Theater zum Fürchten: Troilus und Cressida

Januar 12, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Soldateska aufs Korn genommen

Die Griechen bedrängen Cressida: Jürgen Hirsch als Achilles, Max Kolodej als Patroklus, Samantha Steppan als Cressida, Alexander Rossi als Ulysses, Max Spielmann als Ajax und Christoph Prückner als Nestor. Bild: Bettina Frenzel

Dass Bruno Max‘ Shakespeare-Inszenierung zu den besten gehören, braucht eigentlich nicht extra erwähnt zu werden. Seit Donnerstag zeigt der Prinzipal des Theaters zum Fürchten an dessen Wiener Spielstätte, der Scala, vom britischen Barden „Troilus und Cressida“. Ein selten gespieltes, weil schwieriges Stück, nicht Heldendrama, nicht Liebestragödie, nicht Komödie, mit dem sich schon Regisseure von Stefan Bachmann bis Luk Perceval ziemlich vergeblich abgemüht haben.

Nun also Bruno Max, der sich dem Fünfakter in wohlaustarierter Balance von bitterböser Satire, Sentiment, Schlachtenszenen und Schelmentum nähert. Er nimmt die von Shakespeare beschriebene Soldateska aufs Korn, und macht aus ihnen, weil ohnedies pausenlos geballert wird, gleich komplett Schießbudenfiguren. Jedoch nicht ohne auf den Verweis zu vergessen, wie gefährlich diese Meute, wenn erst losgelassen, sein wird. Der Schauplatz ist Troja, das Jahr das siebente im Stillstand dieses Krieges, und in der Scala dörrt die Sonne Libyens die Armeen mittels Drehbühne zwischen umkämpften Häuserruinen und ödem Schlachtfeld, in Schützengräben und Frontstellungen aus. Nichts könnte heutiger sein, als dies: Ein despotischer Familienclan herrscht über eine kleinasiatische Nation, eine Allianz aus 69 selbsternannten Weltgendarmen, hat sich aufgemacht, dem ein Ende zu setzen.

Der offizielle Anlass ist, dem Hahnrei seine Hure zurückzuerobern, dafür wird doch gern gestorben!, und mittendrin lieben sich Troilus und Cressida. Zumindest anfangs. Zum grausame Gegenwart atmenden Bühnenbild von Marcus Ganser gesellt Alexandra Fitzinger die passenden Kostüme, Tarnanzüge und traditionell muslimische Gewänder. Sechzehn Schauspieler gestalten Shakespeares üppiges Personal, die meisten davon in je einer Rolle auf je einer Seite, womit Bruno Max die Austauschbarkeit der Kontrahenten auf gelungene Art ausstellt. Zur opulenten Optik passt ebensolche Akustik, los geht’s mit Gefechtslärm und Geschützdonner und Tom Jones, der unterm rotleuchtenden Plastikherz „It’s Not Unusual“ singt.

Achilles stellt Hector während einer Kampfpause: András Sosko und Jürgen Hirsch. Bild: Bettina Frenzel

Thersites verspottet Achilles und Patroklus: Leonhard Srajer, Max Kolodej und Jürgen Hirsch. Bild: Bettina Frenzel

Da will Onkel Pandarus seine Nichte Cressida, sie die Tochter des Calchas, noch dem trojanischen Königssohn Troilus andrehen, eine Kuppelei, die gelingt, bis der zum Feind übergelaufene Priester bei einem Gefangenenaustausch verlangt, sein Kind ins Griechenlager zu bringen. Dort wird die bis dahin Tugendhafte auf Ulysses‘ Wink reihrund „geküsst“, eine „Untreue“, die der Listenreiche dem Troilus nicht vorenthält, als sich dieser zwecks Zweikampf zwischen Hector und Ajax unter den attischen Kampfmaschinen aufhält. Das Ende ist desaströs, Ehre, Vernunft und Anstand haben ihre Daseinsberechtigung eingebüßt, Liebe ist zur Illusion verkommen, ein sinnloser Krieg geht weiter, die Hurrapatrioten haben weiterhin das Sagen, und Shakespeare lässt seinem Publikum nicht einen Sympathieträger. Nirgendwo.

Den Troilus spielt Thomas Marchart als schon durch die Körpersprache dem Willen seiner im Wortsinn größeren Brüder ausgelieferten Verlierer. Wie er sich dauernd tätscheln lassen muss, versucht ein ganzer Mann zu sein, und doch nur als Schürzenkind wahrgenommen wird, das ist so berührend und Marchart dabei so präsent, dass, wenn schon jemandem die Zuschauergunst gilt, dann ihm. Gefolgt von András Sosko, der als hünenhafter Hector den einzig aufrechten und anständigen Charakter verkörpert. Sosko ist es auch, der mit Maximilian Spielmann als hinreißend einfältigem Kraftlackel Ajax gewaltige Kampfszenen gestaltet. Georg Kusztrich gibt sowohl den Tattergreis Priamus als auch den so planlosen wie großsprecherischen Agamemnon ganz großartig.

Samantha Steppan wird als Cressida von der Feldsanitäterin zum Lagerflittchen. In ihren Gefühlen unsicher, lässt ihr Bruno Max die darstellerische Möglichkeit offen, sich aus Angst vor dem Schlimmsten ihrem einzigen Beschützer unter den Griechen, Johannes Sautner als auf den eigenen Vorteil bedachter Diomedes, hinzugeben. Steppans Seherin Cassandra ist geistig nicht ganz beisammen, weshalb die Familie die Verrückte auch immer wieder aus dem Verkehr zieht, statt auf ihre Warnungen zu hören. Ein schöner Regieeinfall, dass Cassandra mit einem Stoffpferdchen spielt. Johanna Rehm ist als besorgte Andromache ganz Tragödin, als – vormals Schöne – Helena die sturzbetrunkene, ständig „Sorry!“ oder Liebeslieder in ein Mikrofon stammelnde Peinlichkeit des Hofs. Beide Schauspielerinnen beweisen in der Darstellung dieser so unterschiedlichen Frauenfiguren ihre enorme Wandelbarkeit.

Die – vormals Schöne – Helena singt für Pandarus: Johanna Rehm und Hermann J. Kogler. Bild: Bettina Frenzel

Cassandra hat eine Vision: Georg Kusztrich als Priamus, Samantha Steppan als Cassandra, Leopold Selinger als Aeneas und Leonhard Srajer als Paris. Bild: Bettina Frenzel

Hermann J. Kogler nützt die Prachtrolle des gewieften Schlitzohrs Pandarus für humorige Auftritte, er der mit Wortwitz ausgestattete weise Narr Shakespeares, dem zum Schluss doch der Schmäh ausgeht, und übernimmt auch den Part des Calchas. Jürgen Hirsch ist ganz fabelhaft als erst bauchiger, bierseliger Achilles, dieser eine um große Gesten nie verlegene, ansonsten aber beleidigte Diva. Bevor er rasend vor Wut und mit Irrsinn im Blick Rache für seinen gefallenen Geliebten Patroklus, Max Kolodej zusammen mit Hirsch ein zu Herzen gehendes Liebespaar, fordert.

Alexander Rossi spielt einen intriganten, die anderen gängelnden, an Snackwürstchen kauenden Ulysses, Leopold Seliger den Aeneas als Realpolitiker, Christoph Prückner einen trotteligen Nestor, der definitiv schon bessere Tage gesehen hat, Klaus Schwarz den unfähigen, hinter Bruder Agamemnon herdackelnden Menelaus. Scheinbar mühelos wechselt Leonhard Srajer zwischen dem koksenden Partyprinz Paris und dem, weil beinamputierten, im Rollstuhl sitzenden Zyniker Thersites, er Shakespeares böser Narr, der unzähmbar die ungeschönten Wahrheiten ausspricht. (Nicht nur) vom ihm möchte man im Theater zum Fürchten gern mehr sehen.

Mit „Troilus und Cressida“ ist der längstdienenden freien Theaterkompagnie Österreichs jedenfalls wieder ein großer Wurf gelungen. Ein Abend, der nicht nur vorzüglich unterhält, sondern auch zum Nachdenken darüber anregt, wie eine Welt beschaffen sein müsste, in der Krieg unnötig und Liebe ein Menschenrecht wäre.

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  1. 1. 2019

Theater zum Fürchten: Tartuffe

April 8, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Betrüger hat am Schluss das Sagen

Tartuffe manipuliert Orgon: Alexander Rossi und Georg Kusztrich. Bild: Bettina Frenzel

Dass gerade jenen, denen die Augen geöffnet sind, darob der Mund verboten wird, ist wohl die Quintessenz von Marcus Gansers „Tartuffe“-Inszenierung, die das Theater zum Fürchten nun in seiner Wiener Spielstätte, der Scala, zeigt. Bei Ganser nämlich hat der Betrüger am Schluss das Sagen. Gemächlich schlendert er durch die Sitzreihen und verklebt einem nach dem anderen Mitglied der Familie Pernelle die Lippen mit schwarzem Band. Dass diese Reihen aus Theaterklappsesseln bestehen, scheint des Regisseurs – Ganser hat wie stets auch das Bühnenbild erdacht – irr witziger Kommentar zur (Kultur-)politik zur Zeit zu sein.

Sein „Tartuffe“ ist ein satirisches Spiegelbild der gesellschaftlichen Vorgänge dieser Tage. Da mag man sich selber beim Schopf nehmen und die eigenen Handlungen hinterfragen, oder auch die Worte statt Taten, auf die man schon hereingefallen ist, die Manöver und die Manipulationen, und „Honi soit …“, wer sich was dabei denkt, dass Orgon hier eine rote und Tartuffe eine türkisblaue Krawatte trägt. Dass Moliéres meisterliche Komödie für derlei Zuspitzungen mehr als geeignet ist, ist ja bewiesene Tatsache.

Ihr Schöpfer selbst wähnte sich zu Recht nach dem Verbot der ersten beiden Fassungen von gewieften Politikern verfolgt, ist sein Tartuffe doch eine messerscharfe Abrechnung mit der damals einflussreichen „Partei der Frommen“. Und les dévots – „die Heuchler haben keinen Spaß verstanden“. In Gansers Bearbeitung nun schillert der „Tartuffe“ in einer tadellosen Versfassung, die die Künstlichkeit, die Verlogenheit des Gesagten noch hervorhebt. Das TzF-Ensemble agiert mit der bekannten Brillanz, allen voran Georg Kusztrich als Orgon, der es schafft, in die Komödiantik die Charakterstudie eines Verblendeten zu packen, der dem bigotten Blender aufsitzt und verfallen ist. In seinen besten hat Kusztrich Louis-de-Funès-Momente. Alexander Rossi spielt als Tartuffe ganz das Unschuldslamm, so schön kann Scheinheiligkeit sein, wenn einer in der Unterhose als armer Sünder dasteht, bevor er sich mit Verve zwischen die Schenkel von Orgons Gemahlin wirft.

Mit Ehefrau Elmire kommt es beinah zum Äußersten: Alexander Rossi, Georg Kusztrich und Eszter Hollósi. Bild: Bettina Frenzel

Der Haus-Staat staunt ob so viel Unverfrorenheit: Eszter Hollósi, Margot Ganser-Skofic, Christina Saginth und Glenna Weber. Bild: Bettina Frenzel

Ganser setzt auf Tempo und Slapstick, lässt seine Darsteller über die Stühle und einen Laufsteg turnen; nur eindreiviertel Stunden dauert seine Version der Farce, und jede Minute davon geht es dabei zur Sache. Hier wird laut und schrill agiert, gesoffen und gekokst und Thomas Marchart darf als stürmischer Valère sogar mit dem Motorrad auf die Bühne fahren. Orgons Kinder gestalten Glenna Weber und Sebastian von Malfér ganz köstlich. Eszter Hollósi hat als Elmire in der Verführungsszene die Lacher auf ihrer Seite, Anselm Lipgens ist ein überlegter, überlegener Cleant.

Herausragen können da nur die wunderbare Margot Ganser-Skofic, die als Madame Pernelle zwei großartige Auftritte hat, in denen sie erst mit dem gesamten Haus-Staat abrechnet, bevor auch sie einsehen muss, dass der „Gottgesandte“ nichts als ein böser Demagoge ist, und Christina Saginth, die sich als vorlaute, freche Dorine als Spielmacherin entpuppt. Wie bei Moliére vorgesehen, gibt es am Ende einen Problemlöser ex machina, der freilich kein König mehr sein kann. Ganser hat diese Macht in die Hände des Journalismus gelegt: Christoph Prückner – dem auch als Flipote und Loyal zwei Kabinettstückchen gelingen – berichtet vor der Kamera von Tartuffes Verhaftung.

Doch das Abgeführtwerden in Handschellen dauert nur einen Moment, schon ist der Scharlatan wieder da, von einer hilf- oder skrupellosen Instanz offenbar freigelassen, und bemächtigt sich erneut seiner Intrigenopfer. Wie gesagt. Honi soit …

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  1. 4. 2018

Theater zum Fürchten: Othello

Januar 10, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Gegen die gängigen Klischees gespielt

Alexander Rossi, Tino Führer, Roman Binder, Selina Ströbele, Christina Saginth (v.l.n.r.) Bild: Bettina Frenzel

Alexander Rossi, Tino Führer, Roman Binder, Selina Ströbele und Christina Saginth (v.l.n.r.)
Bild: Bettina Frenzel

Bruno Max kann auf seiner Shakespeare-To-Do-Liste ein weiteres Projekt als erfolgreich abgeschlossen abhaken: „Othello“. Das Theater zum Fürchten zeigt die Tragödie des „Mohren von Venedig“ nach dem Stadttheater Mödling nun in seiner Wiener Spielstätte, der Scala. Und wie von Bruno Max und seiner Truppe nicht anders zu erwarten, bricht man mit den gängigen Klischees über den afrikanischen General.

Was über weite Strecken dem Spiel von Tino Führer zuzuschreiben ist, der sich als Glücksfall für die Rolle und das Theater erweist. Der Hamburger Schauspieler ist zwar optisch ein wahrer schwarzer Feldherr, hat es aber dank seiner darstellerischen Kompetenz – und der Max’schen Regie – nicht nötig, „wüst“ oder „wild“ zu sein – was hat man nicht schon alles an zähnefletschenden und augenrollenden mehr oder weniger „edlen Wilden“ gesehen -, sondern er gestaltet einfach und sensibel das Leid eines Liebenden jenseits aller Fragen nach Hautfarbe und Herkunft. Die Klischees und Vorurteile, mit denen die anderen Figuren argumentieren, spielt Führer schlicht nicht. Mit Othellos „Rasse“ haben hier nur die Rassisten ein Problem; er selbst sieht sich nicht als Fremden, bis er immer wieder daraufhin gewiesen wird, dass er einer ist. Dann aber läuft „der Neger“ Amok, was wiederum die vorgefassten Meinungen bestätigt. Ein starkes Statement zur Zeit.

Die Handlung ist ebenfalls in die Gegenwart verlegt. Der Doge, Jörg Stelling, beruft seine Mannen in eine computergesteuerte Kommandozentrale ein, einen War Room, auf dessen Monitoren die Warnung DefCon 3 blinkt. Zypern ist eine Insel im Kriegszustand, die Bilder sind wie aus dem besetzten Bagdad, das Hauptquartier der Besatzungsmacht ist die mit Stacheldraht und Suchscheinwerfern und Scharfschützen gesicherte Green Zone. Man trägt Tarnfarbe Dessert, Klara Steinhausers Bianca ist Soldatin, Randolf Destallers Rodrigo verkleidet sich mit Fotoapparat als Embedded Journalist. Das alles geht gewaltfrei, ohne den britischen Barden in ein unsinniges Neu zu nötigen, wiewohl die Herren Schlegel-Baudissin-Tieck immer wieder schlüssig unterbrochen werden. Und wenn einmal zum Ruf, ein Schiff lege an, Hubschraubergeräusche zu hören sind, dann ist auch das charmant. Othello ist halt im Hafen in den Heli umgestiegen.

Diesen gibt Führer als selbstbewussten, professionellen Militär. Sein Othello ist ein Pragmatiker, selbst noch als Mörder und Selbstmörder. Souverän kann der Spezialist für heikle Einsätze über die Alltagsrassismen seiner Umgebung hinweghören, auch dass er als „Heid‘ und Sklav'“ bei Brabantio nicht vom gern gesehenen Gast zum gern gesehenen Schwiegersohn avancieren konnte, versucht er mit einer versöhnend hingestreckten Hand auszugleichen. Er hat sich nur einer Untat schuldig gemacht: Er will Liebe machen, statt Krieg treiben. Bierdosen gehen in der Runde, die Betten werden bereitet. Selten zuvor haben Inszenierungen so deutlich dargelegt, dass es dem Zypern-Kommando eklatant an Disziplin und Moral mangelt.

Was Jagos Plänen sehr entgegen kommt. Alexander Rossi brilliert in dieser Rolle; er ist der Spielmacher des Abends. Gemeinsam mit Georg Kusztrichs Brabantio vertritt er die zwei Gesichter von Xenophobie: der Senator die ängstliche gegenüber dem, was ihm andersartig scheint, der bei der Beförderung übergangene Fähnrich die aggressive, diese Ängste weiter schürende. Rossi spielt nicht den „Schurken“, sein Jago ist ein einwandfreier, schmieriger Intrigant, ein Meister der Zwischentöne, ein gewiefter Taktiker, der anderen seine Meinungen ins Hirn pflanzt, ohne dass sie es recht merken. Eine gelungene – ebenfalls klischeefrei aktuelle – Interpretation dieser Figur.

Roman Binder darf als Cassio der gute Mensch, der Held der Geschichte sein, eine leichte Übung für den Schauspieler, der schon als Person so sympathisch rüberkommt. Dass hier die Bianca aber weder Kurtisane, noch „Äffchen“ ist, kratzt doch an seinem rechtschaffenen Image. Noch eine von Bruno Max in dieses Schwarzweiß-Spiel eingefügte Grauschattierung. In diesem Sinne deutet auch Christina Saginth Jagos Ehefrau Emilia: als enttäuscht und verletzt über die abgekühlte Leidenschaft ihres Mannes, als loyal bis zum äußersten, aber als es dazu kommt, als reine Seele, die – wenn auch zu spät – das Richtige tut. Hat man Emilia auch schon als Mitintrigantin gesehen, diese hier ist es definitiv nicht. Selina Ströbele ist als Desdemona ein Society-Girlie ohne Falsch und Arg, zu kindlich, um die Veränderungen, die um sie stattfinden zu begreifen. Als ihr Multikultiglück platzt, legt sie sich fast wie ein Opferlamm auf die Schlachtbank.

Und der „Mohr“? Will an seinem Ende nur noch eines, und das ist epochenübergreifend gültig: Gesehen werden, als das, was er ist. Ohne, dass die Patriotrischen Europäer etwas skandalisieren oder die Willkommenskulturschaffenden etwas schönreden. Mehr kann man über „Othello“ dieser Tage nicht sagen.

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Wien, 10. 1. 2016

stadtTheater Walfischgasse: Zweifel

Januar 15, 2015 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Diese „Sister“ agiert beinhart

Anita Ammersfeld, Alexander Rossi, Johanna Withalm Bild: Sepp Gallauer

Anita Ammersfeld, Alexander Rossi, Johanna Withalm
Bild: Sepp Gallauer

Für ihre letzte Rolle am stadtTheater Walfischgasse wählte Intendantin Anita Ammersfeld eine, in der sie brilliert, wie in keiner tragischen  am eigenen Haus bisher. Sie zieht alle Register ihres schauspielerischen Könnens, ist Dreh- und Angelpunkt der Handlung, verkörpert eine Figur, über die man sich ärgern kann, aber auch lachen – und vor allem Verständnis haben muss. Eingeschnürt, wie sie ist, ins Korsett der katholischen Kirche. Klug ausgesucht!

Gegeben wird „Zweifel“ von John Patrick Shanley. Pulitzer-Preis-, Drama-Desk-Award- und Tony-ausgezeichnet. Verfilmt mit Meryl Streep und Philip Seymour Hoffman. Der Inhalt: St. Nicholas in der Bronx, New York. Der charismatische Pater Brendan Flynn versucht die strengen Sitten einer katholischen Schule auf den Kopf zu stellen, die mit eiserner Hand von Direktorin Schwester Lukas (Ammersfeld) geführt wird. Doch der Wind des politisch liberalen Wandels weht durch die Gemeinde und so nimmt die Schule ihren ersten schwarzen Schüler auf. Aber dann berichtet die naive Schwester James der autoritären Direktorin, dass Pater Flynn dem neuen Schüler zu viel private Aufmerksamkeit widmet. Messwein ist im Spiel. Und ein Knabenunterhemdchen. Unverzüglich sieht sich Schwester Lukas zum Handeln gezwungen – mit verheerenden Folgen. Das Stück ruft unweigerlich die Missbrauchsfälle in Erinnerung, die die katholische Kirche in den letzten Jahren erschütterten …

Schwester Lukas ist keine „Sister Act“. Sie urteilt streng, agiert beinhart, betet ihre Regeln wie den Rosenkranz. Zufriedenheit ist das Laster Einfältiger. Zu denen gehört in ihren Augen Lehrerin Schwester James (Johanna Withalm), die den Glauben an das Gute im Menschen noch verinnerlicht hat. Lehrer, rügt sie sie, hätten von Gott Herz UND Verstand bekommen. Ersteres hat warm zu bleiben, Zweiterer muss kühl sein. So sehr unterdrückt die Direktorin ihre Gefühle, bewahrt sie stets Haltung, dass sie die anderer (möglicherweise?) missdeutet. Dabei  ist sie trotzdem mit trockenem Humor ausgestattet. Anita Ammersfeld spielt das fabelhaft und weiß den Publikumsjubel auf ihrer Seite.

Regisseurin Christine Wipplinger inszeniert das so straight, so auf „Minustemperatur“, so versteinert, wie die Gesellschaft, die sich im „steineren“ Bühnenbild von Walter Vogelweider bewegt. Ausschließlich wird hier um den heißen Brei herumgeredet. Wobei Shanleys Anliegen durchaus klar werden: „Zweifel“ erzählt vom äußerst schmalen Grat zwischen Überzeugung und Ungewissheit und von der veränderten Wahrnehmung unter den Vorzeichen eines Verdachts. Es hält die Schuldfrage über das Ende hinaus geschickt in der Schwebe und deutet die moralischen Abgründe auf beiden Seiten der Frontlinie an. Jeder Dialog dynamisiert die Handlung, doch keiner davon lässt für den Zuschauer eine letztgültige Schlussfolgerung, was richtig und was falsch ist, zu. Die „Wahrheit“ wird nicht einmal auf dem Nachhauseweg zu finden sein. Zu sehr kann man Fürs und Widers abwägen.

Denn der großartige Alexander Rossi, der unkonventionelle Priester und Lehrer Vater Flynn, bleibt ein undurchschaubarer Januskopf. Hält salbungsvolle Predigten, gibt sich allein im Kirchengarten seinen Wutausbrüchen hin, gibt für den schwarzen Schüler Donald, der vom eigenen Vater verprügelt wird, eine Art Ersatzvater, tauscht mit Schwester Lukas verbale Ohrfeigen aus. Dies die besten Szenen: der Machtkampf zwischen Direktorin und Lehrer, zwischen Priester und Nonne – in einer Funktion er ihr, in der anderen sie ihm unterstellt -, da wird sogar ausgefochten, wer in Besprechungen auf welchem Sessel sitzt. Rachelle Nkou wird als Donalds Mutter vorgeladen. Wütend spielt Nkou diese Mrs. Miller. Man möge sie doch bitte in all das nicht hineinziehen. Für ihren Sohn ist ihr lieber der „Klassenaufstieg“, die gute Schule, gefolgt vom besseren College, als die Frage, ob es da „Annäherungsversuche“ gegeben hätte. Auch das eine starke, aus der Warte der Figur fast verständliche, Aussage.

Schwester Lukas siegt, Vater Flynn wird versetzt. Ohne tatsächliche Beweise. Die „Zweifel“ bleiben also. Nur nicht daran, dass dies ein außergewöhnlicher Abend ist. Und der Wiener Theaterspielplan ohne das stadtTheater um eine spannende Spielstätte ärmer sein wird.

www.stadttheater.org

Wien, 15. 1. 2015

stadtTheater Walfischgasse: „Enigma“

November 14, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein rätselhaftes Spiel von Éric-Emmanuel Schmitt

Bild: © Lukas Beck

Bild: © Lukas Beck

Nach der erfolgreichen Uraufführung von Rupert Hennings „C(r)ash“ mit Claudia Kottal, Stefano Bernardin  und Cornelius Obonya zauberte Theatermacherin Anita Ammersfeld mit „Enigma“ nun die nächste Produktion auf die Bühne des stadtTheater Walfischgasse, die das Potenzial zum Publikumsmagneten hat. Isabella Suppanz inszenierte den Text von Bestsellerautor Éric-Emmanuel Schmitt – und selten war Schroffes so feinfühlig, Unverschämtes so liebevoll. Denn die beiden Herren auf der Bühne, Christian Pätzold und Alexander Rossi, schenken einander ganz schon ein. Mehr als nur Alkohol. In dieser Dreiecksbeziehung, in der die dritte Person, die „Hauptrolle“ fehlt – weshalb auch Edward Elgars „Variations énigmatiques“ für Stück und Aufführung Pate standen -, fallen Lebensentwürfe, Lebenslügen in sich zusammen wie Kartenhäuser. Wobei von Anfang an klar ist, dass die zwei ein rätselhaftes Spiel miteinander treiben. Nur welches? Der Inhalt: Literaturnobelpreisträger Abel Znorko (Pätzold), eitler Einsiedler auf einer norwegischen Insel, gewährt einem Journalisten Audienz für ein Interview. Das heißt: Zuerst schießt er einmal auf ihn. Aber weil so ein 21. Buch, ein Liebesbrieferoman, auch beworben gehört – also bitte …  Doch dieser Erik Larson (Rossi) lässt sich vom Ruhmreichen nicht einschüchtern, er weiß mehr über Fakten und Fiktion als dem Autor lieb sein kann. Die beiden teilen nämlich ein Stück Vergangenheit. Des Dichters Schöpfung, Eva Larmor, ist mehr als nur eine Kopfgeburt: H. M. Cherchez la femme! Und der Krimi, ein Duell mit Worten wie Schwertern, beginnt …

In Suppanz‘ Regie läuft das alles in hohem Tempo ab. Kaum Zeit, Atem zu holen. Weder für die auf der Bühne, noch für die davor. Schmitts Sätze sind klar und klug. Letztlich lässt er seine Protagonisten Konzepte von Liebe erörtern, wie sie widersprüchlicher nicht sein könnten: die Amour fou, die zur platonischen, reinen Geistesgemeinschaft wird. Die Aufopferung am Altar des anderen, die im einsamen Herzen endet. Jetzt schauen wir noch wie durch einen Spiegel in einem dunklen Wort, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich nur Teile, dann aber werde ich erkennen, wie auch ich erkannt sein werde. Pätzold ist ein prächtiger Znorko. Anfangs ganz arroganter Schwadroneur, gewaltig und gewalttätig, spröde, unzugänglich; wunderbar, wie er sich in seiner Glorie suhlt, Larsen das Buch signiert, ohne das der darum gebeten hätte. Dumm nennt er ihn und seine Fragen, worauf der Journalist erst einmal tut, wovon alle Zunftmitglieder schon geträumt haben: ER packt zusammen und erklärt das Gespräch für beendet. Nein, da muss ihm der Nobelbepreiste nachlaufen, er hat der Welt doch so viel Wichtiges zu verkünden. Etwas Exklusives? Gut. Schnapp, die Falle ist zu. Die Masken fallen. Von Szene zu Szene wechseln die Machtverhältnisse zwischen den Männern. Bis … und Abel liegt am Boden, vom selbsternannten Übermenschen zum nackten Menschlein geworden. Rossis Larson, die ehrliche Haut, diese Verkörperung der gefühlten Seele, hat nämlich mehr zu bieten, als die „Wäschetrockner-Banalitäten“, wie Znorko ihm vorwirft. Er ist seit Langem sein Geliebter.

Schmitt entwirft zwei mögliche Männermodelle, die Pätzold und Rossi unter Isabella Suppanz‘ Anleitung intensivst mit Leben füllen. Bravo! In „Enigma“ legt Schmitt sensibel, intim beinah Zeugnis über die Liebe ab. Dass hinter jeder Wendung schon die nächste wartet, ist das Rezept für Spannung und Spaß in diesem Spiel. Denn es darf an diesem Abend auch gelacht werden – schon allein beim Ansehen der Freude, die die beiden Darsteller mit dem Stoff haben. Sein Schluss aber ist einfach umwerfend.

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C(r)ash: www.mottingers-meinung.at/cornelius-obonya-badet-in-selbstmitleid

www.mottingers-meinung.at/cornelius-obonya-im-gespraech

Interview zu Enigma: www.mottingers-meinung.at/walfischgasse-enigma-von-eric-emmanuel-schmitt

Wien, 14. 11. 2013