wir wollen sie nicht durch den Kakao ziehen. Viel mehr uns und die ganze Branche.
Thomas Stipsits: Wir hatten ein bissl Angst, weil wir dachten, es ist zu speziell und jemand, der damit nichts zu tun hat, kennt sich nicht aus. Aber in Wahrheit funktioniert es grad deswegen, weil man einmal nicht selber der Trottl ist, sondern ein anderer.
Rubey: Und Inkompetenz am Arbeitsplatz gibt’s offensichtlich in allen Berufen.

Was war Ihre schlimmste Erfahrung punkto Erniedrigung?
Rubey: Die ist sehr lange her. Da hat man in der Erwartung, dass „Mitten im Achten“ ganz groß einschlägt, einen Piloten für ein Nachfolgeprojekt gedreht. Da wurde ein deutscher Seifenopernregisseur engagiert, der nichts zu tun hatte, außer die Statistinnen anzubraten. Wir hatten kein Wort gewechselt, dann habe ich die erste Einstellung gespielt und er sagt vor versammelter Mannschaft ins Mikrofon: Mach es mal nicht so langweilig.

Sie waren auch gemeinsam in „Braunschlag“. Sie sind jetzt Lebensmenschen geworden?
Rubey: Aber bitte im Thomas-Bernhard’schen, nicht im Petzner’schen Sinn. Da legen wir großen Wert drauf.
Stipsits: Es gibt ein blindes Verständnis zwischen uns. Mittlerweile ist es schon so, dass, wenn wir mit jemandem reden, ich am Blick vom Manuel erkenne, was er über die Situation denkt.

Wie sehen Sie eigentlich fern? Zapper oder Einnicker?
Stipsits: Ich bin bewusster Fernseher. Ich besorge alles auf DVD und schau sie mir an, wenn ich Zeit habe. Das heißt nie – die DVDs stehen original verpackt im Regal. Beim Fußball bin ich kein Zapper. Das ist heilige Zeit.
Rubey: Fußball ist das Einzige, das ich live konsumiere. Ich muss Thomas aber korrigieren, er ist der klassische Einnicker, der DVDs sogar zum Einschlafen schaut. Ich kann nicht schlafen, so lange ein Fernseher läuft.

Was bedeutet für Sie „Unterhaltung mit Niveau“?
Rubey: Toll ist alles, was von HBO kommt, oder die grandiose BBC-Serie „Extras“ mit Ricky Gervais. Das sind allerdings alles Dinge, die in den USA und in England Nischen sind. Ich fürchte, dass Niveau in Zukunft eher in den Nischen zu finden sein wird. Bei uns hat das mit ja auch „Braunschlag“ funktioniert.

Der ORF als Nische?
Stipsits: Der ORF macht das eher in der Art gut, dass er alles abdeckt, was alle Leute interessiert. Ich persönlich bin ein großer ORF III-Fan. Der österreichische Film ist dort sehr gut positioniert. Wobei: Betroffenheitskino ist mir zu viel. Ein Film muss mich so erwischen, dass ich nicht nach zwei Minuten merke: Um Gottes Willen, das ist was Ernstes. Das ist übrigens auch bei politischem Kabarett so. Da ist es auch gut, wenn ich es erst ganz spät merke.
Rubey: Unser Ansatz ist, den „kleinen Mann“, die „kleine Frau“ zu zeigen, wodurch das Scheitern einer Faymann-Politik viel offenbarer wird als bei Politik-Parodien.

Was würden Sie im TV gerne machen, was auf keinen Fall?
Rubey: Ich würde gerne mit Thomas Stipsits in „Wetten, dass ..?“ auftreten. Nicht mit einer Wette, sondern als Showact zwischen der dritten Wiedervereinigung von Genesis und Robbie Williams. Und dann ein bisschen auf der Couch plaudern.
Stipsits: Kann ich unterschreiben. (Er lacht.) Ich wette, dass ich alle Mondscheiner-Lieder nach drei Sekunden rückwärts gespielt erkenne.
Rubey: Auf keinen Fall würde ich Dancing Stars oder Dschungelcamp machen.
Stipsits: Das kann ich auch unterschreiben.

Seit einiger Zeit ist alles Super-. Von Talent bis Model. Warum drängen die Menschen ins TV?
Rubey: Das sind immer noch die 15 Minuten Ruhm von Warhol. Es gibt offenbar ein Bedürfnis, zumindest punktuell bigger than life zu sein.
Stipsits: Das ist wie eine Droge. Es geht um Anerkennung, darum, geliebt zu werden. Deshalb funktioniert Facebook so gut, da kannst jeden Schas posten und es gibt Leute, die reagieren: Katze hat Durchfall – Kommentar: Schade. Arm. Oder so.

Wird das TV noch als moralische Anstalt wahrgenommen?
Rubey: Von meinen Großeltern schon noch, im Freundeskreis nicht mehr. Alles, was Talkshow, Privatfernsehen, Werbewahnsinn ist, kann diesen Anspruch für sich nicht geltend machen.
Stipsits: Es gibt Unterschiede. Lanz im Talk ist gut. Der sympathischste Südtiroler neben den Kastelruther Spatzen. Das sage ich nicht wegen „Wetten, dass ..?“, gell.
Rubey: Auf die Nerven geht mir auch, dass die Sender Formate kopieren. Von verliebten Bauern über Koch- und Heimwerkersendungen …
Stipsits: Das ist jetzt ein Boom. Momentan ist jeder, der einen Löffel halten kann, ein TV-Promikoch; das rennt sich tot.
Rubey: Ich sehe es pessimistischer. Ich sehe, dass sich alles banalisiert, dass die Aufmerksamkeitsspannen immer geringer werden, dass nicht in Bildung investiert wird – und man das am Fernsehen merkt. Ich glaube sogar, es wird noch schlimmer.

Sie schreiben für den ORF eine Sitcom namens „Salambo“?
Rubey: Wir spielen ein schwules Paar, das ein Stundenhotel leitet. Wir wollen bewusst Homosexuellenalltag zeigen und nichts Tuntiges. Es gibt einen sexsüchtigen Stammgast, Simon Schwarz, und eine jüdische Putzfrau, Ruth Brauer-Kvam. Wir haben abgegeben und hoffen, dass es dafür Geld geben wird.

Ist das das Projekt, das dem ORF als Quotenhit gefehlt hat?
Rubey: Ich weiß nicht. Nach der Erfahrung von „Mitten im Achten“ tu ich lieber tiefstapeln als angeben. Mich hat Fernsehen demütig gemacht.
Stipsits: Man kann Erfolg nicht programmieren. Darber entscheidet das Publikum. Wenn das nach der ersten Folge abdreht und sagt: Das ist nix, dann ist es nix.

Außerdem, Herr Stipsits, Sie haben gerade einen Tatort mit dem Titel „Angezählt“ abgedreht.
Stipsits: Ja, meine dritte Uniformiertenrolle hintereinander. Sie wissen eh. In Österreich ist man schnell in der Uniformierten-Schublade …

Was kommt von Ihnen 2013?
Rubey: Zwei Kinofilme: „Zweisitzrakete“ von Hans Hofer – Stipsits war auch dabei – und „Die Werkstürmer“ von Andreas Schmid. Im TV gibt es verschiedene Optionen – vor allem „Salambo.“
Stipsits: Ich habe derzeit keine Angebote. Ich warte auf die nächste Uniformiertenrolle.

Was ist mit Kabarett?
Stipsits: Wir machen als Duo weiter. Wir sind eine gute Ergänzung des anderen. Manuel ist der zwänglerische Ordnungsfreak.
Rubey: Und Thomas ist der kreative Chaot, der was in den Block reinfetzt, zu mir sagt: Wie findest das? – und ich kann’s nicht mal entziffern.
Stipsits: Das Programm wird in Episoden ablaufen. Die Hauptperson ist ein Mann, der beschlossen hat, im Wald zu leben.