Burgtheater: Maria Stuart

September 14, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die weibliche Ohnmacht als männlich-nackte Tatsache

Maria Stuarts Haupt über dem stummen, nackten Männerchor. Bild: © Matthias Horn

Erstes Bild: Sechs Reihen breitbeinig strammstehender, nackter Männer. Über ihnen schwingt im Halbdunkel Marias abgeschlagenes Haupt, das rotwallende Haar, sie wollen es greifen … Martin Kušejs bejubelte Inszenierung von Schillers „Maria Stuart“ ist von der Perner-Insel auf die Bühne des runderneuerten Burg- theaters übersiedelt, und hat nicht zuletzt dank des fulminanten Spiels von Birgit Minichmayr als Maria und Bibiana Beglau als Elisabeth an Intensität noch gewonnen.

Kušejs Betrachtungsweise des Kampfs der beiden Königinnen, blutig, brutal, beinah archaisch zu nennen, ist trotz der zwei zentralen Frauenfiguren jene auf eine von Männern dominierte, dirigierte, und sei’s über den Umweg Frau regierte Welt. Der Körper der Komparserie geben den Blick frei aufs starke Geschlecht, stoisch schweigend formieren sie sich im mal dunklen, mal hellen, mal verspiegelten Kubus von Annette Murschetz immer wieder neu. Männer nehmen sich den Raum, den sie brauchen; in entsprechenden Seminaren lernen weibliche Führungs- kräfte, wie sie’s genauso machen, im Meeting ihren Bereich am Besprechungstisch mit ausgebreiteten Armen abstecken, nur nicht mit Piepsstimme sprechen, argumentativ stark sein und fest im Glauben an sich selbst.

Symbolisch wirksame Bilder sind das, von der muskelbepackten rohen Fleischmasse. Die Protagonistinnen, sie müssen dieser ausweichen, sie durchschlüpfen, doch kein Entrinnen nirgendwo. Weder für Maria, deren Hände am langen Seil wie an einer Hundeleine gefesselt ist, noch für Elisabeth, die Kušej als ihren Herren Beratern und anderen Einflüsterern ausgelieferte „Sklavin ihres Standes“ zeigt. Da sitzt der Hosenanzug gleich einem Hohn, der Zwang des Volkes, der Zwang ihres Hofstaats, der Zwang, sich endlich einen Bräutigam zu nehmen, machen die Souveränin zur politischen Marionette im Ränkespiel der wahrhaft Mächtigen.

Die Beglau spielt diese royale Ohnmacht ebenso, die Verhärmtheit ins Gesicht geschnitzt, in schockstarrem Entsetzen über die unentwirrbare Situation, in verkrampften Posen festgefroren. Überhaupt ist Kušejs Regie unterkühlt und auf die Essenz reduziert, er hat bei maximaler Werktreue aus dem Trauer- ein Kammerspiel gemeißelt, seine Tableaux vivants trennt er in gewohnter Manier mit Blackouts. Entgegen der jungfräulichen Königin, kalkuliert Maria Stuart ihre einzige Chance zum Überleben im Gefallen der Männer. In der Haltung der offensichtlich unterlegen Leidenden gelingt es ihr raffinierter diese Tonart anzuschlagen, man weiß es, vergeblich.

Birgit Minichmayr. Bild: © Matthias Horn

Minichmayr und Beglau. Bild: © M. Horn

Bibiana Beglau. Bild: © Matthias Horn

Doch Minchmayr wird ihr Unglück mit rauer, exaltierter Stimme hinausschreien, eine furios Schutzlose, die mit Vehement ihre Rechte einfordert, bis sie zur abgeklärten, herablassenden Todgeweihten wird. Die Darsteller rundum agieren, reagieren von übergeordneter Perspektive, an ihnen stellt Kušej seinen Metadiskurs zu den Themen Macht und Moral, Patriarchat und Pflichterfüllung aus – „Maria Stuart“, eine Parabel über Wert und Unwert von Prinzipien. Rainer Galke als Marias Hüter Amias Paulet ist der nächstliegende, der entlang des Abgrunds dieses Fallstricks taumelt. Maria wahrlich nicht freundschaftlich zugetan, muss er nach und nach die Intrigen, die zu deren Hinrichtung führen werden, erkennen. Galkes Paulet, ganz Ehrenmann, wird sich ergo zu ihrem Fürsprecher aufwerfen: Englisches Recht muss Recht bleiben!

Eine starke Leistung, und ebenbürtig der von Norman Hacker, als selbstgerechter Schatzmeister, selbsternannter „Richter“ Burleigh sozusagen der Oberschurke, und wie ihm die zur Schau getragene Political Correctness von den Lippen perlt, um nichts weniger als sein anglikanischer Geifer gegen die Katholikin, ja, seine Jovialität beim Verkünden des Urteils jenes Gerichts, das Maria nie und nimmer anzuerkennen geschworen hat. Burleigh-Hacker gegenüber offenbart Minichmayrs Maria Emotionen nicht einmal in Nuancen, trotz ihres miserablen, Burleigh sichtlich anekelnden Zustands, gibt sie sich majestätisch stolz, als sie auf einem Treffen mit Elisabeth besteht. In diesem Moment ist Minichmayr die Herrin.

In Shrewsbury, an diesem Abend gespielt von Wolfram Rupperti, findet Maria immerhin einen Wohlgesinnten; Rupperti macht auf Vernunftmenschen, auf eindringlich Warnenden, doch sein Shrewsbury ist eben doch ein Mitglied des Establishments. Itay Tiran als langhaarig-lässigem, doch faktisch zwischen den Kontrahentinnen aufgeriebenem, also dem Alkohol zusprechendem Leichester wirft sich Elisabeth länger in die Arme als es punkto Staatsräson zulässig wäre. Gleiches gilt für ihre Annäherung an Franz Pätzold als durch diverse Fanatismen irrlichternder Mortimer, den Pätzold mit einer Unruhe des Nicht-mehr-aus-noch-ein-Wissens ausstattet. Pätzold, den man stets schätzt, auch hier brillant.

Birigit Minichmayr und Rainer Galke. Bild: © Matthias Horn

Norman Hacker (li.) und Franz Pätzold (re.). Bild: © M. Horn

Birigit Minichmayr. Bild: © Matthias Horn

Itay Tiran und Bibiana Beglau. Bild: © Matthias Horn

Zu Kušejs analytisch bester, in Geste und vor allem Sprache präzise gefasster Szene wird schließlich der Infight von Minichmayr und Beglau. Eine Konfrontation im düsteren Kerker, in dem, wie anfangs der Kopf der Maria, nun eine Glühbirne zwischen den Königinnen hin- und her pendelt, mal das eine, mal das andere Gesicht beim Herantasten an die fremde Schwester beleuchtend. Eine kurz aufflackernde Nähe, eine der Verlegenheit geschuldete Beinah-Empathie, als die beiden einander ihr Getrieben-Sein eingestehen. Maria wirft sich Elisabeth zu Füßen, in Erwartung, dass sie aufgerichtet werde. Nichts. Außer Marias Eskalation gegen „Boleyns Bastard“.

Welch eine Episode. Wie die vom Unterzeichnen des Todesurteils. Da hat Elisabeth längst ihren Namen auf die nackten Männerrücken geschrieben, bevor sie, was sie tief im Herzen nicht ausgeführt wissen will, Staatssekretär Davison übergibt. Eine Groteske, die Beglaus Elisabeth angstvoll autoritär, Felix Kammerer, an diesem Abend der Davison, und Hacker daraus machen: Davison-Kammerer ein Opferlamm, das sucht, den Willen seiner Herrscherin zu ergründen, Hackers Burleigh, der ihm das Dokument mit flinken Fingern entwindet und den Henker seine Arbeit tun lässt. Im weißen Büßerinnenkleid wird Minichmayr von den Männern über deren Köpfe hinweg zum Schafott transportiert, Elisabeth vor vollzogene Tatsachen gestellt.

Zurück bleibt Elisabeth in blutroter Robe (Kostüme: Heide Kastler), einsam, ein Standbild ihrer selbst. Die Männer sind getürmt oder verbannt, der philanthropische Shrewsbury, der besoffene „Beichtvater“ Leichester, der von seiner Hybris heimgesuchte Burleigh. Lähmend lange steht die Beglau da und summt anachronistisch „God save the Queen“. Das bitterböse Ende einer der dichtesten Schiller-Arbeiten, die hierzulande zu sehen waren, ein Drama noir mit zwei frühfeministischen Antiheldinnen, Abrechnung mit einer politischen Perfidie, die in gewissen Kreisen nach wie vor gang und gäbe ist, die Studie eines Staatsapparats als sich selbst erhaltenden Systems, zeitlos aktuell – und mit viel Applaus bedacht.

Trailer mit Interviews: www.youtube.com/watch?v=Im3T_TrdaWs           www.burgtheater.at

  1. 9. 2021

Burgtheater: Mein Kampf

Oktober 10, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Den Witz versteht nur, wer dabei gewesen ist

Und hereinbricht Hitler: Markus Hering als Schlomo Herzl, Marcel Heuperman als Braunauer Bildermaler und Oliver Nägele als Lobkowitz. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Zusammengefasst, das Ganze entwickelt sich vom jüdischen Witz zur Furz-Farce zu einer Brachialgewalt, die durch George Taboris Groteske schlägt, wie die Heiligen Nägel durch Schlomos Hände. Itay Tiran inszenierte am Burgtheater also „Mein Kampf“, er hat sich am Akademietheater als Regisseur schon in „Vögel“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34508), als Schauspieler in „Der Henker“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=36623) von seiner besten Seite gezeigt.

Nun berichtet der im israelischen Petach Tikva geborene Künstler im Programmheft anrührend von seiner „Kämpferin“, Großmutter Deborah Fixler Yahalom, Shoah-Überlebende und Geschichtenerzählerin und Virtuosin eines Überlebenshumors, mit dem sie ihrem Enkel den Horror beschrieb. „Shoah“, sagt Tiran, „ist für sie, wie für viele andere, kein datierbarer Zeitpunkt in der Geschichte, sondern ein Zustand, der anhält und andauert“, und im Interview, dass er, als seine Regiearbeit angefragt wurde, zweifelte, ob er sich mit dem Familientrauma auseinandersetzen möchte, nicht wissend, was er dem in Wien oft und grandios gespieltem Stück an noch nicht Gesagtem hinzufügen könne.

Dies hier erwähnt als Eckpunkte einer Besprechung, die über ein „Ja, so kann man’s freilich auch machen“ hinauskommen möchte, ist es unsachlich zu sagen, man möge von Themen, die einem zu nah sind, die Finger lassen?, kurz: der gestrige Premierenabend hat seine Momente, skurrile und schwere und solche, die es einem nicht leicht machen.

Jessica Rockstroh hat die Vorderbühne mit einem Jossi-Wieler-Rechnitz-Gedächtnisguckkasten zugebaut, ein Vergleich, dem stattgegeben wird, als Frau Tod Herrn Hitler ihren eben rekrutierten Würgeengel nennt. Bis dahin ist es ein mehr als zweistündiger Weg durch diesen gefinkelten Wandverbau, der sich hoch- und wegklappen lässt, die Paneele mal Bett, mal Bügelbrett, und dessen Teile von Anfang bis Ende durchbrochen und zertrümmert werden, wenn die Schauspieler aus ihnen fallen, drängen, drücken. Kein heiles Heim, dafür ein Heil! im Männerwohnheim, der Hitler und der Himmlisch kommen!

Davor, man weiß es, ein heiterer G’tt aus wenig heiterem Himmel, einer, der sich an nichts erinnern kann, solch aktuelle Hinterlist gibt’s von Schnitzel und Flüchtlingsstrom bis zum Jammern der Tödin übers Aussterben der Pandemien (Publikum: Gelächter!). Der Herr und sein Auserwählter sind, man weiß auch das, Koscherkoch Lobkowitz und Buchhändler Schlomo Herzl, Oliver Nägele und Markus Hering, und im Wortsinn über die beiden hereinbricht Marcel Heuperman als Hitler. Der sich erst in einer hochgeschraubten Schwadronade, dann seinen Darm in einen Kübel entleert. Scheiße aus allen Körperöffnungen, wie gesagt, am Furz- und Kotztheater wird hier nicht gespart. Heupermans unappetitlicher Hitler ist ein Theatraliker ennet der Grenze des Geschmacklosen.

Hering, Heuperman und Hanna Hilsdorf als Gretchen, hi.: Huhn Birne als Mizzi. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Ein händewachelndes Ojojoj der Menschenopfer: Makus Hering und Oliver Nägele. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Rekrutiert ihren Würgeengel: Sylvie Rohrer als Frau Tod und Marcel Heuperman. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Itay Tiran, und dies sein Pluspunkt, stellt die Schauspieler in den Mittelpunkt, er gibt ihnen all den Raum, der zwischen drei Wänden möglich ist. Es ist ein einfaches, ein Armes Theater, das er zeigt, mit einem Stück Kreide zeichnet Herings Schlomo Hitlers neues Zuhause wie den Teufel an die Wand; die Kostüme von Su Sigmund wie aus der Kleidersammlung, Trainingsbuxe, Bademantel, die Kippa eine Strickmütze. Heuperman ist ein feistes, berserkerndes Baby, ein hysterisch wütendes Kleinkind, kindisch-grausam, sobald es nicht nach seinem Kopf geht, die schmutzigen Strümpfe auf Halbmast, die versiffte Unter- eigentlich eine beständig rutschende Windelhose, die Heuperman ebenso beständig über dem nackten Hintern hochzieht.

Hering und Nägele geben sich als zwei Käuze, die mit einem händewachelndem Ojojoj ihre Opferbestimmtheit kundtun, Lobkowitz schon ein jenseitiger Mehlzerstäuber, Herzl noch ein herzergreifend Verzweifelter – am jüdischen Glauben und am jüdischen Witz, der mit mütterlichem Masochismus den Braunauer Bildermaler zum Massenmörder stylt und coacht. In diesem Szenario ist allerlei Bärtchen- und Youth-Cut-Slapstick möglich, so weit, so schön läuft der Abend am Schnürchen, mit komischen Typen und ihren Hals- wie Wortverdrehern. Jede Pointe sitzt, auch wenn man hier bereits den Sinn für Taboris nadelspitzen Sarkasmus und seine beißende Tieftraurigkeit vermisst.

Den schönsten und sie bestimmenden Moment schöpft Itay Tirans Aufführung aus der Verkehrung von Schlomo Herzls Satz zu seinem Buch, titelgebend: „Mein Kampf“, der bei Deborah-Enkel Tiran als Schlomos „letzte Chance endlich zu vergessen, woran ich mich seit meiner Jugend erinnern muss“ dasteht. Lässt er doch den Hering bei ins Gelbe gedimmten Standbildern die Mitakteure nach Schlomos Willen arrangieren, auf dass seine Inszenierung unter greller Glühbirne Szene für Szene ins Grauen entgleise.

Herings Schlomo Herzl mit der KZ-Tätowierung auf dem Unterarm fantasiert aus dem Orkus die Schlächter neu herbei. Und er weiß es und er kann es nicht verhindern, kann das Geschehene nicht umschreiben. Aus seinem Transistorradio hört man HC Strache im Wahlkampfmodus. Geschichte wiederholt sich nur als Farce, um Karl Marx abzukürzen.

Keine Akademie? Hitler ist am Boden zerstört: Marcel Heuperman. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Der Schnauzer wird zum Bärtchen gestutzt: Markus Hering und Marcel Heuperman. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Goldene Göttin statt deutsches Mädl: Markus Hering und Hanna Hilsdorf, hi.: Oliver Nägele. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Und wieder wird ein Jude gekreuzigt: Rainer Galke als Himmlisch und Markus Hering. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Von der allerdings ist Tiran mittlerweile weit entfernt. Er hat zur verlangt feinschnittigen Sichel, um noch mal Marx zu bemühen, den dumpfen Hammer hervorgeholt, die Geräuschkulisse von Ludwig Klossek klingt nach Maschinengewehr, Grölen, Stöhnen, Hohngelächter. Mit Bettfedern hereinschneit Gretchen als Goldene Göttin, Hanna Hilsdorf allerdings weder Varganin noch bodenständig deutsches Mädl, sondern in dieser Schlüsselepisode, wie man dem Volk die Stimmung umdreht, deutlich unterbeschäftigt. Am spannendsten und bei Weitem die beste Komödiantin ist die Henne Birne als legendäre Mizzi, die in ein Wandbord gesetzt wird – und man dem Tier am Schnabel ansieht, wie’s überlegt: Wie komm‘ ich da nur wieder runter?

Bleibt: Die großartige Sylvie Rohrer als sich zur Kunstfigur verrenkende Frau Tod, ein bizarrer, kalter Todesengel, als der die Rohrer hier eine Glanzleistung hinlegt: Bleibt: Rainer Galke mit Axt – als Himmlisch von einer Herrenmensch-Rage, der eine Sauerei anrichtet, die Taboris subversives Zotenspiel, seine Assoziationskette von Schmerz zu Scherz zu Ausch-/Witz endgültig zerreißt. Schlomo wird an die Wand gekreuzigt, Mizzi vergast, der Titel „Mein Kampf“, denn ein Buch gibt es nicht, wechselt den Besitzer und Hitler zieht mit seiner Bagage und seinem an den Deportationskoffer gemahnendes Gepäckstück ab, als hätte er Schlomo sogar den gestohlen.

Zusammengefasst, im Dickwanst ist punkto dramatischer Dichte noch Luft drin. Die drastische Oberfläche bräuchte Tiefgang. In Zeiten da Rechts von einer zustimmend nickenden Mitte übernommen wird, braucht es (kultur-)politisch Radikaleres als Horrorclowns wie einen sich ausscheißenden Hitler und einen randalierenden Himmlisch. Ja, George Taboris „Mein Kampf“ ist im Getriebe des Repertoirebetriebs angekommen, kann man ihn aus diesem nun bitte weiterziehen lassen?

Lobkowitz und Robkowitz sitzen im Garten Eden auf einer Bank. Sagt Lobkowitz: Erinnerst du dich noch, wie du auf der Seife ausgerutscht bist und dir den Schädel zerschlagen hast, bevor sie uns vergasen konnten? Robkowitz schüttelt sich vor Lachen und erwidert: Ja, aber weißt du noch, wie du dich beschwert hast, sieben Mann seien zu viel für ein Bett? Kommt G’tt vorbei, böse und aufgebracht darüber, was es denn da zu lachen gebe. Sagt Lobkowitz: Ach Herr, den Witz versteht nur, wer dabei gewesen ist …

www.burgtheater.at           Video: www.youtube.com/watch?v=7x8ihcvJKbQ

  1. 10. 2020

Akademietheater: Der Henker

Dezember 5, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Nichts anderes als die Pflicht getan

Itay Tiran changiert als Mörder zwischen Psychopath und posttraumatischer Belastungsstörung. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Fast scheint es, als hätte Maria Lazar, als sie 1921 ihren Einakter „Der Henker“ veröffentlichte, eine dysto- pische Vorahnung gehabt auf all jene, die diese Welt noch heimsuchen werden, all jene, die ihre Taten mit dem Erschlagwort vom „Nichts anderes als die Pflicht getan zu haben“ zu kaschieren trachten. Denn darum dreht sich’s im ersten Theatertext der Wiener Autorin, hinter einer „Arbeitsmoral“, die das Ums-Leben-Bringen eines Menschen ermöglicht, die ethische Haltung des

Durchführenden zu entdecken. Lazars Fazit liest sich wie eine visionäre Antizipation der „Banalität des Bösen“, die Hannah Arendt anhand des Eichmann-Prozesses, auch der Spediteur in den Tod laut Eigendefinition lediglich ein Pflichterfüller, einer Maschinerie braver Befehlsempfänger und Bürokraten zuschrieb, die ohne groß nachzudenken Anordnungen bis zum Äußersten ausführen. Leicht macht es einem Lazar nicht, ist doch der Mann, der in ihrem Stück auf seine Hinrichtung wartet, ein verurteilter Mörder. Ein Verbrecher, der darauf besteht, den Scharfrichter sprechen zu dürfen, sein letzter Wunsch, zu überprüfen, ob da tatsächlich einer ohne Emotion, Inbrunst, Hass, Genugtuung, seinem Handwerk nachgehen kann.

Die Nestroypreisträger Regisseurin Mateja Koležnik und Bühnenbildner Raimund Orfeo Voigt, die Hausdebütantin und ihr Lieblingsausstatter, gehen am Akademietheater der Frage nach den Abscheulichkeiten im Allzumensch- lichen nach. Lazar, Jüdin, Jüngerin der Wiener Moderne, der Kunstszene rund um Loos, Canetti, Kokoschka, verheiratet mit Strindberg-Sohn Friedrich, im Exil mit Brecht und Helene Weigel, schließlich schwedische Staatsbürgerin und schlussendlich in den Suizid gegangen, setzt sich in ihrem Werk mit der politischen Beweglichkeit eines Bürgertums auseinander, das aus Angst vor links rechtsautoritäre Strukturen in Kauf nimmt.

Koležniks Inzenierung verleiht dem scharf formulierten, radikal expressiven Dramolett eine surreale Sinnlichkeit. Im Bunde mit Voigt nähert sie sich dem Kammerspiel mit einem hyperrealistischen Minimalismus, macht aus Lazars Gesellschaftsstudie gleichsam einen Psychothriller, der die Trivialität dämonischer Abgründe entlarvt. Nicht zu viel soll verraten sein. „Der Henker“ ist ein Reigen fataler Begegnungen des Mörders mit Staatsanwalt und Priester, einer Prostituierten, aus dem Gefängnis wird eine Bluttat befohlen, die freilich misslingt, aber eine andere nach sich zieht. Koležnik beginnt die Aufführung mit einem albtraumhaften Vater unser des Henkers, Martin Reinke im Halbdunkel, bevor Itay Tiran in Voigts klinischem Grau-in-Grau mit dem Staatsanwalt rechtet.

Gunther Eeckes als Priester und Itay Tiran. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Itay Tiran und Sarah Viktoria Frick als Dirne. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Itay Tiran und Martin Reinke als Henker. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Das hat durchaus Galgenhumor, wie Hans Dieter Knebel als ebendieser versucht, telefonisch eine höhere Instanz im Ministerium zu erreichen, um nur ja jede Verantwortung an den im Wortsinn „Apparat“ abzugeben, doch als Antwort nur das Freizeichen ertönt. Itay Tiran, der sein Burgtheater-Engagement als Regisseur der „Vögel“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34508) antrat, changiert als Mörder zwischen Psychopath und posttraumatischer Belastungsstörung. Er macht aus Lazars Antihelden, der ihren Namen sogar auf die Finger „tätowiert“ hat, einen maliziösen Charismatiker, einen manipulativen Charakter, von dem bewusst im Ungenauen bleibt, ob er selbst Opfer eines solchen Systems ist.

Eine beeindruckende, eine bestechend starke Darstellung, umso mehr an ihrem „schwächsten“ Moment in der endgültigen Konfrontation mit dem Henker, die de facto keine ist, weil sich die Reinke-Figur als ohne alle Freude am Beruf erweist, und statt in die Rechtfertigung für ihr Tun zu verfallen, ins Plaudern gerät – über den Vorgarten, die Ehefrau und irgendwas mit Vogerlsalat. Im Interview mit der Bühne spricht die in Slowenien geborene Koležnik über Balkankrieg und Paramilitär und Grenzbarrieren, sie nennt Lazars Szenario „retrofuture“, heißt: eine zeitgeschichtliche Version der nahen Zukunft, und wirklich wirkt es, als wolle Koležnik via Lazar ausweisen, dass die Unheilanrichter und Urteilsvollstrecker stets die austauschbaren, unscheinbaren Jedermänner sind.

Nicht nur agieren Knebel und Reinke annährend sprachident, Voigt lässt die kalt-neonbeleuchtete Todeszelle samt sargähnlicher Schlafnische und aseptischer Edelstahltoilette in einer Art waagerechtem Paternoster-Prinzip am Publikum vorbeiziehen, dazu eine gespenstische Hinter-Gitter-Geräuschkulisse, der immer gleiche Raum, die immer selben Szenen, die sich von lapidar zu leidenschaftlich dehnen, die Spielweise der Schauspieler dabei von Durchfahrt zu Durchfahrt anders differenziert – fantastisch, wie Koležnik den Text derart zur Parabel über Zucht und Ordnung, Gesetz und Sitte erweitert, und auch, die fabelhaften Akteure bei der Detailarbeit zu sehen.

Die grauen Herren: Itay Tiran als Mörder, Tilman Tuppy als Kerkermeister, Hans Dieter Knebel als Staatsanwalt und Gunther Eckes als Priester. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Am feinsten ist die von Sarah Viktoria Frick, die die Dirne mal als Schnitzler-süßes Mädel, mal als verhuschte Zwangsprostituierte, mal Kaugummi-kauend als abgebrühte Hure, die gunstgewerblerisch nach Hosentürln grapscht, gibt. Gunther Eckes lugt als bigotter Priester ab und an durch die sich beständig verschiebenden Kerkeröffnungen. Mit Tilman Tuppy als Kerkermeister liefert sich Itay Tiran einen Infight der Augen, ein Hide-and-Seek von Bespitzeln, Belauern und Beobachtetwerden.

Etwa, wenn der Mörder Fuß für Fuß den ihm verbliebenen Freiraum abmisst, im Wissen die zwischen- menschliche Beziehung zu seinem Bewacher ist allein dem unmenschlichen Strafrecht geschuldet. „Der Henker“, wie ihn Mateja Koležnik zeigt, ist das bis dato herausragendste Ereignis der ersten Spielzeit Kušej, die gesellschaftspolitische Botschaft nicht mit dickem Pinsel aufgetragen, sondern subtil und tiefsinnig ausgelotet, gespielt von einem Ensemble, das es versteht, die Intentionen der Regie Schicht für Schicht – und so die Spannung steigernd – offenzulegen. Bravo.

www.burgtheater.at

  1. 12. 2019

Akademietheater: Vögel

September 16, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Aus dem Burg- wird nun ein Internationaltheater

Die gar nicht liebe Familie: Eli Gorenstein als Großvater Etgar, Sabine Haupt als Mutter Norah, Markus Scheumann als Vater David, Jan Bülow als Eitan Zimmermann und Yousef Sweid als Rabbi. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Er hat es bereits vor Amtsantritt angekündigt, und Martin Kušej setzt sein weltoffenes Ansinnen, das Burg- von Österreichs Nationaltheater zum Internationaltheater zu machen, mit der zweiten Premiere seiner Intendanz auch schon um: Am Akademietheater zeigt der in Israel geborene Regisseur Itay Tiran, er in dieser Funktion sowie als Schauspieler neues Ensemblemitglied, Wajdi Mouawads „Vögel“ als Österreichische Erstaufführung.

Das aktuelle Erfolgsstück des frankokanadischen Schriftstellers libanesischer Herkunft, der in Wien spätestens seit „Verbrennungen“, 2007 am Akademietheater, bekannt ist, ist der perfekte Stoff für Kušejs Idee des Kosmopolitischen, ereignet es sich doch auf drei Kontinenten, in den vier Sprachen Englisch, Deutsch, Hebräisch und Arabisch, und die Schauspieler switchen zwischen ihnen, dass vom von manchen gefürchteten babylonischen Sprachgewirr keine Rede sein kann. Dazu hat Bühnenbildner Florian Etti die notwendigen Übertitel so ins Setting integriert, dass ein einfaches Mitlesen möglich ist.

Eitan und Wahida wollen nur ihre Liebe beschützen: Jan Bülow und Deleila Piasko. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Doch Eitan wird in Israel bei einem Attentat schwer verletzt: Jan Bülow. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Mouawad erzählt in „Vögel“ vom konfliktträchtigen Aufeinandertreffen von Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion, genauer gesagt: Er schildert die Verwerfungen des Nahostkonflikts anhand dreier Generationen einer jüdischen Familie, die Vererbung des Shoah-Traumas an die Nachkommen – und die Ausweglosigkeit bei der Suche einer friedlichen Lösung mit den Palästinensern. Itay Tiran nennt seine Inszenierung im Interview mit der Bühne ein „Identitäts-Experiment“, und tatsächlich steht über allem die Frage, wer diese zu definieren und über sie zu bestimmen hat. Gruppenidentität sei das Grundübel der Menschheit, heißt es dazu an einer Stelle.

Cast und Crew sind Kinder vieler Länder, in der Mehrzahl kommen sie aus Österreich, Deutschland, Palästina und Israel. Und so spielt die arabisch-israelische Salwa Nakkara die Israelin Leah Kimhi oder Deleila Piasko, Tochter einer Schweizer jüdischen Familie, die Araberin Wahida. Jan Bülow und Markus Scheumann gestalten, oft auch Hebräisch sprechend, die Rollen des Eitan Zimmermann und seines in Berlin lebenden Vaters David, jene Figur, als die Itay Tiran am Schauspiel Stuttgart selbst auf der Bühne stand. Der hochbegabte Genetikstudent Student Eitan bändelt also in der New Yorker Universitätsbibliothek mit der Geschichtestudentin Wahida an.

Das Buch, das sie liest, sagt er, fasziniert ihn, dieses das Thema ihrer Doktorarbeit, dessen Protagonist Hasan al-Wazzan, im späten 15. Jahrhundert in Granada geboren, später Diplomat des Sultans von Marokko, noch später, 1518, von Piraten im Mittelmeer gefangen genommen und Papst Leo X. zum Geschenk gemacht. In Natalie Zemon Davis‘ Buch „Trickster Travels“ ist nachzulesen, wie der Pontifex sich rühmt, den Muslim zum Christentum gebracht zu haben, doch ist ungewiss, ob der nunmehrige „Johannes Leo Africanus“ den fremden Glauben nicht nur zum Schein angenommen hat. Als Ikone kultureller Verflechtung ist al-Wazzan mit seinem lebenslangen Bemühen, den Europäern einzubläuen, dass die islamische Welt kein Satansort ist, jedenfalls der psychologische Überbau von Mouawads Gesellschaftsdrama.

Eitan eröffnet seinen darob entsetzten Eltern, dass er mit der US-arabischen Wahida lebt: Markus Scheumann und Sabine Haupt. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Die geschiedenen Großeltern hüten seit Jahrzehnten ein Geheimnis: Eli Gorenstein und Salwa Nakkara als Leah Kimhi. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Der nerdige Mansplainer Eitan, von Bülow in Anbetracht seiner Eigenheiten mit etwas Overacting angelegt, wird wirklich die große Liebe der attraktiven Wahida, und so reist er zu seinen Eltern nach Berlin, Vater David, seinerseits Sohn des Holocaust-Überlebenden Etgar und als solcher schwer erkrankt am Überlebensschuld-Syndrom, und die von Sabine Haupt dargestellte Mutter Norah, Tochter jüdischer Kommunisten aus der ehemaligen DDR. David hat zu Arabern die einschlägig bekannte Meinung, beim gemeinsamen Abendessen donnert er sein Veto gegen diese Verbindung, und bekundet Norah, wiewohl Verständnis für die Gefühle ihres Sohnes habend, dass sie sich nie gegen ihren Mann stellen wird, wogegen Großvater Etgar verzweifelt versucht, die Wogen zu glätten.

Eli Gorenstein gibt diesen liebenswert-eigenwilligen Charakter, der israelische Schauspieler, Regisseur, Sänger und Cellist, der in seiner Heimat sowohl als böser Scar im „König der Löwen“ als auch mit seiner Interpretation von Frank-Sinatra-Songs ein Star ist, ist mit seinem Changieren zwischen der Last der Vergangenheit und den Auseinandersetzungen der Gegenwart das darstellerische Highlight der Aufführung. Indes kommt Eitan einem Familiengeheimnis auf die Spur, ist doch David nicht der, der er selber zu sein glaubt, sondern augenscheinlich ein Sohn des von ihm so deklarierten „Untermenschenvolk“. Um das zu verifizieren reist Eitan mit Wahida nach Israel, wo er seine Großmutter sehen will, die sich, eben damit dieses Geheimnis nicht aufgedeckt wird, vor Jahrzehnten von Etgar trennte und ihn und David nach Europa drängte.

Salwa Nakkara macht aus dieser Leah Kimhi erst sozusagen des Teufels Großmutter, eine zynische, streitsüchtige, ihr Umfeld verschreckende Frau, zumindest bis sich die Schleier über den Geschehnissen lüften. Und während Wahida in Israel allmählich ihr verdrängtes arabisches Ichbewusstsein wiederentdeckt, wird Eitan Opfer eines Terroranschlags, auf den Tod verletzt liegt er im Krankenhaus, und Leah muss sich mit der Sippe in Deutschland in Verbindung setzenVerpackt hat Autor Wajdi Mouawad das alles in der Form eines subtil humorvollen Konversationsstücks, und Itay Tiran bedient gekonnt die Mechanismen dieses Well-made Play. Für die fließenden Übergänge von Ort und Zeit sorgen vier verschiebbare Quaden, auf die Videos von Yoav Cohen, atmosphärische Vogelmuster, Nachrichten- und Propagandabilder, denn selbstverständlich lässt Mouawad Sabra und Schatila nicht unerwähnt, Stadtkulissen, und eben die Schriften projiziert werden.

Nadine Quittner als lesbische Soldatin Eden mit Jan Bülow. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Die Übertitel sind ins Bühnenbild integriert: Deleila Piasko und Jan Bülow. Bild: Matthias Horn / Burgtheater

Neben Markus Scheumann als dauermürrischem, alles Nichtjüdische ablehnenden David, dessen historische und gegenwärtige Feindbilder letztlich Synonyme seiner zutiefsten Seelenverletztheit sind, und Sabine Haupt als zwischen nervös flirrend und leicht hysterisch schwankender Norah, spielt Nadine Quittner die lesbische Soldatin Eden, die eine Leibesvisitation Wahidas zu deren Vergewaltigung macht, und Yousef Sweid den Wazzan und einen Rabbi. Deleila Piasko und Jan Bülow sind ein zu Herzen gehendes „Die Schöne und das Biest“-Paar. Mit ausreichend Pathos geht’s einem Ende entgegen, an dem nicht alle Figuren lebend ankommen.

Eitan, von der nun ganz in ihrer Abstammung aufgehenden Wahida verlassen, klagt über die Unversöhnlichkeit ihrer beiden Völker, über Vorurteile und permanente Verdächtigungen, über Engstirnigkeit und Hang zur Radikalität. Das natürlich ist die Botschaft, die nach dreieinhalb forderndem Stunden Theater den großen Schlussapplaus bewirkt. Lautester Publikumslacher des Abends: Als David seine Mutter drangsaliert, weil er wissen will, was sie mit Wahida und Norah besprochen hat, antwortet Leah auf ihre berühmt-berüchtigte Art: „Wir reden übers Hochzeitsessen, können uns aber nicht entscheiden: koscher oder halal“.

www.burgtheater.at

  1. 9. 2019