Die Maßnahme – eine Webserie

Juni 6, 2020 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Irre Ladies-Comedy über eine Online-Zwangsgruppe

Laura Hermann, Claudia Kottal, Constanze Passin, Alev Irmak, Anna Kramer und Suse Lichtenberger. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

Da sitzen sie also vor ihren jeweiligen „Endgeräten“, die sechs Teilnehmerinnen, nehmen an den regelmäßigen Zoom-Meetings teil, laden Wochenaufgaben hoch und fragen sich leicht verwundert, wie sie eigentlich dazu gekommen sind: Wer ist diese ominöse Frau Dr. Novak? Nimmt sie je an den Sitzungen teil oder hat sie eine geheime

Überwachungsfunktion? Wer erstellt die wöchentlichen Tests? Wie locker sind die Lockerungen? Und: Halten sie alle das durch? „Die Maßnahme“ heißt die erste österreichische Comedy-Webserie in #Corona-Zeiten, die derzeit quasi in Echtzeit entsteht. Vor etwa einem Monat haben die Schauspielerinnen Laura Hermann, Alev Irmak, Claudia Kottal, Anna Kramer, Suse Lichtenberger und Constanze Passin beschlossen, ihre kreativen Impulse nicht von Dreh- und Theaterstopps ausbremsen zu lassen – et voilà!

mottingers-meinung.at hat die Pilot-Doppelfolge, die am 8. Juni um 12 Uhr online geht, vorab gesehen, Titel: „Bin ich hier richtig?“, nach wie vor herrscht Pandemie-Panik, und ein nicht näher benamstes „Amt“ hat den Damen-Sechser veranlasst, ein ebenfalls nicht genauer definiertes Programm zu absolvieren.

Anna Kramer ist die sensibel-souveräne Philosophin Sabine. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

Claudia Kottal ist die mittelschwer konfuse, liebeskranke Ricky. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

Auf höchst humorvolle, irrwitzig-rasante und hochaktuelle Art schlüpfen die Darstellerinnen in die Rollen einer ziemlich divergenten Zweckgemeinschaft, die Virus- und andere Krisen, Liebesgeschichten und Familienalltag, und jetzt auch noch zusätzlich die Aufgaben der „Maßnahme“ unter einen Hut bringen muss. „Sie unterliegen den strikten Richtlinien des Programms. Jeden Freitag muss der Upload der jeweiligen Wochenaufgabe jedes Teilnehmers bei uns eingehen, um die Teilnahme an der Maßnahme zu sichern“, sagt die strenge Stimme aus dem Off –  und schon machen die sechs sich daran, dies zu tun, wiewohl die erste Aufgabe mit einer tropischen Frucht zu tun hat, die im situativen Kontext einzuordnen den Frauen schwerfällt …

Und so stellt man sich einander vor: Laura Hermann als Margarete, eine kesse Rothaarige, die gleich ungeniert Werbung für die väterliche Fleischerei macht; was Wunder, dass sie in ihrer Küche sitzt und ihre diesbezüglichen Künste preist, will sie doch den selbstgemachten Wurstaufschnitt endlich mit einem – vorzugsweise katholischen – Mann teilen; also hält sie zur Eigen-PR mit dem Marienmedaillon auch ihren Ausschnitt in die Kamera. Claudia Kottal als mittelschwer konfuse Ricky, die sich an ihr neues WG-Leben mit einem Mann gewöhnen muss, obwohl sie doch viel lieber bei ihrer sie abserviert habenden Ex-Freundin wäre. Constanze Passin als trendige Großstädterin Mia, die nun unnatürlich-fröhlich-überdreht auf einer Treppe zwischen Gummibaum und Gebirgsgemälden sitzt, weil sie sich „am Land“ um die als doch so rüstig gerühmte Omi kümmern muss.

Constanze Passin ist die trendige Großstädterin „am Land“ Mia. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

Suse Lichtenberger ist die Burnout- und Homeschooling-Kids gebeutelte Elke. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

Alev Irmak als die toughe, im hippen Gangsta-Style gekleidete Jenny, die vor Kurzem von Wien nach Berlin gezogen ist, und nun zwischen hiesigem Mundwerk und dortiger Schnauze hin und herwechselt, eine, die gern zeigt, wer sie ist und weiß, wann’s genug ist. Anna Kramer als sensibel-souveräne Philosophin Sabine, der der Lockdown offenbar grade recht kommt, denn ihre Pflanzen brauchen auch Zeit. Und – ganz groß – Suse Lichtenberger, die als Elke im Regen vor ihrem Ferienhaus steht, wobei was von Burnout zu vernehmen ist, Ehemann und zwei homeschooling Kindern, für die sie Schulunterlagen ausdruckt und ausdruckt und ausdruckt, und die eigentlich gar keine Zeit für #Corona hat …

Das Kollektiv Hermann, Irmak, Kottal, Kramer, Lichtenberger und Passin arbeitet seit Jahren in verschiedenen Konstellationen zusammen und befand, dass besondere Umstände außergewöhnliche Produktionsweisen erfordern, und so hat man gemeinsam Idee und Drehbuch entwickelt, und alle sechs Schauspielerinnen stehen beziehungsweise sitzen nicht nur vor den Kameras, sondern sie sind ihre eigenen Kamerafrauen, drehen zu Hause oder vor dem Zuhause, und sind somit gleichzeitig auch ihre eigenen Produzentinnen. Das liest sich bezüglich Cast & Crew – und das frauenbewegte Herz hüpft vor Freude – so: Regie: wir, Produktion: wir, Drehbuch: wir, Idee: auch wir, Kamera: wieder wir. Suse Lichtenberger hat mit „Senfdazugebung“ einen Special Credit. Die Musik macht die Theater- und Film-erprobte Clara Luzia.

Alev Irmak ist Jenny, die grad Wiener Mundwerk gegen Berliner Schnauze tauscht. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

Laura Hermann ist Fleischertochter Margarete, die einen Mann fürs Leben sucht. Bild: Screenshot – Trailer „Die Massnahme“

„Wie das mit der Gruppe laufen wird“, eine Sorge die Laura Hermanns Margarete formuliert, wird sich in den kommenden Wochen zeigen. Noch ist man dabei, eine Verbindung zu suchen, Zoom-technisch und zwischenmenschlich. So soll Claudia Kottals Ricky den Schlusssatz haben: „I hab‘ eh nix Blödes g’sagt, oder hab‘ I irgendwas Blödes g’sagt?“

Start der Comedy-Serie „Die Maßnahme“ ist Montag, der 8. Juni. Die Pilot-Doppelfolge wird ab 12 Uhr auf youtube zu sehen sein. Die weiteren Folgen sind jeweils montags ab 12 Uhr online.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=n8hZneRTYc0           www.diemassnahme.com           www.youtube.com/channel/UCf5EsGUspqo_mA1gewQ4slA

6. 6. 2020

Theater Drachengasse: Tag des Zorns

Januar 15, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Kein Platz für Protestierer

Der Gesundheitsminister nützt die Demo der Krankenschwestern zur Eigen-PR: Julia Urban, Florian Carove und Suse Lichtenberger. Bild: © Andreas Friess / picturedesk

Den Eingang zum Spielraum hat Kristof Kepler mit einem Wandbild versehen, Viktor Orbán und wie er von einem Hund bepisst wird, ein erster Eindruck von Stimmung und Stoßrichtung, die den Abend im Theater Drachengasse ausmachen werden. Ist das Stück, das gegeben wird, doch von Autorin Éva Zabezsinszkij und Theatermacher Árpád Schilling, und dieser in seiner Heimat Ungarn als „potenzieller Vorbereiter staatsfeindlicher Aktivitäten“ von der Fidesz-Regierung zum Feind erklärt worden …

Montagabend war nun Österreichische Erstaufführung von „Tag des Zorns“, eine Koproduktion mit neuebuehnevillach und die erste Regiearbeit von Mercedes Echerer, die zuletzt schon mit ihren Hörbucheditionen kulturelle Entdeckungsreisen durch den europäischen Kontinent unternahm, dessen östlicher Teil ihr aufgrund familiärer Verbindungen ein besonderes Anliegen ist. Schilling und Zabezsinszkij erzählen entlang einer wahren Geschichte: 2015 wagte es Krankenschwester Mária Sándor, bekannt geworden als „Schwester in Schwarz“, weil sie ihre obligate weiße Berufskleidung gegen die Farbe der Trauer tauschte, gegen die herrschenden Zustände an ungarischen Krankenpflegeanstalten zu protestieren.

Sándor trat einen langen Marsch gegen das System an, gegen die unzulänglichen, unmenschlichen Verhältnisse für Patienten und Personal, gegen die erniedrigenden Arbeitsumstände, gegen die unbezahlten Überstunden. Mit der Folge, dass die Kolleginnen und Kollegen sie der Reihe nach im Stich ließen. So ergeht es in der Bühnenfiktion auch Erzsébet, Krankenschwester auf einer neonatologischen Station, die die Situation für die ihr schutzbefohlenen Frühchen verbessern will. Gemeinsam mit Freundin Nicki probt sie den Aufstand bei einer Demonstration, die sich zur landesweiten ausdehnt, und eigentlich ist Nicki die Anstifterin, doch die biblische Strafe wird über Erzsébet kommen.

Mutter und Tochter I: Suse Lichtenberger und Babett Arens. Bild: © Andreas Friess / picturedesk

Mutter und Tochter II: Suse Lichtenberger und Simone Leski. Bild: © Andreas Friess / picturedesk

Suse Lichtenberger spielt diese, eine geschiedene, alleinerziehende Mutter, die auch noch der eigenen Mutter Unterkunft in ihrer kleinen Wohnung gibt, eine Frau voller Selbstzweifel, mit wenig Selbstvertrauen, eine von denen, die Fehler stets bei sich selber suchen. Begleitet wird Lichtenbergers berührende Performance von Simone Leski, die die Tochter Evelyn zwischen Aufsässigkeit (weil ihre Konsumwünsche nicht erfüllt werden) und Anteilnahme am Schicksal der Familie anlegt, und Babett Arens als Erzsébet sen.

Dies freilich die dankbarste Rolle, erst eine schrullige Alte, die trinkt wie ein Husar und schimpft wie ein Rohrspatz, eine Sprichwort-Schleuder, die mit ihrer „Hab ich’s nicht gleich gesagt“-Attitüde nervt, bis sie ein Unglück in tiefste Hilflosigkeit stürzt. Klar, dass die Arens alle Facetten ihrer Figur mit ihrem schauspielerischen Können füllt.

Nicht nur für diesen Charakter haben Schilling und Zabezsinszkij pointierte Sätze geschrieben, die beiden verstehen es, die Brisanz des Themas, dessen politische Dimension in eine krachende Satire zu betten, und Mercedes Echerer inszeniert das ohne Schnörkel.

Doch bei aller Härte des Gezeigten mit wohldosiertem, trockenem Humor. So dass trotz der Trostlosigkeit, in der die Figuren leben, sie noch unterstrichen vom Bühnenbild Zsolt Kemenes‘ und den Kostümen von Michaela Wuggenig, ein ab und zu Auflachen möglich ist. Das Spieltempo ist hoch, was vor allem Julia Urban und Florian Carove fordert, die in jeweils mehreren Rollen zu sehen sind.

Julia Urban unter anderem als Nicki, als Evelyns Klassenvorstand, die kommt, um die Familie auszuspionieren, sowie als diverse Karriere- und Ehefrauen, jede von ihnen darstellerisch auf den Punkt gebracht, entworfen mit wenigen, energisch gesetzten Strichen. Ganz großartig ist die Wandlungsfähigkeit von Florian Carove, der als Gesundheitsminister und als Krankenhausdirektor von Populist zu Opportunist wechselt, wobei letzterer die windigen Versprechungen des ersteren genau kennt, später als Erzsébets Ex-Mann auf Pantoffelheld macht – und als exaltierter Schönheitssalonbesitzer Norbi ein Kabinettstück liefert. Bei ihm nämlich findet Erzsébet endlich neue Arbeit – die diplomierte Fachkraft als Putzfrau, wird sie doch im Krankenhaus gefeuert, weil des Ministers Problemlösung lautet, die Frühchen-Station zu schließen.

Am Ende begeht Erzsébet eine Wahnsinnstat: Julia Urban, Florian Carove und Suse Lichtenberger. Bild: © Andreas Friess / picturedesk

„Die Menschen lieben Schreihälse nicht, weil sie sie daran erinnern, dass sie selber schweigen“, konstatiert Erzsébet sen., als sich alle von ihrer Tochter abwenden und die, nun als Störenfried verschrien, keine Stelle mehr in einem Spital findet. Die Spirale dreht sich unaufhaltsam nach unten, Erzsébet wird reingelegt, finanziell, in der Liebe, in ihrem Glauben an Mitmenschlichkeit, wird immer aggressiver werden – und am Ende eine Wahnsinnstat begehen …

400 Überstunden pro Jahr, für die die Konzerne drei Jahre Zeit haben, um sie zu bezahlen, hat das ungarische Parlament im Dezember des Vorjahres per Gesetz verordnet. Doch „Tag des Zorns“ beschreibt nicht nur ein Land, das vom Kommunismus in einen Nationalismus mit zunehmenden sozialen Missständen gefallen, und mit zügigen Schritten Richtung Totalitarismus unterwegs ist. Die erfolgreiche Zerstörung gesellschaftlicher Solidarität, deren Spaltung durch das Säen politischer Zwietracht, und im speziellen Fall das Krankmachen des Gesundheitssystems, passiert auch anderswo. Wer Parolen à la „Wer anständig arbeitet, wird schon sein Auslangen finden“ hören will, muss über keinen Grenzzaun schauen. In diesem Sinne ist dem Aufruf zum Früher-Aufstehen unbedingt zu folgen, gilt es dieser Tage doch hellwach zu sein.

www.drachengasse.at

  1. 1. 2019

Theater in der Josefstadt: Madame Bovary

April 14, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Zwangsjacke der Borderlinerin

Die Bovarys mal fünf sind von Rodolphe Boulanger hingerissen: Bea Brocks, Silvia Meisterle, Therese Lohner, Ulli Fessl, Maria Köstlinger und Christian Nickel. Bild: Astrid Knie

Dass Charles‘ Landarztkittel sich knapp vor der Pause in eine Zwangsjacke für Ehefrau Emma verwandelt, macht Sinn, fühlt sich die doch in ihrer Situation ausweglos gefangen und ergo unglücklich. Regisseurin Anna Bergmann (über-)dreht Gustave Flauberts Fantasien zu seiner Protagonistin. Bei ihr wird die überspannte Provinzgattin zur Borderlinerin – Bergmanns liebste Interpretation, inszeniert sie Weltliteratur-Frauenfiguren -, und die gibt es nicht nur ein Mal, sondern gleich mal fünf:

„Madame Bovary“ am Theater in der Josefstadt. Da gelingt Bergmann vor allem im ersten Teil Großes. So ideendurchtränkt ist ihre durchchoreografierte Arbeit, dass man’s teils mit fünf Sinnen gar nicht fassen kann. Was gut ist, lässt man den sechsten zu. Maria Köstlinger allen voran gestaltet die Bovary, umringt von Bea Brocks, Ulli Fessl, Therese Lohner und Silvia Meisterle. Das ist eine Frau in fünf Lebensaltern, das sind Stimmen im Kopf, eine Frau und ihre Erinnerungen und Vorausahnungen. Emma in ihrem Totenhaus immer selbst ihre Spinne Langweile, von Schatten umringt, von Anfang an ein Gespenst.

Denn erzählt wird gleichsam posthum. Bergmann setzt auf Prosa, und einen großartigen Christian Nickel als Rodolphe Boulanger als Berichterstatter ein. Er schildert das Drama bis zum Untergang, diese kurze Existenz, die er gekannt hat, der Selbstmord am Ende scheußlich und die Liebe nimmerwährend. Eindrückliche Bilder gelingen da. Ein Albtraumreigen, der sich immer schneller dreht. Emma aus Luken und über Wände kletternd, der Geliebte mit Fetischfuchsmaske, Horrorgestalten in Lack und Leder. So subtil, wie Flaubert es verdient hat, weißt Bergmann darauf hin, dass es im Roman höchst realitätsnah um sexuelle Obsession und erotomanische Fixierungen geht.

Ein unnahbares Elegiebürschchen: Meo Wulf und Maria Köstlinger. Bild: Astrid Knie

Doppelbild von Heiliger und Hure: Bea Brocks und Maria Köstlinger. Bild: Astrid Knie

Aggressive Bösartigkeit liegt in der Luft. Nickels Rodolphe decouvriert sich als ennuyierter Zyniker, Köstlinger, alles gebend, ist von kalter Leidenschaft, ihrer Emma Zauber, wie es geschrieben steht, ein eisiger. Selbst Meo Wulf als Léon Dupuis bleibt als Elegiebürschchen unnahbar, wenn er auf seinem Elektro-Pedalo um die Bovary kurvt. Auch das eine gelungene Übersetzung für den ersten Ritt, den die beiden original bei einer wilden Kutschfahrt haben. Noch mehr Gegenwärtiges darf sein, im zweiten Teil in zeitgenössischen Kostümen und ebensolcher Sprache. Auch das tut Bergmann gern, Figuren durch die Epochen zu deklinieren, als Zeichen fürs Nichts-ändert-Sich. Emmas Schulden werden in Euro aufaddiert.

Da haben die Darsteller die Lacher auf ihrer Seite, wenn Roman Schmelzer – ein wunderbar langweilig-gutmütiger Charles Bovary – und die Köstlinger nach der Pause in der Theaterloge sitzen, während Bea Brocks als Madonnen-Königin-der-Nacht-Mix vom Himmel schwebt, und Schmelzer seinen Charles sagen lässt, er sei bemüht, die Bühnenvorgänge verstehen zu wollen. Bergmanns Deutung der Titelrolle zwischen Heiliger und Hure, eingesperrt nicht im Mittelstandshäuschen, sondern im herrschaftlichen, krank-grünen Sanatorium (Bühnenbild: Katharina Faltner), angetan mal mit großem Gothic-Kostüm von Lane Schäfer, mal nur in der Wäsche umherkriechend. Mal am Klavier Portisheads „It’s A Fire“ singend, mal Rodolphe im Slingbett beglückend. Das Publikum dankte jedenfalls für den Assoziationsfreiraum, den ihm die Aufführung ließ, mit viel freundlichem Applaus.

Berthe als spooky Puppe ist auch keine Sympathieträgerin: Roman Schmelzer, Suse Wächter und Maria Köstlinger. Bild: Astrid Knie

Ins Wahnsinnsspiel passt auch Suse Wächter, die Berthe Bovary als Puppe führt, zu spooky für eine Sympathieträgerin, ein Hassliebeobjekt für die Mutter und Erdulderin von deren Launen, darin ganz der Vater. Siegfried Walther gibt Monsieur Homais als Laboratoriumsratte und den Lheureux als diabolischen Verführer mit Lagerfeldzopf, der Emmas Kaufrausch mit immer neuen Luxuslabeltragtaschen befeuert.

Beginnt der Abend mit Pantomime, so endet er mit leerem Raum, in dem die Worte aus dem Off hallen. Emma allein auf der Bühne, der Rest ihre Kopfgeburten. Ulli Fessl ist noch da, die nie mehr gelebt haben werdende Emma, und deklamiert in Trauerrobe den Ophelia-Monolog aus Heiner Müllers „Hamletmaschine“, wird zur Frau, „die der Fluss nicht behalten hat. Die Frau am Strick. Die Frau mit den aufgeschnittenen Pulsadern. Die Frau mit der Überdosis. Die Frau mit dem Kopf im Gasherd …“ Dass Bergmann damit der Bovary pathologisches Betragen in den Schmerz der Welttragödie steigert, schafft deren Hysterie eine Bedeutsamkeit, die angesichts des 20. Jahrhunderts überzogen scheint. Dies als Fußnote nach einem Dreistundenabend, der ansonsten überzeugte.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=ftf7DJJ04cU

www.josefstadt.org

  1. 4. 2018

KosmosTheater: Muttersprache Mameloschn

Dezember 6, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine jiddische Familiengeschichte

Suse Lichtenberger, Michèle Rohrbach, Martina Rösler und Jelena Popržan. Bild: Bettina Frenzel

Mameloschn, so nennt sich das Jiddische selbst, „Muttersprache“, und „Muttersprache Mameloschn“ heißt der Theatertext von Sasha Marianna Salzmann, der Dienstagabend im KosmosTheater Premiere hatte. Die Hausautorin am Berliner Maxim Gorki Theater erzählt in dieser Koproduktion des KosmosTheater mit dem Künstlerinnenkollektiv makemake produktionen eine Familiengeschichte am Schicksal dreier jüdischer Frauen.

Und erzählt davon, wie unmöglich es oft ist, trotz „Muttersprache“ mit der eigenen zu kommunizieren. Das mit virtuosem Sprachwitz aufgeladene Stück zieht einen hinein in drei Biografien. Da ist zunächst die Großmutter, die Holocaustüberlebende Lin, die nach dem Krieg voll der Hoffnung in das antifaschistische Deutschland mit ihrer Tochter in die DDR ging. Diese, Clara, sieht die Verklärungen der Mutter abgeklärt, sieht auch die Schattenseiten eines Regimes, in das man sich freiwillig begeben hat und als dessen Gefangene sie sich bis zum Mauerfall fühlte. Doch während hier ein Mutter-Tochter-Gespann versucht, sich von der Vergangenheit nicht bewältigen zu lassen, gibt es noch ein zweites: mit der Enkelin Rahel, die in die USA aufbrechen wird, um endlich ihre eigene Identität zu suchen und zu finden.

Regisseurin Sara Ostertag hat aus dem Schauspiel gleichsam ein Bewegungs- und Tanztheater gemacht, Jelena Popržan dazu wunderbare Lieder komponiert, jiddisch anmutende und welche wie kommunistische Arbeiterlieder, Widerstandslieder auch. Wenn das Ensemble singt „Wie lange sollen wir noch wandern, wie lange wird unsere Freiheit noch stören?“, dann klingt das fast schon nach Wolf Biermann. Die Inszenierung verwebt die im Stück festgeschriebenen Verweise und Zitate zu Musik mit Sprechchorpassagen und mehrstimmigem Gesang.

Die Wäsche der Vergangenheit waschen, kann eine blutige Sache sein. Bild: Bettina Frenzel

Das Ensemble spielt, singt und tanzt nicht nur, es gibt auch beinah artistische Momente. Bild: Bettina Frenzel

Mit drei Spielerinnen, Suse Lichtenberger, Martina Rösler und Michèle Rohrbach, teilt sich die Live-Musikerin an Bratsche, Geige und Schlagwerk außerdem die drei Rollen. Die Darstellerinnen schlüpfen von einer in die nächste, eine Spitzenbluse oder eine Bomberjacke machen klar, wer gerade wer ist. Dazu in Leuchtlettern vor einem „valfish“ mit Barten-Vorhang das Wort „Mutter“, die Buchstaben abgewandelt zu einem „Mut“, einem „Mute“ – sprachlos oder „Me“. Agiert wird mit hoher physischer Präsenz, nicht nur gespielt, gesungen, getanzt, sondern mitunter beinah artistisch. Familiäre Konflikte werden auch handgreiflich ausgetragen. Denn alle haben hier recht und gleichzeitig so unrecht, verstehen und verstehen nicht, begreifen und gehen verloren.

In einer eindrücklichen Szene wird blutige Wäsche gewaschen. 17. Juni und 1953 steht auf zwei der Wäschestücke. Der Arbeiteraufstand, den die DDR von den Sowjets niederschlagen ließ. So verknüpft Autorin Salzmann das Private mit dem Politischen, knüpft ihre bissigen Dialoge an immer noch nicht überkommene Klischees, wie die Schauspielerinnen den Faden im von der Decke abgehängten Stickrahmen.

Unter der Oberfläche „wie koscher geht“, geht es in „Muttersprache Mameloschn“ um Manipulation und Schuldgefühle, um die Instrumentalisierung von Menschen im Großen wie im Kleinen. Es geht um latenten Antisemitismus und die Frage, ob ein „guter Jude“ mit der israelischen Politik konform gehen muss. Es geht, sagt Salzmann selbst, „um die Wut und die Denkfehler, die von Generation zu Generation weitergegeben werden“, und die endlich entlarvt werden müssen. Es geht nicht darum, Geschichte zu verstehen und sie damit ad acta zu legen, sondern um einen alternativen Versuch, der Geschichte näher zu kommen und sie so in die Gegenwart zu katapultieren. Dass dabei sowohl heitere als auch düstere Ecken ausgeleuchtet werden, zeigt die hohe Qualität der Aufführung. Eine Empfehlung!

www.kosmostheater.at

  1. 12. 2017

migrationshintergrund.am.arsch: Zucker – Büstenhalter

November 23, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine irrwitzige Satire auf Polen und den Rest der Welt

Die Geschenke der UdSSR an das polnische Volk werden immer noch angebetet: Suse Lichtenberger und Claudia Kottal. Bild: Alek Kawka

Nach der fabelhaften „Familie Tót“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=17141) zeigt migrations-hintergrund. am.arsch (MAA*) nun im Off-Theater „Zucker – Büstenhalter“ von der polnischen Autorin Zyta Rudzka. Und auch diesmal haben Claudia Kottal, Anna Kramer und ihre Theatertruppe eine hierzulande so gut wie unbekannte, irrwitzige Satire auf das Leben in Osteuropa ausgesucht.

MAA* hat sich die Pflege von Dramatikerinnen und Dramatikern aus den Nachbarländern gleichsam zur Pflicht gemacht. Mit großem Erfolg, wie auch diesmal wieder zu sehen war. „Zucker – Büstenhalter“ erzählt vordergründig die Geschichte der Geschwister Zucker, David (Constanze Passin) und Mira (Suse Lichtenberger), deren Wäschegeschäft für Damen mehr und mehr den Bach hinuntergeht. Dies ausgerechnet zur 100-Jahr-Feier des Familienbetriebs, und schuld daran sind die Chinesen, deren Billigprodukte seit der Öffnung des Marktes die Supermärkte überfluten. 800 Millionen China-Büstenhalter warten in den Häfen der Niederlande!

David schickt Mira auf Sabotagetour, mit einer Schere bewaffnet schneidet sie flugs bis zu 100 BH-Träger täglich durch. Ist ja nichts wert, das Importzeugs. Gegen die heimische Qualitätsware, die früher Schauspielerinnen, Sportlerinnen und Sängerinnen – „in meinem BH eroberte sie die Scala“ – kleidete! Natürlich fliegen diese Machenschaften auf.

Suse Lichtenberger, Anna Kramer, Claudia Kottal, Julia Schanz, Katarzyna Radochońska und Constanze Passin … Bild: Alek Kawka

… können nicht nur spielen, sondern auch singen: „Boobies, Baby!“ Bild: Alek Kawka

Die Kapofurie (Anna Kramer als Sicherheitsbeauftragte im Einkaufscenter) hat Mira bald auf dem Radar. Und dann sind da noch Streuner (Claudia Kottal), ein vom Markt ausgespiener Arbeitsloser, der für seinen Lebensunterhalt Dosen sammelt (Motto: „Jeden Scheiß kann man wiederverwerten“, wie sich am Schluss zeigen wird), und die Blinde (Julia Schranz), die sich gegen Geld anmieten lässt, damit andere als „Begleitperson“ in den Genuss von Ermäßigungen kommen. Lauter Dinge also, die den chinesischen Flüchtling (Katarzyna Radochońska) an der neuen Heimat durchaus erstaunen …

Mit großer Leichtigkeit und viel Humor zeichnet Zyta Rudzka in ihrer Tragikomödie eine Gesellschaft, die vom Ultraliberalismus unter dessen politischen Befürwortern aus der Kurve getragen wurde, eingekeilt zwischen Postkommunismus, Katholizismus und den Kaczyński-Brüdern. Man konnte mit dem rasanten Systemwechsel einfach nicht Schritt halten, glaubt sich nun am Ende der Fahnenstange, jedenfalls von der EU stiefmütterlich behandelt, und sucht Zuflucht in der „guten, alten Zeit“ als die Völker der UdSSR Polen noch unkaputtbare Staubsauger namens Leika zum Geschenk machten.

Toilettenpapier allerdings Mangelware war. Regisseur Imre Lichtenberger Bozoki trägt mit seiner skurril-spöttischen Inszenierung Rudzkas Tonfall Rechnung. Das Ensemble agiert vom Feinsten, und versteht sich auf Wortwitz und Situationskomik. Immer wieder lässt Lichtenberger Bozoki die Darstellerinnen auch aus der Rolle fallen, dann philosophieren sie über Polen, Geld, das dort nicht in die Kultur, sondern in die Kirche fließt, eine mit Füßen getretene Verfassung und das Staatsfernsehen, über Österreich, wo auch schon Marktschreier die Angst vor allem irgend „anderen“ schüren – und über das Frauenbild in beiden Ländern.

Die Geschwister Zucker bereiten die 100-Jahr-Feier vor: Suse Lichtenberger und Constanze Passin. Bild: Alek Kawka

Fazit: Der Vergleich ist kein Vergleich, weil alles gleich ist, siehe „Häuslichkeit“ und „Brutpflegetrieb“ (O-Ton FPÖ). Rot-weiß trennt nur ein roter Stoffstreifen von Rot-weiß-rot. Die Intermezzi, die politischen Ansagen, hat MAA* selbst entwickelt. Radochońska erklärt mitunter auf Polnisch, von Kottal übersetzt, samt einem Segenswunsch für einen milden Winter, falls es die Menschen hierzulande so wie das polnische Volk auf die Straße treibt.

Auf einer Batterie von Monitoren (Bühne/Video von Alek Kawka und Martin Nussbaum) laufen die entsprechenden Bilder. Am Ende wird man vom Ende profitieren. Die Westler sind ja ganz verrückt auf Ostblock-Devotionalien und Überbleibsel des realen Sozialismus, daraus lässt sich ein Geschäft machen. Also gibt es für das Publikum, wie es die polnische Gastfreundschaft gebietet, Wodka und Brot. Und in der Firma Zucker viel selbstkomponierte und -getextete Musik zum großen Fest: „Boobies, Baby!“

www.maa.co.at

  1. 11. 2017