Volkstheater online: Schuld & Söhne

April 24, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Demonstration eines Dystopien-Durcheinanders

Jeder für sich, aber alle gegen alles: Dominik Warta, Claudia Sabitzer, Katharina Klar und Nils Hohenhövel. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Anna Badoras Volkstheater-Team verabschiedet sich #Corona-bedingt mit einem virtuellen Spielplan, den Highlights aus den vergangenen fünf Jahren (die Produktionen im Einzelnen: www.mottingers-meinung.at/?p=38809), und dieses Wochenende sind die drei Inszenierungen von Christine Eder dran. Heute noch bis 18 Uhr „Schuld & Söhne“, im Anschluss bis Samstagabend „Verteidigung der Demokratie“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=30133).

Danach bis inklusive Sonntagabend und wieder am 1. Mai „Alles Walzer, alles brennt“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=23477) – kostenlos zu streamen auf www.volkstheater.at. „Klimatragödie mit Musik“ nennen Eder und Eva „Gustav“ Jantschitsch ihre dritte Kooperation, Thema ist ergo die bereits gewesene Katastrophe, nach der sich ein Trupp mitteleuropäischer Klimaflüchtlinge auf einer Farm verschanzt hat. Ihr Durchbrennen vor sengender Sonne, Rohstoffknappheit und Sauerstoffmangel passt zur überhitzten Spielweise des Ensembles – Nils Hohenhövel, Evi Kehrstephan, Katharina Klar, Christoph Rothenbuchner, Claudia Sabitzer und Dominik Warta gerieren sich als ideale Gesellschaft.

Und das nicht nur, was Energieverbrauch und Aufgabenteilung betrifft. Im Wortsinn „demonstriert“ wird eine Sozialidylle, in der Warta mit seinem Morgengebet an Göttin Gaia den „Teilen, Schützen, Wertschätzen, Schonen“-Sektenführer gibt, und die Sabitzer eine Art Urmutter Courage. Doch dass was faul ist im Öko-Staat, wird deutlich als sich Bernhard Dechant als „Neuer“ einstellt, und – einer mehr ist manchem einer zu viel – sofort Ressourcenpanik ausbricht. War bereits bisher das Duschen auf einmal wöchentlich und der Toilettengang auf gar nur einmal täglich beschränkt, wird Dechant nun zum sprichwörtlichen Zünglein an der Wasserwaage.

Das alles hätte einen hübschen Plot ergeben, die Migrantenflut aus den glühenden Metropolen ante portas, die Angst vor deren Rauben und Brandschatzen, die Selbstbewaffnung mit Knüppeln, die selbsternannte Erste als Zerrspiegelbild der von ihr so genannten Dritten Welt, und die Frage, wie man in unzivilisierten Zeiten zivilisiert bleiben kann. Aber Eder stülpt nicht nur ihrem Schutzhaus zur unsicheren Zukunft einen Plastiksturz über, sondern auch einem irgend Inhalt.

Bernhard Dechant. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Nils Hohenhövel und Katharina Klar. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Thomas Frank. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Alles was geht an Sub und Meta wird an den Text gepappt, kein heißes Eisen ausgelassen, Geschlechterrollen, Klarnamenpflicht, Geschichtsklitterung, Social-Media-Bashing ist sowieso ein Must, Armut, Ausländer, Kritik an den Ärzten ohne Grenzen, global, legal, scheißegal … „Schuld & Söhne“ ist ein post-/apokalyptisches Allerlei, ein Dystopien-Durcheinander, ein More-of-the-same-Möbiusband, und harte Arbeit ist’s, bei dieser Assoziationsperlenkette den Faden nicht zu verlieren. Von vornherein klar war, dass sich Eder wie bei ihrer Politshow und der Untergangsrevue auch hier nicht fürs Ausagieren szenischer Konflikte interessieren wird.

Ihre akribisch aufgestellte Rechnung lautet Kapitalismus = Ressourcenvergeudung + Verteilungskampf = Klimakrieg, und gut ist, dass das in #Corona-Zeiten nicht aus den Augen verloren wird – doch was Thesenstück/ Frontaltheater betrifft, hat sie es diesmal ein wenig zu weit getrieben. Das pure Deklamieren von Recherche- material ist bedingt bühnentauglich, und auf dem Bildschirm wirkt die Aufführung bald wie eine Belangsendung.

Ein Glück. Zwischendurch hat der Abend seine Momente. Zu diesen zählt definitiv der zwanzigköpfige Tragödienchor, der jeder Seite Parolen brüllt und Phrasen drischt. Bernhard Dechant, der als Totschlagargument fürs Wählen rechter Populisten so lange „Islam!“ schreit, bis besagter Chor beseligt Österreich-Fähnchen schwenkt. Und Thomas Frank als ebendieser wohlbekannte Politikertyp, der begleitet von einer Fernsehkamera die Kolchisten mit dem bemerkenswerten Spruch besucht: „Wir brauchen mehr Menschen, die Unmenschliches leisten für unser Land und unsere Leut‘“.

Millenials vs Boomers: Der Tragödienchor. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Parole, Parole, Parole: Beim Stromsparen kommt’s zu Blackouts. Bild: © Christine Miess / Volkstheater

Das Schutzhaus zur unsicheren Zukunft liegt unterm Plastiksturz. Bild: © Monika Rovan / Volkstheater

Eva Jantschitsch aka Gustav performt ihren Anti-Song. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Um Sprüche ist man an keiner Stelle verlegen. Auf Bannern und Buttons zu lesen ist: „Wollt ihr das totale Nulldefizit?“, „Fridays for Hubraum“, „Ist SUV heilbar?“ oder – persönlicher Favorit –  „This planet is hotter than my boyfriend!“ Böse Witze kommen immer gut, dazu die geballte Zitaten-Ladung von den hässlichen Bildern, ohne die’s nicht gehen wird, übers Konzentrieren von Menschen bis zum „Wir schaffen das!“/“So sind wir nicht“.

Zum Schluss schließlich wieder Handlung, und zwar im Vollgasmodus. Auf Empörung folgt Entgleisung folgt Eskalation. Je mehr „andere“ draußen stehen, umso mehr Kommunenmitglieder wollen nicht teilen und, sondern allein herrschen. Statt alle gegen alles heißt es nun jeder gegen jeden, die Counterculture-Kinder Claudia Sabitzer und Dominik Warta stellen sich gegen den spätgeborenen Weltverbesserungsskeptiker Nils Hohenhövel, der Chor befetzt sich als Millennials vs Boomers. Auf einem goldenen Auto thronend singt Eva Jantschitsch ihren Anti-Song, die ersten – Evi Kehrstephan und Christoph Rothenbuchner – verlassen den vermeintlichen Garten Eden, bevor aus dem Berg Sinai der Mount Carmel wird. Hohenhövel und Katharina Klar erschlagen die Sabitzer-Figur.

Schade, dass Eder diese satirischen „When the going gets tough, the tough get going“-Situationen von Anfang bis Ausgang immer wieder platt tritt. Was bleibt sind Fragen über Fragen, und die einzige Antwort, die einmal über die schwarze Bühne, Stromsparen ist gleich Blackouts, flittert, lautet Douglas-Adams‘isch: 42. Die finale Message aus dem Schutzhaus: „Wenn dich diese Nachricht erreicht, sind wir vergessen und du bist der letzte Widerstand.“ Und der Chor, Echostimme dieser Endzeit, singt den Comedian-Harmonists-Hit „Irgendwo auf der Welt gibt’s ein kleines bisschen Glück …“, bekanntlich das Lied zum Vorabend der Tausendjährigen Katastrophe.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=sz3mHFULAb8&feature=emb_logo

www.volkstheater.at

  1. 4. 2020

Thomas Stipsits und Manuel Rubey: Gott & Söhne

Oktober 1, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Da ist schon sehr viel Schönes dabei

Manuel Rubey, Thomas Stipsits Bild: Ernesto Gelles

Experten des modernen Tanztheaters: Manuel Rubey, Thomas Stipsits
Bild: Ernesto Gelles

Man kann sich nicht immer alles fertig machen. Man muss nach einem Megaerfolg Erwartungen durchbrechen und Voraussagen durchkreuzen. Man muss es langsam angehen und sich neu denken. Dachten mutmaßlich auch Thomas Stipsits und Manuel Rubey und luden statt zum zweiten gemeinsamen Streich in ihre Schreibwerkstatt in den Wiener Stadtsaal. Eine Premiere, einem Shooting- und einem Star der heimischen Kabarettszene beim Schöpfungsakt über die Schulter schauen zu dürfen.

 

Bei den Geburtswehen, der Rauspressung ihres neuen Programms „Gott & Söhne“. Diese  Schmerzensmännerschlingel! Die Gebärposition ist der Pezziball mit dem sich jeder Mangel an Stringenz, jede Ungereimtheit versiert ausbalancieren lässt. Der geneigte Geburtspartner im Publikum schwankt zwischen Frage: „Was wird das, wenn’s fertig ist?“ und Anfeuerung: „Da ist schon sehr viel Schönes dabei!“ Wird schon. Gleich hammas. Einmal noch. Löschen und neu aufsetzen haben die beiden ohnedies zum Teil ihres Computer-Spiels gemacht. Das Programm schreibt sich zwar wie von selbst, aber auch das schreibt sich nicht von selbst.

In „Gott & Söhne“ sollen die freud-, eher die leidvollen Erfahrungen der vergangenen vier Jahre eingeflossen sein. Tournee. Bis Hinterpfuiteufel, der deshalb freilich auch vorkommen muss. Da lernt man sich und den anderen und ein paar nicht so sehr andere kennen. Stipsits und Rubey bekamen für „Triest“ den Österreichischen Kabarettpreis, nun ist ihnen bang um den Erhalt des Erfolgs. Also schließen sie mit den zwielichtigen Seelenhändlern „Gott & Söhne“, Stipsits-Bruder und Techniker seines Vertrauens Christian ist deren Chef aus dem Off, einen dubiosen Vertrag: Glück als Heilsversprechen. Statt „Pointe, Pointe, Pointe“ will man diesmal die großen Themen bieten. „Häusl bauen und Grillen“. Aber da hat der Waldorfer – Alfred Dorfer wird übrigens Regie führen, eine spannende Aufgabe, auf die er sich freuen kann – die Rechnung ohne die Rampensau gemacht. Weshalb es auf offener Bühne zum offenen Konflikt kommt. Er geht ma so am … andererseits ohne ihn … ein Höhepunkt unter Herren. Und apropos Autoorgasmus: Darum soll’s dann auch gehen, wenn die Sache ausgegoren sein wird – die sieben Todsünden. Weder Weill noch Brecht und schon gar nicht Brad Pitt, sondern Hochmut, Neid, Zorn, Maßlosigkeit, lalala, als Streichliste aufm Schiefertaferl.

Aus dieser frühmittelalterlichen Idee, Stipsits ist 32, Rubey 36 Jahre alt, entsteht ein Figuren-Reigen, ein Totentanz, weil ohne Splatter geht beim Stipsits gar nix, aus recycelten Bekannten. Der umweltsichere Burgenländer und der nachhaltige Wahlwaldviertler machen sogar die Gebrüder Friedrich zu Wiedergängern. Auch ein Straßensänger, den wohl die Cosa Nostra untot machte, geistert durch die surrealistische Story, die eine oder andere Bauernschachposition wird wiederbelebt. Am Kabarett-PC ist nichts p.c. Von asylantenfeindlichen Ausländern bis zum lispelnd-schwulen Zungenschlag. Ein Panoptikum an Perversen. Und Herbert Prohaska. Und Herbert Föttinger als Taxifahrer. Und ein Herr-Karl-Zitat. Lebensblöd- und andere Weisheiten. Flucht mittels Fiaker. Und der Aufruf, Österreich möge bitte nur beim Heurigen blau sein. Lauter wirklich Wichtiges zum vogelwilden Strauß gebunden. Der Wir-haben’s-eh-lustig-mitanaund-Virus schlägt in dieser Kleinkunstsaison früh zu. Ganz Impro versuchen’s die beiden auch mit modernem Tanztheater. Zur Auflockerung. Die Körperübung ist gelungen. Die zwei sind halt zwei Sympathler.

„Gott & Söhne“ fehlt zu Monty Python nur der heilandische Fingerzeig. Is ja schon ein Maria Hilf! im Text. Was bei der Tournee im Auftrag des Herrn je nach Nähe zur nächsten Kirche … für St. Pölten bietet sich da themenbezogen des Heiligen Franziskus‘ „Gruß an die Tugenden“ an. Wird schon. Gleich hammas. Atmen, pressen, sich auf die Probe stellen. Einmal noch. Working is progressing, oder wie das heißt. Das Leben ist eine Regieanweisung. Forza, Fredi!

www.stipsits.com

www.manuelrubey.com

www.stadtsaal.com

Wien, 1. 10. 2015