Fran Lebowitz: New York und der Rest der Welt
August 21, 2022 in Buch
VON MICHAELA MOTTINGER
Die laserscharfe Satirikerin erstmals auf Deutsch
Fran Lebowitz ist Kult. Von Andy Warhol weiland entdeckt und zu Amerikas liebster Lästerzunge seit Truman Capote avanciert, wird die Trockenhumoristin seit ihrer Zusammenarbeit mit Martin Scorsese für Netflix im vergangenen Jahr nun auch in Europa gefeiert. Dem Rowohlt Verlag kam es zu, Lebowitz‘ Bestseller „Metropolitan Life“ und „Social Studies“ im Erzählband „New York und der Rest der Welt“ für ein deutschsprachiges Publikum erstmals zusammenzufassen.
Es gibt nichts, worüber die Lebowitz nicht schreibt: Großstadtleben und Manieren, Wissenschaft, Kunst und Fahrstuhlmusik, Leute, Dinge, Orte, Ideen, Körperkult und Kindererziehung, Eitelkeit und beruflichen Ehrgeiz. Und immer tut sie dies cool und komisch, doppeldeutig und hintergründig.
Ihr aphoristischer Wortwitz, ihre laserscharfe Satire ist von sprachlich zeitloser Eleganz. „Salat ist keine Mahlzeit, sondern ein Lebensstil“, ist eine ihrer gern zitierten Weltweisheiten. Und so wie sie in ihren New Yorker Sittenbildern mal als Miniatur, mal als Schlachtengemälde die Marotten ihrer Mitmenschen nachzeichnet, so macht sie sich selbstironisch über die eigenen Spleens her.
Derart beginnt das Buch mit dem Kapitel „Mein Tag: Eine Art Einführung“: „12:35 – Das Telefon klingelt. Ich bin nicht erfreut. Nicht meine Art, aufzuwachen. Es ruft ein Agent aus Los Angeles an. Er ist hörbar braungebrannt. Er interessiert sich für meine Arbeit und meint, wir sollten reden und zwar auf meine Kosten. Ich entgegne, dass ich mir den Trip nach Los Angeles nur als Postkarte leisten könnte.“ Es folgt ein sinnloser Versuch, wieder einzuschlafen, ein verunglücktes Frühstück knapp nach 16 Uhr, ein romantisches Zwischenspiel: „18:55 – Das Objekt meiner Zuneigung erscheint mit einer Topfpflanze in der Hand.“
„21:30 – Ich gehe mit einer Gruppe von Leuten essen, zu denen zwei Models, ein Modefotograf, die Pressefrau des Modefotografen und ein Artdirector gehören. Ich rede fast nur mit dem Artdirector, vermutlich, weil er über den größten Wortschatz verfügt“, um 2 Uhr früh erste Vorbereitungen, endlich zu arbeiten: „Ich nehme mir einen Stift und starre auf das Blatt Papier. Ich kritzle auf dem Rand herum. Sehnsüchtig geht der Blick zum Sofa, das sich doch mühelos ohne Weiteres in ein Bett verwandeln lässt. Ich zünde mir eine Zigarette an. Ich starre auf das Blatt. 4:50 – Das Sofa gewinnt. Wieder ein Sieg für die Möbel.“

Bild: pixabay.com

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Die längsten der Geschichten sind nur wenige Seiten kurz. Sie zünden und verglühen wie ein Feuerwerk, wohl weil sich Übersetzerin und Übersetzer Sabine Hedinger und Willi Winkler mit viel Verve an die Lebowitz’schen Kracher und Raketen herangewagt haben. Großartig ist der Bonmot-Pyrotechnikerin Berufsberatung, fulminant fies und wie erdacht für die derzeitige Weltlage (aber vielleicht ist die ja zu allen Zeiten die gleiche?) ihr diesbezüglicher Fragebogen für Diktatoren – hier in Kurzfassung:
„1. Nichts macht mir mehr Angst als … a) neue Leute kennenzulernen b) Schlangen c) ein Staatsstreich. 2. Was tue ich am liebsten an einem gemütlichen Sonntagnachmittag? a) Kochen b) Mit Make-up experimentieren c) Menschen aus dem Land weisen. 3. Wenn ich auf eine große Ansammlung Fremder treffe, reagiere ich wie? a) Ich gehe auf jeden zu, der interessant aussieht b) Ich verkrieche mich in eine Ecke, um zu schmollen c) Ich veranlasse eine Säuberungsaktion. 4. Wenn jemand anderer Meinung ist als ich, reagiere ich wie? a) Ich diskutiere ruhig und vernünftig b) Ich bekomme schlechte Laune c) Ich lasse ihn hinrichten.“
Was Wunder, dass die Ausarbeitung von derart Schwerwiegendem in der Selbsterkenntnis enden muss: „Den inneren Frieden gibt es nicht. Es gibt nur Nervosität oder Tod. Der Versuch das Gegenteil zu beweisen, ist inakzeptabel.“ Mag sein, man muss aus der Metropole des Stadtneurotikers sein, um diesen Tief- und Weitblick zu erlangen. Die Seele ist kein weites Land, bei Lebowitz hangelt sie sich durch Hochhausschluchten. Ihre alles und jeden entlarvende Beobachtungsgabe erinnert an die große Österreicherin Inge Morath, nur dass Lebowitz‘ Objektiv ein sehr subjektives ist.

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Egal, ob sie sich über Nagelpflege auslässt – die Begleiterin muss zur Maniküre, um einen abgebrochenen Nagel durch „ein Transplantat“ zu ersetzen, sehr zur Belustigung der spitzfindigen Schriftstellerin, die im Weiteren ganz chirurgisch kein Wort von Nagelbruch bis Nagelbank auslässt. Eine Nagelprobe. Oder – siehe Salat – über die Mahlzeiten im Manhattaner Hochsommer philosophiert, die in „erstaunlich dürftigen Portionen“ serviert werden, wobei sie einen Lkw-Fahrer imaginiert, „der sich im Diner zur Theke vordrängt und lauthals etwas zum Mitnehmen bestellt: ,Zwei Gurkensüppchen – schön kalt; ein Endiviensalat – mit Balsamico-Vinaigrette; und einmal den erntefrischen Spargel – die Hollandaise könnt ihr weglassen.“
Die Stand-Up-Essayistin und eine ihrer verdeckten Sozialstudien. Lebowitz, 1950 in der Kleinstadt Morristown in New Jersey geboren, hinein in eine Familie, „deren literarisches Vermächtnis sich weitgehend auf Ansichtskarten beschränkte“, Nachfahrin ungarischer Juden, von denen schließlich eine nach Ellis Island verschifft wurde, liebt das Gedankenspiel, die gesellschaftlichen Selbstbeschreibungen der Intellektuellen- und Künstlerclique, in der sie sich bewegt, ins Gegenteil zu verkehren: „Denn wer von uns könnte behaupten, seine Lebenserfahrung gleiche einem Seurat-Gemälde, wo es doch eher die Pflanzenschaukel aus Makramee ist.“
Lebowitz‘ Schreibstil ist schnell und präzise. Die meisten ihrer Texte entwickelt sie aus der Ich-Erzählerinnen-Perspektive. Sie geht davon aus, dass ihre Schlussfolgerungen auch anderen hilfreich sind und transformiert also die zur eigenständigen Kunstform gewordene Ich-Umkreisung zur literarischen Psychotherapiesitzung. Und stets gilt: Ein guter Witz ist ein Lebowitz.

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Zum Schluss der Autorin Blick auf Europa, auch hier eine Kurzversion: „Mailand ist sehr politisch und voller kommunistischer Graffiti. In Mailand sind alle gut angezogen. – In den zwei Wochen, die ich in Rom verbrachte, wurde fünf Mal gestreikt. Streiken ist in Rom vor allem eine Stilfrage, um Geld geht es weniger. – Cannes: Das Filmfestival und die Kellner auf der Terrasse des Carlton sind damit beschäftigt, Ihre Bestellung nicht aufzunehmen. Doch kaum sind zwei Stunden vergangen, bringt Ihnen der Kellner einen Martini, den ein anderer bestellt hat …
… Sie halten den Drink mit großer Geste hoch und sehen sich suchend um. Ein paar Tische weiter wird jemand anderer Ihr Perrier mit Zitrone in die Höhe halten, und schon sind Sie auf dem besten Weg zu einer neuen Freundschaft oder einem Deal. – Paris: Wenn Sie dorthin fahren, sollten Sie eines nicht vergessen: Egal, wie langsam und deutlich Sie einen Pariser nach etwas fragen, er wird Ihnen unweigerlich auf Französisch antworten.“ Kann man die Dame zwecks Vorkommnis in der nächsten Kolumne bitte nach Wien einladen?
Über die Autorin: Fran Lebowitz arbeitete unter anderem als Taxifahrerin und Putzfrau, behauptet sie, bevor Andy Warhol sie als Kolumnistin für sein legendäres Magazin Interview entdeckte. Später schrieb sie für Mademoiselle und Vanity Fair und fand schnell Zutritt zu den Kreisen um Jerome Robbins, Robert Mapplethorpe oder den New York Dolls. Sie gilt als Stilikone, Verkörperung des New Yorker Witzes und als Expertin für das Leben an sich. Durch Martin Scorseses nach wie vor zu streamende Netflix-Serie „Pretend It’s a City“ (Trailer: www.youtube.com/watch?v=MClMxqD-HNA) wurde sie weltweit bekannt. Ihre Erzählbände „Metropolitan Life“ und „Social Studies“ waren Bestseller in den USA, in diesem Band erscheinen sie erstmals auf Deutsch. Lebowitz lebt ohne Mobiltelefon oder Computer, sie definiert sich selbst als „lesbian“.
Rowohlt Berlin, Fran Lebowitz: „New York und der Rest der Welt“, Erzählband, 352 Seiten. Übersetzt aus dem Englischen von Sabine Hedinger und Willi Winkler.
www.rowohlt.de franlebowitz.com
Fran Lebowitz in „The Tonight Show“ von Jimmy Fallon: www.youtube.com/watch?v=Hkc71hM9vT0
- 8. 2022