Streaming – Bridgerton: Die Serien-Sensation der Saison

Januar 3, 2021 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Colorblind Casting und ein Vergewaltigungsskandal

Simon, der Duke of Hastings, und seine angetraute Daphne im bonbonfarbenen Fairy-Tale-Land: Regé-Jean Page und Phoebe Dynevor. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Als knapp nach Weihnachten die US-Serie „Bridgerton“ auf Netflix ihre Premiere hatte, war das Binge! von den Bildschirmen bis auf die Straßen zu hören. Staffel eins steht komplett online, eine Kostümschmonzette, die Shonda Rhimes mit ihrer Produktionsfirma Shondaland nach den Büchern von Bestsellerautorin Julia Quinn realisiert hat. Quinn, deren historische Liebesromane aus dem britischen Regency wegen ihres frechen Humors, ihrer spritzigen Dialoge und

eines absolut unzeitgemäßen Feminismus Millionen Fans haben. Und so wirkt auch „Bridgerton“, als wäre das „Gossip Girl“ die verloren geglaubte sechste Bennet-Schwester. Die Bridgertons sind sogar acht Geschwister, die’s zwischen Stolz und Vorurteil, Verstand und Gefühl hin und her reißt, mittendrin Eloise, eine wahrhafte Jane-Austen-Figur. Der Rest ist schnell erzählt: In einer bonbonbunten Fairy-Tale-Welt schuftet sich die Londoner High Society durch die Ballsaison anno 1813 – übrigens das Jahr, in dem „Pride and Prejudice“ dereinst erschienen ist.

Ehrgeizige Mütter treiben ihre pubertären Gänse auf den Heiratsmarkt, doch alle Debütantinnen werden überstrahlt von der Anmut Daphne Bridgertons, der sogar Königin Charlotte zugesteht, „ein Diamant erster Güte“ zu sein. Auftritt Simon Basset, seit dem Ableben seines Vaters der Duke of Hastings, und weil er die aufdringlichen Mütter und sie einen ebensolchen Verehrer loswerden will, schmieden Daphne und Simon den sinistren Plan, sich so lange als Turteltauben zu gerieren, bis er Ruhe und sie einen annehmbaren Antrag hat.

Allein, das Experiment läuft aus dem Ruder, das Nicht-Liebespaar, das natürlich totalmente ineinander verschossen ist, landet mit allen erdenklichen Folgen vorm Altar – und über all das und mehr klatscht und tratscht die mysteriöse Lady Whistledown in ihrem Boulevardblättchen, Lady Whistledown eine Whistleblowerin d’amour, die Vorfahrin aller spitzzüngigen Gesellschaftskolumnisten. So weit, so eh schon wissen, würde sich „Bridgerton“ nicht durch eine Wokeness auszeichnen, die in derlei Serien-Paketen selten ist – und sehr, sehr, seehr viel Sex.

Wobei die Objekte der Begierde hier eine ansehnliche Reihe junger Herren ist, die mit blanker Brust und Pobacken glänzen. Allen voran Regé-Jean Page, der als Duke of Hastings so schön ist, wie weiland Denzel Washington als Don Pedro in Kenneth Branaghs „Viel Lärm um nichts“, und Jonathan Bailey als Daphnes großer Bruder Viscount Anthony Bridgerton.

Claudia Jessie als Eloise und Ruth Gemmell als Lady Violet Bridgerton. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

National-Theatre-Star Adjoa Andoh als süffisant spöttelnde Lady Danbury. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Von der lesbischen Othello zu Königin Charlotte: die britische Bühnengröße Golda Rosheuvel. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Die Featheringtons: Polly Walker, Ruby Barker und Kathryn Drysdale als Genevieve. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Fünf Punkte, die „Bridgerton“ besonders machen (Inhalt kann Spoiler enthalten)

1. Das Matriarchat. Rund um den Grosvenor Square regiert das Matriarchat, das heißt eigentlich beginnt dieses schon im Kew Palace, von wo aus Königin Charlotte das Volk im mütterlich festem Griff hat – Schauspielerin Golda Rosheuvel, die Nachrichten aus dem Gemach ihres wegen seiner Stoffwechsel- an einer Geisteskrankheit leidenden Gemahl George III., „Eure Majestät, der König …“, mit einem hoffnungsvollen „Ist er tot?“ quittiert.

Unter ihr herrschen Ruth Gemmell als verwitwete Lady Violet Bridgerton, die ihren Clan mit viel Liebe an die Kandare nimmt, Nachbarin und, da Mutter dreier von der Natur weniger begünstigter Töchter, Rivalin Lady Portia Featherington, verkörpert von Polly Walker, deren liederlich-trotteliger Ehemann das Familienvermögen verspielt und verhurt – und die unvergleichliche Großmeisterin des süffisant spöttelnden Smalltalks, Adjoa Andoh als Lady Danbury, die Klein-Simon großzog, da sein Vater das vor Angst stotternde Kind aus den Augen haben wollte.

Die nächste Generation ist nicht minder frühemanzipiert: Claudia Jessie als Freigeist Eloise Bridgerton, die an die Universität statt unter die Haube will, ihre beste Freundin Penelope Featherington, Nicola Coughlan, der Verstand vor Gewicht geht, und schließlich Anthonys Affäre, die selbstbewusste Opernsopranistin Siena Rosso, Sabrina Bartlett, und die geschäftstüchtige Modemacherin Genevieve Delacroix, Kathryn Drysdale – die noch dazu ein nächtliches Doppelleben führt, infolgedessen sie Sohn Nummer zwei Benedict Bridgerton bei einer Party von dessen bisexuellem Hofmaler-Freund zu ihrem Geliebten macht.

Die ärmliche, vom Land in die Stadt verfrachtete Featherington-Cousine Marina Thompson, Ruby Barker spielt die Schönheit, weigert sich trotz geheim gehaltener Schwangerschaft den Nächstschlechtesten zu ehelichen, stattdessen stürzt sie sich im Wortsinn auf den dritten Bridgerton-Bruder, den unschuldigen, den naiven Colin … Jede dieser Frauen hätte das Zeug dazu, Lady Whistledown zu sein.

2. Das Colorblind Casting. Die Ensemble-Diversität in „Bridgeton“ lässt die Frage nach Hautfarbe gar nicht erst aufkommen. Showrunner Chris Van Dusen hat quer durch den britischen Adel weiße und nicht-weiße Schauspielerinnen und Schauspieler besetzt. An britischen Theaterhäusern, von denen etliche der Engagierten kommen, hat das Colorblind Casting eine lange Tradition, siehe die Rezensionen von www.mottingers-meinung.at über das Londoner Shakespeare’s Globe Theatre beim Art Carnuntum Festival.

Die Besetzung der People of Color wurde als ein Statement getroffen, so Van Dusen, angefangen bei der renommierten Theaterschauspielerin Golda Rosheuvel, zu deren Bühnen-Credits „Macbeth“, „Romeo und Julia“ und 2018 eine lesbische „Othello“ zählen. Hier ist sie Königin Charlotte, über deren „afrikanisches Antlitz“ Zeitgenossen tatsächlich munkelten, und das Historiker heute auf die portugiesische Linie der von Mecklenburg-Strelitzens zurückführen.

Dieser Aspekt immerhin schien Van Dusen so bemerkenswert, dass er die historische Persönlichkeit ins Setting einführte, in den Büchern kommt die Königin nämlich nicht vor, in der Serie leitet Rosheuvel den Cast an – von Regé-Jean Page bis Adjoa Andoh, von Ruby Barker bis zu Simons Freund und Boxtrainer, Martins Imhangbe als Will Mondrich, und Simons Butler, Jason Barnett als Jeffries. Kathryn Drysdale ist topaktuell für die Rolle der Meghan Markle im Gespräch.

Anthony Bridgerton ist soeben dem Bett seiner Mätresse entstiegen: Jonathan Bailey. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Serien-Beau Regé-Jean Page als Simon Basset, Duke of Hastings, in ähnlicher Situation. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Daphne erprobt ihre Verführungskunst: Phoebe Dynevor und Regé-Jean Page. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

Der Höhepunkt der Vergewaltigungsszene: Regé-Jean Page sorgt für Skandal. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

3. Der Vergewaltigungsszenen-Skandal. An Liebesszenen wird in „Bridgerton“ nicht gespart, vor allem zwischen Daphne und Simon. Nicht nur erklärt er ihr, wie man die Wonnen des Orgasmus für sich allein entdecken kann, sie zieht ihn mit ihren Blicken quasi aus, bevor er es selber tun kann. Ob Beau Page nun lasziv einen Eislöffel ableckt oder beim Training im Boxring seine Muskeln spielen lässt, in „Bridgerton“ ist fürs weibliche Herz allerhand dabei. Eine Szene mit der zauberhaften Phoebe Dynevor erregt allerdings die männlichen Gemüter – und nein, nicht so.

Daphnes sexuelle Erweckung ist einer der wichtigsten Themenstränge der Serie. Von Mama und ihrer Herumdruckserei denkbar unaufgeklärt, sagt ihr Simons Verhalten knapp vor dem Kommen, sich wegdrehen und in ein Taschentuch stöhnen, erst nichts. Der Herzog hat vor seinem sterbenden, ihm verhassten Vater den Schwur getan, die Hastings aussterben zu lassen, heißt: niemals ein Kind zu zeugen, daher der Hang zum Interruptus.

Es bedarf der Kammerzofe Polly, um ihrer Herrin zu erklären, wie das mit den Bienen und Blüten funktioniert, also inszeniert Daphne einen Samenraub de luxe, sie dreht den Spieß ist gleich die Beischlafpositionen um, und so kann Simon noch so sehr ums „Bitte aufhören!“ betteln, der Höhepunkt steht wie eine Eins. Skandal, skandiert’s nun durch die Social Media, eine Vergewaltigungsszene wird vom Publikum bagatellisiert. Im Roman war’s noch ärger, da machte Daphne Simon sogar betrunken und willfährig – tja …

4. Julie Andrews. Wem’s irgend möglich ist, der sollte sich „Bridgerton“ im englischen Original ansehen. Julie Andrews näselt sich als Lady Whistledown aus dem Off very british durch deren boshafte kleine Sticheleien, auch Eloise hat ein entzückend loses Mundwerk, und überhaupt sind die Dialoge im O-Ton ein so rasantes wie sarkastisches Ping-Pong-Spiel. Und siehe: Plötzlich ist „Bridgerton“ eine Serie, die sich so gar nicht todernst nimmt. Wenn Frauen die Tuscheltrommel rühren, um die hochfahrenden, allerdings hirnrissigen Pläne der Männer samt und sonders zu ruinieren …

Penelope Featherington wird noch eine wichtige Rolle spielen: die wunderbare Nicola Coughlan. Bild: Liam Daniel/Netflix © 2020

5. Die zweite Staffel. Ist in Planung, die Dreharbeiten sollen im März starten, laut Gerüchten aber ohne Daphne und Simon. In Julia Quinns Buchreihe hat die Autorin jedem der acht Bridgerton-Kinder einen Roman gewidmet. In Band zwei ist ergo Anthony an der Reihe, dem auf dem Bildschirm die wegen seiner Hop-on-Hop-off-Liebe erzürnte Siena gerade die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Erzählenswert ist zweifellos aber auch die Geschichte von Eloise, die nach Daphne in Season 2 in die Gesellschaft eingeführt werden

soll, dies aber um die Burg nicht will. Francesca Bridgerton, die zweitjüngste Tochter, kehrt in den letzten Minuten der Staffel eins erst aus Bath zurück, über sie weiß man also noch gar nichts. Und auch die heillos in Colin verliebte Penelope ist der Aufmerksamkeit wert. Und last, but not least gilt es nach wie vor die Identität der Lady Whistledown aufzudecken.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=gpv7ayf_tyE           www.youtube.com/watch?v=XM8-Q_dssYI           www.netflix.com

  1. 1. 2021

Theater in der Josefstadt: Einen Jux will er sich machen

Oktober 11, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Johannes Krisch kann herrlich süßholzheucheln

Der Lehrbub steht dem Kommis in nichts nach: Die Josefstadt-Debütanten Johannes Krisch und Julian Valerio Rehrl als Weinberl und Christopherl. Bild: Rita Newman

Das Ereignis der gestrigen Nestroy-Possen-Premiere „Einen Jux will er sich machen“ am Theater in der Josefstadt sind tatsächlich deren drei. Selbstredend das Hausdebüt von Johannes Krisch. Der nach dreißig Jahren Mitgliedschaft am Burgtheater aufgrund von „Altlasten“ und im Sinne der „Selbstachtung“, wie Krisch das Thema im Bühne-Interview kurz abfertigte, nicht länger auf dessen Ensembleliste steht. Und hierauf von Herbert Föttinger herzlichst bewillkommnet wurde.

Und nun an seine erste Rolle im achten Hieb, den Handlungsdiener Weinberl, mit einem verschmitztem Charme und derart viel Wiener Schmäh herangeht, mit einem vor Spielfreude hell brennenden Herzen, dass es die des Publikums im Handumdrehen entflammt. Der Charakterschauspieler ist ein Glück, das man hoffentlich verstehen wird, festzuhalten, nicht nur Vollblutkomödiant, sondern auch einer von der immer seltener werdenden Sorte der Volksschauspieler – wobei diesbezüglich en tout Vienne um die Josefstadt am wenigsten zu fürchten ist. Wie Krisch seinen Midlife-„Greißler“ zum „verfluchten Kerl“ avanciert, wie er dessen verrückte Sehnsucht nach einmal Exzess im Leben anlegt, wie dieser Weinberl bei den folgenden Verstrickungen in Sachen Hochstapelei zur Hochform aufläuft, der eben noch beflissene Kommis, der jetzt prahlt und in seiner Not, entlarvt zu werden, profimäßig improvisiert, wie er vor den Damen süßholzheuchelt, das ist große Kunst.

Um nichts weniger erfreulich, die anderen zwei Neuzugänge: Robert Joseph Bartl, Krimifans bekannt als München-„Tatort“-Gerichtsmediziner Dr. Mathias Steinbrecher, der als Gewürzkrämer Zangler sein ganzes Gewicht in die Figur legt, und als – dieweil ihn sein Hausstaat ohnedies nicht ernst nimmt – strenger Herr mit batzweichem Kern den Zuschauern einen Riesenspaß macht. Ebenso wie Julian Valerio Rehrl, nagelneu aus der Schauspielschule Ernst Busch, der als Lehrling Christopherl zwischen spitzbübisch und panisch schwankt, ersteres in Anwesenheit der Mesdames, zweiteres, wenn er angesichts der Ausweglosigkeit von Situationen am liebsten „o‘fohrn“ möchte.

Mit Rehrl hat Föttinger ein junges Talent entdeckt, das sich mit Verve in seine Aufgaben wirft, seien’s die von der Regie vorgesehenen grobmotorischen Slapstick-Momente, seien’s die choreografisch fein getänzelten Szenen mit Johannes Krisch. An dessen Seite Rehrl grandios besteht, die beiden per ihrer punkgestreiften Hosen als bühnenverwandte Seelen ausgewiesen, und als solche fürs Uptempo der Aufführung zuständig. Diese hat Stephan Müller zu verantworten, der Schweizer Theatermacher, den Krisch noch von seinen „Nothing Special“-Gigs im Burgtheater-Kasino kennt, und der mit dieser Arbeit seinen ersten Nestroy inszeniert.

Marie und ihr Herzensmann August Sonders auf der Flucht: Anna Laimanee und Tobias Reinthaller. Bild: Rita Newman

Das is klassisch! Martin Zauner als Melchior mit Josefstadt-Neuzugang Robert Joseph Bartl als Zangler. Bild: Rita Newman

Für den er gewissermaßen eine kokette Künstlichkeit zur Methode erhebt. Müllers Zugang zum „Jux“ heißt schräg, skurril, schrullig. Was bedeutet, dass er mit dem so leicht ins Lächerliche zu ziehenden Soziotop des städtischen Bürgertums weit mehr anfangen kann, denn mit Nestroys Gesellschaftskritik – die er umschifft, als hätte der „Jux“ in den Charakteren Weinberl und Christopherl kein „Zu ebener Erde“. Nur einmal darf der Kommis über die „Kapitalisierung des Verstandes“ sinnieren, und zweifellos ist die tumultöse Handlung perfekt getimt, werden die Pointen so treffsicher ge-, wie Müller auf punktgenaue Sprache setzt, aber der gfeanzte Subtext, der fiese Sarkasmus, mit dem der Volkstheaterdichter die nicht nur früheren Verhältnisse beschreibt, fehlen.

Müllers Synonym für Posse ist Schwank, nicht Farce, und auch die neuen Coupletstrophen von Autor Thomas Arzt sind ziemlich handzahm, höflicher gesagt: übersubtil, es geht um die Eh-schon-wissen-Themen von Klimakrise über #MeToo bis zum von Krisch im Wortsinn frisch aus dem Hut gezauberten Politstatement „Die rechte Hand in die Höh‘ – das is ganz a blöde Idee.“ Die Musiker, die Krisch begleiten, sind Matthias Jakisic mit der E-Geige und Thomas Hojsa mit dem Akkordeon, deren Interpretation von Alt-Wiener Melodien Protagonist wie Publikum von den diesjährigen Festspielen Gutenstein kennen, wo Krisch in Felix Mitterers „Brüderlein fein“ den Nestroy-Konkurrenten Ferdinand Raimund verkörperte (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34049).

Alles trifft sich im Haus des Fräulein von Blumenblatt: Elfriede Schüsseleder (M.) mit Martina Stilp als Madame Knorr, Robert Joseph Bartl, Paul Matić als Wächter, Anna Laimanee und Alexandra Krismer als Frau von Fischer. Bild: Rita Newman

Für Müllers 130-minütiges kunterbuntes Treiben haben Sophie Lux und Birgit Hutter ein entsprechendes Bühnenbild und Kostüme entworfen, von der in sich geschlossenen Bretter-vorm-Kopf-Welt des Zangler’schen G‘wölbs bis zur grünabgesteppten Gummizelle, die die Wohnung des Fräulein von Blumenblatt markiert. Den Modesalon der Madame Knorr säumen orange-güldene Wolkenstores, in selbem Material und Farben glänzt die Toilette der Couturière und ihrer Busenfreundin Frau von Fischer.

Optische Gustostücke, und wie die gesamte Garderobe von gigantischen Zylindern bis zu Zanglers zu engem Schützenrock grotesk überzeichnete Biedermeierzitate, die mittels Zugband bis zum Juhu gerafft werden können. Was Martina Stilp und Alexandra Krismer, beide festgelegt auf den Typ flatterhafte Funsn, genüsslich wieder und wieder zur Schau stellen. Martin Zauner amüsiert als Hausknecht Melchior unfehlbar „klassisch“ mit seinen Kabinettstückchen, ein wichtigtuerischer Kommentator des Geschehens, der, wo noch keine Verwirrung herrscht, garantiert für diese sorgt. Anna Laimanee und Tobias Reinthaller wissen als Liebespaar Zangler-Mündel Marie und August Sonders, wie man, was sich nicht schickt, auf gewiefte Weise trotzdem durchführen kann.

Von den etlichen, die in mehreren Rollen zu sehen sind, passt Elfriede Schüsseleder als überspannt, überkandideltes Fräulein von Blumenblatt wohl am besten ins Müller’sche Konzept. Für ihre ins Absurde gesteigerte Gestaltung dieser – wie die Knorr gleich ihren Wänden gekleideten – Kunstfigur, davor gibt Schüsseleder Zanglers hantige Wirtschafterin Frau Gertrud, gab’s den gebührenden Applaus, wie Cast und Crew überhaupt mit viel Jubel bedankt wurden. Nach dieser Begeisterung beim Premierenabend scheint’s, als hätte die Josefstadt mit dem „Jux“ einen weiteren Publikumshit zu verbuchen.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=ZqYGG-Z2558           www.josefstadt.org

  1. 10. 2019

Karlheinz Essl will Sammlung der Republik verkaufen

März 24, 2014 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Baumax-Gründer ringt um 4000 Arbeitsplätze

Karlheinz Essl  Foto: Frank Garzarolli, © Sammlung Essl Privatstiftung, 2009

Karlheinz Essl
Foto: Frank Garzarolli, © Sammlung Essl Privatstiftung, 2009

Die angeschlagene Heimwerkerkette Baumax ringt ums Überleben, sogar die berühmte Sammlung Essl steht nun zur Disposition. Das Unternehmen braucht nochmals Kapital, zudem müssten die Gläubigerbanken Schulden nachlassen. Ein Rückzug der Baumarktkette aus der Türkei und Rumänien, wo  Baumax sieben beziehungsweise 15 Standorte betreibt, macht eine neuerliche Kapitalspritze nötig. Dabei fallen immense Schließungskosten an. Die Banken haben im Ernstfall Zugriff auf die Kunstsammlung. In Summe ist von einer Größenordnung von bis zu 200 Millionen Euro die Rede. Weil die Familie kein Kapital mehr aufbringen kann, kommt nun auch die Kunstsammlung ins Spiel. Zwar hat Baumax-Gründer Karlheinz Essl die Sammlung vor zwei Jahren in eine gemeinnützige Stiftung eingebracht – doch weil die dafür ausschlaggebende Fünfjahresfrist noch nicht abgelaufen ist, würden die Werte auch im Insolvenzfall der Masse zufallen.

Die berühmte Sammlung Essl mit rund 7000 Kunstwerken, seit 1999 in einem Museum in Klosterneuburg untergebracht, steht mit 86 Millionen Euro in den Büchern, der Verkehrswert betrage bis zum Dreifachen. Letztlich wird es für Karlheinz Essl wohl darum gehen, eine Lösung zu finden, die Geld bringt und gleichzeitig die Sammlung erhält. So wurden bereits Kontakte zur öffentlichen Hand geknüpft. Kulturminister Josef Ostermayer lud die Familie Essl, Vertreter der Banken, des Landes Niederösterreich sowie des Sozial- und Finanzministeriums zu einem runden Tisch. Der Termin steht noch nicht fest, die Parole laute aber: So schnell wie möglich!

Karlheinz Essl sprach im Interview von einer „dramatischen Situation“. Er wolle die Sammlung aber nicht „filetieren“, da darunter besonders österreichische Künstler zu leiden hätten. Der Umfang der Sammlung sei so groß, „wie ihn zwei Auktionshäuser in einem Jahr nicht versteigern können“.

www.essl.museum

Essl Museum filmed by Georg Riha: www.youtube.com/watch?v=77oiXN6GTzM

www.mottingers-meinung.at/essl-museum-made-in-austria

www.mottingers-meinung.at/essl-museum-deborah-sengl

Wien, 24. 3. 2014

Stadtkino: Tomorrow you will leave

März 12, 2014 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Martin Nguyens Film über seinen vietnamesischen Vater

„Die Geschichte meines vietnamesischen Vaters, der mit seiner Familie als vietnamesischer Flüchtling in ein österreichisches Dorf kam. Nun kehrt er in das Flüchtlingslager in Malaysia zurück, um den Mann zu finden, der ihm einst geholfen hat“. Martin Nguyen

Bild: Daniel Gebhart de Koekkoek

Bild: Daniel Gebhart de Koekkoek

Furth an der Triesting ist eine beschauliche niederösterreichische Gemeinde mit 795 EinwohnerInnen. Dorthin verschlug es die Eltern des österreichisch-vietnamesischen Filmemachers Martin Nguyen vor 30 Jahren, nach der gelungenen Flucht über Malaysien aus Vietnam. Die Dokumentation folgt dem Vater des Regisseurs, Quang Nguyen, der als vietnamesischer Flüchtling mit seiner Familie in das kleine österreichische Dorf kam. Die entbehrungsreichen Anfänge des Fremdseins waren nicht leicht, doch der Blick wird auf die Gegenwart der eingelebten Familie gerichtet. Während der Vater in der Landwirtschaft arbeitet, pendelt die in der Wiener Schmuckindustrie arbeitende Mutter nur noch am Wochenende nach Hause zu ihrer Familie. „Das Leben meines Vaters und meiner Eltern war immer nach vorne gerichtet. Einen Job finden, sich ein Leben aufbauen, die Kinder versorgen – es gab nie die Zeit, zurückzublicken, woher man kommt und warum man jetzt da ist, wo man gerade ist“, sagt Nguyen. „Er hatte das Glück, am Land die richtigen Lebens- und Kommunikationsproportionen zu finden. Dadurch, dass wir über Jahre hinweg die einzige Ausländerfamilie dort waren, waren wir keine Bedrohung. Wir Kinder sind ganz normal in die Volksschule gegangen, wir sind dort integriert gewesen, und mein Vater hat einen Arbeitsplatz gehabt. Die Leute haben wohl zuerst nicht gewusst, wie sie mit ihm umgehen sollten, also sind mit ihm umgegangen wie mit jedem anderen. Sie haben mit ihm im Dialekt geredet, so hat er sein Deutsch gelernt, das heißt, er hat jetzt so ein im Dialekt eingefärbtes Deutsch mit einem vietnamesischen Akzent. Ich glaube, das war ein Glück, unser Glück, das die kleinen Verhältnisse keine Anonymität zuließen. Jeder kennt jeden. Man muss sich zwangsläufig kennen und verstehen lernen“.

Mit Ausländerfeindlichkeit wurde Ngyen erst in der großen Stadt, am Gymnasium, konfrontiert: „Ich wurde auf der Straße beschimpft, solche Dinge halt. Damit konnte ich nicht umgehen.“ Ngyen war nicht mehr Teil einer Dorfgemeinschaft. Ein hartes Leben, das dennoch von Glück und Zufällen geprägt ist. Einer dieser Zufälle war die Begegnung mit Ali, einem Soldaten im Flüchtlingslager in Malaysia, der Quang einst auf der Flucht geholfen hatte. Über 30 Jahre lang gab es keinen Kontakt, da Quang Alis Adresse verloren hatte. Nun bricht Quang mit seiner Ehefrau und seinem Sohn, der inzwischen selbst Vater geworden ist, nach Malaysia auf, um den ehemaligen Helfer zu suchen. Eine emotionale Reise in die Vergangenheit, um die Orte und Menschen wieder zu finden, die einst den Samen für das Hier und Jetzt legten.

Eine schlichte, eine komplexe Erzählung: Ein junger Filmemacher porträtiert seinen Vater, der in einem fremden Land heimisch geworden und doch fremd geblieben ist. Er erzählt gleichzeitig über diesen Landstrich in Niederösterreich und wie er durch die Augen eines Fremden unvertraut wird. Eine schöne Pointe dabei: In einem Interview hat Martin Nguyen einmal erzählt, dass seine Eltern eher skeptisch waren, als er statt eines sicheren Brotberufs die Laufbahn eines Filmemachers einschlug: „Mein Vater steht dem Dokumentarfilmprojekt sehr offen gegenüber und unterstützt mich, während meine Mutter scheu und zurückhaltend agiert. Durch dieses unterschiedliche Verhalten wird das Vertrauen, das mein Vater mir entgegenbringt noch stärker, während die Zurückhaltung meiner Mutter umso verständlicher wirkt. Sie kennen das nicht. Dadurch, dass sie auch immer darauf bedacht waren Sicherheit zu schaffen, ein sicheres Auskommen zu schaffen – und jetzt will der Bub plötzlich filmen und woher kommt das Geld und wie macht man das? – solche Dinge sind halt Konfliktpotenzial pur. Wir haben uns so abgerackert, warum wirst du jetzt nicht Arzt oder Anwalt?“ Dass er aber jetzt mithilfe seines Handwerks Generationengeschichte(n) schreiben konnte – das ist ein schönes weiteres Kapitel in einem familiären Balanceakt zwischen Ausgesetztheit und Vertrauen.

Die ProtagonistInnen
Quang Nguyen – Vater
54 Jahre alt. Landarbeiter. Bildung war ihm immer wichtig, spricht über das Glück, das sie hatten, manchmal denkt er an die verpassten Möglichkeiten im Leben. Er ist ein aufmerksamer Mensch, der auf andere zugeht. Hat sich stets um einen guten Draht zu seinen Kollegen bemüht, auch nun mit seinen neuen, jungen Arbeitern, die aus einer anderen Generation stammen. Ganz nebenbei hat er es geschafft den Menschen im Dorf einen Einblick in eine andere Kultur zu bieten. Geht auf die Leute zu und schafft durch seinen Humor eine Verbundenheit zu seinen Mitmenschen. Es ist bei ihm stets ein Wille und Ehrgeiz spürbar, der im Kleinen und im Großen scheinbar unmögliche Dinge zu einer Lösung führt. Hat lange nicht über die Flucht gesprochen. Lern- und wissbegierig.
Thi Bay Nguyen – Mutter
54 Jahre alt. Sie arbeitet in einer Schmuckfabrik in Wien. Pendelt zwischen dem Leben in der Stadt und am Land. Introvertierte, fleißige Person. Sie lebt die klassische Rolle der Mutter und Ehefrau, die im Hintergrund bleiben möchte. Ist die vernünftige Stimme in der Ehe. Sie konnte sich dem Leben in einem neuen Land nicht so schnell anpassen, bis heute weniger integriert als ihr Ehemann, Quang Nguyen.

www.tomorrowyouwillleave.com

Wien, 12. 3. 2014

Viennale 2013: 24. Oktober bis 6. November

Oktober 22, 2013 in Film

VON RUDOLF MOTTINGER

Will Ferrell ist Stargast der diesjährigen Viennale

Will Ferrell: "Blades of Glory" (2007) Bild: DreamWorks Pictures

Will Ferrell: „Blades of Glory“ (2007)
Bild: DreamWorks Pictures

Die Viennale, die heuer von 24. Oktober bis 6. November stattfindet, widmet dem großen amerikanischen Schauspieler und Komiker Will Ferrell ein umfangreiches Film-Tribute. Die gemeinsam mit Will Ferrell getroffene Auswahl aus seinen Arbeiten umfasst einige seiner absoluten Klassiker wie STEP BROTHERS (2008), TALLADEGA NIGHTS: THE BALLAD OF RICKY BOBBY (2006) oder OLD SCHOOL (2002), aber auch weniger Bekanntes wie etwa CASA DE MI PADRE (2012), YOU’RE WELCOME AMERICA. A FINAL NIGHT WITH GEORGE W. BUSH (2009), sowie unter dem Titel SAFETY LAST! eine Auswahl seiner besten Shorts und TV-Sketches. Die Viennale ist das erste Filmfestival weltweit, das dem Ausnahmekünstler Will Ferrell eine längst überfällige Hommage widmet und freut sich, dass Will Ferrell aus diesem Anlass persönlich Gast der diesjährigen Viennale sein wird. Am Mittwoch, den 6. November findet um 17 Uhr im Gartenbaukino eine Galaveranstaltung mit dem Film ANCHORMAN: THE LEGEND OF RON BURGUNDY in Anwesenheit von Will Ferrell statt, gefolgt von einem ausführlichen Bühnengespräch. „Mit Will Ferrell würdigt die Viennale einen der originärsten und intelligentesten Komiker des gegenwärtigen Kinos. Umso größer ist unsere Freude, dass wir Will Ferrell persönlich im Rahmen der diesjährigen Viennale begrüßen können,“ so Viennale-Direktor Hans Hurch.

WELTPREMIEREN BEI DER VIENNALE 2013

NEUE ARBEITEN BEDEUTENDER FILMEMACHER WIE EDGARDO COZARINSKY, GONZALO GARCÍA PELAYO, JEAN-MARIE STRAUB, KLAUS LEMKE UND RUTH BECKERMANN
In diesem Jahr wird es eine besonders reichhaltige und spannende Auswahl an Welturaufführungen und internationalen Premieren geben, darunter Werke einer Reihe von prominenten und international relevanten Regisseuren. Der Argentinier Edgardo Cozarinsky zeigt in Wien erstmalig CARTA A UN PADRE, seinen lang erwarteten Essay über die Geschichte und das Schicksal seines Vaters. Jean-Marie Straub hat dem Festival die Premiere seines neunen Films DIALOGUE D’OMBRES nach einem Text von Georges Bernanos – und zugleich eines der frühsten Projekte seines langen Arbeitslebens – überlassen. Gonzalo García Pelayo, dem die Viennale in diesem Jahr ein Tribute widmet, präsentiert persönlich die Welturaufführung seines ersten Films nach 31 Jahren, ALEGRÍAS DE CÁDIZ, in Wien. Ebenfalls bei der Viennale erstmalig zu sehen ist KEIN GROSSES DING, der neue Film von Klaus Lemke, und die aktuelle Dokumentation von Ruth Beckermann THOSE WHO GO THOSE WHO STAY. Dazu kommen weitere Arbeiten, darunter Filme von Harald Bergmann, Sandro Aguilar oder Luciano Piazza, sowie die internationalen Premieren neuer Werke von Volker Koepp, Raya Martin und Mark Peranson, von Jennifer Reeder, Robert Beavers und Ning Ying. „Die jährlich wachsende Zahl an bedeutenden RegisseurInnen, die der Viennale die Premiere ihrer Arbeiten
anvertrauen, ist für uns ein schöner Hinweis auf die große internationale Wertschätzung und Bedeutung, die dem Festival weltweit entgegengebracht wird“, so Viennale-Direktor Hans Hurch.

Retrospektive 2013

JERRY LEWIS

Bereits mit fünf Jahren stand Jerry Lewis, 1926 als Joseph Levitch und Sohn russisch-jüdischer Eltern geboren, gemeinsam mit seinem Vater, einem Entertainer, erstmals auf einer Bühne. Und als er 1945 auf Dean Martin traf, konnte er auf drei Jahre Erfahrung als eigenständiger Komiker zurückblicken. Lewis und Martin wurden zum Dreamteam der New Yorker Clubs, ab 1949 auch Hollywoods und traten in sechzehn Filmen gemeinsam auf. 1956 trennten sich ihre Wege und Lewis’ Karriere als Regisseur begann. Gleichzeitig hinter und vor der Kamera, und auf beiden Seiten gleich perfektionistisch, schuf er in der Slapstick-Tradition eines Stan Laurel sein eigenes geniales Universum der komisch-desaströsen Tollpatsche, Sissies und sympathisch schüchternen Außenseiter, die vor lauter Bemühen dazuzugehören eine fröhliche Spur der Verwüstung hinterlassen. Seit Beginn der siebziger Jahre machte der «King of Comedy» sich rar als Filmemacher wie als Schauspieler, wurde aber seit seiner Rolle in Scorseses gleichnamigem Film von 1983 endlich auch als Darsteller jenseits des Komikerfachs ernstgenommen. Seine größte Wertschätzung erfuhr Lewis, der wie der Inbegriff des Amerikanischen erscheinen mag, paradoxerweise stets jenseits der USA. Es waren die europäischen Cineasten, vornehmlich in Frankreich, die schon früh in ihm einen der großen Individualisten des Kinos erkannten.

www.viennale.at

Wien, 22. 10. 2013