Burgtheater: Eines langen Tages Reise in die Nacht

April 15, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Familienzerfleischung vor Felsformation

August Diehl, Alexander Fehling, Corinna Kirchhoff und Sven-Eric Bechtolf. Bild: Bernd Uhlig

Ein Zelebrieren der Langsamkeit ist Andrea Breths Inszenierung von Eugene O’Neills „Eines langen Tages Reise in die Nacht“. Fast vier Stunden dauert der wehmütige, seltsam verwehte Abend, durch den die Darsteller wie somnambul und weißgewandet geistern. Der Breth gelingt damit großes Theater. Präzise seziert sie des Autors Familienzerfleischung – das ist so schmerzhaft wie schön, und entfaltet eine ungeheure Sogwirkung.

Selten zuvor war an dem oft gesehenen Stück spürbar, wie sehr Verletzung durch große Liebe entsteht. Die Morphinistin und ihre beiden Alkoholiker, der Tuberkulosekranke und sein pathologischer Geizhals, die Hysterikerin und die Nicht-mehr-Hinhören-Könner sind hier vier ineinander verzahnte Existenzen. Keiner kann ohne, niemand mit den anderen. Dass sich da unterschwellige Aggressionen an die Oberfläche Bahn brechen, ist klar. Doch kaum hat man sich angepöbelt oder gar gerauft, herrscht wieder eitel Eintracht. Familie ist, sagt Breth, eine lebenslang erdrückende Umarmung, die zum Erstickungstod führen muss.

Dass Edmund am Ende, ein Bild des Friedens, am Meer sitzt, nachdem all die Drogenkonsumenten endlich ins Bett gefunden haben, glaubt man ihm kaum. Aus der Familie Tyrone, wie Breth sie malt, gibt es im Guten wie im Schlechten kein Entkommen. Da hilft kein retrospektiv versöhnlicher Schlussmoment, kein versonnener Blick in die Ferne der Zukunft. O’Neill selbst macht das deutlich, hat er doch seinen autobiografischen Text spät geschrieben und nur zur posthumen Veröffentlichung freigegeben …

Am Burgtheater glänzt ein herausragendes Schauspielerquartett. Sven-Eric Bechtolf gibt den James Tyrone, Corinna Kirchhoff die Mary, Alexander Fehling und August Diehl die Söhne Jamie und Edmund. Andrea Wenzel holt aus ihren wenigen Auftritten als aufmüpfiges Hausmädchen Cathleen alles. Dreh- und Angelpunkt der Aufführung ist Kirchhoffs Mary. Kirchhoff spielt die Süchtige mit enormem Charisma. Mit fahrigen Fingern streicht sie immer wieder ihre Haare zurecht, versichert mit vor vorgegaukelten Emotionen überschnappender Stimme, ihre Sucht im Griff zu haben, bevor sie sich eben wegen dieser wieder in schwatzhaftes Selbstmitleid ergießt.

Sie ist die Manipulative, die größte Egoistin unter den Egozentrikern, und wie sie in ihren Erinnerungen lebt und andere für ihre zerstörten Träume verantwortlich macht, als hätt’s nie gegolten, einen Entscheid selbst zu treffen, das ist großes Kino. Dann, je mehr sie wieder in ihrer Sucht verschwindet, wird diese Mary immer mehr zum jenseitig-empyreischen Wesen. Bis sie schließlich mit hohem Stimmchen und wie abwesend über die Bühne torkelnd ihre Frömmeleien verkündet.

Sven-Eric Bechtolf und August Diehl. Bild: Bernd Uhlig

Corinna Kirchhoff und Sven-Eric Bechtolf. Bild: Bernd Uhlig

Diese hat Martin Zehetgruber als endzeitliche Küste angelegt. Statt in die von O’Neill verlangte Abbildung des elterlichen Sommerhauses, das Monte Christo Cottage in Conneticut, verlegt er die Handlung in eine nebelig düstere Landschaft, in der eine Felsformation einen Wasserlauf säumt, den die Darsteller immer wieder spritzend durchqueren müssen. Im Hintergrund ein Walskelett, das sich endlich nach vorne drehen und Edmunds letzter Begleiter sein wird. So entsteht atmosphärisch dicht eine Situation, die niemandes Zuhause sein kann – wie Mary stets beklagt, in ihrer Ehe kein Heim gehabt zu haben, ein Umstand, den wohl auch die Söhne so empfinden.

Am unbehaust Umherziehen der Familie Tyrone trägt natürlich deren Oberhaupt James die Schuld. Sven-Eric Bechtolf gibt den Ein-Stück-Schauspieler mit Hang zur ausladenden dramatischen Geste. Stets ist an seinem James deutlich, dass er die Vaterrolle auch „spielt“, wenn er zwischen Eigensinn und echter Sorge um seine Frau und seinen Sohn, gefangen in seinen Zwängen und Ängsten, und zwischen Großsprecherei und Kleinmut changiert. Bechtolf brilliert in seinem intensiven Auftreten. Wie Alexander Fehling, der als Jamie die Krankheiten des James‘ geerbt hat und wie er zwischen Selbstverteidigung und -anklage pendelt.

Berührend, wie er vom Kraftlackl im ersten Teil zum betrunkenen Häufchen Elend wird. In einer Saufszene mit Edmund legt Breth ihr Konzept deutlich dar, dass hier alles gesagt und getan wird, weil Menschen in übergroßer Zuneigung einander zu viel abverlangen … Bleibt Edmund, des Autors Alter Ego, August Diehl. Der hat sich den zwar ebenso Desillusionierten, aber immer noch Familienfreundlichen wie eine zweite Haut angezogen. Herzerwärmend, wie er, als es schon längst die Diagnose Schwindsucht gibt, den anderen bei ihren Selbstsüchteleien noch zuhört und zusieht. Alles in allem überzeugt Diehl am meisten durch seine Wahrhaftigkeit. „Eines langen Tages Reise in die Nacht“ am Burgtheater ist ein überragend gelungener Theaterabend, streckenweise larger than live, den man nur empfehlen kann.

www.burgtheater.at

  1. 4. 2018

Philipp Hochmair in „Der Glanz des Tages“

April 19, 2013 in Film

Das Leben ist kein Bühnenspiel

„Du warst noch nie im Theater?“, staunt der erfolgreiche junge Schauspieler über seinen alten Onkel Walter in der Garderobe. Der zuckt mit den Schultern. Im Leben spielt’s sowieso anders als auf der Bühne. Später, vom Nachbarn nach Freunden befragt, stammelt der Mime was von „Wegbegleitern“,  meist Frauen natürlich, er ist ja attraktiv. Aber seine amourösen Angelegenheiten so kurzlebig, wie er selbst „kurzatmig“. „Hohl“ schilt ihn Onkel Walter bald. Der Wirklichkeit hinterher hechelnd …

„Der Glanz des Tages“  heißt der neue Film von Tizza Covi und Rainer Frimmel, der am 19. April in den heimischen Kinos anläuft. Bisher waren die beiden damit auf mehr als dreißig Festivals eingeladen, haben zehn Preise gewonnen. Locarno 2012: Leopard für den besten Hauptdarsteller: „Onkel“ Walter Saabel,  Don Quichote Preis der International Federation of Film Societies, 2013: Max Ophüls Preis für den Besten Spielfilm,  Großer Diagonale-Preis für den besten österreichischen Spielfilm, Thomas Pluch Würdigungspreis …

Philipp Hochmair, Walter Saabel Bild: Tizza  Covi, Rainer Frimmel, Der Glanz des Tages, Österreich 2012

Philipp Hochmair, Walter Saabel
Bild: Tizza Covi, Rainer Frimmel, Der Glanz des Tages, Österreich 2012

Der Wiener Film- und Bühnendarsteller (ab 6. August wird er bei den Salzburger Festspielen im Rahmen des Young Directors Project einen One-Man-„Jedermann“ kreieren: www.salzburgfestival.at) Philipp Hochmair IST der junge erfolgreiche Schauspieler mit Engagements an den großen Bühnen wie der Wiener Burg und dem Hamburger Thalia Theater. Sein Leben ist vom Einstudieren neuer Texte, von Proben und Aufführungen bestimmt. Dadurch verliert er immer mehr den Bezug zur Realität des Alltags. Als er auf seinen vagabundierenden Onkel trifft, zu dem er eine ambivalente Freundschaft aufbaut, und mit dem Schicksal seines Nachbarn Viktor konfrontiert wird, wird er daran erinnert, dass das Leben kein Theater ist. Eine der „Glanz“leistungen von Hochmair ist, diese messerscharfe Rolle (Hochmair: „Die Selbstkonfrontation wurde mir permanent vor Augen geführt. Ein Identitätscrash! Der Film hat mir schon eine Flucht vor mir als Mensch gezeigt, die mir so nicht bewusst war.“) so nah an sich heranzuziehen. Ohne Schnittwunden zu scheuen. „Sei einfach du selbst! sagen Regisseure gern. Aber was heißt das, wenn es seit Jahren alltäglich ist, sich permanent zu verwandeln und einen anderen zu spielen. Ich habe wahrscheinlich ein stückweit schon vergessen, wer ich außerhalb der Theaterwelt bin“, sagt Philipp Hochmair über seine Arbeit.

Für die Figur des Onkel Walter, der Identität und „Ideal“ strikt trennt, haben Covi und Frimmels – wie schon in „Babooska“ und „La Pivellina“ – den echten, ehemaligen Bärenringer und Messerwerfer Saabel engagiert. In Wien trifft er seinen „Neffen“ Hochmair, der gerade am Theater einen ziemlich modern aufgefassten Hauptmann im „Woyzeck“ gibt. Die zwei Ungleichen, aber in ihrem Narzissmus, ihrer Unsicherheit, ihrem Freiheits- und Geltungsdrang doch ziemlich Ähnlichen, nähern sich einander binnen einiger Tage an. Eine köstliche Szene: Hochmair probt in seiner Wohnung Text; Onkel, auf dem Sofa liegend, hört ab. Natürlich nicht, ohne sachdienliche Kommentare. Wie Onkel Walters und des Schauspielers Treffen im Film verlief auch das von Hochmair und Saabel in Wirklichkeit. Hochmair: „Das erste Mal trafen wir uns in Wien, wo ich ihn gleich ins Theater geschleppt habe, wo er wahrscheinlich gar nicht hin wollte. Wir kannten uns nur aus Erzählungen. Tizza und Rainer wollten, dass aus dem Kennenlernen zwischen uns der Film entsteht. Da gab es natürlich Hürden zu überwinden. Als wer oder was begegnen wir uns, was fangen wir miteinander an… So unterschiedliche Biografien und doch dieses gemeinsame Nomadentum, die Sehnsucht nach Freiheit. An einem klassischen Filmset, wo alles ausgeleuchtet ist, Schienen für die Kamera gelegt sind, es Statisten gibt und so weiter, kann es sein, dass trotz allem Aufwand nichts Wahrhaftiges passiert. Anstatt x-mal zu proben und alles zu überprüfen, folgt man bei Covi und Frimmel nur der Intuition, dem Augenblick und schaut, was dabei entsteht.“

Entstanden ist ein fabelhafter Film, der sich viel Publikum verdient hat. Und um auf den Titel zurückzukommen: Hochmair hat auch schon Goethes „Torquato Tasso“ gespielt. „Ich bin vom Glanz des Tages überschienen, ihr kennet mich, ich kenne mich nicht mehr“, heißt es da.

www.ventofilm.com

www.stadtkinowien.at

Trailer: http://vimeo.com/62928882

Von Michaela Mottinger

Wien, 19. 4. 2013