Kasino des Burgtheaters: Sechs Tanzstunden in sechs Wochen

Mai 16, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zwei supersympathische Dancing Stars

Tango mit Pasión: Andrea Eckert und Markus Meyer. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Was sich Regisseurin Martina Gredler und Kostümbildnerin Lejla Ganic an Outfits für Markus Meyer ausgedacht haben, ist für sich genommen schon eine Show. Vom goldglitzernden Matador-Jäckchen über eine weiße Fantasieuniform mit Sisi-Enten-Shirt bis zu Jeanshotpants mit „Stars ans Stripes“-Leggins, so angetan wirbelt Meyer als Tanzlehrer Michael Minetti ins Leben der pensionierten Lehrerin Lily Harrison.

Andrea Eckert, die am Burgtheater in der Andrea-Breth-Inszenierung von „Die Ratten“ eine großartige Frau Knobbe gibt (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=32521), spielt nun in dieser Kasino-Produktion die – zumindest anfangs – spaßgebremste Schülerin, die sich über den exaltierten Kerl, der da in ihrer Tür steht, nur erstaunen kann. Und während sie noch seinen verqueren Humor und seine sozialen Groschenweisheiten für gewöhnungsbedürftig hält, kippt er schon ins Unflätige, muss „die alte Schachtel“ aber letztlich um diesen Job anflehen, weil weit und breit kein anderer in Aussicht ist …

Ein Tüll-Traum für den Walzer: Andrea Eckert. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Der exaltierte Michael: Markus Meyer. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Mit dem tragikomischen Feel-Good-Stück „Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ des US-Dramatikers Richard Alfieri geht Burg-Herrin Karin Bergmann ins Finale ihrer Direktionszeit. Dass die ansonsten aufs Experiment zugeschnittene Spielfläche auch als Parkett für leichte Theaterkost taugt, ist vor allem den supersympathischen Darstellern zu danken, Markus Meyer in Jugendjahren Turniertänzer, Andrea Eckert seit dem Alter von fünf „Tänzerin aus Leidenschaft“, die an Spielfreude mit Verve für ihre Figuren alles geben. Es ist im Stück nicht anders, als bei den Original-Dancing-Stars: Zwei verlorene Seelen zicken um die Wette, kommen sich beim Ankeifen menschlich aber durchaus näher.

Man will sich dem anderen gegenüber anders zeigen, als es tatsächlich ist, doch – von diesem Spannungsbogen profitiert das Ganze – nach und nach fallen die Masken, werden Schicksale enthüllt, kommen die kleineren Flunkereien und die größeren Unwahrheiten ans Licht. Mit jeder Trainingsstunde offenbaren die beiden mehr von sich, etwa, dass Lily gar keinen Tanzkurs, aber Gesellschaft braucht, um ihr zu viel an Zeit zu füllen, oder, dass Michael nicht nur am Broadway gescheitert ist, sondern in New York auch seine große Liebe Charly begraben musste. Bald ist es zwischen dem Schwulen und der Witwe ein gespielter Witz, wer die größere Bitch ist, und derart holen sich die Hitzköpfe gegenseitig aus den Schneckenhäusern der selbstgewählten Isolation.

Autor Alfieri versteht es in bester amerikanischer Well-made-Play-Manier die Themen Alter, Einsamkeit und Tod in Screwball-Pointen zu verpacken. Eine Krebskrise noch schnell, dann sind Lily und Michael BFF – Best Friends Forever. Neben Eckert und Meyer brilliert noch ein dritter Akteur, das schmissige Salonorchester, bestehend aus Lenny Dickson, Andreas Radovan, Emily Stewart sowie Alexander und Konstantin Wladigeroff, das swingen und rocken und grooven vom Feinsten kann. Bühnenbildnerin Sophie Lux deutet das Seniorenparadies Florida mit einem luftig-kühlen Luxusappartement an, in dem die Eckert in mal sexy, mal eleganten Kleidern die Frustration, auch Wut, ihrer Lily mit viel Elan ausstattet, was den Konfrontationen mit Meyers Michael natürlich Pepp gibt. Dieser gibt nicht nur in den Choreografien von Daniela Mühlbauer Vollgas, sondern auch im Komödiantischen.

Aus zickigen Tanzpartnern werden beste Freunde fürs Leben: Andrea Eckert und Markus Meyer. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Als Lehrer glaubt er an die ganzheitliche Methode, weswegen er beim Tango „spanish“ lispelt und beim Walzer ins „Gnä’ Frau“ verfällt. Er schwoft und springinkerlt und kommt er durch die Tür, sind ihm die Lacher des Publikums schon sicher. Auch bei der spitzen Bemerkung, Lily schwärmt von einem früheren Wien-Besuch und den liebenswerten Leuten dort, die Österreicher seien ja bekanntlich stets ein anschlussfreudiges Völkchen gewesen …

„Sechs Tanzstunden in sechs Wochen“ im Kasino ist einfach rundum entzückend. „Wie beim Sex kommt alles auf die Ausführung an“, sagt Lily übers Tanzen an einer Stelle. Diesbezüglich ist an diesem Abend alles gelungen. TIPP: „Let’s Dance“ – zum Ende jeder Vorstellung lädt die Band das Publikum in den Ballroom, von denen jeder ein besonderes Motto hat: Am 31. Mai „Love and Peace and Dance“, am 1. Juni „Dance the Savoy“, am 11. Juni „Kasino Night Fever“ und am 16. Juni „Kasino Royal“. Ab 23 Uhr steht dann DJane Colette am Mischpult.

www.burgtheater.at

  1. 5. 2019

Maxim Biller: Sechs Koffer

Oktober 12, 2018 in Buch

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Verwandtschaft macht sich mehr als verdächtig

Die Worte „fauliger Geruch“ sind zu übersetzen. Vom Tschechischen ins Russische. Blatt für Blatt spannt der Vater in die Schreibmaschine, tippt, verwirft, wirft weg. Der „faulige Geruch“ steigt aus einem Massengrab im Ersten Weltkrieg, steht in Jaroslav Hašeks „Schwejk“, der Vater sitzt 1965 in Prag. So beginnt Maxim Billers jüngster Roman „Sechs Koffer“. Einmal mehr schreibt der Autor seine Familiengeschichte, das heißt: mehr oder weniger, denn unklar bleibt meist, was Fakt und was Fiktion ist. Wer das ergründen will, muss schon querlesen.

Der gesamte Biller-Clan reflektiert sich literarisch selbst, Mutter Rada 2003 in „Melonenschale“, Schwester Jelena 2016 mit „In welcher Sprache träume ich?“, die Bücher zusammengesetzt sind eine große Saga über dessen selbst gewählte Diaspora, die auf die Flucht aus diversen Regimen folgt und in einige Demokratien führt. Von Moskau über Prag nach Hamburg, Rio de Janeiro, Montreal, Zürich … Auf diesen Wegen kann einem Sprache schon abhandenkommen. Genau darum geht’s Biller, um das Nichtgesagte, das Nichtübersetzte, um Geheimnisse und Lügen, um ausweichende Antworten, aber bedeutungsschwangere Blicke.

Sein Erzähler/Ich berichtet retrospektiv, allerdings wie aus der Perspektive und mit dem Wissensstand von sechs anderen Mitgliedern dieser jüdischen Intellektuellen-Mischpoche. Der Protagonist macht sich so selbst zur Nebenfigur, ein Anti-Held-Teenager ist er, der aber alles über die geheimsten Gedanken seiner Sippe weiß, und das ist schriftstellerisch so ungeheuerlich, wie der Verrat, der passiert ist, und den das Ich aufklären will. Der Tate, Großvater Schmil, wurde in der Sowjetunion hingerichtet, denunziert als der Schmuggler und Schwarzhändler, der er war. Und die gesamte geldgierige – ein gewagtes Motiv angesichts seines ewiggestrigen Klischees – Verwandtschaft macht sich diesbezüglich mehr als verdächtig.

Jeder hat jeden im Visier, die Söhne, Dima, gerade erst aus einem tschechoslowakischen Gefängnis entlassen, Übersetzer Sjoma, Lev in der Schweiz, Wladimir in Brasilien, Dimas mondäne Frau Natalia, die eigentlich Sjoma liebt, und dessen auf diese eifersüchtige Frau Rada. Der „faulige Geruch“ ist ergo Familienprogramm, Gerüchte entfalten ihre böse Kraft. „Alle für einen, aber nur einer für sich selbst“, steht geheimnisvoll auf dem einzigen Foto, das alle vier Brüder zusammen zeigt, und das der Erzähler, man ahnt es, er wird später in Berlin zum Schriftsteller werden, alsbald in Händen hält.

Derart entspinnt sich eine Art Krimi. Durch vom Erzähler beim Herumschnüffeln in Schreibtischen gefundene Dokumente und Briefe erfährt man, dass Dima vom KGB zum Spitzel umgedreht und von ihm gegen Lev die „Aktion Bruder“ eingeleitet wurde. Lev, der mit niemandem aus der Familie mehr redet, soll seinerseits vom Tate für Dima und Sjoma gedachte Westwährung für sich behalten haben. Natalia wiederum erpresst Dima mit dessen von ihr gekaufter Geheimdienstakte. Oder ist das alles gar nicht wahr? Jeder spielt hier sein Spiel, und niemandem kann man trauen.

Schon gar nicht Maxim Biller. Je länger man liest, umso diffuser wird, wer oder was hier ausgedacht ist. In einer Erinnerung ist einer Verschwörer, in einer anderen Verschwörungsopfer. In einer ein Frühlingstag zu warm, in einer anderen „für Ende Mai viel zu kalt“, in einer ein Eiskasten rot, in einer anderen blau. Ein eben noch abstoßend harter Charakter wird plötzlich anziehend und empfindsam. Im Kopf des Erzählers laufen die Widersprüche, die vielen Miniaturen, die Biller entwirft, wie von Zauberhand und wunderschön surreal zusammen.

Die Schuldfrage löst sich am Ende nicht. Biller entlässt seine lebenslang Flüchtenden, die Holocaust-Überlebenden und die Emigrierten, in Ausflüchte und Andeutungen. Wie er sich auch selbst aus der Affäre zieht. Denn nie liest sein Erzähler ein Schriftstück zu Ende, nie führt sein Erfinder eine Pointe zu ihrem Schluss. Dieser Bericht wie aus zweiter Hand hält die Familie auf angemessener Distanz. Wahrscheinlich ist es das, was Maxim Biller braucht. Und immer bevor’s ernst wird, heißt es: „Und dann lachten wir alle“. Kein Wunder, bei so viel eleganter Gewitztheit. Sein Ich lässt Biller Bert Brechts „Flüchtlingsgespräche“ lesen. „Sechs Koffer“ ist kein dickes Buch, aber sicher ein großes.

Über den Autor: Maxim Biller, geboren 1960 in Prag, lebt seit 1970 in Deutschland. Von ihm sind bisher unter anderem erschienen: der Roman „Die Tochter“, die Erzählbände „Wenn ich einmal reich und tot bin“, „Land der Väter und Verräter“ und „Bernsteintage“. Sein Roman „Esra“ wurde gerichtlich verboten und ist deshalb zurzeit nicht lieferbar. Sein Short-Story-Band „Liebe heute“ wurde unter dem Titel „Love Today“ in den USA veröffentlicht, seine Bücher sind insgesamt in sechzehn Sprachen übersetzt. Zuletzt erschienen ist Billers Roman „Biografie“, den die Süddeutsche Zeitung sein Opus Magnum nannte.

Kiepenheuer & Witsch, Maxim Biller: „Sechs Koffer“, Roman, 208 Seiten.

www.kiwi-verlag.de

  1. 10. 2018

Buch Wien 15: Die Lesefestwoche startet am 9. November

November 4, 2015 in Buch

VON RUDOLF MOTTINGER

Ein Ratgeber durch den Messedschungel

Buch Wien Bild: © LCM Richard Schuster

Buch Wien
Bild: © LCM Richard Schuster

Freunde sucht man sich sorgfältig aus. Das gilt auch für Bücher. Denn Bücher sind Freunde und lebenslange Wegbegleiter. Bei der Buch Wien 15 vom 11. bis 15. November hat man die Gelegenheit, Autorinnen und Autoren live zu erleben, wenn sie aus ihren aktuellen Romanen und Sachbüchern lesen, bei den mehr als 350 Ausstellern in alten und neuen Büchern zu schmökern oder das umfassende Rahmenprogramm (auch für Kinder und Jugendliche) zu nutzen. Mehr als 450 Lesungen, Diskussionen und Performances stehen bei Österreichs größtem Bücherfestival auf Programm.

Wie in den vergangenen Jahren besteht die Buch Wien aus drei Eckpfeilern: Der Internationalen Buchmesse vom 12. bis 15. November in der Halle D der Messe Wien, der Langen Nacht der Bücher am 11. November (19.30 bis 24 Uhr) ebenfalls in der Halle D und der Lesefestwoche vom 9. bis 15. November an 39 Veranstaltungsorten in ganz Wien.

Neu: Auf einem Gemeinschaftsstand der Antiquare kann man sich von der Leidenschaft für antiquarische Bücher anstecken lassen. Alle am Stand ausgestellten Objekte sind verkäuflich. Man kann aber auch die eigenen Bücherschätze mitbringen, vor Ort beraten  erfahrene Antiquare, ob sich ein Verkauf lohnt (Do. bis So. von 15 bis 17 Uhr). Ein Schwerpunkt der Buch Wien 15, die von Adolf Muschg eröffnet wird, ist der Verständigung zwischen den Kulturen und dem Bereich „politisches Sachbuch“ gewidmet. Von Colin Crouch und Tomáš Sedláček bis hin zu Orlando Figes, Ahmad Mansour und Jörg Baberowski diskutieren internationale Stars über aktuelle Fragen der Zeit. Im Rahmen des Festivals wird der mit 10.000 Euro dotierte Ehrenpreis des Österreichischen Buchhandels 2015 an den Autor und Historiker Doron Rabinovici verliehen.

Sechs Tipps, die Lust aufs Lesen machen:

Feridun Zaimoglus Siebentürmeviertel führt ins Istanbul der 1930er Jahre und mitten hinein in eine fremde, faszinierende Welt, in der sich ein deutscher Junge behaupten muss. Eine Familiensaga der besonderen Art (10. 11., 19 Uhr, Literaturhaus Wien). Alexander Nitzberg liest aus dem von ihm übersetzten Buch Das fahle Pferd von Boris Sawinkow, einem zum Tode verurteilten Terroristen, der unter anderem für die Ermordung des zaristischen Innenministers Plehwe 1904 mitverantwortlich war (10. 11., 19 Uhr, Literaturbuffet Lhotzky). Drago Jančar greift in seinem Roman Die Nacht, als ich sie sah einen zeitgeschichtlichen Stoff auf. In einer Nacht, kurz nach Neujahr 1944, führt eine Gruppe von Tito-Partisanen Veronika Zarnik und ihren Mann aus einem slowenischen Schloss ab, von da an verliert sich die Spur der beiden (12. 11., 19 Uhr, Alte Schmiede).

Im dritten Band seiner Trilogie über die Suche nach dem einzig Gerechten beschreibt der ukrainische Autor Andrej Kurkow in Die Kugel auf dem Weg zum Helden mit absurdem Witz und unerwarteten Wendungen die Aufbaujahre einer fantastischen Sowjetunion. Er erzählt von geplatzten Träumen, unbeugsamen Menschen, enttäuschtem Fortschrittsglauben, unhinterfragten Heldenmythen – und von ganz großen Abenteuern (13. 11., 19 Uhr, Hauptbücherei am Gürtel). Der britische Historiker Orlando Figes legt mit Hundert Jahre Revolution eine informative Geschichte Sowjet-Russlands vor – von den Wurzeln des Bolschewismus bis zum Putsch gegen Gorbatschow 1991. Seine zentrale These: Die Wirkung der Russischen Revolution erstreckt sich von 1917 über die Jahrzehnte der Diktatur bis in die Gegenwart (13. 11., 19 Uhr, Diplomatische Akademie Wien. Reservierung notwendig.). Alaa al-Aswani, einer der bekanntesten Romanciers der arabischen Welt, erzählt in seinem Roman Der Automobilclub von Kairo von vergangenen Zeiten. Ende der 1940er herrschen im Automobilclub von Kairo Extravaganz und Dekadenz: Paschas und Monarchen gehen aus und ein, auch Ägyptens König zählt zu den Stammgästen. Bis die Dienerschaft des Clubs den Aufstand probt. (14. 11., 16 Uhr, Literaturcafé)

www.buchwien.at

Wien, 4. 11. 2015