Filmmuseum: Let’s Spend the Night Together

Juni 26, 2022 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Musikfilme aus den Jahren 1908 bis 2021

The Rolling Stones: Let’s Spend the Night Together, 1982, Hal Ashby, Bild: © Filmarchiv Austria

Lange musste das Publikum in den vergangenen zwei Jahren aufs Kino, aber noch länger auf Konzerte, Tanz- und Musikveranstaltungen verzichten, und das, obwohl es Musik auf eine einzigartige Art und Weise schafft zu bewegen, die Körper und Herzen der Menschen im selben Rhythmus schwingen zu lassen und über alle Sprachbarrieren hinweg Kulturen zu verbinden. Das Österreichische Filmmuseum widmet deshalb sein diesjähriges Sommerprogramm von 1. Juli bis 7. August der universellen Magie von Musikfilmen.

Mit Dokumentarfilmen zu Personen, Persönlichkeiten und Ikonen der Musikgeschichte wie „U2: Rattle and Hum“ (US 1988), „Let’s Spend the Night Together“ (US 1982) über die Rolling Stones, „Madonna: Truth or Dare“ (US 1991), „Jimi Hendrix“ (US 1973) oder „Metallica: Some Kind of Monster“ (US 2004) sowie Musical-Klassikern wie“Singin’ in the Rain“ (US 1952) oder „Gentlemen Prefer Blondes “ (US 1973) mit Marilyn Monroe zeigt das Österreichische Filmmuseum  Filme aus eigener Sammlung, die die Festivalsaison hochleben lassen und jedes Film- und Musikfreakherz aus dem Ruhemodus bringen werden.

Metallica: Some Kind of Monster, 2004, Joe Berlinger, Bruce Sinofsky. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

Madonna: Truth or Dare, 1991, Alek Keshishian. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

The Beatles: A Hard Day’s Night, 1964, Richard Lester. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

Buena Vista Social Club, 1999, Wim Wenders, Bild: Filmarchiv Austria

Singin‘ in the Rain, 1952, Gene Kelly, Stanley Donen, Bild: Deutsche Kinemathek

Fred Astaire und Ginger Rogers: Swing Time, 1936, George Stevens. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

Weitere Highlights aus dem Programm

„Buena Vista Social Club“ von Wim Wenders 1999, „Chuck Berry – Hail! Hail! Rock ’n‘ Roll“ von Taylor Hackford 1987, „Die 3-Groschen-Oper“ von G. W. Pabst 1931, „The Beatles: Gimme Shelter“ von Albert und David Maysles 1970, „Meet Me In St. Louis“ von Vincente Minnelli mit Judy Garland 1944, „On connaît la chanson“ von Alain Resnais mit Jane Birkin 1997, und last, bust not least: „Rust Never Sleeps“ von und mit Neil Young 1979.

Films You Cannot See Elsewhere. Amos-Vogel-Atlas 9: Sound & Vision

Parallel zum Musikfilm-Sommerprogramm widmet sich am 21. und 22. Juli auch der Amos-Vogel-Atlas der filmischen Beschäftigung mit Musik, legt den Schwerpunkt aber auf die kurze Form. Denn gerade im Kurzfilmbereich sind in der Filmmuseum-Sammlung selten gezeigte Kleinodien mit unterschiedlichsten Arten von Musikbezug zu finden: Die Bandbreite reicht vom ultrararen ersten Dokument der Band Velvet Underground beim Proben bis zu Meisterwerken des Avantgardekinos, die ihrer Bilderstürmerei durch Verwendung von Pop oder klassischer Musik zusätzliche Dimensionen verleihen (wie Warren Sonberts „Friendly Witness“); von Animationskomödien (ob entfesselte Opernparodie bei Chuck Jones oder minimalistische Merkwürdigkeit bei Nicolas Mahler) bis zum ungewöhnlichen Musikvideo.

Der Ball, 1982, Ulrich Seidl. Bild: © Ulrich Seidl Film Produktion

Happy End, 1982, Peter Tscherkassky. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

Invocation of My Demon Brohter, 1969, Kenneth Anger. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

Suspiria, 1977, Dario Argento. Bild: © Österreichisches Filmmuseum

Dieses weitere Kapitel des Vogel-Atlasses versucht ganz im Sinne seines Namensgebers, völlig verschiedenartigen Zugänge zusammenzubringen: als konzisen Überblick der reichen kinematografischen Möglichkeiten, mit Musik umzugehen, aber auch als herausfordernde Gegenüberstellung von völlig gegensätzlichen Arbeitsmethoden. Vom politischen Einsatz und den Projektionswirkungen der Musik in den Transatlantischen Beziehungen“ des ersten Programms bis zu ihrer Verwendung als gleichwertiges Gestaltungsmittel für einen rauschhaften audiovisuellen Horror-Trip in Dario Argentos „Suspiria“ – der als abendfüllender Spielfilm nochmal eine ganz andere Perspektive bietet.

www.filmmuseum.at

26. 6. 2022

Academy Awards Streaming: Sound of Metal

März 20, 2021 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Gehörlosendrama ist nominiert für sechs Oscars

Bei einem Gig bemerkt Ruben, dass er sein Gehör verliert: Riz Ahmed. Bild: © Amazon Studios

Bis dato war es vor allem Darsteller Paul Raci der eine der bisher verliehenen dreizehn Auszeichnungen einheimste. Nun ist das beim Filmstart noch als Geheimtipp gehandelte Gehörlosendrama „The Sound of Metal“, für das sich die Amazon Studios schon 2019 beim Toronto International Film Festival die Rechte sicherten, für sechs Academy Awards 2021 nominiert.

Und zwar in den Oscar-Kategorien: Bester Film, Riz Ahmed als Bester Hauptdarsteller, einmal mehr Paul Raci als Bester Nebendarsteller, Regisseur Darius Marder, Bruder und Mitautor Abraham Marder und Derek Cianfrance fürs Beste Originaldrehbuch, Mikkel E.G. Nielsen für den Besten Schnitt sowie Nicolas Becker, Phillip Bladh und Team für den Besten Ton. Hier nochmal die Filmrezension vom Jänner:

Gottes vergessener Schlagzeuger

Seit Jänner streamt Amazon auch in Österreich das Filmdrama „Sound of Metal“, das als bereits zehnte Auszeichnung am 9. Jänner von der National Society of Film Critics mit dem Nebendarstellerpreis für Paul Raci bedacht wurde, und sowohl von der Variety als auch von Awards Daily für die Oscars hoch gehandelt wird, und zwar neben Paul Raci auch Hauptdarsteller Riz Ahmed für den Best-Actor-Goldjungen. Ahmed, britischer Schauspieler, MC und Musiker mit pakistanischem Background, im Kino zuletzt zu sehen als Bösewicht-Wissenschaftler Dr. Drake/Riot in „Venom“, schlüpft in die Rolle des Ruben Stone.

Dieser Drummer eines Sludge-Duos, dessen Sängerin Lou, Olivia Cooke, auch seine Freundin ist. Im Wohnmobil fahren die beiden von Gig zu Gig – loud and proud, bis Ruben während eines Soundchecks, wo’s wie üblich was auf die Ohren gibt, erst ein schrilles Kreischen, dann wie durch Watte, dann gar nichts mehr hört. Ein Schlagzeuger-Schicksal, das Ruben mit Kollegen von Phil Collins bis Lars Ulrich teilt.

„Sound of Metal“ erzählt keine Sid-and-Nancy-Story, im Van sind Schmusesongs und Smoothies angesagt, der seit vier Jahren cleane Fixer und die ehemalige Ritzerin sind Familie, ihre Beziehung ist eine fragile, in der die Furcht vor den eigenen Abgründen mit einer berührenden Zärtlichkeit überbrückt wird. Und nun das! Ahmed zeigt’s ganz fabelhaft, die Angst und das Unverständnis in Rubens Augen, alle Geräusche gedämpft wie unter Wasser, unter der Dusche, hinter seiner Instrumenten-Batterie, im Drugstore, dessen Apotheker ihn zum Arzt schickt. Unvorstellbar, wie es sein muss, sich selbst nicht mehr sprechen zu hören, doch Riz Ahmed stellt dies Gefühl, für das man ihm beim Dreh sogenanntes „weißes Rauschen“ ins Gehör übertrug, höchst authentisch dar.

Regisseur Darius Marder und „Gravity“-Tonkünstler Nicolas Becker entwickelten dies Sounddesign in einem schalltoten Raum, Marder, der gemeinsam mit Bruder Abraham auch das Drehbuch schrieb, und dieser wiederum mit Becker die Filmmusik, Becker, der für Riz‘ Ruben eine Klangkulisse schuf, die die Zuschauerin, den Zuschauer komplett in Rubens Kopf versetzt. Heißt: man hört, wie Ruben hört – Hitchcock nannte dies den „Subjektiven Klang“, mit dem der Großmeister gelegentlich experimentierte. Das Ganze kommt mit Untertiteln, da Marder seinen Film von einem hörenden wie gehörlosen Publikum erlebt haben will.

Paul Raci als Joe. Bild: © Amazon Studios

Joes Wohngruppe: Paul Raci (M.). Bild: © Amazon Studios

Lauren Ridloff als Lehrerin Diane. Bild: © Amazon Studios

Schlagzeugunterricht: Riz Ahmed. Bild: © Amazon Studios

Beim HNO erfährt Ruben von der Möglichkeit eines Cochlea-Implantats, ein System mit Mikrofon und Signalprozessor, das den Hörnerv direkt mit dem Gehirn verbindet, doch die Kosten dafür sind unerschwinglich. Also checkt Lou für Ruben, der sich in den ersten vier der fünf Phasen der Trauer einigelt – Leugnen, Wut, Feilschen, Depression -, einen Platz in einer Gehörlosen-Wohngemeinschaft, die auf Suchtkranke spezialisiert ist. Während sie zu ihrem Vater fährt, Mathieu Amalric in einer Gastrolle, damit Ruben sich auf seine geänderte Situation fokussieren kann.

So will es auch der Leiter der Einrichtung, der trockene Alkoholiker und Vietnam-Veteran Joe, der sein Gehör im Krieg verloren hat: Auftritt Paul Raci, der 73-jährige Schauspieler, ein „CODA“, ein Kind gehörloser Eltern, der wie seine drei Geschwister als erste Sprache die American Sign Language lernte, ist als Joe eine harte, aber herzliche Vaterfigur, der seine Junkie-Schützlinge auf Trab hält und mit nicht immer sanftem Nachdruck auf den rechten Weg bringt.

Rubens Verbitterung auf alle und alles stößt beim Lippenleser auf im Wortsinn taube Ohren, man suche hier Lösungen fürs Gehirn, nicht fürs Gehör, bescheidet er dem ständig wie unter Strom stehenden Neuankömmling und dass dieser keinen „Moment der Stille“ in sich habe, und Ahmed verkörpert mit unterschiedlich hoch kochenden Emotionen, wie verloren ein Mensch sich fühlen kann. Weil ihm ohne seine Drums, die Musik der Rausch, der das Rauschgift ersetzte, ein Ventil fehlt, um seine inneren Dämonen auszutreiben, weil er ohne Kenntnis der Gebärdensprache natürlich zum Außenseiter der Gruppe wird, alldieweil ihm am Gesicht abzulesen ist, wie saudämlich er das wilde Gestikulieren um sich herum findet.

Dies eine der besten Szenen des Films: Ruben, um jedes Kommunikationsmittel gebracht – Hörende schreit er an: „Ich verstehe Sie nicht! Ich bin taub! Schreiben Sie es mir auf! -, inmitten der Abendbrotgesellschaft, die sich ausgelassen und herzhaft lachend unterhält, man selbst übers „Tischgespräch“ ebenso ahnungs- und verständnislos wie Ruben, da schneidet Nicolas Becker den Ton plötzlich von gehörlos auf hörend, eine kurze Einblendung des Lärms rund um die Tafel, ein Klopfen, ein Geschirrklappern, ein Remmidemmi. Eindrucksvoll überblendet Becker so beide Welten.

Olivia Cooke als Bühnen-Lou. Bild: © Amazon Studios

Olivia Cooke als Lou privat. Bild: © Amazon Studios

Ruben mit Implantat: Riz Ahmed. Bild: © Amazon Studios

Mathieu Amalric spielt Lous Vater. Bild: © Amazon Studios

Joe schickt Ruben zum Lernen in eine seiner Gruppe angeschlossene Schulklasse mit tauben Teenagern. Die gehörlose Schauspielerin Lauren Ridloff, bekannt aus „The Walking Dead“ und 2018 am Broadway in der Hauptrolle von „Gottes vergessene Kinder“ zu sehen, spielt deren Lehrerin Diane. Die Kinder fangen Rubens Absturz auf, bald hält er einen Drummer-Grundkurs, auf Plastikkübeln zur besseren Übertragung der Schwingungen, und wird zum „Teenie-Star“. Joe bietet ihm an als eine Art Lehrkraft zu bleiben, doch Ruben, innerlich immer noch voll trotzigen Grolls, verkauft von Mischpult bis Wohnmobil alles, um sich die Cochlea-OP endlich leisten zu können.

Worauf Joe ihn bitten muss zu gehen, da Ruben sein erstes Gebot, dass Taubheit nichts sei, das man „reparieren“ müsse, gebrochen habe. Die Redensart vom alten Leben, das einer nicht loslassen könne – Jage nicht dem hinterher, was du verloren hast, sondern schätze, was du noch besitzt!, kommt einem in den Sinn, und in Regelverletzter Rubens Augen spiegelt sich seine neuerliche Verletztheit. Einen ernüchternden Abstecher zu Lou und ihrem Vater später, sieht man ihn auf einer Parkbank sitzen, auch die Leistung des Implantats ist ernüchternd, die Stimmen zu un-, Lärm dafür überdeutlich.

In Summe klingt’s wie ein Radio im Sendersuchlauf, echoartig, irritierend metallisch und schmerzlich fehlerhaft, wodurch der Filmtitel „Sound of Metal“ von der Musik bis zu den verzerrten Tönen des Fremdkörpers Hörgerät auf einmal doppeldeutig wird. Doch Ruben wird ihn finden, den von Joe anempfohlenen Moment. In der Ruhe liegt die Kraft. „Sound of Metal“ besticht nicht nur durch seine Darsteller, allen voran der fulminante Paul Raci und Riz Ahmed, zum Glück mal nicht als Terrorist oder Terrorverdächtiger, der mit seiner sensationellen, gnadenlos glaubwürdigen, intensiven und zugleich zutiefst unsentimentalen Performance das Publikum in seinen Bann zieht.

Sondern auch mit seiner komplexen Klanglandschaft, in der etwa nach einer exzessiven Bühnenshow jene jedem Rockkonzertbesucher bekannte absolute Stille des Boxen-Stopps mitschwingt, die Marders Spielfilmdebüt zu einem hypnotisierenden Erlebnis werden lässt. Und last, but not least ermuntert „Sound of Metal“ auch zu mehr Offenheit gegenüber den Mitmenschen, zu mehr Bewusstsein und Empathie füreinander, losgelöst von jeglichen Normen und Erwartungen. Erstveröffentlichung: www.mottingers-meinung.at/?p=44091

Trailer: www.youtube.com/watch?v=VFOrGkAvjAE           www.amazon.de

20. 3. 2021

Streaming: Riz Ahmed im Oscar-Favorit „Sound of Metal“

Januar 12, 2021 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Gottes vergessener Schlagzeuger

Bei einem Gig bemerkt Ruben, dass er sein Gehör verliert: Riz Ahmed. Bild: © Amazon Studios

Seit einigen Tagen streamt Amazon auch in Österreich das Filmdrama „Sound of Metal“, das als bereits zehnte Auszeichnung am 9. Jänner von der National Society of Film Critics mit dem Nebendarstellerpreis für Paul Raci bedacht wurde, und sowohl von der Variety als auch von Awards Daily für die Oscars hoch gehandelt wird, und zwar neben Paul Raci auch Hauptdarsteller Riz

Ahmed für den Best-Actor-Goldjungen. Ahmed, britischer Schauspieler, MC und Musiker mit pakistanischem Background, im Kino zuletzt zu sehen als Bösewicht-Wissenschaftler Dr. Drake/Riot in „Venom“, schlüpft in die Rolle des Ruben Stone. Dieser Drummer eines Sludge-Duos, dessen Sängerin Lou, Olivia Cooke, auch seine Freundin ist. Im Wohnmobil fahren die beiden von Gig zu Gig – loud and proud, bis Ruben während eines Soundchecks, wo’s wie üblich was auf die Ohren gibt, erst ein schrilles Kreischen, dann wie durch Watte, dann gar nichts mehr hört. Ein Schlagzeuger-Schicksal, das Ruben mit Kollegen von Phil Collins bis Lars Ulrich teilt.

„Sound of Metal“ erzählt keine Sid-and-Nancy-Story, im Van sind Schmusesongs und Smoothies angesagt, der seit vier Jahren cleane Fixer und die ehemalige Ritzerin sind Familie, ihre Beziehung ist eine fragile, in der die Furcht vor den eigenen Abgründen mit einer berührenden Zärtlichkeit überbrückt wird. Und nun das! Ahmed zeigt’s ganz fabelhaft, die Angst und das Unverständnis in Rubens Augen, alle Geräusche gedämpft wie unter Wasser, unter der Dusche, hinter seiner Instrumenten-Batterie, im Drugstore, dessen Apotheker ihn zum Arzt schickt. Unvorstellbar, wie es sein muss, sich selbst nicht mehr sprechen zu hören, doch Riz Ahmed stellt dies Gefühl, für das man ihm beim Dreh sogenanntes „weißes Rauschen“ ins Gehör übertrug, höchst authentisch dar.

Regisseur Darius Mader und „Gravity“-Tonkünstler Nicolas Becker entwickelten dies Sounddesign in einem schalltoten Raum, Mader, der gemeinsam mit Bruder Abraham auch das Drehbuch schrieb, und dieser wiederum mit Becker die Filmmusik, Becker, der für Riz‘ Ruben eine Klangkulisse schuf, die die Zuschauerin, den Zuschauer komplett in Rubens Kopf versetzt. Heißt: man hört, wie Ruben hört – Hitchcock nannte dies den „Subjektiven Klang“, mit dem der Großmeister gelegentlich experimentierte. Das Ganze kommt mit Untertiteln, da Mader seinen Film von einem hörenden wie gehörlosen Publikum erlebt haben will.

Beim HNO erfährt Ruben von der Möglichkeit eines Cochlea-Implantats, ein System mit Mikrofon und Signalprozessor, das den Hörnerv direkt mit dem Gehirn verbindet, doch die Kosten dafür sind unerschwinglich. Also checkt Lou für Ruben, der sich in den ersten vier der fünf Phasen der Trauer einigelt – Leugnen, Wut, Feilschen, Depression -, einen Platz in einer Gehörlosen-Wohngemeinschaft, die auf Suchtkranke spezialisiert ist. Während sie zu ihrem Vater fährt, Mathieu Amalric in einer Gastrolle, damit Ruben sich auf seine geänderte Situation fokussieren kann.

Paul Raci als Joe. Bild: © Amazon Studios

Joes Wohngruppe: Paul Raci (M.). Bild: © Amazon Studios

Schlagzeugunterricht: Riz Ahmed. Bild: © Amazon Studios

Lauren Ridloff als Lehrerin Diane. Bild: © Amazon Studios

So will es auch der Leiter der Einrichtung, der trockene Alkoholiker und Vietnam-Veteran Joe, der sein Gehör im Krieg verloren hat: Auftritt Paul Raci, der 73-jährige Schauspieler, ein „CODA“, ein Kind gehörloser Eltern, der wie seine drei Geschwister als erste Sprache die American Sign Language lernte, ist als Joe eine harte, aber herzliche Vaterfigur, der seine Junkie-Schützlinge auf Trab hält und mit nicht immer sanftem Nachdruck auf den rechten Weg bringt.

Rubens Verbitterung auf alle und alles stößt beim Lippenleser auf im Wortsinn taube Ohren, man suche hier Lösungen fürs Gehirn, nicht fürs Gehör, bescheidet er dem ständig wie unter Strom stehenden Neuankömmling und dass dieser keinen „Moment der Stille“ in sich habe, und Ahmed verkörpert mit unterschiedlich hoch kochenden Emotionen, wie verloren ein Mensch sich fühlen kann. Weil ihm ohne seine Drums, die Musik der Rausch, der das Rauschgift ersetzte, ein Ventil fehlt, um seine inneren Dämonen auszutreiben, weil er ohne Kenntnis der Gebärdensprache natürlich zum Außenseiter der Gruppe wird, alldieweil ihm am Gesicht abzulesen ist, wie saudämlich er das wilde Gestikulieren um sich herum findet.

Dies eine der besten Szenen des Films: Ruben, um jedes Kommunikationsmittel gebracht – Hörende schreit er an: „Ich verstehe Sie nicht! Ich bin taub! Schreiben Sie es mir auf! -, inmitten der Abendbrotgesellschaft, die sich ausgelassen und herzhaft lachend unterhält, man selbst übers „Tischgespräch“ ebenso ahnungs- und verständnislos wie Ruben, da schneidet Nicolas Becker den Ton plötzlich von gehörlos auf hörend, eine kurze Einblendung des Lärms rund um die Tafel, ein Klopfen, ein Geschirrklappern, ein Remmidemmi. Eindrucksvoll überblendet Becker so beide Welten.

Olivia Cooke als Bühnen-Lou. Bild: © Amazon Studios

Olivia Cooke als Lou privat. Bild: © Amazon Studios

Ruben mit Implantat: Riz Ahmed. Bild: © Amazon Studios

Mathieu Amalric spielt Lous Vater. Bild: © Amazon Studios

Joe schickt Ruben zum Lernen in eine seiner Gruppe angeschlossene Schulklasse mit tauben Teenagern. Die gehörlose Schauspielerin Lauren Ridloff, bekannt aus „The Walking Dead“ und 2018 am Broadway in der Hauptrolle von „Gottes vergessene Kinder“ zu sehen, spielt deren Lehrerin Diane. Die Kinder fangen Rubens Absturz auf, bald hält er einen Drummer-Grundkurs, auf Plastikkübeln zur besseren Übertragung der Schwingungen, und wird zum „Teenie-Star“. Joe bietet ihm an als eine Art Lehrkraft zu bleiben, doch Ruben, innerlich immer noch voll trotzigen Grolls, verkauft von Mischpult bis Wohnmobil alles, um sich die Cochlea-OP endlich leisten zu können.

Worauf Joe ihn bitten muss zu gehen, da Ruben sein erstes Gebot, dass Taubheit nichts sei, das man „reparieren“ müsse, gebrochen habe. Die Redensart vom alten Leben, das einer nicht loslassen könne – Jage nicht dem hinterher, was du verloren hast, sondern schätze, was du noch besitzt!, kommt einem in den Sinn, und in Regelverletzter Rubens Augen spiegelt sich seine neuerliche Verletztheit. Einen ernüchternden Abstecher zu Lou und ihrem Vater später, sieht man ihn auf einer Parkbank sitzen, auch die Leistung des Implantats ist ernüchternd, die Stimmen zu un-, Lärm dafür überdeutlich.

In Summe klingt’s wie ein Radio im Sendersuchlauf, echoartig, irritierend metallisch und schmerzlich fehlerhaft, wodurch der Filmtitel „Sound of Metal“ von der Musik bis zu den verzerrten Tönen des Fremdkörpers Hörgerät auf einmal doppeldeutig wird. Doch Ruben wird ihn finden, den von Joe anempfohlenen Moment. In der Ruhe liegt die Kraft. „Sound of Metal“ besticht nicht nur durch seine Darsteller, allen voran der fulminante Paul Raci und Riz Ahmed, zum Glück mal nicht als Terrorist oder Terrorverdächtiger, der mit seiner sensationellen, gnadenlos glaubwürdigen, intensiven und zugleich zutiefst unsentimentalen Performance das Publikum in seinen Bann zieht.

Sondern auch mit seiner komplexen Klanglandschaft, in der etwa nach einer exzessiven Bühnenshow jene jedem Rockkonzertbesucher bekannte absolute Stille des Boxen-Stopps mitschwingt, die Marders Spielfilmdebüt zu einem hypnotisierenden Erlebnis werden lässt. Und last, but not least ermuntert „Sound of Metal“ auch zu mehr Offenheit gegenüber den Mitmenschen, zu mehr Bewusstsein und Empathie füreinander, losgelöst von jeglichen Normen und Erwartungen.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=VFOrGkAvjAE           www.amazon.de

  1. 1. 2021

Jüdisches Museum Wien: Stars of David

April 8, 2016 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Jüdisch sein rockt! Der Sound des 20. Jahrhunderts

Kiss. Bild: © Kiss/Epicrights

Kiss mit Gene Simmons und Paul Stanley. Bild: © Kiss/Epicrights

Barbra Streisand, Bob Dylan, Billy Joel, Neil Diamond, Amy Winehouse, Paul Simon, Leonard Cohen, Lou Reed oder Matisyahu, das sind nur einige Namen von Künstlerinnern und Künstlern, die Musikgeschichte geschrieben haben. Die heimliche Hymne der USA, „God Bless America“, aber auch „White Christmas“ stammen von Irving Berlin, einem Sohn jüdischer Einwanderer aus Weißrussland. Mit einem Wort: Jüdische Musikerinnen und Musiker prägen das Musikbusiness des 20. und 21. Jahrhundert.

Die Ausstellung „Stars of David“, ab 13. April im Jüdischen Museum Wien zu sehen, thematisiert das in unterschiedlichen Genres, porträtiert die Musiker und geht zurück bis in die Zeit der k.u.k.-Monarchie, wo wesentliche Wurzeln dieser Geschichte zu finden sind.

Am Beginn des 20. Jahrhunderts gab es eine wechselseitige Beeinflussung der Unterhaltungsmusik in den USA und in Europa: Die europäischen Immigranten brachten ihre musikalischen Traditionen nach Amerika und die amerikanische Musik fand Eingang in die europäische Unterhaltungskultur.

Erst durch die Emigration vieler jüdischer Künstler aus Europa in der Zeit des Nationalsozialismus hat sich nach 1945 die kreative Innovation eindeutig in den angloamerikanischen Raum verschoben, da die meisten in Hollywood erfolgreichen Emigranten nicht nach Europa zurückkehrten. Ihre Musik ist wieder nach Europa zurückgekehrt – und zwar mit allen Genres vom Musical, über die Filmmusik bis hin zu Jazz, Rock und Pop.

Amy Winehouse. Bild: © Universal

Amy Winehouse. Bild: © Universal

Bob Dylan. Bild: mottingers-meinung.at

Bob Dylan. Bild: mottingers-meinung.at

Die Ausstellung zeigt dies anhand der wichtigsten Erfinder und Interpreten: Musical-Komponisten von George Gershwin über Jerome Kern bis zu Leonard Bernstein und Stephen Sondheim landeten Kassenschlager am Broadway oder in Hollywood und schufen Klassiker der Filmmusik, viele wurden mit Oscars und Grammys ausgezeichnet. Vor allem im Jazz avancierten jüdische Musiker wie Benny Goodman, Artie Shaw, Stan Getz oder John Zorn zu Szene-Ikonen.

In Rock und Pop, in Punk und Rap stachen Gruppen wie „Kiss“ durch Paul Stanley und Gene Simmons, „The Ramones“ mit Bandgründer Tommy und die „Beastie Boys“ hervor. Neben den internationalen Stars werden die israelische, französische und Wiener Szene beleuchtet: Von Serge Gainsbourg bis hin zu den „Sabres“ um Edek Bartz, „Geduldig und Thiman“ oder Arik und Timna Brauer. Zur von Marcus G. Patka und Alfred Stalzer kuratierten Ausstellung werden jede Menge Zusatzprogramme und Events angeboten.

www.jmw.at

Wien, 8. 4. 2016