Volkstheater: Kay Voges präsentiert den ersten Spielplan

November 10, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Start mit Jandl, Bernard, Jelinek; neue „Black Box“ unterm Dach; Calle Fuhr übernimmt die Bezirke

Kay Voges beim Videodreh. Bild: © Marcel Urlaub / Volkstheater

Mitten aus der Baustelle Volkstheater meldet sich der neue Direktor des Hauses zu Wort: #Corona-bedingt präsentiert Kay Voges seinen ersten Spielplan via Videobotschaft – und die ist schon eine Inszenierung für sich. Umringt von lebenden Mädchenpuppen, Napoleons und Nazis beschreibt er das Volkstheater neu als Raumgeber für darstellende wie bildende Kunst, und für den politischen Diskurs. „Das Volkstheater ist ein Ort der Kunst und der

Auseinandersetzung, für Literatur und Grenzerfahrung, Gegenwart und Utopie, Diskurs und Pop“, sagt Voges über seine Pläne. Vom Ensemble sind Evi Kehrstephan, Claudia Sabitzer, Stefan Suske und Günther Wiederschwinger geblieben, Birgit Stöger beispielsweise zeigt bereits im Kosmos Theater mit „Frau verschwindet (Versionen)“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=42119) ein weiteres Mal ihr Können, die anderen von Voges vorgestellten Schauspielerinnen und Schauspieler kennt man in Wien noch nicht, man darf also gespannt sein. Auf diesen, wie Voges es nennt, „Teamsport mit einem eingeschworenen, respektvoll und auf Augenhöhe miteinander arbeitenden Team“, 20 Akteurinnen und Akteuren aus Wien, Dortmund, Berlin, München, Linz und Graz, das „frech, laut und mutig an gedanklich scharfen Gegenwartsbeschreibungen“ tüfteln will.

Im seit Anna Badora um fünf Köpfe gewachsenen Ensemble ist mit Nick Romeo Reiman ein vor allem aus Filmen, etwa „Türkisch für Anfänger“, bekanntes Gesicht. Julia Franz Richter war zuletzt am Schauspielhaus Graz engagiert, Samouil Stoyanov an den Münchner Kammerspielen, er arbeitet in „Der Alte“ oder „Soko München“ auch fürs Fernsehen. Mit Anna Rieser kommt die 2019 mit dem Nestroy-Preis als „Bester Nachwuchs“ ausgezeichnete Akteurin aus dem Landestheater Linz nach Wien. Für die kommende Saison hofft Voges noch weitere vier neue Ensemblemitglieder aufzunehmen.

Das sanierte Theater startet (hoffentlich) am 8. Jänner mit „Der Raum“ von Ernst Jandl in der Regie von Kay Voges.In dieser ersten, verkürzten Spielzeit zeigen wir knapp 30 Veranstaltungen, davon unter anderem vier Uraufführungen, sechs Übernahmen, Musikveranstaltungen, ein Festival, eine Österreichische Erstaufführung und eine Universums-Uraufführung – von der Bühne im Haupthaus, dem Volx in Margareten, bis hin zu den Produktionen in den Bezirken“, so Voges. Die unter dem Namen Black Box/Dunkelkammer wiederentdeckte Spielstätte unter dem Dach des Hauses, von Emmy Werner „Am Plafond“ genannt, von Michael Schottenberg als „Schwarzer Salon“ bespielt, soll die Spielorte des Volkstheaters erweitern.

Darüber hinaus gibt es ein umfangreiches Programm in der Roten Bar: Diskussionsabende, Lecture Performances und musikalische Late Night Shows zum Gespräch und zum partizipativen Austausch. Die Startproduktion „Der Raum“ sieht Dramaturg und Kurator Henning Nass als „szenisches Gedicht für Beleuchter und Tontechniker“, ein #Corona-taugliches Stück“ aus den frühen Siebzigerjahren, eine Produktion, die ohne Schauspieler und ohne Sprache auskommt, eine Hymne an den Sehnsuchtsort Theater und an die Bühne. „Oder ganz böse gesagt: Dieser Abend könnte sogar ohne Zuschauer auskommen. Das wäre eine Erzählung, wie es den Theatern derzeit geht. Dass sie auch leer noch ein Leben haben. Das wird, glaube ich, eine schöne Meditation zur Eröffnung des neuen Hauses“, ergänzt Voges.

Calle Fuhr. Bild: © Marcel Urlaub / Volkstheater

Christoph Gurk. Bild: © Marcel Urlaub / Volkstheater

Danach folgt ein Premierenreigen. Den Auftakt macht Rimini Protokoll mit „Black Box“, einem „Phantomtheater für eine Person“ am 9. Jänner, in der, wie Dramaturg und Kurator Christoph Gurk erläutert, im Fünfminutentakt jeweils ein mit einem Kopfhörer ausgerüstet Zuschauer auf einen Hausrundgang geschickt wird. Gurk: „Am besten erklärt ist das Stück wohl als Audiowalk durch alle Abteilungen, die an der Entstehung von Theater beteiligt sind, und währenddessen hört man die Stimmen der Kolleginnen und Kollegen, die ihre Arbeit erläutern. Schnitt auf Stefan Suske, der als „Bühnenarbeiter“ Holzbalken und Plastikkanister von A nach B trägt …

Tags darauf am 10. Jänner  folgt die Wien-Premiere von Voges’ Dortmunder „Theatermacher“-Inszenierung aus dem Jahr 2018. Am 14. Jänner steht Susanne Kennedys Tschechow-Bearbeitung von „Drei Schwestern“ an, deren Gastspiel mit „Ultraworld“ bei den diesjährigen Wiener Festwochen aufgrund der Reisebeschränkungen ausfallen musste und mit der eine längerfristige Zusammenarbeit am Volkstheater geplant ist. „Kennedy wird in ihrer Fassung den Tschechow-Text mit geschichtsphilosophischen Reflexionen verknüpfen, zum Beispiel mit Nietzsches ,Lehre von der ewigen Wiederkehr‘“, so Gurk. „Das fügt sich sehr gut in einen unserer Schwerpunkte für die Spielzeit ein, in dem es um Loops und Wiederholungen geht.“

Wie die Kennedy-Inszenierung kommt auch Florentina Holzingers für Mai geplante und für Wien adaptierte „Etude for an Emergency“ von den Münchner Kammerspielen. Die erste Uraufführung trägt den Titel „1. Kreuz brechen oder Also alle Arschlöcher abschlachten“. Der Text ist – Nass: „ein unendlicher, emotionaler und obszöner Strom von Wörtern – der erste Teil eines mehrteiligen Werks der neuen Hausautorin Lydia Haider, die im Sommer den Publikumspreis beim Bachmann-Wettlesen gewann und deren Stück „Am Ball“ im Dezember im Schauspielhaus Wien uraufgeführt wird. Die Inszenierung übernimmt Intendant Voges, Premiere ist am 16. Jänner.

Eine Herausforderung, wie er zugibt: „Es ist ein Stück, das von den Regieanweisungen her einfach nicht spielbar ist. Da kommt Lydia Haider uns sehr in unserem Bestreben entgegen, herauszufinden, wie das unmögliche Theater möglich gemacht werden kann“, sagt Voges im APA-Interview. Mit „Bliss“ von Ragnar Kjartansson, der filmischen Montage einer Live-Performance in Los Angeles, beschließt man am 17. Jänner die turbulente Eröffnungswoche. „Bliss“ ist eine zwölfstündige Oper über Mozarts finale Arie aus „Die Hochzeit des Figaro“. „Kjartansson lässt diese Arie von großem Ensemble und großem Orchester endlos wiederholen“, so Nass.

Des Weiteren auf dem Programm stehen „Einsame Menschen“ von Gerhart Hauptmann und „Endspiel“ von Samuel Becket. Den Hauptmann wird Jan Friedrich auf die Bühne heben, „der Newcomer“, wie Dramaturgin Jennifer Weiß sagt, während hinter ihr lebensgroße Puppen Unzucht treiben. „Jan Friedrich kommt vom Puppenspiel und zeichnet sich durch seine queer-poppige Ästhetik aus.“ Das Volkstheater zeigt ab März außerdem „Erniedrigte und Beleidigte“ nach dem Roman von Dostojewski und „In den Alpen/ Après les Alpes“.

Jennifer Weiß. Bild: © Marcel Urlaub / Volkstheater

Letzteres eine Collage von Elfriede Jelinek mit Fiston Mwanza Mujila, inszeniert von Claudia Bossard, die sich bereits im Kosmos Theater mit dem Thema beschäftigte (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=37418). Weiß über Fiston Mwanza Mujila (Rezension „Zu der Zeit der Königinmutter“ am Akademietheater: www.mottingers-meinung.at/?p=32130): „Wir haben dem österreichisch-kongolesischen Autor einen Stückauftrag gegeben. Im Text wird es um die postalpine Zukunft nach Après-Ski gehen, es ist ein Ausblick von den kolonialen Ursprüngen des Alpenraums à la ,Heart of Darkness‘.“

Den verschwurbeltsten Titel liefert der Erzkünstler und Neo-Opernregisseur (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=25228) Jonathan Meese im März mit „KAMPF L.O.L.I.T.A. (EVOLUTION IST CHEF) oder L.O.L.I.T.A.D.Z.I.O. (Zardoz fliegt wieder!) oder L.O.L.I.T.A. DE LARGE (Das 3. Baby) oder DIE BARBARENLOLITAS (Kampf um Kunst) oder DR. ERZLOLITA DE L.O.L.I.T.A. (ZARDOZ LEBT) oder DIE ZARDOZLOLITAS (Keine Angst)“, einer „Universums-Uraufführung“, die, so der langjährige Meese-Intimus Henning Nass, auf Nabokovs Skandalroman basiert. „Da können wir uns auf was gefasst machen“, verspricht Voges.

Gespannt sein darf man auch auf die Österreichische Erstaufführung von Wolfram Lotz‘ „Die Politiker“ im April. Das Volx/Margareten wird im kommenden Jahr mit einer neuen Produktion bespielt: Am 15. Jänner kommt dort „Humane Metholds [Exhale]“ der Gruppe Fronte Vacuo zur Uraufführung, bei der der Mensch auf Algorithmen trifft. Die neue Black Box unter dem Dach wird von zwei Wien-Premieren bespielt: Für das Frühjahr ist „Konstellationen“ von Nick Payne angekündigt, im April steht „Uncanny Valley / Unheimliches Tal“ von Thomas Melle und Stefan Kaegi und dem Rimini Protokoll auf dem Programm.

Das Volkstheater in den Bezirken, bisher eher konventionell programmiert, soll unter der Leitung des Düsseldorfers Calle Fuhr „der subversive Zwilling des Haupthauses“ werden, Fuhr wird dort etwa den Monolog „Heldenplätze“ aufführen, Ed. Hauswirth kümmert sich um die „Recherche Show“. Bestrickend klingt jetzt schon das Format „Lesen & Tschechern“ in der Roten Bar. „Wir laden Sie herzlich zu einer gemeinsamen Reise durch gegenwärtige und neu gelesene Dramatik, zu Grenzgängen zwischen darstellender und bildender Kunst, zu musikalischen und choreographischen Produktionen, zu diskursiven und partizipativen Formaten und zur lustvollen Auseinandersetzung mit unserer Zeit ein“, endet Kay Voges seine Programmvorschau.

Er singe schon seit Tagen Bert Brechts „Ja, mach‘ nur einen Plan“ vor sich hin, sagt er. Das Erbe, das er an dem kriselnden, unter Zuschauerschwund leidenden Hauses antritt, ist kein leichtes. Doch dem Team, das sich via Video so sympathisch und engagiert präsentiert, und dem die besorgte Presse bereits die Frage nachwirft, wie „Wienerisch“ das Haus wohl bleiben werde, kann es durchaus gelingen, das hiesige Publikum für sich zu gewinnen. In diesem Sinne: Volkstheater unter Kay Voges, gemmas an!

www.volkstheater.at

  1. 11.2020

Rabenhof: Das Programm der Saison 2020/21

Juni 28, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Andreas Vitásek spielt „Der Herr Karl“

Keine Angst!: Katharina Straßer, Hanna Pichler, Erich Buchebner, Bernhard Egger und Geri Schuller. Bild: Ingo Pertramer

„Weida!!!“ hat Rabenhof-Chef Thomas Gratzer als Motto für die kommende Spielzeit ausgegeben, und die verspricht nicht weniger als Live-Porno, Dancing Star-Festspiele, gestrige und heutige Blockwarte, Outback-Erfahrungen, eine Babyelefanten-Schlachtung, ein Jukebox-Musical, Polit-Corona-Party-Satire und Literaturpreziosen. „Wir haben Ischgl überlebt und starten, trotz verschärfter Situation, mit gewohnter ironisch-schräger Vorstadtattitüde in die Gemeindebautheater-Saison 2020/2021“, so Gratzer launig, bevor er ernst wird:

„Die Covid-19-Krise und der damit einhergehende ,Shutdown‘ haben unser Haus besonders hart getroffen, da wir mit einem Eigendeckungsgrad von 65 % sehr stark einnahmenabhängig sind. Das heißt, dass die kommende Saison 20/21 und möglicherweise auch noch die erste Hälfte der Saison 21/22 sehr stark der wirtschaftlichen Stabilisierung gewidmet werden müssen, um unsere derzeitige #Corona-bedingte Schieflage wieder auszugleichen.“ Die Saisonauslastung betrug zum Zeitpunkt der Schließung 91,43 % bei bis

dahin 52.000 Besucherinnen und Besuchern in 195 Vorstellungen. Und auch während des Lockdowns war der Rabenhof mit Albert Camus‘ „Die Pest“-Lesemarathon und der TV-Show „Abgesagt? Angesagt!“ äußerst aktiv. Ersteres Projekt konnte in einer Woche 150.000 Zuseherinnen und Zuseher erreichen, auf zweiteres gab es pro Sendung 70.000 bis 80.000 Zugriffe. Gratzer: „Nach der letzten Sendung am 4. Juli  werden wir in 15 Shows knapp 100 Künstlerinnen und Künstlern Auftrittsmöglichkeiten und solide Gagen geboten haben.“ Kein schlechtes Ergebnis in einer Zeit, wo „Live“-Kunst eigentlich gar nicht möglich war.

Ab dem Herbst bleibt das Rabenhof Theater selbstverständlich dem Zeitgenössischen verbunden und natürlich hat das polit-satirische Element auch weiterhin eine zentrale Stellung im Spielplan des Hauses. Mit den „Big Playern“ der Satire-Szene wie den Staatskünstlern, Maschek sowie den äußerst erfolgreichen „Newcomern“ Michael Nikhbash und Klaus Oppitz will man dem Publikum die dringend nötigen politisch-ironischen Post-Corona-Betrachtungen liefern. Mit „Der Herr Karl“ begibt sich Kabarett-Legende Andreas Vitásek in die ultimative Horror-Show der österreichischen Grauslichkeiten. Noch immer so aktuell wie bei der Uraufführung.

Schauspieler, Musiker, Theaterintendant – und im Herbst auch Dancing Star – Christian Dolezal hat gleich zweimal Premiere. Ebenso wie Rabenhof-Urgestein Christoph Grissemann, der auch als Barock-Wüstling in der „Samuel Pepys Show“ zu sehen sein wird. Mit dabei: Komponist und Musiker Manfred Engelmayr. Eine Austropop-Hommage gibt’s am 10. November von Publikumsliebling Katharina Straßer unter dem Titel „Keine Angst“, außerdem die Welturaufführung eines noch unveröffentlichten pornografischen Textes von Felix Salten mit dem Titel „Albertine“ am 7. April. Im Literatursalon wird Kultautor und Sänger Sven Regener Kafkas „Das Schloß“ lesen, Rocko Schamoni kommt endlich auch wieder einmal, Thomas Raab holt seine Buchpräsentation nach und des Rabenhofs Lieblingsbobo Manuel Rubey präsentiert sein Erstlingswerk.

Andreas Vitásek spielt Helmut Quatingers/Carl Merz‘ „Der Herr Karl“. Bild: Jan Frankl / Rabenhof

Rabenhof-Mastermind Thomas Gratzer geht mit seinen Produktionen ins „Outback“. Bild: Rabenhof / Ingo Pertramer

Und dann gibt’s noch Rabenhof@VIENNA OUTBACK. „Wir bespielen erstmals mit ausgewählten Shows die Häuser der Begegnung in Floridsdorf, Kagran und Liesing“, so Gratzer. „Unter dem Titel Rabenhof@VIENNA OUTBACK gibt’s eine neue Reihe, in der ausgewählte Produktionen und Shows jenseits von Gürtel und Donaukanal präsentiert werden sollen. Denn da beginnen nach Meinung vieler Wienererinnen und Wiener die ,Outbacks‘. Wir rücken diese Bezirke ins Zentrum der Rabenhof Theater-Welt und treten den Gegenbeweis an – in Floridsdorf, Kagran und Liesing spielt die Musi!“ Den Start machen Stermann & Grissemann, Ernst Molden, Katharina Straßer und Maschek.

Die erste Premiere im Dritten bestreiten am 7. Oktober die Staatskünstler mit „Jetzt erst recht! reloaded: Koste es, was es wolle“. Österreichs Nr. 1 an der Satirefront Florian Scheuba, Thomas Maurer und Robert Palfrader mit einem brandaktuellen Update ihrer Erfolgsshow zur Lage der Babyelefanten-Nation. Ab dem 10. Oktober erzählen in „Buh!“ Christoph Grissemann und Christian Dolezal über ihre größten TV- und Theaterniederlagen – ganz nach dem Motto „Jammern auf niedrigstem Niveau“. Dolezal #2 gibt’s am 19. Jänner mit „Herzschlampereien“. „Der Dole“ präsentiert einen sehr persönlichen Soloabend über Liebe und Triebe, erzählt vom Streben, endlich Liebe leben zu können, und dem Scheitern am Weg dahin – aufgrund lächerlichster Unzulänglichkeiten. Und all diese Peinlichkeiten und skurrilen Amourschaften mit der Pferdeliebhaberin, dem Transvestiten und dem Landwirten und der lieben Frau Knechtl haben sich wirklich genau so zugetragen. Dolezal schwört das.

Am 20. Oktober schlüpft Andreas Vitásek in den charakterlosen Qualtinger/Merz-Charakter „Der Herr Karl“. Ob die Wiederauferstehung des Blockwarts im Tarnanzug von Hipster-Bobo-Helikopter-Eltern, Impfgegnerinnen, Kleinwalsertal-Fanboys und -girls, Staatsverweigerern oder Ibizza-Verharmloserinnen – die Liste der österreichischen Grauslichkeiten ist lang und wird immer länger. Gratzer: „Wer wäre passender, um mit seinen Wiener Wurstfingern in den Wunden zu bohren, als ,Der Herr Karl‘ und wer, wenn nicht Andreas Vitásek, sollte den ewigen Denunzianten aus der Quarantäne auf die Vorstadtbühne holen? Auch wenn der Schilling dem Euro weichen musste und Facebook längst den Bassenatratsch ersetzt hat, so fehlt es auch heute nicht an Wendehälsen und Vernaderern – ob im Onlineforum oder bei Pressekonferenzen – Wien bleibt Wien!“

Ergänzt Andreas Vitásek: „So sind wir nicht. Oder doch? Der Herr Karl ist eine bewährte Navigationshilfe bei der Suche nach der österreichischen Seele. Die Zeiten mögen sich ändern, doch manches bleibt. Oder, wie Bertolt Brecht sagte: ‚Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.‘ “

www.rabenhoftheater.com

28. 6. 2020

Landestheater NÖ: Das Programm der Spielzeit 2020/21

Juni 23, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

200 Jahre Welt-Bürger*innen-Theater

Olivia Khalil, Marie Rötzer, Julia Engelmayer und Ruth Brauer Kvam. Bild: Alexi Pelekanos

Vor 200 Jahren haben die Bürgerinnen und Bürger St. Pöltens ihr Theater gegründet. Deshalb feiert das Landestheater Niederösterreich in der Saison 2020/21 „200 Jahre Welt-Bürger*innen-Theater“ – wegen der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus erst ab der zweiten Hälfte der Spielzeit, dafür dann ein ganzes Jahr lang! Im Spielzeitheft finden sich bereits Teaser der geplanten Formate und Angebote wie: 200 Jahre Gala, Theaterfest, Der spendierte

Platz, 20 x 20 Gemeinden, Wegmarkierungen in der Stadt, Hausverhüllung, Konzert auf dem Rathausplatz, Weltbürger*Innen-Pass, Der 200. Platz Online, Landestheater Jubiläums-Café Edition, Landestheater-Sessel, 200 Jahre Jubiläums-Abo …

Eröffnet wird die fünfte Spielzeit von Marie Rötzer am Landestheater Niederösterreich am 18. September im Großen Haus mit der Premiere von „Molières Schule der Frauen“. Mit temporeichen Dialogen, Witz und Ironie werden hier Geschlechterklischees auf den Kopf gestellt. 1662 löste die Uraufführung von „Die Schule der Frauen“ einen handfesten Theaterskandal aus. Kritik am Ehestand und die Emanzipation der Frauen waren damals ein Tabu. Fast 400 Jahre nach der skandalträchtigen Pariser Uraufführung geht die Schauspielerin und Regisseurin Ruth Brauer-Kvam dem Gehalt des Stückes mit den Mitteln der Commedia dell’arte sowie mit viel Live-Musik und heutigen Erkenntnissen auf den Grund: Ist es ein Frauen- oder doch eher ein Männerstück? Und wer geht hier bei wem in die Schule? Als musikalische Unterstützung des Ensembles ist Ingrid Oberkanins zu sehen. Der Komödienklassiker steht auch als Silvesterstück am 31. Dezember mit zwei Vorstellungen auf dem Spielplan.

Am 26. September steht im Großen Haus die Premiere der „Bekenntnisse des Hochstaplers Felix Krull“ nach Thomas Mann auf dem Spielplan, die eigentlich bereits vergangenen März hätte vonstatten gehen sollen, aufgrund der Corona-Krise aber verschoben werden musste. „Es ist ein allgemeines, menschliches Bedürfnis, sich täuschen zu lassen“, schreibt Felix Krull in seinen „Memoiren“. Diese Erkenntnis, dass fast überall nur der Schein gilt, nicht das Wesen, macht sich Thomas Manns charmantester Held geschickt zunutze. Der Schelmenroman gilt bis heute als das erfolgreichste Werk des Nobelpreisträgers und wurde vielfach verfilmt. Regisseur Felix Hafner nimmt die Geschichte des smarten Kriminellen und hinreißenden Phantasten zum Anlass, um die Frage „Will die Welt betrogen werden?“ neu zu stellen.

„Christoph Kolumbus“ von Miroslav Krleža, dem „kroatischen Grillparzer“, ist das Stück der Stunde. Mitte März musste das Haus die Proben kurz vor der Premiere abbrechen. Nun erfährt das Stück, das von der Suche nach neuen Utopien und Idealen handelt, ungeahnte Aktualität. In starken, expressionistischen Bildern erzählt Krleža von Christoph Kolumbus’ abenteuerlicher Seefahrt und zieht Parallelen zwischen der Epoche der Renaissance und der revolutionären Aufbruchsstimmung Kroatiens vor dem Ersten Weltkrieg. Rene Medvešek wird das Kolumbus-Projekt als beeindruckendes Oratorium und großes, formstarkes Musik-Theater in einer Koproduktion mit den Vereinigten Bühnen Bozen mit einem mehrsprachigen Ensemble auf die Bühne des Landestheaters bringen. Die Premiere und gleichzeitig deutschsprachige Erstaufführung findet am Samstag, dem 3. Oktober im Großen Haus statt.

Bei Schiller ist die große Liebe von einem Tag auf den anderen keine Angelegenheit der Herzen mehr, sondern ein spannungsgeladenes Politikum. Mit 23 Jahren verfasste er mit „Kabale und Liebe“ ein bürgerliches Trauerspiel als jugendliche Kampfansage gegen die Vätergeneration und die herrschende Ständegesellschaft. Wie in allen Epochen, die von großen Veränderungen geprägt sind, schreibt auch heute wieder die junge Generation kompromisslos ihre Forderung nach einer besseren Welt auf ihre Fahnen. Der renommierte Regisseur Stephan Rottkamp, der zuletzt am Schauspielhaus Graz und am Nationaltheater Weimar gearbeitet hat, wird den großen Klassiker als seine erste Inszenierung am Landestheater Niederösterreich zeigen. Premiere ist am Freitag, dem 27. November im Großen Haus.

Nach dem Jahreswechsel, am 22. Jänner, feiert eine weitere Dramatisierung eines Stoffes von Thomas Mann Premiere am Landestheater, „Der Zauberberg“. Im Rahmen einer Koproduktion mit dem Grand Théâtre de la Ville de Luxembourg bringt man dieses „Menschheitsbuch“, wie Thomas Mann sein 1924 erschienenes Opus magnum nannte, auf die Bühne. Hoch oben in den Schweizer Alpen liegt das Sanatorium Berghof. Während Europa im frühen 20. Jahrhundert von Innovationen und Reformen, Krisen und Kriegen in Atem gehalten wird, vergeht hier in der elitären Lungenheilanstalt „die Zeit ganz anders“. Die Regisseurin Sara Ostertag, die für ihre poetisch-musikalischen Inszenierungen vielfach ausgezeichnet wurde, überprüft den intellektuellen Abenteuerroman als Parabel auf die heutige Wohlstandsgesellschaft. Für die Musik wird die bekannte österreichische Komponistin und Musikerin Clara Luzia verantwortliche zeichnen, die zudem Gast im Ensemble dieser internationalen Koproduktion ist.

Seit 2012 vergibt das Land Niederösterreich in Zusammenarbeit mit dem Landestheater Niederösterreich biennal das Peter-Turrini-DramatikerInnenstipendium, ein Arbeitsstipendium zur Förderung der zeitgenössischen Dramatik. Die Siegerin des letztjährigen Bewerbes war Teresa Dopler mit ihrem Entwurf „Monte Rosa“. Im Mai wurde das Stück fertiggestellt und hätte bereits zur Uraufführung kommen sollen, was aufgrund der Maßnahmen zur Eindämmung des Corona-Virus nicht möglich war. Am 12. März ist es nun endlich soweit. Der Regisseur Daniel Hoevels zeichnet für die Uraufführung des Stückes verantwortlich, das keine geringere Frage stellt, als die nach dem Wert des Lebens selbst. In kristallklarer Sprache und mitunter sehr humorvollen Dialogen entwickelt Teresa Dopler ein erschreckend realistisches Zukunftsszenario. In dieser Geschichte zwischen romantischer Schönheit und globaler Zerstörung drohen heutige Grundwerte wie lockere Gesteinsmassen abzurutschen.

Willkommen in einer Welt, die ihr Glück mehr vom Schein als vom Sein abhängig macht. Voller hinreißender Komik, witzesprühender Dialoge und messerscharfer Kritik an den Verhältnissen seiner Zeit ist „Der Talisman“ eines der großen Meisterwerke von Johann Nepomuk Nestroy. Aus jeder Silbe schlägt ein Geistesblitz. Nestroy sei „der erste deutsche Satiriker“, dessen Sprache sich „Gedanken macht über die Dinge“, so beschrieb Karl Kraus die herausragende Sprachkunst Nestroys. Das Regieduo und Theaterleiter-Paar Kaja Dymnicki und Alexander Pschill, die auf der Wiener Bühne Bronski & Grünberg Furore machen, bringt „Der Talisman“ mit viel Musik und eigenen Couplets so auf die Bühne, dass sich Intellekt und Sinnlichkeit leichtfüßig begegnen. Als Gäste im Ensemble dieser legendären Komödie stehen Florian Carove, Christian Dolezal, Doris Hindinger, und Stefan Lasko auf der Bühne. Premiere: Samstag, 20. März, Großes Haus.

Am 14. Mai geht in der Theaterwerkstatt die Premiere von „Die Reise – ein grenzüberschreitendes Theaterprojekt“ nach Franz Kafka, W.G. Sebald u. a. über die Bühne, in einer internationalen Koproduktion mit der Performanceplattform Terén, Zentrum für experimentelles Theater Brünn. Gemeinsam mit dem künstlerischen Team rund um die junge tschechische Regisseurin Anna Klimešová begibt sich das Publikum auf eine Reise in die Geschichte von Österreich und Tschechien, die trennt und verbindet gleichermaßen. Inspiriert von Kafkas „Reisetagebüchern“, in denen sich der Schriftsteller als genauer Beobachter sowie als humorvoller und empathischer Zeitgenosse erweist, unternehmen Schauspieler aus dem Ensemble des Landestheaters gemeinsam mit Schauspielern aus Tschechien eine Spurensuche nach der kollektiven Seele der beiden Länder.

„Othello“, William Shakespeares meistgespielte Tragödie um Neid, Hass, Lügen und Intrigen, ist Rache- und Eifersuchtsdrama zugleich. Es geht um rassistische Stereotype und gesellschaftliche Vorurteile und um die Zerbrechlichkeit einer Liebe. Der Londoner Regisseur Rikki Henry sorgte in der vergangenen Spielzeit bereits mit seiner gefeierten Inszenierung des „Hamlet“ für Aufsehen. Mit „Othello“ setzt er seine Auseinandersetzung mit dem Shakespeare’schen Werk und einer zeitgenössischen und atmosphärischen Inszenierungsästhetik fort. Die Premiere findet am 7. Mai im Großen Haus statt.

In Gastspielen aus dem Schauspielhaus Zürich, dem Schauspiel Köln, dem Berliner Ensemble oder Les Théâtres de la Ville de Luxembourg sind in Arbeiten von Thierry Mousset, Oliver Reese, Rafael Sanchez oder Nicolas Stemann unter anderen Peter Lohmeyer, Andreas Lust, Nikolaus Habjan, Sebastian Rudolph, Daniel Lommatzsch und Meike Doste zu sehen. Barbara Petritsch und Nikolaus Habjan sowie Ursula Strauss sind auch mit Leseabenden zu Gast.

www.landestheater.net

23. 6. 2020

Schauspielhaus Wien präsentiert Saison 2020/21

Juni 20, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Langzeitprojekt namens „Lost in Space and Time“

Tomas Schweigen und Lucie Ortmann stellen das Programm 2020/21 vor. Bild: Film-Still aus dem Spielzeitvideo, Kamera: Patrick Wally

Das Schauspielhaus Wien hat das Programm für die Spielzeit 2020/21 bekanntgegeben. Dies geschah diesmal nicht auf konventionelle Weise, sondern im Rahmen eines digitalen Pre-Release auf www.schauspielhaus.at. Neben ersten Beiträgen des hypermedialen Langzeit-Projekts „Lost in Space and Time“, gleichzeitig der „Albumtitel“ der kommenden Spielzeit, findet sich dort ein vierminütiges Video, in dem

Intendant Tomas Schweigen und die neue Leitende Dramaturgin Lucie Ortmann gemeinsam mit dem Ensemble und den Regisseurinnen und Regisseuren ihre Pläne vorstellen. In der aktuellen Saison kam es #Corona-bedingt nicht mehr zu den beiden letzten geplanten Premieren, beide Produktionen konnten jedoch verschoben werden: Somit startet das Schauspielhaus Wien am 30. September mit der Uraufführung des Auftragswerks „Rand“ von Miroslava Svolikova in die neue Saison.

Nebenfiguren dieses Textes – eine Gruppe von Astronautinnen und Astronauten auf einer verlorenen Raumstation – bilden den Ausgangspunkt des während des Lockdowns entwickelten Spin-Offs „Lost in Space and Time“, das sich in Form von diversen Beiträgen – Hörspielen, Aktionen, Performances, Video-Clips in öffentlichen Verkehrsmitteln … – über die gesamte Spielzeit spannen wird. Die zweite Premiere ist am 30. Oktober mit dem ebenfalls verschobenen „Tragödienbastard“ von Ewelina Benbenek in der Regie von Florian Fischer.

Hysteria-Mitglied Lydia Haider ist „Am Ball“. „Niemand schreibt so böse wie sie“, urteilte unlängst die ARD. In „Am Ball“ nimmt Lydia Haider das Publikum mit auf einen gewaltvollen, orgiastischen Trip durch die Wiener Hofburg. Die Geschichte verbindet die genaue Beschreibung eines Akademikerball-Besuchs mit Splatter-Fantasien. Dokumentation und Horror – hier wird beides real. Die Berliner Regisseurin und Videokünstlerin Evy Schubert inszeniert die Uraufführung im Nachbarhaus/USUS. Premiere ist am 3. Dezember.

Gratzer-Preisträgerin 2020: Anna Neata. Das Hans-Gratzer-Stipendium hat sich insbesondere in den letzten Jahren zu einem Sprungbrett für junge Talente entwickelt. Heuer konnte die Salzburgerin Anna Neata den Preis für sich entscheiden. Die formal bestechende und inhaltlich dringliche Auseinandersetzung mit weiblichen Körpern sowie der Zuschreibung von Mutterschaft überzeugte die Jury. „Oxytocin Baby“ in der Regie von Rieke Süßkow ist ab dem 28. Jänner zu sehen.

Bild: Screenshot aus dem Spielzeitvideo, Kamera: Patrick Wally

Bild: Screenshot aus dem Spielzeitvideo, Kamera: Patrick Wally

Bild: Screenshot aus dem Spielzeitvideo, Kamera: Patrick Wally

Bild: Screenshot „OK Baikonur, we’ve had a problem here“

Kollektive Autor*Innenschaft: Teams übernehmen Anfang 2021 das Schauspielhaus. Die britische Theatergruppe Kandinsky aus London, bestehend aus dem Autor und Regisseur James Yeatman und der Dramaturgin Lauren Mooney, kommt Anfang 2021 nach Wien. Die Texte für ihre Stücke entwickeln sie nach intensiver Recherche gemeinsam mit dem Ensemble und Team. In ihrem neuen Projekt, mit Premiere Ende Februar, widmen sie sich dem in Spielfilmen prophezeiten und von Preppern erwarteten Ende der Welt.

Ihre gemeinsam entwickelten Inszenierungen wurden zu zahlreichen Festivals eingeladen: Am Schauspielhaus Wien beschäftigen sich der Regisseur, Autor und Performer Jan Philipp Stange und der Bildende Künstler, Bühnenbildner und Musiker Jakob Engel in „Odyssee 2021“ mit dem Zuhausebleiben. Die Abenteuerfahrt des Odysseus bildet die Folie für ihre Auseinandersetzung mit Entfremdung in dieser schnelllebigen, unverbindlichen Zeit. Wie sind die Träume vom Ankommen – und wie unterlaufen sie, dass man sich dort zu Hause fühlt, wo man gerade ist? Premiere: Ende März.

Enis Maci kommt zurück. Enis Maci feierte ihre ersten Erfolge als Dramatikerin am Schauspielhaus Wien und gehört mittlerweile zu den gefragtesten Autorinnen ihrer Generation. Mit „Bataillon“ hat sie einen starken, herausfordernden und kämpferischen Text geschrieben. Es ist nach „Mitwisser“ und dem Nestroypreis-nominierten „Autos“ bereits das dritte Stück der Autorin, das am Schauspielhaus zur Aufführung gebracht wird – dieses Mal in der Regie von Tomas Schweigen.

Finale per Skype mit der Großmutter. Den Spielzeit-Abschluss krönt ein außergewöhnliches und sehr unterhaltsames Projekt, das der junge Autor, Performer und Regisseur Arthur Romanowski zusammen mit seiner Großmutter Brygida Najdowska entwickelt: „Rote Beete Reden. Geschichten von Nie-Familien / Burcaczane Rozmowy. Opowiescie o Nie-Rodzinach“. Ein Live-Kochshow-Talkformat über das österreichisch-deutsche, das deutsch-polnische und das deutsch-polnisch-österreichische Verhältnis. Es treten auf: Kunstfiguren, spekulative Denkerinnen und Denker, Skype-Monitore, Fabelwesen und Wendepunkte! Zu sehen ab Mai im Nachbarhaus/USUS.

www.schauspielhaus.at

20. 6. 2020

Russkaja-Frontmann Georgij Makazaria singt Anatevka

Juni 1, 2020 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Bühne Baden: Das Programm der Spielzeit 2020/21

Anatevka: Georgij Makazaria spielt den Milchmann Tevje. Bild: Lalo Jodlbauer

Nachdem zuletzt „Im Weißen Rössl“ und „Sunset Boulevard“ #Corona-bedingt abgesagt werden mussten, immerhin noch die Hoffnung keimt, dass die Premiere von „Die Blaue Mazur“ doch noch wie geplant am 31. Juli stattfinden kann, stellte Michael Lakner, künstlerischer Leiter der Bühne Baden, nun sein Programm für die Spielzeit 2020/21 vor. „Als ich an die Konzeption der Saison heranging, konnte ich nicht ahnen, wie brandaktuell ihr Motto sein würde: Arm und Reich“, so Lakner. „Die Brisanz des Themas ist überbordend.

Viele Menschen werden ihre Arbeit verlieren. Es wird Monate, ja Jahre dauern, bis wir die gesamte Tragweite dieses Weltenbrandes ermessen werden können. Deswegen finde ich es gut und richtig, dass auch die Bühne Baden als Unterhaltungstheater sich mit diesem Thema auseinandersetzt.“ Dies mit Stücken, die allesamt Klassenunterschiede und/oder prekäre wirtschaftliche Verhältnisse zum Inhalt haben, in die Menschen unverschuldet geraten sind oder in denen sie leben müssen.

Lakner: „Und damit nicht alle Festveranstaltungen zu Beethovens rundem Geburtstag entfallen müssen, werden wir gleich zu Beginn der neuen Saison für Tanzbegeisterte Beethovens Lebens- und Liebesgeschichte zu seiner unsterblichen Geliebten als Ballettabend präsentieren: in neuem musikalischen Gewand wird das Ballett der Bühne Baden – unterstützt durch das Europaballett St. Pölten – einen für die ganze Familie geeigneten Theaterabend bieten. Die schönsten Musikstücke Beethovens werden dabei als muskalischer Leitfaden dienen.“ „Ludwig van tanzt“, ein poetischer Ballettabend von Michael Kropf wird am 3. Oktober uraufgeführt. Den Beethoven gibt Beethoven Daniel Greabu.

„Anatevka“ in einer Inszenierung von Volker Wahl und Michaela Ronzoni folgt am 24. Oktober. Dieser absolute Musicalklassiker beschreibt das Dorfleben im Schtetl Anatevka im Russischen Reich. Alles dreht sich um den armen Milchmann Tevje, der sich mit seiner Frau Golde um gleich fünf Töchter kümmern muss, die ihre eigenen Vorstellungen haben, was das Heiraten betrifft. „Wenn ich einmal reich wär’“ wird man von Russkaja-Chef Georgij Makazaria hören, der den Tevje spielt, Maya Hakvoort die Golde. Und mutmaßlich unvergesslich wird Tania Goldens Erscheinen als Oma Zeitel sein.

Ludwig van tanzt: Daniel Greabu als Beethoven. Bild: Lalo Jodlbauer

Robin Hood: Matthias Trattner als grüner Bogenschütze. Bild: Lalo Jodlbauer

Neun: Drew Sarich als Guido Contini im Fellini-Musical. Bild: Lalo Jodlbauer

Für den 14. November bereitet Robert Persché das von ihm mit Walter Raidl verfasste Familienmusical „Robin Hood“ zur Badener Erstaufführung vor. Robin aka Matthias Trattner, ein junger Mann aus Nottingham, führt mit seinen fröhlichen Gesellen, unter anderem Caroline Vasicek und Florian Resetarits, ein abwechslungsreiches, spannendes Leben im Sherwood Forest. Das wäre ganz wunderbar, hätte Robin nicht Freude daran, die Reichen zu berauben und die Beute unter den Armen zu verteilen. Prinz John ist fuchsteufelswild. Er hat den Platz von König Richard Löwenherz eingenommen, der sich gerade auf Kreuzzug befindet und ist ganz versessen darauf, mit Hilfe des skrupellosen Sheriffs von Nottingham seinen Reichtum zu vermehren. So plant er ein großes Bogenschützenturnier, bei dem die bezaubernde Maid Marian dem Sieger einen goldenen Pfeil überreichen soll …

Cornelia Horak ist ab 19. Dezember die „Gräfin Mariza“. Ihr folgt am 23. Jänner Patricia Nessy als clevere Heiratsvermittlerin Dolly Gallagher Levi: „Hallo, Dolly!“ inszeniert von Michael Lakner. Dem wohlhabenden Kaufmann Horace Vandergelder, den es unter die Haube zu bringen gilt, wird Andreas Steppan Format verleihen. Isabella Gregor übernimmt die Regie bei „La Traviata“ mit Premierentermin 27. Februar. Gespannt sein darf man auf Sebastian Reinthaller als Alfred Germont, seine Violetta ist Jay Yang. „Der Vetter aus Dingsda“ mit Gerhard Ernst als Onkel Josse ist ab 24. April zu sehen. Mit „Eine Nacht in Venedig“, Premiere am 18. Juni, verlagert sich das Geschehen in die Sommerarena.

Zwei bemerkenswerte Premieren gibt es im Juli: „Neun“ ab 9. Juli im Stadttheater und „Eva“ ab 30. Juli in der Sommerarena. „Neun“ ist ein Musical von Arthur Kopit und Maury Yeston nach dem Film „8 1/2“ von Federico Fellini, bei dem Ramesh Nair Inszenierung und Choreografie übernehmen wird. Der vom Erfolg verwöhnte Drehbuchautor und Filmregisseur Guido Contini musste einige Niederlagen einstecken: Neben seinen persönlichen Problemen als Womanizer waren seine letzten Filme allesamt Misserfolge. Seiner einstmals reichen Kreativität beraubt und durch seine zahlreichen Liebschaften innerlich zerrissen, gerät er in eine Midlife-Crisis.

La Traviata: Jay Yang und Sebastian Reinthaller. Bild: Lalo Jodlbauer

Hallo, Dolly! mit Patricia Nessy als clevere Witwe. Bild: Lalo Jodlbauer

Eva: Sieglinde Feldhofer in Lehárs Operettenrarität. Bild: Lalo Jodlbauer

Als er in dieser angeschlagenen Situation gedrängt wird, einen Film zu machen, gerät er vollends in geistige Verwirrung. Er begibt sich zu einem Kuraufenthalt in ein mondänes venezianisches Bad. Erst die Erscheinung seines neunjährigen Ichs erlöst ihn aus seiner Krise und führt ihn zur Reifung seines Charakters: Er erkennt, dass seine Frau Luisa die wahre Liebe seines Lebens ist. Das Musical, 1982 mit 5 Tonys ausgezeichnet, kommt in Baden zur Österreichische Erstaufführung. Drew Sarich schlüpft in die Rolle des Guido Contini, neben Sarichs Ehefrau Ann Mandrella singt auch Carin Filipčić.

Bei Franz Lehárs Operettenrarität „Eva“ führt Michael Lakner Regie. Das arme Waisenkind Eva, dargestellt von Sieglinde Feldhofer, ist der Augenstern ihres Pflegevaters, des Werksführers einer französischen Glasfabrik. Der Dandy Octave Flaubert übernimmt die Fabrik von seinem Vater und fühlt sich zur unschuldigen Eva hingezogen. Er führt sie zu einem großen Ball aus, versucht, sie zu verführen und bringt dadurch die gesamte Belegschaft, die die Patenschaft über Eva innehat, gegen sich auf. Als Eva merkt, dass Octave nur auf eine Affäre aus war, flüchtet sie nach Paris. Wie in einer perfekten Operette üblich, bekommt Cinderella am Ende aber doch noch ihren Prince Charming… Wunderschöne Musik durchzieht dieses Lehár-Märchen für Erwachsene, das zuletzt in der Saison 1955 / 1956 in Baden zu erleben war.

„Seit Thespis im antiken Hellas mit seinem Karren Theateraufführungen unter freiem Himmel organisiert hat, ist Theater aus den Köpfen der Menschen nicht mehr wegzudenken“, sagt Michael Lakner. „Gerade in Krisenzeiten hat Kultur immer ihren großen Stellenwert als moralische Stütze einer Gesellschaft unter Beweis gestellt: als Hort der Unterhaltung, wo man auf andere Gedanken kommen kann und die Sorgen an den Nagel hängt. Der Wegfall des gemeinsamen Erlebens einer Theateraufführung fühlt sich an wie Freiheitsentzug.“ Diesen zu beenden, setzt die Bühne Baden spannende erste Schritte.

www.buehnebaden.at

1. 6. 2020