Houchang Allahyari: Normalsein ist nicht einfach

Januar 12, 2017 in Buch, Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Autobiografie und ein neuer Film

Allahyari_Normalsein_1D_HRMittwoch Abend stellte Psychiater und Filmemacher Houchang Allahyari im Wiener Stadtkino sein erstes Buch und seinen neuen Film vor. „Normalsein ist nicht einfach“ heißt ersteres, „Die Liebenden von Balutschistan“ zweiterer. Gemeinsam mit seinen beiden Söhnen und seinen beiden Töchtern las Allahyari aus seiner Autobiografie.

Darin erzählt er von seiner Ausbildungszeit zum Neurologen sowie Psychiater unter anderem an der Linzer Nervenheilanstalt Wagner-Jauregg, von seiner Zeit als Psychiater in einer Strafanstalt, wo er das Medium Film in der Therapie mit jugendlichen Straftätern nutzt, und von der Entstehung seiner preisgekrönten Filme und Begegnungen mit Stars wie Leon Askin, Gunther Philipp, Waltraut Haas, Karl Merkatz, Erni Mangold und Liza Minnelli.

In knappem, sensiblem Ton setzt August Staudenmayer die selbstironischen Schilderungen Allahyaris von skurrilen Vorkommnissen und erschütternden Erlebnissen mit Patienten wie etwa Paul Wittgenstein in literarische Episoden um.

Man erfährt, warum die Krankenschwestern im oberösterreichischen Kirchberg Allahyari „Dr. Huschi“ nannten und warum er sich dort einmal als Jesus ausgab, schmunzelt über einen Primarius, der alle Patientinnen „Weibi“ nannte und begleitet den gebürtigen Teheraner auf seinen ersten Schiausflug, der natürlich als Desaster enden musste. Ebenso, wie die „Projektgruppe Film“, die der Psychiater in einer Jugendstrafanstalt ins Leben rief, die sich aber nach der ersten Exkursion in Luft aufgelöst hatte. Immerhin Postkarten seiner Schützline hat Allahyari lange danach noch erhalten, eine sogar aus Indien und zwei aus den USA …

Amalthea Verlag, Houchang Allahyari: „Normalsein ist nicht einfach. Meine Erlebnisse als Psychiater und Filmemacher“, Autobiografie, aufgezeichnet von August Staudenmayer, 240 Seiten.

www.amalthea.at

Die Liebenden von Balutschistan: Allahyari beim Tanzen ... Bild: © Stadtkino Filmverleih

Die Liebenden von Balutschistan: Allahyari beim Tanzen … Bild: © Stadtkino Filmverleih

... und beim Abwarten und Tee trinken (hinten). Bild: © Stadtkino Filmverleih

… und beim Abwarten und Tee trinken (hinten). Bild: © Stadtkino Filmverleih

Die Liebenden von Balutschistan

Wie immer gemeinsam mit seinem Sohn Tom-Dariusch entstand Allahyaris neuer Kinofilm „Die Liebenden von Balutschistan“, der am 13. Jänner in den Kinos anläuft.  Die alte balutschische Liebesgeschichte von Hani und Morid zieht sich als roter Faden durch die Dokumentation. Vater und Sohn sind aus Österreich in das abgelegene Grenzgebiet zwischen Iran, Afghanistan und Pakistan gereist. Auch für Houchang Allahyari ist Balutschistan ein unbekanntes Gebiet, wie für die meisten Iraner. Die Gegend gilt als gefährlich, ist sie doch ein Zentrum des Schmuggels. Auf den Spuren der Legende treffen die beiden Filmemacher auf arme Bauern und reiche Geschäftsleute, auf mutige einheimische Dokumentarfilmer und wilde Krokodile, auf Dichter und Sänger. Von der staubigen Grenzstadt Zahedan geht eine abenteuerliche Fahrt bis nach Charbahar am persischen Golf.

Über den Filmemacher:
Houchang Allahyari, geboren 1941 in Teheran, kam als Jugendlicher nach Österreich, studierte Psychiatrie, arbeitete mehr als 20 Jahre als Psychiater in Strafanstalten und führt heute eine Praxis in Wien. Seit 1970 dreht Allahyari Filme und setzt wiederholt Filme auch in seiner Therapiearbeit ein. 2014 wurde „Der letzte Tanz“ mit Erni Mangold mit dem Großen Diagonale-Filmpreis als bester österreichischer Spielfilm ausgezeichnet.

stadtkinowien.at

Wien, 12. 1. 2017

Houchang Allahyari: Rote Rüben in Teheran

August 30, 2016 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Blick auf Menschen statt Einblick in die Politik

Houchang und Tom-Dariusch Allahyari in Isfahan. Bild: © Houchang Allahyari

Houchang und Tom-Dariusch Allahyari in Isfahan. Bild: © Houchang Allahyari

Irgendwann im Film erzählt Houchang Allahyari eine Anekdote aus seiner Schulzeit. Seine Mitschüler und er hatten nasse Tücher an die Zimmerdecke geworfen, um dem Direktor einzureden, dass es in die Klasse regnet. Der Bluff hat funktioniert, man wurde nach Hause geschickt, aber bog schon an der nächsten Ecke ab, um sich im Kino „Et Dieu… créa la femme“ mit Brigitte Bardot anzusehen.

Irgendwann im Film steht Allahyari in dieser Teheraner Straße, in der sich früher ein Lichtspielhaus ans nächste reihte. Nun ist dort nichts mehr, leere Häuser, bestenfalls ein paar Elektroläden.

Dies ist die Art, in der sich der österreichisch-persische Filmemacher einen Kommentar zu seiner alten Heimat erlaubt. Indem er eben nicht kommentiert, sondern darstellt, sein Blick auf Umstände wie immer humor- und liebevoll. „Rote Rüben in Teheran“ heißt Allahyaris gemeinsam mit seinem Sohn Tom-Dariusch entstandener Dokumentarfilm über den Iran, das heißt eigentlich: dessen Menschen, der am Freitag in den heimischen Kinos anläuft. Und der für den einen den ersten Besuch nach mehr als 40 Jahren Abwesenheit, für den anderen die erste Reise ins Familienherkunftsland bedeutete. Was nicht nur Fragen über „Fremdsein“, zu Identität, Mentalität und deren Unterschieden, dem Clash of Cultures in neue Zusammenhänge setzt. „Mein Vater ist hier wie ein Fisch im Wasser“, sagt der Sohn, „ein eingeborener Ausländer“.

Ihre Reise führt die beiden von Isfahan nach Teheran, als wär’s vom Licht in den Schatten, so unterschiedlich sind die beiden Städte, die an Sehenswürdigkeiten reiche antike Flussoase und die moderne Betonhochburg. Bilder verdrängen Bilder. Vor allem die medial vorgefertigten. Die Allahyaris malen Porträts, statt sich die Weltpolitik auszumalen, strategische Partnerschaften sind eine Angelegenheit von Angesicht zu Angesicht, das Wort Ideologie ist ausgeblendet. Doch man erlaubt sich einen Kunstgriff. „Rote Rüben in Teheran“ ist ein Frauenfilm. Sie kommen meist zu Wort. In der Öffentlichkeit ist die Gesellschaft eine männliche. „Man muss tapfer für die Wahrheit sein“, sagt der Mann, der Dokumenarfilmerin Azadeh Bizargiti zum Gespräch begleitet. Es ist die Privatheit, die an diesem Film berührt.

Im Gespräch mit den Frauen des Landes. Bild: © Houchang Allahyari

Im Gespräch mit den Frauen des Landes: Filmemacherin Zahra. Bild: © Houchang Allahyari

Die großartige Großmutter von Kameramann Behruz Malbuzbaf. Bild: © Houchang Allahyari

Die großartige Großmutter von Kameramann Behruz Malbuzbaf. Bild: © Houchang Allahyari

Wie in Spielszenen treten Klein-Houchang und seine Großmutter auf. Sie, die Matriarchin, hat ihn zu Kunst und Kultur gebracht. Weil sie Theater und Film so sehr liebte, zum Hingehen allerdings den Enkel brauchte. Omas Lieblingsschauspielerin Melekhe Ranshbar, der große Bühnenstar, tritt ebenso vor Allahyaris Kamera, welch eine Ehre!, wie die eben für ihr Lebenswerk geehrte Ausnahmeerscheinung des postrevolutionären iranischen Kinos, Fatemeh Motamed-Arya.

Kameramann Behruz Malbuzbaf lädt zu sich nach Hause ein, seine Frau lässt sich von ihm scheiden, mit dem Handy, erklärt sie, habe sie aufgenommen, wie schlecht er sich gegen sie benehme, nun müsse er gehen. Seine Großmutter aber, noch so eine großartige Greisin, hält an ihrem alten Glauben fest: dass Eheprobleme am besten im Bett gelöst werden. Lacht sie. Eine Frau vom Verein für Kinderrechte unterhält sich mit einem afghanischen Flüchtlingskind. Drei Millionen Afghanen hat man aufgenommen, Perspektive haben sie keine, zwar werden Schulen gebaut, doch die Kinder sind Straßenkinder, werden von den Eltern arbeiten geschickt, verkaufen Taschentücher und anderen Krimskrams. Die Sozialarbeiter kümmern sich um sie. „Erzähl‘ mir, was dich glücklich macht“, sagt die Frau zu ihrem Schützling. Doch dem Buben, er ist acht, neun Jahre alt, fällt nichts ein.

In diesen Szenen nimmt sich Allahyari, ganz Dokumentarist, ganz zurück. Sein Film ist ein stiller, besinnlicher, der unaufgeregt einen Blick hinter sonst geschlossene Türen wirft. Es gibt Erwartungen, Erstaunen. Enttäuschungen auch. Auslagen mit Dior-Sonnenbrillen, junge Menschen auf dem Weg ins Nightlife, Lärm auf Spielplätzen mit bunten Plastikrutschen und Schaukeln, die prallvolle U-Bahn, Gottesdienst in einer Synagoge, das Essen beim schiitischen Ashura-Fest. Als könne man mit abfotografierten Antiklischees gegen die Klischees in den Köpfen angehen. Leicht lässt sich finden, was dem einen wie dem anderen entspricht.

Street Food in Teheran: die berühmten roten Rüben. Bild: © Houchang Allahyari

Street Food in Teheran: die berühmten roten Rüben. Bild: © Houchang Allahyari

Seine Tante stellt Allahyari noch vor, auch sie eine dieser starken Frauen. Weil ihr Sohn auf einer Schnellstraße überfahren wurde und starb, kämpfte sie um die Errichtung einer Fußgängerbrücke. Nun ist die Todesstrecke vieler junger Männer sicher zu überqueren. „Ich erinnere mich, dass Cousin Ali einmal in Wien war“, sagt Tom-Dariusch, „aber nicht mehr an viel, damals war ich noch zu klein.“

Die roten Rüben in Teheran sind eine weitere Erinnerung. Der Vater genießt das beliebte Street Food, das aus dampfenden Kesseln in kleine Schalen geschöpft wird. Die Suche nach diesen Wurzeln ist Allahyari die Suche nach seinen eigenen. Kindheit, weiß er, ist ein Geruch, ein Geschmack, ein Gefühl von damals. Weshalb die Frage nach zu wenig Hinterfragung, zu wenig Ambivalenz und kaum je Kritik schwer zulässig ist. Je schneller ein Mensch einsieht, dass er den anderen nie verstehen wird können, umso besser wird sein Verständnis für ihn sein.

www.facebook.com/roteruebeninteheran/

Wien, 30. 8. 2016