Theater in der Josefstadt: Ein Kind unserer Zeit

September 8, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER-MEHMOOD

Viele Türen und kein Ausgang offen

Therese Affolter, Katharina Klar, Martina Stilp und Susa Meyer schlüpfen in diverse Rollen dieses inneren Monologs. Bild: © Moritz Schell

Wer aus den Eröffnungspremieren der Wiener Theatersaison nur eine auswählen kann, der oder die möge sich für diese entscheiden. Regisseurin Stephanie Mohr hat fürs Theater in der Josefstadt Ödön von Horváths visionären Roman „Ein Kind unserer Zeit“ für die Bühne eingerichtet, ein Kunststück, ist der Protagonist doch ein Ich-Erzähler, das Ganze ein innerer Monolog, der zwischen Schilderung der Handlung und seiner Haltung dazu wechselt, vom radikalen Faschisten zum fieberhaft gehetzten Vollstrecker zum frustrierten Kriegsversehrten.

Mohr legt die Figur in die Hände von vier Schauspielerinnen: Therese Affolter, Susa Meyer, Martina Stilp und Katharina Klar. Sie agieren als vielschichtiges Charakter-Quartett – sehr vereinfacht beschrieben: Klar als der fanatische, unbeherrschte Jungmann, Stilp als der Schmerzensmann, Meyer überzeugt mit desillusionierter Abgeklärtheit, Affolter mit grober Kaltherzigkeit. „Ich bin Soldat. Und ich bin gerne Soldat … Jetzt hat mein Dasein plötzlich wieder Sinn! Ich war ja schon ganz verzweifelt, was ich mit meinem jungen Leben beginnen sollte. Die Welt war so aussichtslos geworden und die Zukunft so tot …“.

So beginnen die Darstellerinnen dieser Uraufführung im Kanon, eine das Echo der anderen, eine der anderen Seelenstimme, von Frage zu Antwort, von Rede zu Gegenrede. Doch sie sind nicht nur der Soldat. Sie sind der suizidale Hauptmann und seine Witwe, der despektierte Vater und seine neue Frau, Krankenschwestern und Ärzte im Lazarett, die ins Unglück stürzende Kassiererin einer Praterattraktion. Ausstatterin Miriam Busch hat als Setting einen grauen Drehzylinder mit etlichen Gucklöchern erdacht, der sich an einer Seite öffnet und den Blick freigibt auf einen abgestorbenen Baum zum Erhängen der Gefangenen, einen halbkaputten Flipperautomaten und unzählige Türen – aber hinter keiner ein Ausweg. Die Kleidung besteht aus Drillich, Camouflage-Hosen, Militärstiefeln, Feldmützen und ausgeleierten Männerunterhosen – keine Spur von der Armee Glanz und Gloria, die zumindest Klar in ihren Momenten heraufbeschwört.

Horváths Roman erschien 1938, kurz nachdem der Autor auf den Champs Élysées von einem herabstürzenden Ast erschlagen worden war, und wurde von den Nationalsozialisten sofort verboten. Zu offensichtlich war die Kritik an Adolf Hitler und der Unterstützung Francos im Spanischen Bürgerkrieg. Was Horváth will und die Mohr glasklar herauskristallisiert hat, ist ein Warnen vor der Gefahr nationalistischen/nationalsozialistischen Gedankenguts, ein Appell nicht blindlings hohlen Phrasen und politischen Heilsversprechungen zu folgen, sondern nach eigenem besten Wissen und Gewissen zu leben. Dass einen dies alles auch an Putins Angriffskrieg auf die Ukraine erinnert, macht den Abend hochaktuell. Ein Gespenst, nein: ein Wiedergänger geht um in Europa.

Der arbeitslose Ich-Erzähler in Gestalt von Katharina Klar meldet sich also als Freiwilliger, weil’s in der Kaserne eine warme Stube und etwas zu essen gibt. Mit seinem Vater, einem im Ersten Weltkrieg zum Krüppel geschossenen Kellner, „einem Trinkgeldkuli“, hat er sich entzweit, weil er dessen „fades pazifistisches Gesäusel“ nicht mehr ertragen konnte: „Die Generation unserer Väter hat blöden Idealen von Völkerrecht und ewigem Frieden nachgehangen und hat es nicht begriffen, dass sogar in der niederen Tierwelt einer den anderen frisst. Es gibt kein Recht ohne Gewalt. Man soll nicht denken, sondern handeln! Der Krieg ist der Vater aller Dinge.“

„Und ich bin gerne Soldat …“ Bild: © Moritz Schell

Tod des Hauptmanns. Bild: © Moritz Schell

Raus aus dem Lazarett. Bild: © Moritz Schell

Beim Vater und seiner Frau. Bild: © Moritz Schell

Auf dem Jahrmarkt verliebt sich der Soldat noch in „das Fräulein“, Martina Stilp, das an der Kasse zum „Verwunschenen Schloss“ sitzt, doch dann geht’s hopp-hopp in den Einsatz, ein kleines Nachbarland wird angegriffen –  eine sogenannte „Säuberung“. Die Affolter als aufrechter Hauptmann läuft mitten in diesem Überfall dem Freitod in Form eines Maschinengewehrs entgegen, der Soldat will ihn retten, worauf ihm der Arm zerschossen wird. Wechsel zu einer zynischen, nach wie vor das „Untermenschentum“ verachtenden Martina Stilp ins Lazarett, das mit dem Arm wird nichts mehr, nun ist der Soldat ebenfalls ein Kriegsinvalide.

Er bringt der Witwe des Hauptmanns, Susa Meyer, dessen letzten Brief, erhofft sich nach einer Sexnacht vergebens von ihr Protektion für einen Posten mit Pensionsberechtigung, kehrt zum Vater und dessen zweiter Ehefrau zurück: „Es gibt keine Gerechtigkeit, das hab‘ ich jetzt schon heraus. Daran können auch unsere Führer nichts ändern … Wer sagt zu dem einen: Du wirst ein Führer. Zum anderen: Du wirst ein Untermensch. Zum dritten: Du wirst eine dürre stellungslose Verkäuferin. Zum vierten: Du wirst ein Kellner. Zum fünften: Du wirst ein Schweinskopf. Zum sechsten: Du wirst die Witwe eines Hauptmanns. Zum siebten: gib mir deinen Arm … Das kann kein lieber Gott sein, denn die Verteilung ist zu gemein.“

Er geht auf den Rummelplatz. Das „Verwunschene Schloss“ gibt es nicht mehr, „das Fräulein“ hat ein Kind abtreiben lassen, weil die Firma keine schwangeren Angestellten duldet, und sitzt nun im Gefängnis. Der Soldat, der längst begriffen hat, dass sein Vater mit jedem Wort recht hatte, die Gräuel der nationalsozialistischen Diktatur, die Unsinnigkeit des Krieges, begeht im Hass auf die Führer und die Mitläufer, auf den „gesunden Volkskörper“ und „das Vaterland, das seine Ehre verloren hat“ zwei Wahnsinnstaten. Doch eigene Verantwortung am Hurra-Patriotismus und Kadavergehorsam leugnet er bis zum Schluss. Schuld und Schrecken und Verlustlisten und keine Sühne. Der Krieg, er ist ein Entmenschlicher. Sowohl der Opfer als auch der Täter.

Katharina Klar. Bild: © Moritz Schell

Stilp und Affolter. Bild: © Moritz Schell

„Hauptmannswitwe“ Susa Meyer. Bild: © Moritz Schell

Stephanie Mohr führt ihr Ensemble präzise und einfühlsam durch diese Schwerstarbeit, die von ihr destillierten Texte sind so ausdrucksstark wie verheert. Mohr zeigt höchst eindringlich vier starke Frauen als Paraphrase, als Demonstration toxischer Männlichkeit, als würden hier Mütter, Ehefrauen, Schwestern, Töchter anklagen, so sie den Krieg doch nicht verhindern konnten. Und das alles in einem Tempo, das einen atemlos macht. Kein Satz ist in dieser Inszenierung zu viel, jede Minute spannend, jede Verwandlung von Person zu Person bemerkenswert.

Später, auf der Heimfahrt vom Theater, ein Taxifahrer. Man kommt ins Reden, er sagt, er sei vor 27 Jahren nach Österreich gekommen. Aus Bosnien. Aus dem Bosnienkrieg. Und er könne seinem erlernten Beruf nicht mehr nachgehen, weil ein Schrapnell seinen linken Oberschenkel zerfetzt habe. Das Bein sei nun vier Zentimeter kürzer als das rechte. Im Krieg gibt es immer nur Verlierer – und dies seit Generationen bis zu der Generation, die gerade gar nicht so weit der österreichischen Grenzen kämpft.

„Wir sind keine Soldaten mehr, sondern elende Räuber, feige Mörder. Wir kämpfen nicht ehrlich gegen einen Feind, sondern tückisch und niederträchtig gegen Kinder, Weiber und Verwundete“, hat der Hauptmann in seinem Abschiedsbrief geschrieben. – Und der Soldat denkt: „Wie dumm ich war, wie dumm ich war!“

Video: www.youtube.com/watch?v=RQD9ZdqG2rM           www.josefstadt.org

  1. 9. 2022

Kammerspiele: Die Liebe Geld

September 25, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Steht ein Mann beim Bankomat …

Hoffen und Bangen am Bankomat: Roman Schmelzer als Alfred Henrich. Bild: Philine Hofmann

Nur weil wir grad bei dieser Art von „Steht ein Mann beim Bankomat“-Witzen sind: Mein Mann hat’s beim Billa tatsächlich einmal geschafft, so oft einen falschen Code einzutippen, bis die Karte gesperrt war. Na, zum Glück kennen die uns dort, heißt: Lebensmittel beiseite gelegt, und ich wie die Feuerwehr mit Bargeld angerauscht … ach, ich sag’s euch … im Nachhinein kann man über sowas ja lachen … aber mitten in der Situation .. ahja, haha …

Nein, das ist nicht von Daniel Glattauer, c’est à moi, die jüngste Glattauer-Komödie wurde gestern an seinem Stammhaus, den Kammerspielen der Josefstadt, uraufgeführt: „Die Liebe Geld“. Erdacht bevor die Commerzialbank Mattersburg ihren Kunden kein Geld mehr auszahlte, und – Ironie im Abspann – samt Hypo und Wirecard als „Sponsoren“ der umjubelten Premiere angeführt. Steht also ein Mann beim Bankomat, Roman Schmelzer als im Weiteren kräftig gebeutelter Alfred Henrich, und versucht via Geldausgabekastl der DLB –  Die Liebe Bank – an ein paar grüne Scheinchen zu kommen.

Allein, das Unterfangen scheitert, Henrich wendet sich an seine Kundenbetreuerin und muss alle Kalvarienbergstationen eines Kontobesitzers erklimmen, zuletzt die Heilige Treppe ins Bankenchefbüro schon auf den Knien, bis als Dea ex machina die Gattin erscheint. Mit einer Schlusspointe, Pech für Freddy, in Form einer unfrohen Botschaft. Das alles hat die dramatische Dichte eines Simpl-Sketches und derart überdreht wird auch agiert, als stünde der Abend im Zeichen der roten Bulldogge.

Silvia Meisterle, Roman Schmelzer und Michael Dangl. Bild: Philine Hofmann

Meisterle, Schmelzer, Dangl und Stilp. Bild: Philine Hofmann

Roman Schmelzer und Martina Stilp. Bild: Philine Hofmann

Folke Braband hat inszeniert, er und Ausstatter Stephan Dietrich, dazu die Big-Brother-Videos von Philine Hofmann, rücken den Text in die Nähe einer dystopischen Farce, die wie alle guten des Genres ein Spiegelbild des Heute zu sein hat. Ein Glück für das Stück. Menschen wie Maschinen sind so durchgestylt und sleek wie ihre Umgebung klinisch, zwischen Überwachungskamera-Videos und Telefonwarteschleifen-Wahnsinn erwartet man sich noch einiges, doch es kommt: Klischee as Klischee can.

Schmelzer, als Meister der 101 Masken der komischen Verzweiflung, dringt endlich zur scheußlich blondperückten Martina Stilp aka Frau Mag. Drobesch vor, diese so spooky wie eine künstliche Intelligenz, die ihm erklärt, sein Geld sei auf Geschäftsreise, es arbeitet, sei ergo jetzt nicht da und verfügbar. Dieser Schwank eines Gelinkten hält die kommenden eineinhalb Stunden vor: „Ich will mein Geld! – „Das geht aber nicht!“, dekoriert mit ein paar surrealen Limoncello-Momenten und des Geldinstituts misstrauischen Glattauers Panikfloskeln wie „Glaub an dich“, „Dir gehört die Zukunft“, „Wir sind für dich da“.

Soweit das Interview in der aktuellen Bühne, in dem allerdings mehr als über „Die Liebe Geld“, und immer noch hat sich nicht erschlossen, warum es nicht „das“ sein darf, darüber zu erfahren ist, wo und wo nicht Herr Glattauer seine Brille trägt. Zur knitterfreien Teflon-Frau mit Experten-Sprech gesellt sich der Oberboss, Michael Dangl als Dr. Cerny, und er adelt den knappen Text mit seiner Performance als ölig-jovialer Banker-Populist, als Sektenchef der Hochfinanz, der Scientologie-gleich die Allmacht über die ihm in Gelddingen Ausgelieferten hat.

Stilp, Schmelzer und Dangl. Bild: Philine Hofmann

Michael Dangl und Roman Schmelzer. Bild: Philine Hofmann

Dangl, Stilp und Meisterle. Bild: Philine Hofmann

Meisterle, Schmelzer, Stilp und Dangl. Bild: Philine Hofmann

Keine Frage, man sehnt sich nach den Zeiten, als der Bank- noch ein -beamter war, und dessen vornehmste Pflicht die mühsam zusammengerafften Notgroschen in der Sparkasse zu verwalten, doch die Generation Sparefroh ist längst vom Glauben abgefallen und begibt sich in die Fänge teuflischen Gewinn versprechender Fonds- und Aktiengeschäfte, von denen gilt: nichts genaues weiß man nicht, und Dangl ist entfesselt als nestroyianischer Dämon der Geldmafia.

Und dann … auftritt Silvia Meisterle als Öko-Ulli mit hoher Dioptrienzahl und Humana-Outfit, Henrichs naives Weibchen, die auf dem elterlichen, keine Sorge: beide ✞, Dachboden mehr als 100.000 Euro gefunden hat. Nur: Wie sollte des Durchschnittsdeppen Angetraute den Verlockungen des mächtigen Gottseibeiuns widerstehen können? Es wäre unrichtig zu sagen, man hätte nicht kortnerisch gelacht, es wäre unfair nicht zu sagen: Schau’n sie sich das an. Also los geht‘s! Steht ein Mann beim Bankomat …

www.josefstadt.org          Trailer: www.youtube.com/watch?v=i26NubUCzlw

  1. 9. 2020

Theater in der Josefstadt: Einen Jux will er sich machen

Oktober 11, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Johannes Krisch kann herrlich süßholzheucheln

Der Lehrbub steht dem Kommis in nichts nach: Die Josefstadt-Debütanten Johannes Krisch und Julian Valerio Rehrl als Weinberl und Christopherl. Bild: Rita Newman

Das Ereignis der gestrigen Nestroy-Possen-Premiere „Einen Jux will er sich machen“ am Theater in der Josefstadt sind tatsächlich deren drei. Selbstredend das Hausdebüt von Johannes Krisch. Der nach dreißig Jahren Mitgliedschaft am Burgtheater aufgrund von „Altlasten“ und im Sinne der „Selbstachtung“, wie Krisch das Thema im Bühne-Interview kurz abfertigte, nicht länger auf dessen Ensembleliste steht. Und hierauf von Herbert Föttinger herzlichst bewillkommnet wurde.

Und nun an seine erste Rolle im achten Hieb, den Handlungsdiener Weinberl, mit einem verschmitztem Charme und derart viel Wiener Schmäh herangeht, mit einem vor Spielfreude hell brennenden Herzen, dass es die des Publikums im Handumdrehen entflammt. Der Charakterschauspieler ist ein Glück, das man hoffentlich verstehen wird, festzuhalten, nicht nur Vollblutkomödiant, sondern auch einer von der immer seltener werdenden Sorte der Volksschauspieler – wobei diesbezüglich en tout Vienne um die Josefstadt am wenigsten zu fürchten ist. Wie Krisch seinen Midlife-„Greißler“ zum „verfluchten Kerl“ avanciert, wie er dessen verrückte Sehnsucht nach einmal Exzess im Leben anlegt, wie dieser Weinberl bei den folgenden Verstrickungen in Sachen Hochstapelei zur Hochform aufläuft, der eben noch beflissene Kommis, der jetzt prahlt und in seiner Not, entlarvt zu werden, profimäßig improvisiert, wie er vor den Damen süßholzheuchelt, das ist große Kunst.

Um nichts weniger erfreulich, die anderen zwei Neuzugänge: Robert Joseph Bartl, Krimifans bekannt als München-„Tatort“-Gerichtsmediziner Dr. Mathias Steinbrecher, der als Gewürzkrämer Zangler sein ganzes Gewicht in die Figur legt, und als – dieweil ihn sein Hausstaat ohnedies nicht ernst nimmt – strenger Herr mit batzweichem Kern den Zuschauern einen Riesenspaß macht. Ebenso wie Julian Valerio Rehrl, nagelneu aus der Schauspielschule Ernst Busch, der als Lehrling Christopherl zwischen spitzbübisch und panisch schwankt, ersteres in Anwesenheit der Mesdames, zweiteres, wenn er angesichts der Ausweglosigkeit von Situationen am liebsten „o‘fohrn“ möchte.

Mit Rehrl hat Föttinger ein junges Talent entdeckt, das sich mit Verve in seine Aufgaben wirft, seien’s die von der Regie vorgesehenen grobmotorischen Slapstick-Momente, seien’s die choreografisch fein getänzelten Szenen mit Johannes Krisch. An dessen Seite Rehrl grandios besteht, die beiden per ihrer punkgestreiften Hosen als bühnenverwandte Seelen ausgewiesen, und als solche fürs Uptempo der Aufführung zuständig. Diese hat Stephan Müller zu verantworten, der Schweizer Theatermacher, den Krisch noch von seinen „Nothing Special“-Gigs im Burgtheater-Kasino kennt, und der mit dieser Arbeit seinen ersten Nestroy inszeniert.

Marie und ihr Herzensmann August Sonders auf der Flucht: Anna Laimanee und Tobias Reinthaller. Bild: Rita Newman

Das is klassisch! Martin Zauner als Melchior mit Josefstadt-Neuzugang Robert Joseph Bartl als Zangler. Bild: Rita Newman

Für den er gewissermaßen eine kokette Künstlichkeit zur Methode erhebt. Müllers Zugang zum „Jux“ heißt schräg, skurril, schrullig. Was bedeutet, dass er mit dem so leicht ins Lächerliche zu ziehenden Soziotop des städtischen Bürgertums weit mehr anfangen kann, denn mit Nestroys Gesellschaftskritik – die er umschifft, als hätte der „Jux“ in den Charakteren Weinberl und Christopherl kein „Zu ebener Erde“. Nur einmal darf der Kommis über die „Kapitalisierung des Verstandes“ sinnieren, und zweifellos ist die tumultöse Handlung perfekt getimt, werden die Pointen so treffsicher ge-, wie Müller auf punktgenaue Sprache setzt, aber der gfeanzte Subtext, der fiese Sarkasmus, mit dem der Volkstheaterdichter die nicht nur früheren Verhältnisse beschreibt, fehlen.

Müllers Synonym für Posse ist Schwank, nicht Farce, und auch die neuen Coupletstrophen von Autor Thomas Arzt sind ziemlich handzahm, höflicher gesagt: übersubtil, es geht um die Eh-schon-wissen-Themen von Klimakrise über #MeToo bis zum von Krisch im Wortsinn frisch aus dem Hut gezauberten Politstatement „Die rechte Hand in die Höh‘ – das is ganz a blöde Idee.“ Die Musiker, die Krisch begleiten, sind Matthias Jakisic mit der E-Geige und Thomas Hojsa mit dem Akkordeon, deren Interpretation von Alt-Wiener Melodien Protagonist wie Publikum von den diesjährigen Festspielen Gutenstein kennen, wo Krisch in Felix Mitterers „Brüderlein fein“ den Nestroy-Konkurrenten Ferdinand Raimund verkörperte (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34049).

Alles trifft sich im Haus des Fräulein von Blumenblatt: Elfriede Schüsseleder (M.) mit Martina Stilp als Madame Knorr, Robert Joseph Bartl, Paul Matić als Wächter, Anna Laimanee und Alexandra Krismer als Frau von Fischer. Bild: Rita Newman

Für Müllers 130-minütiges kunterbuntes Treiben haben Sophie Lux und Birgit Hutter ein entsprechendes Bühnenbild und Kostüme entworfen, von der in sich geschlossenen Bretter-vorm-Kopf-Welt des Zangler’schen G‘wölbs bis zur grünabgesteppten Gummizelle, die die Wohnung des Fräulein von Blumenblatt markiert. Den Modesalon der Madame Knorr säumen orange-güldene Wolkenstores, in selbem Material und Farben glänzt die Toilette der Couturière und ihrer Busenfreundin Frau von Fischer.

Optische Gustostücke, und wie die gesamte Garderobe von gigantischen Zylindern bis zu Zanglers zu engem Schützenrock grotesk überzeichnete Biedermeierzitate, die mittels Zugband bis zum Juhu gerafft werden können. Was Martina Stilp und Alexandra Krismer, beide festgelegt auf den Typ flatterhafte Funsn, genüsslich wieder und wieder zur Schau stellen. Martin Zauner amüsiert als Hausknecht Melchior unfehlbar „klassisch“ mit seinen Kabinettstückchen, ein wichtigtuerischer Kommentator des Geschehens, der, wo noch keine Verwirrung herrscht, garantiert für diese sorgt. Anna Laimanee und Tobias Reinthaller wissen als Liebespaar Zangler-Mündel Marie und August Sonders, wie man, was sich nicht schickt, auf gewiefte Weise trotzdem durchführen kann.

Von den etlichen, die in mehreren Rollen zu sehen sind, passt Elfriede Schüsseleder als überspannt, überkandideltes Fräulein von Blumenblatt wohl am besten ins Müller’sche Konzept. Für ihre ins Absurde gesteigerte Gestaltung dieser – wie die Knorr gleich ihren Wänden gekleideten – Kunstfigur, davor gibt Schüsseleder Zanglers hantige Wirtschafterin Frau Gertrud, gab’s den gebührenden Applaus, wie Cast und Crew überhaupt mit viel Jubel bedankt wurden. Nach dieser Begeisterung beim Premierenabend scheint’s, als hätte die Josefstadt mit dem „Jux“ einen weiteren Publikumshit zu verbuchen.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=ZqYGG-Z2558           www.josefstadt.org

  1. 10. 2019

Theater in der Josefstadt: Der Besuch der alten Dame

Oktober 20, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Alle Kameras sind auf Güllen gerichtet

Das Fernsehen filmt Claire Zachanassians Ankunft in Güllen: André Pohl, Siegfried Walther, Arwen Hollweg, Andrea Jonasson, Alexandra Krismer und Lukas Spisser. Bild: Herwig Prammer

Breaking News, Live-Schaltungen, Society-Berichterstattung. Ein Imagefilm des Zachanassian-Konzerns und Kinderfotos von dessen Inhaberin. Medienhype wird Medienhatz wird Medienschelte. So will es Regisseur Stephan Müller, der mit seiner Interpretation des Dürrenmatt-Klassikers „Der Besuch der alten Dame“ am Theater in der Josefstadt sein Debüt am Haus gibt. Nur wenige Monate nach der so zeit- wie ereignislosen Inszenierung der Tragiposse am Burgtheater versucht es Müller mit einem Deutlichmachen des Zeitungeists – und reüssiert damit. Lehrt er doch dem bis zum Gehtnichtmehr gesehenen Stück tatsächlich ein paar neue Tricks.

Dabei tut er der heimtückisch lehrreichen Hochkonjunktur-Komödie niemals unrecht, die offenbare Ewiggültigkeit dieser grotesk-bösen Parabel auf die korrumpierende Wirkung von – prognostiziertem -Wohlstand und die darob Krisenanfälligkeit von Rechtsprozessen bleibt unangetastet. Müller dreht die Dürrenmatt’sche Schraube sogar noch fester, bei ihm hat sich der Kapitalismus, dies sehr frei nach Peter Rüedi, demokratisiert, gleichzeitig die Gesellschaft entsolidarisiert. Und zwar ohne viel Steigerungsform, sondern von Anfang an.

Jeder geifert nach seinem Stück vom Kuchen, die Geldgier regiert Güllen – und ergo wird die wichtigste Vertreterin des Systems mit allen Ehren empfangen. Und dank ihres Auftritts sind nun alle Kameras auf Güllen gerichtet. Die meineidigen Kastraten und allerlei anders Surreales hat Müller gestrichen, dafür in seiner Turbo-Bearbeitung die Rolle der „Lästigen“ groß gemacht: Martina Stilp und Alexandra Krismer kommentieren, analysieren, diskutieren als krawallige Fernsehleute mit gekonnter Privatsender-Schnappatmung die Situationen, in die sich die kleingeistigen Kleinstädter mit ihren Machenschaften manövrieren. Auf fünf Monitore wird das übertragen (Bühnenbild und Video: Sophie Lux, sie lässt auf transparenten Screenfronten auch Wald, Scheune und einen Flugzeugstart entstehen), und doch bleibt diese von sensationsgeil zu skandallüstern sich auswachsende Journaille immer irgendwie außen vor, wird mit blödsinnig-banalen Informationsfetzelchen genarrt und vorgeführt und durchschaut nichts. Bis sie am Ende sogar fröhlich das Herzversagen aus Freude frisst.

Spielmacherin in dieser „Schulden, Schuld & Sühne“-Satire ist selbstverständlich Milliardärin Claire Zachanassian, und Grande Dame Andrea Jonasson für die Figur, deren Darstellung sie davor drei Mal ablehnte, eine Idealbesetzung. Die Jonasson changiert wie das ihr von Birgit Hutter angepasste schwarze Designerkleid, zwischen mephistophelisch, mondän, monströs. Sie ist ganz gelassen, stoisch und seelenruhig abwartend und süffisant, die Stimme moduliert sie von gefährlich schmeichlerisch zu scharfzüngig bedrohlich. Dieses ehemalige „Wildkätzchen“ Ills ist ein geschmeidig auf seine Beute lauerndes, gleichzeitig seine Wunde leckendes, denn wie alle Diven hat es eine, Raubtier. Gleich dem Panther, der der Zachanassian noch entlaufen wird.

Wie ein Panther belauert Claire die Bürger: Andrea Jonasson, Oliver Huether, Elfriede Schüsseleder, Alexander Strobele, Michael König, Siegfried Walther und André Pohl. Bild: Herwig Prammer

Aus gefährlich schmeichlerisch wird schnell scharfzüngig bedrohlich: Andrea Jonasson und Michael König. Bild: Herwig Prammer

Sogar ein Volksschulfoto von „Kläri“ und Alfred wird den Journalisten gezeigt: Siegfried Walther, Michael König, Martina Stilp und Michael Würmer. Bild: Herwig Prammer

Den Alfred Ill gibt Michael König zunächst mit dem Image eines gealterten Don Juan, bis seine Verve in wütende Verzweiflung, schließlich in Weltmüdigkeit umschlägt. Sehr schön ist zu sehen, wie diesem einstigen Schwerenöter die Selbstgefälligkeit aus dem Gesicht fällt, filigran, fast jedermännisch gestaltet König dessen Verwandlung vom eitlen Protz zum Leidensmann, ein einstiger Täter, der Opfer wird. Die Güllener Honoratioren, die opportunistischen Speichellecker, die scheinheiligen Moralapostel und Spekulanten mit, schließlich willige Vollstrecker von Ills Tod, verkörpern:

Siegfried Walther als unverschämt manipulativer Bürgermeister, André Pohl, der als Lehrer larmoyant vorgibt, den Humanismus hoch zu halten, von beiden eine Glanzleistung, Johannes Seilern als bigotter Pfarrer, Alexander Strobele als schleimiger Mitläufer-Arzt und Oliver Huether als auf Streit gebürsteter Polizist. Bravourös wird hier vorgeführt, wie schnell Worte Werte ummünzen können.

Witzig auch, wie sich das Ensemble je nach dargestelltem Charakter ein für ihn typisches Verhalten vor der Kamera ausgedacht hat, von augenaufreißend eingeschüchtert – der Lehrer, der Arzt – bis zum belehrend dozierenden Bürgermeister, der es auch nicht verabsäumt, „die Bürger an den Bildschirmen“ zu begrüßen. Lukas Spisser macht aus dem Gatten VII bis IX kleine Kabinettstücke, Markus Kofler ist als Butler ein sinistrer Handlanger seiner Herrin.

Elfriede Schüsseleders Frau Ill ist unterkühlt und verhärmt, dabei unter dieser Oberfläche brodelnd, bis auch sie – samt ihren in der Elternliebe elastischen Kindern: Gioia Osthoff und Tobias Reinthaller – vom Aufschwung etwas mitkriegt. In ihrem Fall ein neues rotes Kleid, während die Konsum-„Gleichschaltung“ allgemein über die berühmten schandfarbig-gelben Schuhe funktioniert.

Auch sprachlich hat Regisseur Müller die Aufführung ins schlagzeilen- und parolengebeutelte Heute geholt, von der dringend notwendigen Aufwertung des Wirtschaftsstandorts Güllen ist die Rede, aus dem Zachanassian-Geld soll in der Vorstellung mancher ein bedingungsloses Grundeinkommen werden, der Lehrer referiert über „abendländische Prinzipien“. Die Lacher hat diesbezüglich Andrea Jonasson auf ihrer Seite, einmal, als sie den Butler anweist, Tesla-Aktion zu kaufen – Zuruf aus dem Publikum: „Jetzt geht sie pleite!“ -, einmal, als sie Claire bei deren x-ter Hochzeit, Ölbarone und Oligarchen als Gäste, verkünden lässt: „Putin kommt nicht.“ Zum Schluss lässt Müller die Ermordung Ills hinterwandfüllend via Video vorführen. Keine Ahnung, warum es ihm wichtig war, die Gewalttat in dieser Drastik vorzuführen. Gebraucht hätte man’s nicht. Man weiß auch so, dass dies eine Welt ist, in der tagtäglich Unbequeme für politische und Industrie-Interessen aus dem Weg geräumt werden.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=gDoFpKBCkWQ

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  1. 10. 2018

Kammerspiele: Der Garderober

April 27, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Souverän im Arbeitsmantel

Garderober Norman und sein schutzbefohlener Star: Martin Zauner und Michael König. Bild: Herwig Prammer

Garderober, das wird einem jeder Bühnenkünstler bestätigen, sind Herz und Seele am Theater. Sie sind es, die Lampenfieber, Vor-Premieren-Verzweiflung und auch die eine oder andere Selbstsucht souverän schultern, und ihren Schützling schließlich wohlangetan und wohlbehütet an die Rampe stellen. Der genialische Dramatiker und Drehbuchautor Ronald Harwood hat diesem ehrwürdigen, in Programmheften allerdings unbedanktem Berufsstand ein ganzes Stück gewidmet.

An den Kammerspielen der Josefstadt ist nun Martin Zauner „Der Garderober“ – und er ist ein Souverän im Arbeitsmantel. Cesare Lievi hat mit gewohnt einfühlsamer Hand inszeniert, er lässt seinen Schauspielern den Raum, den sie brauchen und auch nutzen. Michael König gibt den Sir, changiert dabei zwischen hochfahrend und zutiefst versponnen, erst erschöpft und verstört, dann wieder seine Befehle munter bellend, eine Glanzleistung, wie er da mit langer Unterhose und Lesebrille an einen anderen Großen erinnert, der tatsächlich ein König Lear von schmerzender Heiterkeit war. Einen ebensolchen soll der Sir spielen, nur ist er in einer Schaffenskrise, ein Mann, nicht mehr nur am Rande des Nervenzusammenbruchs, doch die Show muss weitergehen, die Tournee muss brummen. Während, wie drinnen Theaterblitz und -donner, draußen The Blitz tobt.

Harwood hat für seine Tragikömodie eigene Erfahrungen als Garderober des britischen Charakterdarstellers und Leiter einer Shakespeare-Company Sir Donald Wolfit verarbeitet, seinen Text zum einerseits Psychoduell für zwei große Mimen, andererseits Hommage an die Menschen gemacht, die nichts mehr lieben, als die Bretter, die ihnen die Welt bedeutet. Wie Norman, der alles versucht, um seinen ausgebrannten Star doch noch auf die Bühne zu bringen. Zauner stattet seine Figur mit einer von Brandy beflügelten Unerschütterlichkeit aus. Immer gewitzter Therapeut, niemals nur ein Diener, spielt er einen, der den Mächtigen zu nehmen und zu gängeln weiß. Und dabei die Herrschaftsverhältnisse umdreht.

Spielt einen Lear wie anno dazumal: Michael König mit Martina Stilp. Bild: Herwig Prammer

Norman zügelt das Jungtalent: Martin Zauner mit Swintha Gersthofer. Bild: Herwig Prammer

Die anderen Schauspieler, die Inspizientin weiß er zu beschwichtigen und zu beruhigen. Alles wird gut werden! Und wiewohl’s nicht leicht scheint, im Match Zauner vs König Position zu beziehen, brillieren Martina Stilp als desillusionierte, das Theater endlich an den Nagel hängen wollende Milady und Elfriede Schüsseleder als lebenslang liebende Madge. Wobei ihre Zugeigung vor allem dem Protagonisten der Truppe gilt. Swintha Gersthofer ist ein neckisches Jungtalent Irene, das den alternden Chef um den Finger wickeln will. Alexander Strobele und Woja van Brouwer haben ihre Momente als Thornton, der als Lears Narr zu neuer darstellerischer Größe avanciert, und als störrischer „Bolschewik“ Oxenby.

Mit seinem Abend jedenfalls wird Lievi den Kammerspielen den nächsten Publikumserfolg einfahren. Wunderbar Szenen, die hinter eine Theaterwelt der 1940er-Jahre blicken lassen – die Regie verzichtet auf Modernisierungen -, großartig, wie der König einen Lear im vollen Ornat und mit aufgemalter Maske gibt, wie man ihn wohl heute nicht mehr machen würde. Allein der Schluss gerät Lievi ein wenig langatmig, hier dürfte er das Tempo ruhig ein wenig anziehen. Dies ein Jammern auf höchstem Niveau für eine ansonsten rundum geglückte Aufführung.

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=3&v=hwtZm-8tBuQ

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  1. 4. 2018