Schallaburg: Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten

März 22, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Auf k.u.k. Nordpolexpedition im Escape Room

Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten. Bild: © Klaus Pichler

Bis heute faszinieren die großen Abenteuer von Entdeckerinnen und Entdecker. Seit dem Wochenende lädt die Schallaburg mit „Sehnsucht Ferne –Aufbruch in neue Welten“ ein, ihren Spuren zu folgen. Wer waren die Menschen hinter den Geschichten und Legenden? Was wurde entdeckt und was hieß das für die Entdeckten? Der britische Seefahrer und Entdecker James Cook, der deutsche Forschungsreisende Alexander von Humboldt oder

die österreichische Weltreisende Ida Pfeiffer – sie alle träumten von der Entdeckung neuer Welten. Sie teilten die Sehnsucht nach dem Unbekannten, dem Unerforschten und dem Neuen. Doch ihre Motive waren gänzlich unterschiedlich. Was trieb sie an? War es die Sehnsucht nach Abenteuer und Ruhm, die Gier nach Gold? Welche Ängste bewegten sie und was schürte ihre Euphorie? Welchen Herausforderungen mussten sie sich stellen? Was erwartete sie in exotischen Gefilden und was bedeutete das für die Einheimischen?

Erstmals ist ein „Escape Room“ Teil einer Schallaburg-Ausstellung: Eine spannende Expedition ins ewige Eis auf den Spuren der „österreichisch-ungarischen Nordpolexpedition“ mit dem berühmten Schiff „Admiral Tegetthoff“. 1872 brach die Mannschaft auf, um eine befahrbare Nordostpassage durch die Eismeere zu finden. Diese Mission schlug fehl – und trotzdem wurde die Expedition zum riesigen Erfolg. Knapp 150 Jahre später kann sie in einem Escape-Room nachempfunden werden. Über fünf Räume sind Abenteuer zu erleben und hautnah zu spüren was es heißt, dem Erfolgsdruck und Entbehrungen einer legendären Expeditionsreise ausgesetzt zu sein.

Marcel Chahrour, aus dem inhaltlichen Team:„Selten war die Sehnsucht nach der Ferne so groß wie in diesen Tagen. Es ist eine spannende Reise für das gesamte Ausstellungsteam und insbesondere Roman Dachsberger und mich in den letzten Monaten Elemente dieser Sehnsucht aufzudecken. Seit es Menschen gibt, treibt die „Sehnsucht Ferne“ viele dazu, sich auf den Weg zu machen. Reisende, Entdecker, Abenteurerinnen und Abenteurer werden als Helden gefeiert, ihre Taten bewundert. Die großen Reisen der Geschichte haben ein reiches Erbe hinterlassen, nicht zuletzt in den Museen der „Alten Welt“. Europas Sehnsucht nach der Ferne brachte aber nicht nur Gutes. Aus dem Willen, sich die Welt zu eigen zu machen, erwuchs der Kolonialismus, und mit ihm gingen Unterdrückung, Widerstand und Krieg Hand in Hand. All das ist für uns Thema –und wir wollen auch hinschauen, wie es mit der Sehnsucht weitergeht.“

Afrikanischer Kopfschmuck aus dem Togo, 1914, Sammlung Codelli, Slovene Ethnographic Museum, © Slovene Ethnographic Museum, Bild: © Jure Rus, SEM

Tafelaufsatz in Schiffchenform aus einer fürstlichen Wunderkammer, 17. Jahrhundert, Sammlung Schloss Ambras, Innsbruck. © KHM-Museumsverband

Astronomisches Messgerät, 1761, Sammlung Esterhazy, Eisenstadt. © Esterhazy Privatstiftung

Hondius-Globus aus Antwerpen 1601, Sammlung Woldan. © Österreichische Akademie der Wissenschaften

Schwerpunkte der Schau

Forschen, plündern, sammeln, kaufen, erleben, erfahren, dokumentieren, bewahren, entdecken, erobern. Reiseutensilien von Reiseschriftstellerin Alexandra David Neel, die vermutlich als erste Europäerin die verbotene Stadt Lhasa in Tibet betritt, bis zu Objekten aus dem Nachlass von Kronprinz Rudolf. Einer Tsunami-Karte von Ferdinand Hochstetter bis hin zu Kuriositäten wie einem Eingeweidewurm des österreichischen Naturforschers Johann Natterer, welchen er auf hoher See zu Forschungszwecken selbst ausspie, bis hin zu einer Reisetoilette von Louis Esterhazy. Eine Weltreisende. Ida Pfeiffer (1797–1858) eine reisende Ausnahmeerscheinung – eine Frau, die auf ihren Reisen Gegenden erkundete und sich in Gebiete wagte, die bis dahin selbst die tapfersten Männer gemieden hatten! Im Zuge ihrer zweiten Weltreise, erkundete Ida Pfeiffer Indonesien, wo sie auf die sogenannten „Kannibalen“ traf. Sie publizierte ihre Erlebnisse in Berichten und hatte im Reisen ihren Lebenssinn gefunden.

Der Traum von der Reise. In den 1770er Jahren unternimmt der Brite James Cook seine großen Reisen nach Ozeanien, Neuseeland und in die Südsee, um die letzten großen weißen Flecken auf den Landkarten zu füllen. Wie viele Aufbrecher wird er zum gefeierten Helden. Als es auf einer seiner Reisen gelingt, das letzte große Problem der Navigation zu lösen, steht auch der letzte Winkel der Welt den Schiffen Europas offen. Die Reise der Novara. Im 19. Jahrhundert macht sich Europa die Welt untertan: politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich. 1857 stattet das Kaisertum Österreich seine eigene offizielle Weltreise aus. Die Marine rüstet ein Kriegsschiff, die Akademie der Wissenschaften entsendet ihre Wissenschaftler, die Wirtschaft formuliert ihre Interessen. In knapp drei Jahren umrundet die „Novara“ die Welt.

Weltkarten und Globen veranschaulichen ausdrucksvoll, wie sich das Bild von unserer Welt durch Reisen verändert – Vorstellungen werden oftmals auf das Bild von der Welt projiziert. Auch Österreich unternahm schüchterne Versuche einer Kolonialpolitik im indischen Ozean. Lange besteht zwischen den Berichten der Seefahrer und dem Realen ein großes Spannungsfeld: Von dem erfundenen Reisebericht von Caspar Plautz aus Seitenstetten, den Riesen von Patagonien bis hin zum geheimnisvollen „Südkontinent“ – aus „Nova Hollandia“ wurde letztendlich dann Australien. Eine fiktive Welt wie das Schlaraffenland findet sogar Einzug in einen Atlas.

Gier, Gewalt und Schamlosigkeit. Gold gegen Viren. Die Ferne wurde nach Europa gebracht – und die Sehnsucht nach der Welt hat ungeahnte Folgen. In der Ferne entdecken Eroberer, Abenteurer und Militärs ungeahnte Schätze. Der Gier Europas nach Gold und Silber fallen ganze Kulturen zum Opfer. Gleichzeitig nehmen Kunst und Wissenschaft in Europa einen unvergleichlichen Aufschwung. Die Ferne begeistert Europa von Anfang an. Eine kurze Geschichte einer komplizierten Begegnung. Die verschiedenen Perspektiven werden mittels Videoprojektion der Schweizer Künstlerin Susanne Hofer veranschaulicht, wie etwa die Eroberung des Reichs der Azteken durch Hernán Cortés.

Ausstellungsansicht. Bild: © Klaus Pichler

Ausstellungsansicht. Bild: © Klaus Pichler

Escape Room, Aufbruch zum Nordpol. Bild: © Klaus Pichler

Escape Room, Aufbruch zum Nordpol. Bild: © Klaus Pichler

Wie sammelt man die Ferne? Wer reist, nimmt nicht nur Eindrücke mit. Die Museen Europas sind voll mit Gegenständen aus aller Welt. Das betrifft nicht nur die großen Museen. Selbst in kleinen Regionalmuseen findet man Gegenstände aus entlegensten afrikanischen Gegenden. Warum sammeln wir? Und sollen wir das überhaupt noch tun? Auf Schloss Ambras bei Innsbruck sammelte der Tiroler Landesfürst Ferdinand II. Kostbarkeiten und Kuriositäten: goldene Gefäße und Kelche, exotische Gegenstände, Spiele, Korallen und Gemälde. Er begründete damit das erste zugängliche Museum der Welt. Andere Fürsten tun es dem Erzherzog gleich und richten auch „Wunderkammern“ ein. Der Aufstieg der Habsburger im 16. Jahrhundert ist eng mit dem Import von Silber und in geringerem Maße Gold aus der neuen Welt verbunden –nicht alles Gold dieser Zeit ist „Kolonialgold“ – Gold und vor allem Silber kommen in großer Menge über den Ozean.

Gegenstände veranschaulichen einen Exkurs des Sammelns im musealen Kontext: Objekte von James Cook bis zu einem slowenischen Missionar, welcher Metallgegenstände aus Afrika sammelte. Von der österreichischen Ethnologin Etta Becker-Donner, die in ihren Feldforschungen Völkerkunde dem Volk nahebrachte bis zur Peruanerin Laida Mori, im Mittelpunkt ihrer Forschung die indigene Bevölkerung. Von der österreichischen Ethnologin Eugenie Goldstern, die als Volkskundlerin an Alltagsgegenständen forschte, welche zu Spielzeugumfunktioniert wurden, bis zum Weltreisenden Heinrich Clam-Martinic, der auf einer Weltreise mit Franz Ferdinand unterwegs war.

Auch das akustische Erbe einer Sehnsucht nach der Ferne lässt sich entdecken. Im Phonogrammarchiv der Österreichischen Akademie der Wissenschaften lagert der Klang der Welt: Stimmen, Lieder, Geräusche; es ist das älteste Tonarchiv der Welt. Viele Aufnahmen entstanden unter heute fragwürdigen Bedingungen – eine neue Perspektive auf die Sammelleidenschaft Europas.

Selbstbild versus Fremdbild Sind die „anderen“ primitiv und Europa modern? Amulette und magische Gegenstände aus Europa und Afrika zeigen die großen Ähnlichkeiten im Volksglauben – das eine wird jedoch als primitiv gesehen, das andere als traditionell. Masken – für die Ursprungsgesellschaften Gebrauchs- und Kultgegenstände, für Europa oftmals teure und gesuchte Kunstgegenstände. Mit „Sehnsucht Ferne – Aufbruch in neue Welten“ lädt die Schallaburg ein, den Spuren früher Weltreisender zu folgen. Man begleitet bekannte wie unbekannte Reisende von den Vorbereitungen für die Fahrt ins Ungewisse bis zu ihrer Rückkehr nach Europa. Viele Abenteuer von gestern öffnen neue Perspektiven auf die Welt von heute.

www.schallaburg.at

22. 3. 2021

Das Bronski & Grünberg hat „Sehnsucht“

Juni 6, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine theatrale Reise durch drei Stationen

Das Bronski & Grünberg startet am 13. Juni wieder durch. Der Abend „Sehnsucht – nach allen möglichen Sachen“ führt das Publikum durch drei Räume, die daran erinnern sollen, wie laut oder leise, wie wichtig oder banal, rührend oder auch komisch Träume und Wünsche sein können. Kyrre Kvam, Julia Edtmeier & Jakob Semotan und Benjamin Vanyek alias Jacques Brel mit Band Nikolaus Messer und Alexander Jost geben unter der Leitung von Ruth Brauer-Kvam diesen Abend an den beiden Wochenenden 13./14. Juni und 20./21. Juni.

Pro Vorstellung gibt es 30 Tickets, das Publikum wird in Gruppen à 10 Personen geteilt, die dann durchs Theater von Station zu Station geführt werden. Schreibt das Bronski & Grünberg: „Unsere Sehnsucht nach dem Theater war groß, so groß wie die von Winnie Puh nach Honig oder Biene Maja nach Willie oder auch andere Beispiele, die nichts mit Honig zu tun haben … naja. Nach dem ersten Eis im Sommer zum Beispiel. Und jetzt hat der Eissalon endlich wieder offen. Kommen Sie! Wir freuen uns – sehr!“

www.bronski-gruenberg.at

6. 6. 2020

Volkstheater: Endstation Sehnsucht

März 30, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Blanches Albtraum in Bonbonfarben

In den Elysischen Gefilden herrscht eine Bande von Raubtieren: Nils Hohenhövel, Alaedin Gamian, Katharina Klar, Birgit Stöger, Günter Franzmeier und Jan Thümer. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Die Vorstellung beginnt im Arthouse-Casino. Blanche, überlebensgroß auf den Eisernen Vorhang projiziert, mit einer Runde Männer am Spieltisch, gewinnt – und bekommt doch nur einen Jeton ausgehändigt. 632 steht darauf. Das ist die Hausnummer von ihrer Schwester Stella und deren Ehemann Stanley. Schon irrt sie auf der Suche nach der Adresse in den „Elysischen Gefilden“ nahe der Straßenbahn-Endstelle „Sehnsucht“ durch die Katakomben des Theaters.

Vorbei an Fluchtplan und Erste-Hilfe-Kasten, hinein in den Zuschauerraum. Auftritt Steffi Krautz als Blanche DuBois. Nomen est omen. Weißer Hosenanzug, weißer Schirm, bodenlang weißes Insektenschutznetz, als wüsste die von Tennessee Williams bereits in seiner ersten Anmerkung als Motte bezeichnete Figur, dass sie sich in dieser Inszenierung noch in sich selber fangen wird. Und während die Krautz mittels des Autors Regieanweisungen ein schäbiges New-Orleans-Viertel herbeiredet, wird der Blick auf die Bühne frei – eine Herrenhaustreppe, gesäumt von Plastikblumen, englische Wallpaper, Stuckaturen, Kristallluster, als wär’s eine hinterfotzige Parodie auf den verlorenen Familiensitz Belle Rêve. Blanche ist in ihrem Albtraum angekommen. Der Horror hat Bonbonfarbe.

Dass Regisseurin Pınar Karabuluts Interpretation von Tennessee Williams‘ „Endstation Sehnsucht“ am Volkstheater weite Teile des Publikums ratlos zurückließ, ist verständlich. Auf das von ihr gemeinsam mit Bühnenbildnerin Aleksandra Pavlović und Kostümverantwortlicher Johanna Stenzel erdachte Konzept muss man sich einlassen wollen. Steckt doch im Wort Konzept sowohl die Klasse als auch die Krux dieser Aufführung. Auf der Habenseite steht, dass Karabulut das Südstaatendrama durch Verweigerung des obligaten Eiskasten-Küchentisch-Ambientes und unter Vermeidung eines zu zerreißenden Feinrippunterhemds von jeder ikonischen Vorbelastung befreit hat. Nichts atmet noch schwitziges Arbeitermilieu vs versnobten Landadel, hier tragen Mann wie Frau kreischbunte Perücken und schrill gemusterte Outfits – The Big Easy reloaded.

Animalische Anziehung zwischen Stella und Stanley: Katharina Klar und Jan Thümer. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Aufeinanderprallen zweier Provokateure: Jan Thümer und Steffi Krautz als Blanche. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Gekonnt dröselt Karabulut derart Rollen und deren Klischees auf. So ist, Blanche überrascht Katharina Klars Stella bei einer Art Martial-Arts-Training, der Schmerzensruf, der durch den Raum tönt auch nicht einer nach ihr, sondern nach „Stanley!“. Später wird die Pokerrunde Stanley, Mitch, Steve und Pablo – Jan Thümer, Nils Hohenhövel, Günter Franzmeier und Alaedin Gamian in High Heels – ihren Herrenabend mit einer megametrosexuellen Voguing-Choreografie beginnen. Mit ihrem Bilderbogen gelingen Karabulut von Platzregen über Dunstschwaden bis Feuersbrunst effektvolle Momente. Geschickt weist sie durch die Polarität von Gesprochenem und zu Sehendem auf Blanches bipolare Störung hin. Wenn die in diesem Setting empört von „solchen Verhältnissen“ spricht, ist doppelt klar, dass sich für sie die Realität längst ins Irreale verschoben hat.

Diesen Sack macht Karabulut auch konsequent zu. So sieht Blanche nicht nur ihre in den Selbstmord gegangene Jugendliebe Allan in Merlin Miglincis Zeitungsausträger, sondern auch Stanley, in gruselgrünes Licht getaucht, echsengleich auf sie zukriechen. Eine schöne Illustration dafür, dass der Lizard King seine Opfergabe von Anfang an im Visier hat. Allein, skurril, satirisch, surreal, ist nicht alles. Kann nicht alles sein. Woran Karabuluts Inszenierung intensiv krankt, ist Charakterzeichnung. Obwohl so farbenprächtig angetan, bleiben die Figuren blass, kommen erste Kräfte des Volkstheaters auf seltsame Weise nicht zum Spielen.

Katharina Klar bleibt zwischen Brüllen und Geil-Sein stecken, Jan Thümer im geckenhaften Herumstelzen. Selbst ein Günter Franzmeier wird vom Regiekonzept erschlagen. Nils Hohenhövel schafft als melancholischer Mitch wenigstens ein, zwei sensible Szenen. Bleibt Steffi Krautz als Blanche – und die führt ihre Rolle, als wär‘ sie die Antithese des von Tennessee Williams vorgesehenen „Eindruck des Zerbrechlichen und Flüchtigen“. Ihre Störenfriedin ist ein Cougar, krankheitsbedingt zwischen Aggression, Angespanntheit und Apathie changierend. Die Krautz kann’s. Flirten und sehnsüchteln und verführen, mädchen- und divenhaft sein, dann wieder hart und herrisch. Dass sie gegen Stanley die Hüften ebenso wie den Baseballschläger schwingt, und er sie statt Vergewaltigung zur Messer-Fellatio zwingt, wirkt vollkommen stimmig. Auch, dass sie sich am Ende als Unbeflecktes Herz Mariä herbeifantasiert.

Blanche mit toter Jugendliebe Allan und neuem Verehrer Mitch: Nils Hohenhövel, Merlin Miglinci und Steffi Krautz. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Blanche am Ende als Unbeflecktes Herz Mariä: Steffi Krautz, Günter Franzmeier und Jan Thümer. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

 

Unterm Strich bleibt also ein Tennessee Williams, den Pinar Karabulut im Wortsinn entmottet, heißt: von überkommenen Theatertraditionen entlüftet, hat. Das zu sehen macht schon Spaß, nur wär’s mit mehr Interesse für Schauspielkunst nebst all dem Programmatischen perfekt gewesen.

www.volkstheater.at

  1. 3. 2019

Klangraum Krems: Osterfestival IMAGO DEI

März 27, 2014 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

„Sehnsucht. Paradies“

Das Herz der Sufis vom Nil Bild: Promo

Das Herz der Sufis vom Nil
Bild: Promo

Das Kremser Osterfestival IMAGO DEI reflektiert ab 29. März  im mittelalterlichen Klangraum Krems Minoritenkirche und mit einem Gastspiel in Stift Melk die ewige Sehnsucht des Menschen nach einer Vervollkommnung des Lebens und die unterschiedlichen Vorstellungen vom Paradies verschiedener Glaubensrichtungen und Epochen:  ob als verlorene Urheimat, ob als diesseitiger Garten Eden, als imaginärer Zukunftsort im Jenseits oder als der Versuch, das Paradies in sich selbst zu finden. Bis Ostermontag stehen Chorwerke aus Estland, spirituelle Musik aus Ägypten und Indien, Werke aus uralten Codices und von zeitgenössischen Komponisten, Uraufführungen und Auftragswerke sowie eine künstlerische Interpretation des traditionellen Osterfeuers, Podiumsgespräche, Lesungen und  Filme auf dem Programm.

Die 15. Ausgabe steht heuer unter dem Motto SEHNSUCHT. PARADIES und versucht damit die Utopie einer menschlichen Existenz ohne Beschwerlichkeiten, Missstände und Nöte in den Mittelpunkt des Programms zu stellen. Seit Menschengedenken existiert der ewige Wunsch nach einer Vervollkommnung des Lebens, welcher im christlichen Abendland erstmals in der alttestamentarischen Geschichte von Adam und Eva dargestellt ist. Die Vorstellungen vom Paradies – ob als verlorene Urheimat, ob als diesseitiger Garten Eden, als imaginärer Zukunftsort im Jenseits oder im eigenen inneren Erleben – werden an sieben Abenden im Klangraum Krems Minoritenkirche und an einem Abend im Kolomanisaal des Stifts Melk in mehreren Uraufführungen, in spiritueller Musik aus Ägypten und Indien, in Kompositionen aus jahrhundertealten Codices und von zeitgenössischen Komponisten, in Tanzperformances, Lesungen und Filmprogrammen, Podiumsgesprächen sowie in einer künstlerischen Interpretation des traditionellen Osterfeuer reflektiert.
Der renommierte estnische philharmonische Kammerchor und das Tallinn Kammerorchester eröffnen das Programm  mit Arvo Pärts Vertonungen von Texten des Mönchs Siluan vom Berg Athos, in denen Adam den Verlust des Paradieses und der Verbindung zu Gott beklagt. Vor dem Konzert stellt sich Filmemacher Ulrich Seidl einem philosophisch-theologischen Diskurs über unterschiedliche Paradiesesvorstellungen. Das Paradies in sich selbst zu finden, es durch Kontemplation als etwas realistisch zu Erreichendes zu betrachten ist nicht nur spiritueller Hintergrund des indischen Dhrupad-Gesangs Ritwik Sanyals (4.4.), sondern auch des ihm verwandten Sufismus, wie ihn die Sufis vom Nil praktizieren (11.4.). Gesang und Tanz werden so zu Techniken, die Wahrheit, also die Verbindung zu Gott, im Diesseits wiederzufinden.
Peter  Simonischek erzählt mit Jean Gionos Kurzgeschichte „Der Mann mit den Bäumen“ von den Möglichkeiten der Menschen, ein irdisches Paradies zu schaffen (5.4./Stift Melk) – musikalisch umrahmt von sechs herausragenden Solisten des Klangforums Wien und der Camerata Salzburg mit Werken von Olivier Messiaen und Krzysztof Penderecki.
Das belgische Vokal-Ensemble Graindelavoix singt am 12.4. in mittelalterlichen Motetten aus den Musikhandschriften von Montpellier von den Gärten aus dem verlorenen Paradies. Am Karfreitag (18.4.) führt „Towards Silence“ eine Meditation für vier Streichquartette und eine tibetische Klangschale des erst im November 2013 verstorben britischen Komponisten John Tavener, auf den Weg zur Vereinigung des wahren Selbst mit der Weltseele, zur Einheit des Menschlichen und des Göttlichen (mit Medici Quartet, Koehne Quartett, Ensemble Lux, Minetti Quartett). Zuvor spielt jedes der vier Quartett ein Werk für Streichquartett, darunter die Uraufführung einer Auftragsarbeit des Festivals von John Tavener. Zum Höhepunkt des Osterfests, in der Osternacht am Karsamstag (19.4.), wird das Ritual des Osterfeuers vom japanischen Klangkünstler Akio Suzuki und der Tänzerin Hiromi Miyakita neu interpretiert, umrahmt von einem Reigen aus englischen Madrigalen, zeitgenössischen Kompositionen und den schwebenden Klängen des archaischen Semantrons und die orgelgleichen Sphärentöne der Paetzodflöten. Das Licht ist der Welt wiedergegeben. Kompositionen von William Byrd, Anthony Holborne, Michael Gordon sowie drei Uraufführungen von Werken von Burkhard Stangl, Pauline Oliveros und Gunter Schneider (mit Plenum, Paetzold Bassblockflöten Ensemble, Anna Clare Hauf, Mezzosopran, und Slagwerk Den Haag).

Zum Abschluss des Festivals erinnert lateinamerikanische Musik aus dem 17. und 18. Jhdt. an einen Versuch, das Paradies auf Erden zu errichten: Das chilenische Alte-Musik-Ensemble Capilla de Indias wird  am Ostermontag (21.4.) mit Kompositionen voll Lebensfreude aus dem Archiv der Kathedrale von Santiago de Chile, aus Missionen in Paraguay, Peru und Bolivien in die Utopien des Heiligen Experiments der Jesuiten führen.

www.klangraum.at  (Hier findet sich auch Info zu den neuen Shuttlebussen.)

Wien, 27. 3. 2014

Alles aussteigen, bitte!

Februar 8, 2013 in Bühne

Stanley verliert auch gegenüber seiner geliebten Frau Stella allmählich die Nerven: Nicholas Ofczarek und Katharina Lorenz zeigen Schauspielkunst vom Feinsten.
29.01.2012, von Michaela Mottinger, http://kurier.at/autor/mag-michaela-mottinger/8.527/8

„Endstation Sehnsucht“: Schauspielkunst vom Feinsten

An der Burg hatte „Endstation Sehnsucht“ Premiere. Gezeigt wurde exquisites Schauspielertheater, das von der Regie so gut wie nicht gestört wurde.

Die Latte lag hoch. Hatte doch Regisseur Dieter Giesing am Haus zuletzt mit seiner fulminanten Inszenierung von Schnitzlers „Professor Bernhardi“ gezeigt, wie man auch bei anscheinend Altbekanntem den Blick für neue Sichtweisen öffnen kann. Nun legte Giesing, unter Mitarbeit seines Starkollegen Johann Kresnik, an der Burg Hand an Tennessee Williams’ Südstaatendrama, dessen Drei- bis Vierecksgeschichte „Endstation Sehnsucht.“ Und dazu fiel Giesing deutlich weniger ein, als zur österreichischen Arztabsägestory. Wenig bis gar nichts an dieser Arbeit verdient das Prädikat unkonventionell, von einem Suchen und Finden anderer Blickwinkel ist gar nicht erst zu reden.

Es soll einer Aufführung allerdings andererseits nichts Schlimmeres passieren, als dass sie als schöner, solider Abend zu preisen ist … Giesing verlässt sich auf die Kraft seiner Schauspieler. Und die ist zum Glück im Übermaß vorhanden. Dörte Lyssewski als Blanche und Nicholas Ofczarek als Stanley gewinnen ihren Figuren Facetten ab, wie man sie so noch nie gesehen hat. Zu Recht gab es für die beiden, die sich ihre Rollen offensichtlich im Teamwork erarbeitet haben, immer wieder aufbrandenden Szenenapplaus.

Hart und brüchig

Lyssewski zeigt die Brüchigkeit der Blanche gleich in den ersten Minuten ihres Auftritts. Überschäumend vor – ja, was eigentlich?, ganz herrische, harte Ex-Herrenhaus-Besitzerin, ist sie im Küchenschrank ihrer Schwester Stella auf der Suche nach der Schnapsflasche. Blanche, menschlich wie finanziell am Ende, sucht Zuflucht im Haushalt der Schwester – und trifft auf den mäßig erfreuten Schwager Stanley. Den legt Ofczarek fern jedes „Proleten“- oder Kraftlackel-Images an. Sein Stanley, wegen seiner polnischen Wurzeln von Blanche als primitiver „Polake“ beschimpft, ist Handelsvertreter in Anzug und Krawatte. Ein ehrlicher Kerl, ein aufrechter Mensch, der sich darauf freut, Vater zu werden. Der sich seinen Teil des amerikanischen Traums erfüllt hat – bis eine Hysterikerin seine Idylle zerstört. Da geht Ofczarek in seiner Wut in Sekunden von Null auf Hundert, um gleich darauf zusammenzubrechen und um die Liebe seiner Frau zu winseln. Eine beeindruckende darstellerische Leistung. Katharina Lorenz hat es da schwerer mitzuhalten. Ihre Stella, allein schon ramponiert durch die zu dieser Art von Stanley nicht mehr stimmigen Doku-Soap-Schlampen-Outfits, bleibt über weite Strecken Schablone.
Dietmar König müht sich als tollpatschiger Kavalier von Stanleys bestem Freund zu Blanches’ Verehrer und zurück zu mutieren. Dennoch ist es auch beeindruckend, diesen beiden Figuren bei ihren zunehmenden Beschädigungen zuzuschauen. Entgleisung, die aus Not geboren ist, ist nicht umsonst das Freud’sche Fundament von Williams’ Schauspiel.

Kein Poe

Eine Themenverfehlung ist hingegen das Bühnenbild von Karl-Ernst Herrmann. Er dürfte das Stück nicht, oder darin den Satz „Nur Edgar Allen Poe könnte das hier in Worte fassen“ überlesen haben. So schuf er ein rosa-zartgelbes Loft. Vielleicht hatte er ja mehr Florida als New Orleans im Sinn.

Fazit: Ein Fest für die Darsteller

Stück: Uraufgeführt 1947. Inhalt: Die alternde Südstaatenschönheit Blanche, die den Familiensitz verloren und sich prostituiert hat, sucht Unterschlupf bei Schwester Stella und Schwager Stanley. Die Situation eskaliert: Stanley soll Blanche vergewaltigt haben. Stella lässt Blanche einweisen.

Regie: In Spuren da. Als hätte Giesing gesagt: Das Stück kennen wir, da wissen wir alles, da gibt’s nichts zu entdecken.

Schauspieler: Das taten dann die Darsteller für ihn – und zwar brillant.