Sommerspiele Perchtoldsdorf: Ernst ist das Leben

Juni 28, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Dandys sind diesmal herr-liche Damen

Die Damenriege übt sich in Theatralik: Maresi Riegner, Elzemarieke de Vos, Karola Niederhuber, Maria Hofstätter, Marie-Christine Friedrich, Raphaela Möst, Miriam Fussenegger und Michou Friesz. Bild: Lalo Jodlbauer

So weiß wie die Bühne ist hier niemandes Weste, weshalb in Kostümen, die so schrill sind wie die Stimmung, ordentlich Komödienvollgas gegeben wird. Bei den Sommerspielen Perchtoldsdorf inszenierte Intendant Michael Sturminger Oscar Wildes „Ernst ist das Leben / Bunbury“ und setzte dabei weniger auf Subtilität und britisches Understatement, denn auf Tempo, Timing und Tohuwabohu. Ein Spaß, der vor allem nach der Pause voll aufgeht.

Sturminger spielt, gekonnt auch in Orientierung auf das Privatleben des berühmtesten Dandys der Welt, der vier Tage nach der Bunbury-Uraufführung seinen unglückseligen Prozess begann, mit den Geschlechterrollen. Sein Ensemble besteht ausschließlich aus Frauen, und da gibt es in der deutschsprachigen Fassung von Elfriede Jelinek nicht nur sprachliche, sondern auch sexuelle Zweideutigkeiten, wenn eine Frau, die einen Mann spielt, dessen bestem Freund Avancen macht, den ebenfalls eine Frau darstellt. Und so ist es ein Küssen und Knutschen zwischen Jack Worthing und Algernon Moncrieff, in deren Rollen Raphaela Möst und Elzemarieke de Vos schlüpfen, um zu zeigen, wie man Ennui in Exaltiertheit verwandelt.

So turnt die Truppe durch Irrungen und Wirrungen, Wortspiele und Intrigen. Mit der Jelinek’schen Feder werden Versprechen rasch zu Versprechern, Sturminger bespielt die Frivolität dieser Vorlage gekonnt, so entsteht eine spritzige, quirlige, überdrehte Aufführung, die die Exzellenz der Dekadenz feiert. Und schließlich in der unvermeidlichen Kuchenschlacht endet. Möst und de Vos erlauben sich den Scherz ihre Figuren bisexuell anzulegen – das Treiben der Geschlechter ist bei Sturminger generell ein doppeltes Spiel -, die beiden bleiben süffisant, auch wenn Algie sich und Jack zunehmend in Schwulitäten bringt. De Vos ist, man braucht es nicht zu erwähnen, die geborene Komödiantin. Eine Poserin in bester Wilde’scher Manier, eine Zynikerin und – der personifizierte Un-Ernst. Wie sie lasziv durch die Szene schlakst, der Welt ebenso zugetan, wie von ihr angewidert. Nichtstun ist ihr die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist erfordert.

Spiel mit den Geschlechtern: Elzemarieke de Vos und Raphaela Möst. Bild: Lalo Jodlbauer

Komödienvollgas bei der Kuchenschlacht: Maresi Riegner, Karola Niederhuber und Miriam Fussenegger. Bild: Lalo Jodlbauer

De Vos hat Perchtoldsdorf  bunburysiert. Wie alle anderen Abbilder der dortigen Upperclass, und davon finden sich im Publikum nicht wenige, ist sie Besitz ergreifend und setzt zu diesem Zwecke auch aufs Lügen. Möst ist ihr eine ebenbürtige Partnerin, ihre verschwitzte Verlegenheit weist eine aus, die wohl weiß, was richtig wäre, aber wohlweislich das Falsche tut. Versuchungen muss man eben nachgeben, keiner ahnt, ob sie je wiederkommen. Die beiden Damen ihrer Auswahl, Gwendolen und Cecily, geben Miriam Fussenegger und Maresi Riegner. Riegner gestaltet mit naiv geschürztem Mündchen eine Unschuld vom Lande, die es faustdick hinter den Ohren hat. Ihre Cecily ist ein so frühreifes Früchtchen, dass einem um Algernon beinah bange wird. Fusseneggers Gwendolen ist ein resolutes Fräuleinwunder, eine, die dem Ansturm des Mannes zuerst nur widersteht, um ihn dann am Rückzug zu hindern.

Dass hier eine ganze Gesellschaftsschicht klemmt, die ganze Gesellschaft geladen ist, zeigen auch Marie-Christine Friedrich als Gouvernante Miss Prism und die großartige Michou Friesz als Lady Bracknell – zwei einwandfreie Schreckschrauben, zweitere eine schrullige, quasselstrippige Moralhüterin, erstere Typ durchgeknallte alte Jungfer, in deren verblühender Brust aber die Glut lodert. Mit ihren An- und Auszüglichkeiten kann sie Maria Hofstätters Pastor Chasuble gekonnt aufreizen. Was bleibt dem Manne anderes übrig, als dem Weibe zu zeigen, wo Gott wohnt? Kurz vor alles eitel Wonne kommt’s dann noch zu Tortenschlacht und Slapstick, da ist das Publikum längst bestens gelaunt und dankt mit langem Applaus. Schade, dass diese Premiere wetterbedingt im Neuen Burgsaal stattfinden musste, open air ist es sicher noch der doppelte Genuss.

www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at

  1. 6. 2018

Landestheater NÖ: Romeo und Julia

Oktober 8, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Dramaqueen trifft Keifzange, am Ende beide tot

Upper-Class-Kids beim (selbst)mörderischen Zeitvertreib: Tim Breyvogel und Seyneb Saleh als Romeo und Julia. Bild: Alex Pelekanos

Beim Verlassen des Theaters macht es ein schätzungsweise siebenjähriger Knabe aus der Reihe vor einem deutlich. „Mama, warum sind die alle wieder aufgestanden und haben weitergespielt?“ Jahaha! Weil sich da einer was gedacht hat. Sebastian Schug inszenierte am Landestheater Niederösterreich Shakespeares „Romeo und Julia“ als Mix aus untoten Neo-noir-Film-Fechtkünstlern, sinistrem Lucius-Malfoy-Lookalike und dem Thomas-Bernhard-„Theatermacher“-Zitat:

„Selbst an unseren Staatstheatern lernt kein Mensch mehr sprechen“. Güldene Ausnahme: Johanna Tomek als Amme. Trostlos. Da war man extra nach St. Pölten aufgebrochen, um sich shakespearen zu lassen, doch selten hatte der Welt größte Lovestory weniger Liebe, die Darsteller weniger Charisma, die Inszenierung weniger Tiefgang. Wo’s doch so ist, dass man ob der Seelenblähungen des Lerchen-Pärchens seit Gymnasiumstagen dachte: Durchbrennen, Job suchen, in Glück und Frieden leben, wo liegt euer Problem, Freunde?, so tritt immerhin dies in Schugs Arbeit klar zu Tage. Ein Haufen verwöhnter Upper-Class-Kids macht sich den Ennui mit Mord und Selbstmord spannend. Kraftvolles Spektakel statt romantischer Himmelwärts-Verklärung, das wär‘ was gewesen. Nur bleibt der Versuch nicht im Ansatz stecken, er wird gar nicht erst unternommen …

Wo also anfangen im Unglück? Beim Tschinderassabum? Die Jungs beweisen gleich eingangs, dass sie besser den Degen als Worte führen können. „Romeo“ Tim Breyvogel schaut aus, wie aus dem Wasser gezogen, gepflegt grungig, jedenfalls hat er von Beginn an den irren Märtyrer- und das Selbstmitleid im Blick. Lasst mich den „Unendlichen Spaß“ haben, ich knüpfe mich dafür auch in der Garage auf! Man sagt es wirklich nicht gern, aber, nachdem er unter Donner und Blitz seine Julia kennengelernt hat, ist es tatsächlich besser, dass aus den beiden nix geworden ist.

Julia trinkt das Gift: Seyneb Saleh mit Johanna Tomek als Amme, Elzemarieke de Vos als Mercutio, Josephine Bloéb als Graf Paris, Emanuel Fellmer als Tybalt und „Romeo“ Tim Breyvogel. Bild: Alexi Pelekanos

Plastikklumpenbett: Seyneb Saleh mit Josephine Bloéb, Stanislaus Dick als Benvolio, Emanuel Fellmer, Elzemarieke de Vos, Martina Spitzer als Lady Capulet und Johanna Tomek. Bild: Alexi Pelekanos

Seyneb Saleh spielt die höhere Tochter höchst ungestüm, wenn diese Julia alles ist, dann kein zartes Fräulein. Im Gegenteil, das Früchtchen, eigentlich: der Trampel, wütet gegen alle ihr Untergebenen, von Eltern bis Amme, und man stelle sich das Angetraute vor: Romeo, die Dramaqueen, Julia, die Keifzange – wo soll das enden, wenn nicht bei Kishon? Ach ja: In der Drei-Stunden-Aufführung schnappen sich Romeo und Julia jedes irgend taugliche Selbstmordinstrument, um sich aus dem Leben zu befördern, werden aber stets von gutmeinenden Helfern am Suizid gehindert. Man hätte früher Zuhause sein können …

Was sonst noch gilt es zu bejammern, außer dem Fehlen des berühmten Balkons? Elzemarieke de Vos erprobt sich als Mercutio und ist ein durchaus schelmisch-tänzelnder Freigeist, der seinen Welthass auskotzt (Mercutio und Tybalt/Emanuel Fellmer schließen mit einem Zombie-Kuss auch den Pausenvorhang), bevor das Ensemble Guns n’Roses schändet. Diese jenseitige Darbietung von „Sweet Child of Mine“ hat sich Axl Rose echt nicht verdient. Josephine Bloéb wäre ein sehr passabler, zarter, leise anbetender Graf Paris, hätte die Regie ihr den Raum gegönnt, den die Figur gelohnt hätte. Stanislaus Dick mimt einen gutgelaunten Benvolio.

Es geht dem Ende zu: Seyneb Saleh mit Martina Spitzer, Thomas Bammer als Bruder Lorenzo und Josephine Bloéb. Bild: Alexi Pelekanos

In den Mittelpunkt des Geschehens rückt Schug ein geschmolzenes und wieder erstarrtes schwarzes Plastikpodest, irgendwie unappetitlich, aber sehr sinnig Beischlafnest und Aufbahrungsbett in einem. Where do we go now? Dem Ende zu. Da darf noch einmal gelacht werden, wenn Romeo unter heftigem Geknarze einen Eisendeckel aufstemmt, um sein Zufallsopfer Paris zu begraben. Den Liebenden gönnt die Regie keinen sanften Tod. Romeo zappelt sich zu Tode, Julia rührt mit dem Dolch in ihrem Bauch herum. Die bereits Gefällten kommen wieder und wieder und wieder. Sie werden als Chor und Bühnencombo benötigt.

Die Produktion läuft bis 31. Jänner am Landestheater Niederösterreich und auch als Silvester-Vorstellung. Am 19. und 20. Dezember ist „Romeo und Julia“ an der Bühne Baden zu Gast.

www.landestheater.net

www.buehnebaden.at

  1. 10. 2017