mumok: FISCHERSPOONER – SIR

Juni 28, 2017 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Einladung in ein schillerndes Queer-Universum

FISCHERSPOONER: Apt 3/Casey #5, 2015. Bild: © Yuki James

Als Warren Fischer und Casey Spooner ihr Kunst-, Musik- und Performanceprojekt FISCHERSPOONER 1998 in New York ins Leben riefen, hatten sie eine Mission: Die zugeknöpfte, elitäre Kunstszene sollte offener und zugänglicher werden. Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten.

Nach ihren ersten, orgiastisch-opulenten Performances, etwa im MoMA PS1, wurden FISCHERSPOONER zum talk of the town und waren aus der Kunstszene der Stadt bald nicht mehr wegzudenken. Mit ihrem 2000 erstmals veröffentlichten Song „Emerge“ landeten FISCHERSPOONER einen internationalen Club-Hit und schafften es durch eine Platzierung in der Britischen Top 40-Hitparade 2002 sogar auf die Bühne der Kultsendung Top of the Pops.

Ab 30. Juni 2017 präsentieren FISCHERSPOONER ihr schillerndes, verspieltes, queer-lustvolles Universum unter dem Titel SIR erstmals im mumok. Eine von Yuki James produzierte Fotoserie bildet die Grundlage der eigens für die Ausstellung geschaffenen Rauminstallation. Im Zentrum der Fotoserie stehen neben Casey Spooner diverse Freunde und Freundinnen, Bekanntschaften, zum Teil anonyme (im Internet rekrutierte) Männer, die sich in Spooners ehemaligem Apartment in New York in unterschiedlichen Charakterinszenierungen ablichten lassen.

FISCHERSPOONER: Apt 3/Juan Pablo and Casey, 2015. Bild: © Yuki James

FISCHERSPOONER: Apt 3/Robert, 2015. Bild: © Yuki James

 

Von Leder- und Ketten-Bondage bis hin zu betont männlicher Nacktheit reicht die Palette, stets eingefasst in ein häuslich-warmes Interieur, versetzt zugleich mit größtmöglicher, nach außen gerichteter Expressivität. Durch die Nutzung des privaten Ambientes als Bühne der Selbstinszenierung werden Fragen der Grenzziehung zwischen privatem und öffentlichem Raum aufgeworfen. Wo endet das Private? Wo beginnt das Öffentliche? Identitäten werden heutzutage stark über soziale Medien definiert und zugleich privat und öffentlich präsentiert. Also: In welchen Zwischenräumen agieren wir?

Ausstellungsansicht: FISCHERSPOONER. SIR, mumok, Wien / Vienna, 30. 6. – 29.10.2017. Bild: © mumok/Klaus Pichler

Bei der Rauminstallation handelt es sich um eine künstlerische Fortführung des vierten Albumprojektes von FISCHERSPOONER. Das im Herbst 2017 unter dem Titel SIR erscheinende Album wurde von R.E.M.-Frontmann Michael Stipe produziert und thematisiert das Verschwimmen eben jener Grenzen.

FISCHERSPOONER agieren in den Zwischenräumen von Humor und Ernsthaftigkeit, Popkultur und Kunst, Fiktion und Fakt, Öffentlichkeit und Privatheit. Der „in-between space“, die fortwährende Lücke zwischen allzu eindeutigen Bereichsabgrenzungen, wird von FISCHERSPOONER in einer Art Balanceakt virtuos bespielt – ohne Angst vor dem Absturz, sondern geradewegs auf ihn zusteuernd. „The discovery of this unnamed space“, so Warren Fischer, „felt honest and ecstatic; the world cracked open and an elusive truth was revealed.“

Bei freiem Eintritt lädt das mumok am 29. Juni um 19 Uhr zur Eröffnung der Ausstellung. Zu erleben gibt es eine Lecture Performance und eine Signierstunde von und mit FISCHERSPOONER und ein DJ-Set von WOLFRAM.

www.mumok.at

Wien, 28. 6. 2017

Schikaneder: Milica Jovanovic im Gespräch

September 30, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Sie spielt die Ehefrau Eleonore

Milica Jovanovic und Mark Seibert als Eleonore und Emanuel Schikander. Bild: Rafaela Proell

Milica Jovanovic und Mark Seibert als Eleonore und Emanuel Schikaneder. Bild: Rafaela Proell

Wenn sich heute Abend im Raimund Theater der Vorhang hebt, wird sie als Eleonore Schikaneder auf der Bühne stehen. Milica Jovanovic verleiht in der Weltpremiere des neuen VBW-Musicals der Ehefrau des genialen Theatermanns Gestalt und Stimme – und erlebt dabei eine turbulente Liebesgeschichte rund um die Entstehung der „Zauberflöte“. Den Schikaneder spielt Mark Seibert. Das Buch stammt von VBW-Musicalintendant Christian Struppeck, die Musik von Stephen Schwartz. Regie führt Sir Trevor Nunn.

Milica Jovanovic im Gespräch:

MM: Hand aufs Herz, seit wann wissen Sie, dass es einen Wiener Theatermacher namens Emanuel Schikaneder und seine Frau Eleonore gegeben hat?

Milica Jovanovic: Ich habe 2008 zum ersten Mal die Papagena in der „Zauberflöte“ am Staatstheater am Gärtnerplatz in München gesungen und habe da auf dem Deckblatt der Noten seinen Namen gelesen. Von seiner Frau weiß ich erst durch unser Musical.

MM: Ihnen kommt nun die Aufgabe zu, Eleonore Schikaneder zu würdigen. Ich denke, bis dato wusste kaum jemand, wie wichtig Ihre Funktion bei der Entstehung dieses Meisterwerks war. Über sie weiß man wenig, was haben Sie sich also über Ihre Figur erarbeitet und zurechtgelegt? Und mit Augenzwinkern gefragt: Wird’s einen emanzipatorischen Ansatz dabei geben?

Jovanovic: Eleonore ist eine starke, hochintelligente Frau, die ihrer Zeit weit voraus war. Dennoch stieß sie in der damaligen Gesellschaft an ihre Grenzen, weil sie eine Frau war und somit nicht dieselben Rechte besaß. Unser Musical begleitet sie auf dem Weg ihrer Emanzipierung. Ich habe Fakten über Eleonore gesammelt, mit dem Kreativteam und unserer Dramaturgin diskutiert und habe mir anhand der Texte und Lieder meine Eleonore gebaut. Interessant finde ich, dass ich ihr unterbewusst eine tiefere Sprechstimme gegeben habe, als ich normalerweise habe, um aus ihr eine toughe Frau zu machen. Spannend für mich als Schauspielerin ist die Alterspanne, ich zeige Eleonore von Anfang zwanzig bis Mitte dreißig.

MM: Ist es eine besondere Herausforderung Rollen für eine Uraufführung erstmals, heißt: ohne „Vorbilder“, zu gestalten?

Jovanovic: Für mich ist es eine wunderbare Chance und ein Geschenk. Ich darf kreativ sein und mich einbringen. Ich darf singen, wie es aus mir herauskommt und spielen, wie ich es empfinde und somit viel ausprobieren. Unser Regisseur unterstützt uns in diesem Prozess sehr und hilft uns, wenn wir irgendwo steckenbleiben. Ich fühle mich in diesem Team sehr aufgehoben. Und unser Komponist ist fast immer da und passt uns die Songs an. Es ist ein wahr gewordener Traum.

MM: Sie probten sechs Tage die Woche. Wie ist diese intensive Arbeit mit Regisseur Sir Trevor Nunn und Musikchef Koen Schoots?

Jovanovic: Er ist ein wunderbarer Mensch und grandioser Regisseur, immer freundlich und sehr witzig. Mit Koen arbeite ich bereits zum dritten Mal. Jedes Mal staune ich über sein Dirigat, wie er mit mir als Sängerin atmet und mich mit dem Orchester unterstützt, ist einmalig. Jetzt gerade arbeiten wir an den technischen Abläufen, morgen haben wir die erste Bühnenorchesterprobe und darauf freue ich mich schon sehr.

Die Hauptdarsteller auf einer Probe ... Bild: VBW/ Herwig Prammer

Die Hauptdarsteller bei derProbe … Bild: VBW/ Herwig Prammer

... und knapp vor der Premiere. Bild: VBW/Rolf Bock

… und knapp vor der Weltpremiere. Bild: VBW/Rolf Bock

MM: Bei einer ersten Präsentation hat uns Stephen Schwartz in seine Musik hineinhören lassen, sie ist sehr eingängig, lässt für mich klassische Musicalmelodien, aber auch die goldene Operette anklingen als wäre es seine Hommage an die Uraufführungsstadt.

Jovanovic: Stephen Schwartz ist etwas Magisches gelungen. Er schafft es, seine Musik mit Mozart zu verweben und daraus etwas Neues zu schaffen.

MM: Wie hoch ist der Erwartungsdruck, den Sie sich vielleicht auch selber machen, wie hoch die Fallhöhe bei so einem Projekt?

Jovanovic: Ich freue mich jetzt sehr auf das Publikum, um zu sehen, wie die Menschen auf das Stück reagieren, und ob es sie genauso berührt wie mich. Ich hoffe, dass es ein Erfolg wird. Ich spüre insoweit Druck, dass wir alle auf und hinter der Bühne auf Hochtouren arbeiten und alles geben.

MM: Sie haben schon in Wien gearbeitet. Ist es in Wien wirklich so besonders, wie viele Künstler gerne sagen?

Jovanovic: Ja, das ist es. Ich habe selten so ein leidenschaftliches Publikum erlebt. Ich werde nie den Moment und die Reaktionen vergessen, als ich zum ersten Mal die Arie „Liebe stirbt nie“ gesungen habe.

MM: Der vorprogrammierte Hit des Werks heißt ja „Träum‘ groß!“. Wovon werden Sie vor der Welturaufführung träumen?

Jovanovic: Von veganen Cupcakes, Kokoswasser und ausverkauften Vorstellungen.

Was VBW-Musicalintendant Christian Struppeck über „Schikaneder“ sagt: www.mottingers-meinung.at/?p=23050

Was Komponist Stephen Schwartz über „Schikaneder“ sagt: www.mottingers-meinung.at/?p=19731

www.musicalvienna.at

Wien, 30. 9. 2016

Schikaneder: Ab 30. September im Raimund Theater

Mai 10, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Vereinigten Bühnen präsentierten ihr neues Musical

Erste musikalisce Kostprobe: Milica Jovanovic und Mark Seibert singen als Eleonore und Emanuel Schikaneder "Träum groß!". Bild: VBW

Erste musikalische Kostprobe: Milica Jovanovic und Mark Seibert singen als Eleonore und Emanuel Schikaneder „Träum‘ groß!“. Bild: VBW

Als schließlich zum ersten Mal vor Publikum der vorprogrammierte Hit „Träum‘ groß!“ intoniert wurde, klang es schon so, als würde Wolfgang Amadé ums Eck grinsen. Was nicht zuletzt daran lag, dass Dirigent Koen Schoots sein 31-köpfiges Orchester „mozartisch“, das heißt: „in der Fast-Original-Zauberflöten-Besetzung“, aufgestellt hat. Mark Seibert und Milica Jovanovic sangen das Liebesduett von Eleonore und Emanuel Schikaneder.

Denn darum geht’s im Wesentlichen, die turbulente Liebesgeschichte des genialen Wiener Theatermachers und seiner Frau. Das alles rund um die Schöpfung der „Zauberflöte“, deren Librettist und Ur-Papageno der Schauspieler, Sänger und Regisseur war. Und, nein, Mozart kommt diesmal nicht vor. Wie das geht, kann man ab 30. September, also genau 225 Jahre nach der Erstaufführung der Freimaureroper, erleben, wenn die Vereinigten Bühnen „Schikaneder“ als insgesamt dreizehnte Musical-Uraufführung des Unternehmens auf die Bühne des Raimund Theater heben.

Intendant Christian Struppeck, als Autor auch für das Buch verantwortlich, stellte die Produktion Dienstag Vormittag gemeinsam mit seinem „Schreibpartner“, dem Komponisten und Liedtexter Stephen Schwartz vor. Der Oscar-, Grammy- und Golden-Globe-Preisträger ist ein Showman. Und so war ein Klavier flugs zur Stelle, auf dem der New Yorker Musiker für die Presse und einige handverlesene Musicalfans ein Best-of seiner Melodien zum besten gab. Dazu erklärt er in Kurzfassung die Handlung: Man lernt sich kennen, „We are only young once“, doch er kann seine Angewohnheit, sich für andere Frauen zu interessieren, nicht ablegen, es gibt einfach „Too many fish in the sea“. Sie lernt erst „To look the other way“, doch nach Trennung und Beinah-Pleite steht das Geschäftliche wieder im Vordergrund, es heißt „Striktly business“ und man macht sich an die Arbeit zu einer der berühmtesten Opern der Welt.

„It’s all true and really funny“, sagt Schwartz über seine Story. Und, dass er es erst aufregend, gefährlich und erschreckend fand, dass in seiner Musik Zitate von Mozart zu hören sein sollten. Nun, die Übung scheint aufs erste Hinhören gelungen. So zwischen volkslied’schem „Klinget, Glöckchen, klinget“, Walzeranklängen und very Wienerischem L’amour-Hatscher. Michael Kunze schreibt die deutschsprachige Fassung, David Cullen hat die Orchestierung übernommen.

Intendant Christian Struppeck stellte mit Komponist und Liedtexter Stephen Schwartz die Produktion vor. Bild: VBW

Intendant Christian Struppeck stellte mit Komponist und Liedtexter Stephen Schwartz die Produktion vor. Bild: VBW

Reinwald Kranner, Katie Hall, Christian Struppeck, Stephen Schwartz, Milica Jovanovic, Mark Seibert, Koen Schoots, David Cullen und Florian Peters. Bild: VBW

Reinwald Kranner, Katie Hall, Christian Struppeck, Stephen Schwartz, Milica Jovanovic, Mark Seibert, Koen Schoots, David Cullen und Florian Peters. Bild: VBW

Mark Seibert und Milica Jovanovic. Bild: Rafaela Pröll/VBW

Die Schikaneders in ersten Kostümen: Mark Seibert und Milica Jovanovic. Bild: Rafaela Pröll/VBW

Seit vier Jahren schon beschäftigt sich Struppeck intensiv mit dem Projekt. Er sei fasziniert, sagt er, von diesem waghalsigen Unternehmer, mit seinem Sinn fürs Spektakuläre und seinen Antennen für den Publikumsgeschmack. Und, mal ehrlich, was könnte schöner an ein VBW-Haus passen, als eine Hommage an den Gründer der Raimund-Theater-„Schwesterbühne“, des Theaters an der Wien. Dies sei in dieser Stadt tatsächlich längst überfällig.

Auch Darsteller Mark Seibert schwärmt von seinem Charakter: „Schikaneder war definitiv ein Visionär, der das Theater neu erfinden wollte. Privat allerdings war er ein Hallodri, der es immer geschafft hat, mit einem Augenzwinkern davonzukommen. Ich bewege mich da auf einem schmalen Grat, denn Schikaneders großes Selbstbewusstsein und seine maßlose Selbsteinschätzung können schnell auch unsympathisch wirken. Meine Aufgabe wird es sein, die Figur so charmant zu gestalten, dass man ihn trotzdem mag.“ Bühnenpartnerin Milica Jovanovic sieht Eleonore Schikaneder als „moderne, emanzipierte Frau, und das im 18. Jahrhundert! Es ist fantastisch, wie sie es geschafft hat, von der Schauspielerin zur Intendantin zu werden. Welch eine Karriere! Schade, dass sie heute fast vergessen ist.“ Nachsatz: „Doch das werde ich jetzt ja ändern.“ Sie lacht.

Mit den beiden spielen unter anderem Reinwald Kranner, der „gerade übt, in Saft zu gehen“, den Schikaneder-Gegenspieler Karl Marinelli, Florian Peters Eleonores Verehrer Johann Friedl, Katie Hall die Maria Anna Miller, Franziska Schuster und Katja Reichert die Barbara Gerl, die spätere Papagena, und Josepha Hofer, Mozarts Schwägerin, die spätere Königin der Nacht. Hardy Rudolz ist als Franz Moser und Josef von Bauernfeld zu sehen, Armin Kahl als Benedikt Schack.

Anthony Ward gestaltet Bühnen- und Kostümbild, „alles wird aussehen, wie 1791“, sagt er, „und auch die Art, wie die Bühnenbilder bewegt werden, haben wir an die damaligen technischen Gegebenheiten angepasst“; Anthony van Laast übernimmt die Choreografie. Und mit noch einem Superstar kann Christian Struppeck aufwarten: Sir Trevor Nunn wird Regie führen. Der Tony-Preisträger und ehemalige Intendant der Royal Shakespeare Company meldet sich via Videozuspielung zu Wort. Was er davon hält, Schikaneder ein Musical zu widmen? „Well, das ist nicht die schlechteste Idee der Welt!“ Stimmt. Der Kartenvorverkauf hat bereits begonnen.

www.musicalvienna.at

Wien, 10. 5. 2016

Neue Oper Wien: Punch and Judy

Mai 23, 2014 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Morden ist ein Mordsspaß

Richard Rittelmann als Punch, vorne rechts: Till von Orlowsky als Choregos und Ensemble (v.l.n.r.: Lorin Wey, Manuela Leonhartsberger und Johannes Schwendinger) Bild: © Armin Bardel

Richard Rittelmann als Punch, vorne rechts: Till von Orlowsky als Choregos und Ensemble (v.l.n.r.: Lorin Wey, Manuela Leonhartsberger und Johannes Schwendinger)
Bild: © Armin Bardel

Man hat nicht einmal noch richtig Platz genommen, da sind die ersten beiden Morde schon passiert: Punch wiegt sein Baby, wirft es mit kurzem Lustschrei ins Feuer und sticht danach die darob entsetzte Gattin Judy ab. Die Alte musste eh schon weg, er hat nämlich ein Auge auf … aber dazu später. Eigentlich müßte nun  infernalische Musik einsetzen. Aus dem Orchestergraben jedoch ertönt nur eine Trillerpfeife und ein trockenes Trommelstaccato. Das Grausige kippt ins Lächerliche. Und Choregos, der Zeremonienmeister aus der Hölle, umrundet mit seiner Bal­let­teu­senmuse den Zuschauerraum. Hier gibt es kein Entrinnen – uahahaha (an dieser Stelle stelle man sich diabolisches Gelächter vor).

Die Neue Oper Wien zeigt in den Räumlichkeiten der Kammeroper Sir Harrison Birtwistles und Stephen Pruslins (Libretto) „Punch and Judy“. Das ist eine Gaudi. Eine, die so groß ist, dass es 1968 bei der Uraufführung noch ziemliche Kontroversen über all die vorkommende Gewalt gab. Tatsächlich sind „Punch and Judy“ das britische Kasperltheater, Grand Guignol sagen die Franzosen dazu, oder anders: Punch ist die rabiate englische Variante des Pulcinella aus der Commedia dell’arte. Die Insulaner haben’s eben gern skurriler, makaberer, weniger tragi-, mehr komischer. Zum 80. Geburtstag des großen Komponisten macht ihm Intendant Walter Kobéra nun also mit dem amadeus ensemble-wien dieses Geschenk, seine Erstlingsoper aufzuführen; Regie: Leonard Prinsloo, Bühne und Kostüme: Monika Biegler; und es ist einfach großartig. In einem gruseligen Abwasserkanal (?) bewegen sich die in Fetzen gekleideten Fratzen. Wer tot ist, wird zum Tier – vom Hasen bis zum (no na) Krokodil. Es geht nämlich noch ziemlich zu: Doctor und Lawyer werden mit Injektionsnadel und Schreibfeder gemeuchelt, selbst den Henker (siehe Bild) bringt Punch dazu, sich statt seiner zu erhängen. Er kennt sich doch mit der Schlinge nicht aus, der Schlingel … Ein großes, weißes P hat dieser Punch auf seinem Shirt stehen. Prisoner (Gefangener) seiner eigenen Bosheit. Lichteffekte (Norbert Chmel) und Videos (Bernd Preiml) machen das Grauen noch (unbe)greifbarer. Die Satire springt und sticht und schneidet.

Pruslin hat den traditionellen Puppentheaterstoff kaleidoskopartig aufgebrochenen. Birtwistle dazu drastisch holzschnittige Musik komponiert. Die Partitur nimmt unverhohlen Anleihen bei Webern und Stravinsky, vom Choral bis zum großen Opernduett, von barocken Tanzmetren bis zum operettenhaften Couplets. Dazwischen brechen abrupt, aberwitzig schnell die Tempi. Die Sänger/Schauspieler (denn hier wird auch diesbezüglich einiges abverlangt und mit Bravour gemeistert) sind auf der Höhe. Allen voran: Till von Orlowsky, der als tiefer Bariton Choregos über ein kraftvolles Volumen in sozusagen Höhen und Tiefen verfügt, dass es eine Freude ist. Richard Rittelmann ist ein Punch, der ihm in nichts nachsteht – und außerdem bei allen „Turnübungen“ nie außer Atem gerät. Schön schräg treffen ihre Töne Mezzo Manuela Leonhartsberger als Judy, Lawyer Lorin Wey und Johannes Schwendinger als Doctor. Tänzerin Evamaria Mayer ist eine Augenweide – für Domina-Colombina-Fans. Und dann sie: Jennifer Yoon als Pretty Polly. In sie hat sich Punch verguckt. Die will er haben. Wie eine steife, blonde Puppe bewegt sich Yoon über die Bühne, ihr hoher Sopran markiert die schrille Zicke, in deren Netz sich Punch fangen wird. Eine tadellose Vorstellung.

Auch, wenn man in Wien weiß, dass den Wurschtl kana derschlagen  beziehungsweise erhängen kann, auch wenn Choregos in einem Epilog an den Komödiencharakter des Abends erinnert, geht man doch mit dem befriedigenden Wissen nach Hause: Die Hexe hat Punch verdient! Viele verdiente Bravos für die Mitwirkenden! Eine Empfehlung für alle, die Mörderstimmen bei einem Mordsspaß erleben wollen, ohne gleich einen Mordsschrecken zu kriegen.

www.neueoperwien.at

23. 5. 2014

Der Medicus: Der Film zum Bestseller

Dezember 23, 2013 in Film

VON SONJA CHRISTINE VOCKE

Lieben und Leiden in Leinwandgröße

Ben Kingsley, Olivier Martinez, Tom Payne Bild: Universal Pictures Germany

Ben Kingsley, Olivier Martinez, Tom Payne
Bild: Universal Pictures Germany

Wer das Buch von Noah Gordon gelesen hat, hat sich sicher lange Zeit gefragt, ob diese Geschichte nicht Stoff für einen guten Film bieten würde. Endlich ist es soweit. Der deutsche Regisseur Philipp Stölzl („Nordwand“, „Goethe“) hat sich dieses Weltbestsellers angenommen, für den bereits seit Erscheinen zahlreiche Drehbücher existieren. In seiner Heimat, den USA, fehlte es Noah Gordon an der Anerkennung, die er aus Europa für dieses Buch bekam, so hielt sich Hollywood bei der Verfilmung zurück. Woran erinnern sich die Menschen, die das Buch gelesen haben? Können Sie die Geschichte bis ins kleinste Detail wiedergeben? Oder sind es nicht eher die Emotionen, die Eindrücke einer so fernen Vergangenheit in zwei so unterschiedlichen Welten? Das hat sich Philipp Stölzl zu nutze gemacht. Der Film ist eine Verdichtung der Ereignisse, die im Buch geschildert werden, sonst hätte man ein Epos, das auf 900 Seiten erzählt wird, kaum verfilmen können.

England zu Beginn des 11. Jahrhunderts. Robert Cole, kurz Rob, ein kleiner Junge schuftet in einem Kohlebergwerk für einen halben Laib Brot als Lohn, den er mit seinen zwei Geschwistern und seiner Mutter teilt. In der Nacht wird Robs Mutter von Bauchschmerzen geplagt. Als Rob seine Muter berührt bleibt für einen Wimpernschlag die Zeit stehen. Zu jung noch, versteht der Junge nicht was in diesem Moment geschieht, aber er wird noch einige dieser Momente erleben. Rob holt den Bader (dargestellt vom schwedischen Schauspieler Stellan Skarsgard), aber auch dieser kann der Mutter auch nicht mehr helfen, sie stirbt. Das Schicksal trennt die Geschwister und Rob schleicht sich heimlich in des Baders Pferdewagen. Von nun an reisen die beiden gemeinsam und „heilen“ Zahnschmerzen, ausgerenkte Schultern, sowie die gerochenen Nasen von betrunkenen Wirtshaus Rüpeln. Als Rob dem Bader hilft einem Patienten einen schmerzenden Zahn zu ziehen, ist er wieder da, der Moment in dem für Rob die Zeit zum Stillstand kommt und nun weiß er was das bedeutet: Er hat die Gabe, den nahenden Tod zu spüren. Tatsächlich stirbt der Zahnpatient in der Nacht … Die beiden ziehen immer weiter durch England, von Ort zu Ort und immer mehr beginnt sich Rob dafür zu interessieren, wie der Mensch im inneren aussehen mag. Warum manche Krankheiten nicht heilbar sind. Tote aufzuschneiden ist jedoch gegen das Gesetz und die Kirche so warnt ihn der Bader, dessen Augenlicht immer schwächer wird. Fast erblindet erfährt Rob, dass die jüdischen Ärzte in London dies heilen könnten. Er bringt den Bader hin und hört von den jüdischen Ärzten, dass im fernen Isfahan ein Mann lebt der die Heilkunst lehrt, sein Name ist Ibn Sina (Ben Kingsley). Getrieben von der Neugier und dem Wunsch die Kunst des Heilens zu lernen reist er nach Isfahan. Die Reise ist lang und schwierig. Mit einer Händlerkarawane zieht Rob, der sich fortan als Jude Jesse ausgibt, da Christen keinen Zugang zur Stadt Isfahan hätten durch die Wüste. Er verliebt sich in die mitreisende Rebekka, deren Ziel ebenfalls die Stadt in der Wüste ist. Ein aufkommender Sandsturm trennt die Reisegefährten und Rob schafft es mit letzter Kraft nach Isfahan. In den folgenden Jahren lernt er alles was Ibn Sina ihm und seinen Kommilitonen beibringen kann. Eine Pestepidemie stellt das Können und Wissen aller auf die Probe. Rebekka, die unter den Patienten ist, überlebt. In den Wirren der seldschukischen Übernahme Isfahans flüchtet Rob mit Rebekka, Ibn Sina bleibt … Was soll nun werden, nachdem Isfahan gestürmt und geplündert, Ibn Sina tot, hinter ihnen liegt: „Be a great physician.“

Es ist ein mittelalterliches Epos, in dem nichts ausgelassen wird, Liebe, Schlachten, Intrigen und Freundschaft. Die drei großen Weltreligionen stehen sich gegenüber, was den Film sehr aktuell macht. Wie können, diese drei Glaubensrichtungen nebeneinander existieren, in Frieden und sich vielleicht gegenseitig befruchten. Sowohl vom Christentum, vom Judentum als auch vom, zum Zeitpunkt der Erzählung noch sehr jungen muslimischen Glauben werden die besten als auch dunkelsten Seiten präsentiert. Es ist auch eine Kritik zu spüren, dass der Glaube die Wissenschaft hindert und damit Menschenleben opfert. Es ist aber auch eine Geschichte voller Hoffnung. Der junge Waisenknabe, der keine Mittel aber einen starken Willen hat, schafft es, sich seinen Traum zu erfüllen. Wer an sich glaubt, schafft alles. Eine besondere Figur ist Schah Ala ad-Daula, dargestellt vom charismatischen Olivier Martinez. Nicht wirklich böse und auch nicht nur gut. Er gibt dem von Liebeskummer geplagten Rob einen Einblick in seine Seele und wird so zum Sympatieträger plötzlich fühlt man sich ihm nahe. Wie schon andere Regisseure vor ihm („Der Name der Rose“, „Die Päpstin“, „Das Geisterhaus“ oder „Das Parfum“), bedient sich Philipp Stölzl einem sicheren Rezept bei dieser Literaturverfilmung, er setzt auf hochkarätige Schauspieler, sowie außerordentliche junge Talente. Damit kann sich diese deutsche Produktion lückenlos in die erfolgreiche Reihe literarischer Verfilmungen einordnen, die zu sehen sehr lohnend sind. Wo nicht das Buch „typischerweise“ besser als der Film ist, sondern wo sich Buch und Film in harmonischer Weise ergänzen.

Filmstart ist der 25. Dezember 2013.

Besetzungsliste:

Tom Payne – Rob Cole

Sir Ben Kingsley – Ibn Sina (Avicenna)

Stellan Skarsgard – Bader

Olivier Martinez – Schah Ala ad-Daula

Emma Rigby – Rebecca

Elyas M’Barek – Karim

Fahri Ogün Yardim – Davout Houssein

Makram Khoury – Imam

http://movies.uip.de/medicus/at/index.htm

Wien, 23. 12. 2013