Private Views im MAK: Vorab-Online-Führung durch „100 Beste Plakate 19. Deutschland Österreich Schweiz“

November 25, 2020 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Tanzquartier Wien & die schrille Welt der Topfpalmen

MAK-Ausstellungsansicht: 100 Beste Plakate 19. Deutschland Österreich Schweiz. Von der Säulenhalle des Hauses geht es nun virtuell in den Kunstblättersaal. Bild: © MAK/Georg Mayer

Auch während des zweiten Lockdowns ist das MAK #closedbutactive. Im Rahmen seines umfangreichen Digital-Angebots gibt das Museum nun vorab Einblick in die neue Ausstellung, die unmittelbar nach dem Lockdown geöffnet sein wird: An der Seite von Ausstellungskurator Peter Klinger kann ab 27. November auf dem MAK-Channel www.youtube.com/makwien die Schau „100 Beste Plakate 19. Deutschland Österreich Schweiz“ virtuell erkundet werden.

In seiner Online-Führung vertieft Klinger die gezeigte grafische Ideenwelt, die unterschiedlicher nicht sein könnte: vom studentischen Plakat-Projekt bis zur Auftragsarbeit etablierter Grafikdesignerinnen und -designer. Die bereits aufgebaute Schau im Kunstblättersaal des Hauses unterstreicht die Relevanz des gedruckten Plakats in Social-Media-Zeiten und zeigt, wie vielfältig Typografie im Gestaltungsprozess eingesetzt werden kann. Die Siegerprojekte bestechen durch den Einsatz von Typografie als integrativem Bestandteil des Gestaltungsprozesses: einerseits als dekoratives Element im harmonischen Zusammenspiel mit dem Sujet, andererseits als rein ästhetisches Stilmittel, um die Lesbarkeit der Ankündigungen zu steigern.

Fumetto Comic Festival Luzern 2019. Atelier: C2F. Schweiz. © C2F und Keiichi Tanaami/100 Beste Plakate e. V.

La Fille du Regiment. Auftraggeber: Theater Orchester Biel Solothurn. Atelier Bundi. Schweiz. © Atelier Bundi/100 Beste Plakate e. V.

Tanzquartier Wien Kampagne – Jakob Lena Knebl. Atelier: Studio VIE. Bild: Katarina Šoškić. Österreich. © Studio VIE/100 Beste Plakate e. V.

684 Einreicherinnen und Einreicher beteiligten sich mit insgesamt 2.247 Plakaten am diesjährigen Wettbewerb, 45 der Sieger-Plakate und -Plakatserien stammen aus Deutschland, 52 aus der Schweiz und drei aus Österreich. Unter den drei österreichischen Gewinnersujets ist Verena Panholzers Studio Es gleich zweimal vertreten. Für das Plakat zu Rosa Friedrichs Kurzfilm “Topfpalmen“ gestalteten Panholzer und Arjun Gilgen ein grellfarbiges Sujet, mit dem sie direkt Bezug auf die charakteristische Farbpalette des 16-mm-Kodachrome-Films nahmen:

„In der schrillen Welt von Topfpalmen stimmt etwas nicht. Auf der ausgefallenen Hochzeitsfeier von Bettis Tante Vio und dem herumtreiberischen Bräutigam Alf ist nicht nur ganz viel Liebe in der Luft, sondern es riecht auch verdächtig nach Schwindel. […] und dennoch tanzen alle weiter!“, so die Bewerbung des Films seitens der Filmakademie. Oder wie die Regisseurin meint: „Die Realität muss nicht grau und grausam sein. Sie kann auch bunt und grausam sein.“

JazzOnze+ Festival. Grafik: Anaëlle Clot. Schweiz. © Anaëlle Clot/100 Beste Plakate e. V.

Théâtre Oriental Vevey. Atelier: Scholl Design. Schweiz. © Scholl Design/100 Beste Plakate e. V.

Staatsballett Berlin: Lib/Strong. Atelier: cyan. Deutschland. © cyan/100 Beste Plakate e. V.

Das Studio Es reüssierte auch mit einer Serie von drei Plakaten für die Kunstgalerie Helmuts Art Club im 4. Bezirk in Wien. Alle drei Einreichungen weisen dabei den gleichen Aufbau auf: Zwei Sujets dienen als immer wiederkehrendes Rapportmuster. Mit einer Serie von drei Plakaten für das Tanzquartier Wien überzeugte das Studio VIE die Jury. Das TQW gilt als die wichtigste Einrichtung für zeitgenössischen Tanz und Performance sowie für Choreografie in Österreich. Der Entwurf des Studio VIE zeigt ein sinnliches Körper-Schrift-Arrangement der österreichischen Künstlerin Jakob Lena Knebl, fotografiert von Katarina Šoškić.

Körper und Textbausteine, jeweils einer der drei Buchstaben des Akronyms TQW, bilden ein metamorphes Versatzstück aus Korallen, Muscheln, vergoldeten Knochen und organischen Körpern. Jakob Lena Knebl wird 2021 anlässlich der Biennale in Venedig den österreichischen Pavillon bespielen. Unter www.mak.at finden sich zahlreiche weitere digitale Angebote wie die neue Audioserie „Nachdenkereien“, der MAK-Blog, Podcasts zum Thema Creative Climate Care oder die MAK Lab App rund um Zukunftsgestaltung in Zeiten der Digitalen Moderne und des Klimawandels.

www.youtube.com/makwien           www.mak.at

25. 11. 2020

MAK: 100 Beste Plakate

November 3, 2015 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Kunst goes Alltagskultur

Zeig dein wahres Ich! Grafik: Simone Hans, Fachklasse Grafik, Fach- und Wirtschaftsmittelschulzentrum Luzern. Auftraggeber: APG/SGA Allgemeine Plakatgesellschaft AG, Luzern. Bild: © Simone Hans/100 Beste Plakate e. V.

Zeig dein wahres Ich! Simone Hans, Fachklasse Grafik, Fach- und Wirtschaftsmittelschulzentrum Luzern. Auftraggeber: APG/SGA Allgemeine Plakatgesellschaft AG, Luzern. Bild: © Simone Hans/100 Beste Plakate e. V.

Kaum ein anderes Medium ist derart auf den Verbrauch hin getaktet und setzt dennoch die Trends am Puls der Zeit. Das Plakat begegnet einem im Alltag überall. Es soll aufmerksam machen und Kunst sein. Ein gutes Plakat entfaltet sich im Kopf des Betrachters. Bereits zum zehnten Mal zeigt das MAK in der Ausstellung „100 Beste Plakate 14. Deutschland Österreich Schweiz“ die einhundert überzeugendsten Gestaltungskonzepte im wohl heißesten Medium der visuellen Alltagskultur. Die Schau startet am 11. November im Kunstblättersaal und im ersten Stock der Säulenhalle.

Die aktuellen Siegerprojekte aus 1800 Einreichungen beim beliebten deutschsprachigen Grafikdesignwettbewerb bestechen mit viel Sprachwitz, explosiver Farbgebung sowie einem subtilen Spiel mit Typographie und demonstrieren eindrücklich, dass ein Plakat mehr als nur eine banale Werbefläche sein kann.
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Angenehm frisch erscheint der Mix an Gestaltungselementen in diesem Jahr: Das deutsche Atelier The Adventures Of wirbt mit Texten von HipHop-Songs für die neuen Burger-Kreationen eines Berliner Szeneclubs. Die Plakate von Rocket & Wink für fritz-kola fallen mit einer Serie von comicartigen, geistreichen Schwarzweiß-Illustrationen auf. Erich Brechbühl schafft es, für eine Neuinterpretation von Shakespeares „Sommernachtstraum“ die Wesen des Waldes als Viagra-Tabletten-Skulptur in Tannenzapfenform umzusetzen. Für Österreich konnte erneut eine Studentin aus der Klasse für Grafik Design der Universität für angewandte Kunst Wien unter der Leitung von Oliver Kartak reüssieren. Dasha Zaichanka verwendet eine Banane als grafisches Stilmittel für das Plakat der Jahresausstellung „The Essence 14“. Ihre Arbeit erinnert an den Kölner „Bananensprayer“ Thomas Baumgärtel, der seit 1986 Schauplätze von Kunstinszenierungen, Museen oder Galerien mit seinem gesprayten Bananen-Logo versieht. Er selbst zitiert damit den Entwurf Andy Warhols für ein Plattencover von The Velvet Underground aus dem Jahr 1967.
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Wien, 3. 11. 2015

museum gugging: art brut japan – schweiz.!

September 15, 2015 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Götter, Monster und Dämonen aus Ost und West

Shinichi Kusunoki: GUNM (Pistolen-Träume) – Again›, 2008 Tintenstift auf Papier Bild: Besitz des Künstlers

Shinichi Kusunoki: GUNM (Pistolen-Träume) – Again›, 2008 Tintenstift auf Papier
Bild: Besitz des Künstlers

Das museum gugging und die galerie gugging blicken gemeinsam Richtung Japan und in die Schweiz. Mit der umfassenden kontrastierenden Schau „art brut: japan – schweiz.!“ startet das museum gugging in die Herbstsaison. Die galerie gugging arbeitet seit vielen Jahren mit Künstlern und Galerien sowohl aus Japan als auch aus der Schweiz zusammen und bietet ausgesuchte Arbeiten aus beiden Ländern an.

Mehr als 150 Werke umfasst die beeindruckende Schau, die Monika Jagfeld, Direktorin des Museums im Lagerhaus in St. Gallen, konzipiert hat und die nun das museum gugging in Österreich zeigt. Kurator Johann Feilacher legt den Schwerpunkt der Ausstellung auf japanische Positionen, um dem Publikum neue Entdeckungen aus Fernost zu ermöglichen. Erstmals ist in Österreich eine Gegenüberstellung von Schweizer und japanischer Art Brut zu sehen, zahlreiche künstlerische Werke, die von unterschiedlichen kulturellen Einflüssen geprägt sind. Und dennoch weisen manche Arbeiten, obwohl sie unabhängig und tausende Kilometer voneinander entstanden, erstaunliche inhaltliche Gemeinsamkeiten auf. Götter, Dämonen, Monster aber auch Flugobjekte, Fahrzeuge und die Erschaffung ganzer Welten verbindet die Art Brut in Ost und West. Aus der Konfrontation von Verschiedenem und Ähnlichem entsteht ein offener Diskurs, der die Art Brut neu verortet.

Anders als in Europa, wo sich das Interesse für Art Brut aus der künstlerischen Avantgarde Anfang des 20. Jahrhunderts entwickelte, ist in Japan deren Förderung aus dem Sozial- und Gesundheitswesen entstanden. Mit dem Aufbau des Sozialfürsorgesystems ab 1946 änderte sich die Wahrnehmung von Menschen mit psychischer Beeinträchtigung, die bis dahin stark diskriminiert waren. Im Jahr 2004 wurde das Borderless Art Museum NO-MA in der Präfektur Shiga gegründet. Durch die Arbeit dieses Museums kommt der Art Brut in Japan heute eine besondere Aufmerksamkeit zu. Erst seit wenigen Jahren ist japanische Art Brut in Europa zu sehen, sie wurde aber in erstaunlicher Geschwindigkeit in internationalen Fachkreisen bekannt. Mit der aufsehenerregenden Präsentation von Shinichi Sawadas Arbeiten auf der Biennale in Venedig 2013 und der prominenten Veröffentlichung seiner Arbeit im Kunstmagazin „Art“ hat die japanische Art Brut ein breiteres Publikum erfasst. Sawadas faszinierende Keramikarbeiten – Götter, Dämonen, Ungeheuer – lassen sich in die jahrtausendelange Tradition der Shigaraki-Brennöfen und ihre historische Keramikproduktion einordnen. Der Künstler nimmt damit nicht nur eine zentrale Rolle innerhalb der Art Brut ein, sondern auch einen wichtigen Platz in der japanischen Kunstgeschichte.
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Norimitsu Kokubo integriert in seine zeichnerische Tätigkeit all das, was seine Neugier erweckt – so kartografiert er Erde und Himmel mit seinen Karten. Kokubo sammelt sein Bildmaterial im Internet, im Fernsehen oder in Reisekatalogen. Aus diesem Rohmaterial kombiniert und zeichnet er nach Belieben neue Szenen und Geschichten. Zu sehen sind zudem Werke von Künstlerinnen wie Sakiko Kono mit ihrer Puppen-Parallelwelt, die ihr Wohnheim abbildet. In dieser künstlerisch imaginierten Gesellschaft leben alle Menschen frei, bereisen zusammen die Welt und gründen fiktionale Länder. Juichi Saitos feinstrichige Arbeiten haben ihren Ursprung in der Kalligrafie – als Kalligrafen im klassischen Sinne kann man ihn allerdings nicht bezeichnen. Er wählt Zeichen aus zuvor gesehenen Fernsehtiteln und überschreibt sie unentwegt, bis sich luftig verwehte Wolkenformationen bilden – Lesbarkeit ist für den Künstler nachrangig. „Art Brut Japonais“ zeigt sich als Kaleidoskop unterschiedlicher künstlerischer Facetten, die zwischen hermetischen subjektiven Weltentwürfen und Einflüssen japanischer Traditionen changieren und nicht nur Charakteristisches der Art Brut, sondern eine ausgesprochene Schönheit vermitteln.
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Große Namen aber auch unbekannte Positionen sind auf der Schweizer Seite von (wiederzu)entdecken. Aloïse Corbaz, eine der international bedeutendsten Vertreterinnen der Art Brut, ist mit wichtigen Arbeiten zu sehen. Liebespaare sind Corbaz‘ Hauptthema, doch stehen die Frauen immer im Zentrum. Selbstbewusst präsentieren sie ihren sinnlichen Körper und strahlen eine ungewöhnlich kühle Erotik aus, die durch die bestechend blauen Augenflächen verstärkt werden. Diese Augen erlauben es nach außen zu schauen, verwehren aber, so die Künstlerin zu ihren Arbeiten, den Blick in ihr Inneres. Madonnen waren seit den 1960er Jahren Hans Schärers großes Thema – eine davon ist in Gugging zu sehen. Schärers Madonnen sind stelenartige, vereinfachte, halslose Frauenfiguren mit unheimlichem Stirn- oder Brustauge und bedrohlich bezahntem Mund, umgesetzt in einem groben Farbauftrag mit eingearbeiteten Materialien wie Steinen, Wachs oder Textilien. Sie sind archaische Göttinnen und Monstermadonnen zugleich.
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Daneben finden sich eine Reihe bemerkenswerter Künstler wie Alfred Leuzinger, Anna Kahmann mit ihren schillernden „Güggel“ (Gockel) oder Josef Wyler, der mit seinen comicartigen Zeichnungen fantastische Welten erschafft.
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Wien, 15. 9. 2015