Die Offene Burg präsentiert ihr Programm

September 22, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Los geht’s am Wochenende 1. und 2. Oktober

Burg-Herrin Karin Bergmann, Offene-Burg-Leiterin Renate Aichinger und das Team Anna Manzano, Airan Berg, Katrin Artl und Barbara Rosteck bei der Programmpräsentation. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Burg-Herrin Karin Bergmann, Offene-Burg-Leiterin Renate Aichinger und das Team Anna Manzano, Airan Berg, Katrin Artl und Barbara Rosteck bei der Programmpräsentation. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Weil ihr die „Junge Burg“ zu kurz gegriffen hat, weil immer wieder die Frage kam, warum TheaterClubs und Workshops nur für ganz junge Leute angeboten werden, startet Burgtheater-Direktorin Karin Bergmann mit dieser Saison die „Offene Burg“. Hier gibt’s nun de facto keine Altersgrenzen mehr, und das Haus öffnet sich, wie Bergmann sagt, „in jeder Beziehung“ hinaus in die Stadt.

Im Zentrum steht der Gedanke „Schranken einreißen, Berührungsängste überwinden. Uns schwebt eine Art Bürgertheater vor, in das sich alle aktiv einbringen und mitmachen können. Wir wollen alle Generationen ansprechen“, so Bergmann. „Wir wollen“, sagt sie scherzhaft, „nicht nur auf Menschen zugehen, die schon regelmäßig ins Burgtheater kommen, sondern allen für ihr Steuergeld etwas geben. Wir wollen entlang des Spielplans Themen für diese Stadt und ihre Gesellschaft setzen.“ Freitag Vormittag stellte sie gemeinsam mit Offene-Burg-Leiterin Renate Aichinger und deren Team das erste Programm vor.

Die StadtRecherchen gehen 2016/17 über die Donau

Dessen Herzstück sind die StadtRecherchen, konzipiert von Airan Berg und in den Bezirken Floridsdorf und Donaustadt mit 210 Schülerinnen und Schülern und Schauspieler Fabian Krüger, der die „Orestie“ vorstellte, bereits gestartet. Berg, bekannt als ehemaliger Intendant des Schauspielhaus Wien, begeht mit dem Projekt sein Homecoming nach Wien und an die Burg. In Workshops will er Themen, die in Aischylos‘ Drama verhandelt werden, Recht vs Rache, „Sex’n’Crime“, mit interessierten Menschen diskutieren und zu eigenen Formaten weiterentwickeln. Die sollen schließlich nicht nur in Transdanubien, sondern im Frühjahr 2017 auch auf der großen Burg-Bühne zu sehen sein. Berg: „Eingeladen sind alle, auch Privatpersonen, wir suchen aber auch die Zusammenarbeit mit Schulen, Kulturvereinen, Jugendclubs, Seniorentreffs, Migranten-Organisationen, Sozialeinrichtungen … Ziel ist kein Laienspiel, sondern eine Vielfalt von multi-disziplinären Interventionen, Szenen, Installationen, Videos, Liedern, Musik oder Blogs.“ Anmeldungen: offeneburg@burgtheater.at

Bühne des Burgtheaters. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Bühne des Burgtheaters. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Burgtheater - Versenkung. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Burgtheater – Versenkung. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

ACTion, ImproFix und KulissenSpechteln

Weiterhin gibt es natürlich ein großes Paket für Kinder und Jugendliche. Weiterhin gibt es fünf TheaterClubs, mit den Themen Muse bis Mischkulanz, heuer aber erstmals auch den Generationen-Club „Wiener Brut Unlimited“, bis 99 Jahre, den Renate Aichinger selbst leitet. Aichinger: „Mir geht es um gemeinsames Tun und Ausprobieren mit allen, denen kein Theaterabo in die Wiege gelegt wurde. Wir begeben uns gemeinsam auf eine seismographische Spurensuche nach dem Goldenen Wienerherz, quer durch Nationen und Generationen. Ich bin gespannt, was wir entdecken werden.“ Die VorstellBar geht diese Saison erstmals auch an Schulen.

Neu sind TheaterWerkstatt zu den Bereichen szenisches Schreiben, Stimme oder Bewegung, mit „Babel? No Problem!“ bietet Anna Manzano eine Werkstatt für Menschen an, die im Deutschen nicht so firm sind. Außerdem gibt’s mit „ACTion“ ein offenen Theatertraining, mit ImproFix eine Improgruppe, die auch in die Stadt gehen wird, vom Gemeindebau bis an den Gürtel, Wochenendworkshops angedockt an Inszenierungen (im November: „Endspiel“, im Dezember: „Pension Schöller“) und für die Kleinsten KulissenSpechteln, unter dem Titel „BurgNachtTraum“ eine Abenteuerübernachtung im Haus und Vorlesestunden mit Burgstars. Mit „Hamlet, Ophelia und die anderen“ wird ab April im Kasino eine Shakespeare-Adaption zu sehen sein, bei der Jugendliche ab 14 Jahren bereits ab der Textgestaltung eingebunden sind. Regie führt Cornelia Rainer.

Dank der Zusammenarbeit mit der Swarovski Foundation kann das Burgtheater in der Spielzeit 2016/17 jungen Menschen zwischen 10 und 18 Jahren, denen der Zugang aus finanziellen Gründen sonst verwehrt bliebe, 600 Eintrittskarten zum Besuch von Theatervorstellungen kostenlos zur Verfügung stellen und fünfzehn Stipendien für Veranstaltungen der Offenen Burg vergeben.

Nicholas Ofczarek. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Nicholas Ofczarek. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Caroline Peters. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Caroline Peters. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Joachim Meyerhoff. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Joachim Meyerhoff. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Das Offene-Burg-Wochenende am  1. und 2. Oktober

Auftakt der Offenen Burg ist das Wochenende 1. und 2. Oktober, das bei freiem Eintritt ins Burgtheater einlädt. Unter dem Titel „Menschen – Tiere – Sensationen“ findet im ganzen Haus, auch an bisher unbekannten Orten wie dem mysteriösen Luftmischraum, Programm statt. Von den Katakomben bis ins Erzherzogzimmer, vom Requisitenkeller bis zur Bühnentechnik, von den Werkstätten der Maske bis zur Dramaturgie präsentieren die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Burg Ausschnitte und Einblick in ihre Arbeit. Ein Höhepunkt des Wochenendes ist die spektakuläre Bühnenshow, in der die Technik zeigt, was die Bühne kann. Dazu gibt es Szenisches, ein literarisches und musikalisches Programm mit Mitgliedern des Burgtheater-Ensembles wie Regina Fritsch, Ignaz Kirchner, Dörte Lyssewski, Michael Maertens, Peter Matić, Joachim Meyerhoff, der neue Texte vortragen wird, Nicholas Ofczarek, Elisabeth Orth, Caroline Peters, Barbara Petritsch oder Branko Samarovski. Mit dabei sind auch der Dramatiker Ferdinand Schmalz und die jungen österreichischen Autorinnen Miroslava Svolikova und Sandra Gugic. Der in Graz lebende kongolesische französischsprachige Schriftsteller Fiston Mwanza Mujila, Autor des preisgekrönten Romans „Tram 83“, wird bislang Unveröffentlichtes lesen.

Abends ist dann die Premiere von Goethes „Hermann und Dorothea“ mit Maria Happel und Martin Schwab. Bergmann: „Für mich ist das Stück programmatisch, denn es geht um eine Frau, eine Flüchtende, die aus Religionsgründen ihre Heimat verlassen muss, und in einer Stadt mit Besitzstandsängsten landet …“ Die für das Projekt „Offene Burg“ eingesetzten Mittel liegen bei 250.000 Euro.

www.offeneburg.at

www.facebook.com/offeneburg/

Wien, 22. 9. 2016

Sommerspiele Perchtoldsdorf: Ein Sommernachtstraum

Juni 30, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine exemplarisch gelungene Shakespeare-Inszenierung

Erwachen nach einen Nacht im Wald: Benjamin Vanyek, Julia Richter, Sophie Aujesky, Jan Hutter, Raphael Nicholas, Andreas Patton und Karl Walter Sprungala. Bild: Lalo Jodlbauer

Erwachen nach einer Nacht im Wald: Benjamin Vanyek, Julia Richter, Sophie Aujesky, Jan Hutter, Raphael Nicholas, Andreas Patton und Karl Walter Sprungala. Bild: Lalo Jodlbauer

Die Frage kam off the records vor einigen Wochen schon auf. Ob man hierzulande jemals eine rundum geglückte Aufführung vom „Sommernachtstraum“ gesehen hätte? Am Burgtheater, bei den Salzburger Festspielen? Jetzt ja, in Perchtoldsdorf. Dort zeigt Intendant und Regisseur Michael Sturminger zum 40-Jahr-Jubiläum der Sommerspiele eine exemplarische Inszenierung von Shakespeares Liebesverwirrspiel.

Es scheint fast, als wäre es ihm gelungen, die mittelalterliche Burg auf die Insel des britischen Barden zu transferieren, mitten hinein in dessen Zauberwald, so sehr stimmig sind die Bilder, der Tonfall, die Atmosphäre. Alles flirrt und neckt sich. Und auch, dass Sturminger für die diesjährige Premiere erstmals ein Bühnenrund mit drei es umschließenden Zuschauertribünen aufstellen ließ, verstärkt den Eindruck dieses Theater-„Globe“.

So zieht’s einen mitten hinein in den Probenprozess. Die Arbeit ist nämlich gar nicht fertig. Markus Kofler tüfelt noch an der tief tragische Komödie von Pyramus und Thisbe. Er ist ein zunehmend genervter Squenz, der eine wie einem Monty-Python-Sketch entsprungene Truppe in Szene setzen soll, großartig etwa Nikolaus Barton als Zettel-Pyramus, Michael Pogo Kreiner, der als Flaut zur lispelnd tippelnden Thisbe wird, und Raphael Nicholas, der als Schnock den Löwen geben soll. Der Adelssitz in Athen hat Sturminger weniger interessiert, er hat einen Hang zu den begeistert laienspielenden Handwerkern, und wenn er im Gespräch mit mottingers-meinung.at sagt, das sei so, weil „sie“ ja schließlich „wir“ sind, dann entstehen angesichts der wie immer fast vollzählig erschienenen Perchtoldsdorfer Honoratioren im Publikum ganz neue Assoziationen im Kopf.

Erst ist's nicht einfach, doch dann klappt das mit der Thisbe: Michael Pogo Kreiner und Markus Kofler. Bild: Lalo Jodlbauer

Erst ist’s nicht einfach, doch dann klappt das mit der Thisbe: Michael Pogo Kreiner gibt alles, Regisseur Squenz alias Markus Kofler erschreckt das. Bild: Lalo Jodlbauer

Die höchst tragische Geschichte von Pyramus und Thisbe: Michael Pogo Kreiner, Nikolaus Barton, Judith Prieler, Karola Niederhuber und Raphael Nicholas. Bild: Lalo Jodlbauer

Die höchst tragische Geschichte kommt zur Aufführung: Michael Pogo Kreiner, Nikolaus Barton, Judith Prieler, Karola Niederhuber und Raphael Nicholas. Bild: Lalo Jodlbauer

Kofler rückt den Spiegel immer näher heran. Einen Theseus sucht er, und eine Hippolyta, den Oberon samt dessen Titania. Da muss er erst Überzeugungsarbeit leisten, muss bitten um Besetzungsvorschläge für sein Mitmachtheater, bis sich aus den Sitzreihen Andreas Patton und Veronika Glatzner melden. Sie temperamentvoll das Abendtascherl schmeißend, weil demnächst ja Königin und sowieso Amazone, er qualifiziert sich intellektuell hochwertig – mit Schillers „Glocke“. Das sagt schon viel aus über die Paarläufe, denen man in den kommenden drei Stunden folgen wird, darüber, was da so schief hängt zwischen Mann und Frau, von fehlender Befriedigung bis ergo kein Seelenfrieden. Sturminger gebraucht gerade so viel Zote als Zunder, dass sich daran die eigene Fantasie entfachen lässt.“Das ist Regie, das sind Ideen, das ist Abstraktion!“, klingt einmal Squenz‘ inszenatorischer Freudenschrei, und damit gibt Kofler gleichsam das Motto des Abends vor.

So wohldosiert semitransparent wie Sturmingers Arbeit sind die Kostüme von Renate Martin und Andreas Donhauser, die mehr erhoffen, weil erahnen lassen, feines Spinngeweb und zerrissenes Netz. Nur Oberon steht seiner New-Age-Queen in schwarzem Leder wie ein alter Rock’n’Roller gegenüber, die Attitüde passend zum Outfit. Von Martin und Donhauser ist auch die Bühne, leer bis auf bisweilen Titanias Brokatbett; mit Einbruch der Dunkelheit zeichnen magische Lichtkreise auf dem Boden den Darstellern den Weg.

Die sind aufs Vorzüglichste gewählt. Allen voran die vier jungen Liebenden Hermia und Lysander, Helena und Demetrius, die Julia Richter und Benjamin Vanyek, Sophie Aujesky und Jan Hutter mit viel Spiellust mit Leben füllen. Man hat das Quartett auch schon blutleer gelassen, doch wie hier um die Liebe, die Hände und miteinander gerungen wird, ist große Klasse. Und natürlich geht’s dabei mehrmals statt zwischen Bäumen durch die Zuschauerreihen hindurch. Karl Walter Sprungala ist sowohl der Puck als auch Hermias Vater Egeus, in beiden Fällen jedenfalls ein Geist, der stets das Böse will, als ersterer ein hinreißender, possenreißender Derwisch, der nicht nur die Handlung, sondern auch die Musik durcheinander bringt. Dabei werden die von Michael Pogo Kreiner beigesteuerten, elisabethanisch angehauchten Sphärenklänge unter seinem Zweitnamen dargeboten, das Ensemble versammelt sich dazu als „Robin Goodfellow & The Orchestra Of The Enelvement“. Nikolaus Barton ist als Zettel ein begnadeter Selbst/Darsteller, ein g’schaftlhuberischer Kleinstädter, der den Eselsschweif vorne trägt. Nur einer, der sich so lieb hat wie er, kann an „seine schöne Männlichkeit“ glauben.

Andreas Patton als Oberon. Bild: Lalo Jodlbauer

Andreas Pattons Oberon ist ein alter Rock’n’Roller; die Attitüde passt zum Outfit. Bild: Lalo Jodlbauer

Titania und ihre Elfen: Veronika Glatzner mit Ensemble. Bild: Lalo Jodlbauer

Titania und ihre Elfen: Veronika Glatzner mit Ensemble. Bild: Lalo Jodlbauer

Sturminger hat seine Schauspieler präzise geführt. Von ihm angeleitet entlocken sie Shakespeares fein ziselierten Charakteren noch die leisesten Zwischentöne übers Zwischenmenschliche. Nur eine kleine Andeutung etwa ist es, wenn Hippolyta zu ihrem erzwungenen Hochzeitsfest in einem wie ein Kettenhemd rasselnden Abendkleid erscheint, Theseus wiederum kann bis zur Weißglut des Eugeus‘ die Hermia nicht von der Helena unterscheiden, was ficht’s den Fürsten auch an? Es endet, wie es enden muss, auf der Bühne wird endlich ein Theater gemacht. Die Handwerker dürfen ihre Produktion präsentieren, die Blumendroge findet sich plötzlich in Hippolytas Händen, so kann’s gehen Richtung Happy End, und Eugeus enttarnt sich als Puck. Die Elfen haben die Menschen gespielt oder es war umgekehrt.

Das ist ein Stoff, aus dem auch Träume sind – ein wundersamer Abend in wunderbarer Kulisse. Die sehr gelungene Neuübersetzung dieser Sommernachtsfiktion von Angelika Messner und Martina Theissl ist als Text im Programmheft abgedruckt.

Michael Sturminger im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=19980

www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at

Wien, 30. 6. 2016

Sommerspiele Perchtoldsdorf: Das Käthchen von Heilbronn

Juli 5, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Mach‘ mir den Hengst, Liebster!

Anna Unterberger und Nikolaus Barton Bild: Lalo Jodlbauer

Anna Unterberger und Nikolaus Barton
Bild: Lalo Jodlbauer

Das erste von einigen Komplimenten, die man Regisseurin Maria Happel und ihren Schauspielern machen muss, ist, wie sie die Sprachgewalt Kleists wortmächtig und dennoch ungekünstelt umgesetzt haben. Chapeau! bei einem Text, wo’s beispielsweise heißt: Und wo der Zeisig sich das Nest gebaut, der zwitschernde, in dem Hollunderstrauch, soll sich ein Sommersitz dir auferbaun … Da verlangt Natur nach Natürlichkeit. Die Sommerspiele Perchtoldsdorf haben sich für das erste Jahr der Intendanz Michael Sturminger was „Leichtes“ ausgesucht: Heinrich von Kleists „Das Käthchen von Heilbronn“. Und unter Happel wird dieses Schauermärchen, die Ritterromanze tatsächlich leicht. Wie dem darin auftretenden Cherub wachsen dem Abend in der Dämmerung Flügel. Happel inszeniert nicht unkomisch, trotzdem ohne an Kleist Verrat zu begehen. Der hat nämlich sein ganzes Sein in diesen Stoff verwoben. Den steten Kampf von Instinkt gegen Intellekt. Seinen verlorenen gegen die Depression. Kleist ist hier Teil all seiner Figuren.

Der Inhalt: Der Heilbronner Waffenschmied Theobald Friedeborn klagt vor einem heimlichen Femegericht den Grafen Wetter vom Strahl an, seine Tochter Käthchen durch Teufelskünste entführt zu haben. Käthchen, vom ersten Anblick des Ritters wie gebannt, ist ihm überallhin gefolgt. Der Graf, von jeglichem Verdacht im Femegericht frei gesprochen, befiehlt dem Mädchen, mit seinem Vater nachhause zurückzukehren. Seine Zuneigung zu dem nicht adeligen Käthchen unterdrückt er. Kurz darauf befreit der Graf in einer einsamen Hütte die gefesselte Kunigunde von Thurneck aus einem Kidnapping-Versuch ihres früheren Verlobten und bringt sie auf sein Schloss. Der Graf glaubt, in ihr die Kaisertochter zu erkennen, die ihm in einem prophetischen Fiebertraum zu Silvester angekündigt wurde und verlobt sich mit ihr. Käthchen, auf dem Weg ins Kloster, erfährt durch Zufall von einem Anschlag, den der Rheingraf, ein weiterer verflossener Liebhaber der Kunigunde, auf die Burg Thurneck und das mittlerweile verlobte Paar plant. Käthchen eilt zur Burg, um ihren geliebten Grafen zu warnen. Aus Angst vor den eigenen Gefühlen will der Graf sie davonjagen, aber der Angriff beginnt. In kurzer Zeit steht die Burg in Flammen. Kunigunde, die das seltsame Verhältnis ihres Verlobten mit dem jungen Mädchen misstrauisch beargwöhnt, schickt Käthchen mitten ins Feuer, um aus ihrem Zimmer ein wertvolles Futteral zu holen. Auf wundersame Weise von einem lichtumflossenen Engel gerettet, gelingt es Käthchen samt Futteral aus dem einstürzenden Schloss zu entkommen. Von diesem Moment an sind die Gefühle des Grafen für das Mädchen nicht mehr zu unterdrücken. Unter dem Holunderbusch spricht Käthchen im Schlaf und bekennt dabei dem Grafen, dass auch sie einer geheimnisvollen Traumweissagung folgt, die nun Schlag auf Schlag in Erfüllung geht. Käthchen entpuppt sich als die verheißene Kaisertochter und somit steht einem Happy End nichts mehr im Wege.

Vor der Perchtoldsdorfer Burg spielt sich das Geschehen in terrassenförmigen, halb durchsichtigen, steilen Spielfächen aus schwarzem Plexiglas ab (Bühne: Andreas Donhauser, Sebastian Eckl, Paul Sturminger). Die Darsteller agieren sozusagen immer am Abgrund, immer absturzgefährdet. Die Kostüme (Renate Martin, Marie Sturminger) sind angedacht historisch. An Special effects wurde nicht gespart: Die Burg brennt tatsächlich! Einen Wasserfall gibt es auch. Ansonsten kommt Happel weitestgehend ohne Requisiten aus. Keine Schwerter (außer in der Schlussszene), keine Briefe, Dokumente, Depeschen, nicht Pfeil und Bogen noch Pferde. Alles muss man sich imaginieren. Wobei Imagination klarerweise eines der Schlagwörter des Kleist’schen Werks ist. Aber das Publikum bringt’s schon zum Lachen, wenn die edlen Herren wiehernd und schnaubend über die Bühne traben. Die Ritter ohne Kokosnuss. Mach‘ mir den Hengst, Liebster! Selten hat Kleist so viel Spaß gemacht – ein Umstand, an dem sich in den Pausengesprächen die Geister scheiden …

Das Ensemble wird exzellent angeführt von Dirk Nocker als Theobald Friedeborn, Käthchens Vater. Er spielt alle Facetten seines Könnens aus, vom Berserker zum Besorgten zum Betroffenen, der erkennen muss, dass sein Kind des Kaisers (Seine Majestät Wolfgang Hübsch) ist, weil die Gattin sich einst seitenspringend in den Garten verführte, äh, verfügte. Eigentlich die darstellerische Leistung des Abends. Doch stehen die anderen nicht nach. Anna Unterberger gibt das Käthchen mit der Hingabe eines Groupies, so flehendlich selbstlos, dass man dem Grafen zurufen möchte: Jetzt nimm’s endlich! Hollunderblütentrunken ist sie – Baum ist entsprechend aufgestellt. Und bis fast 23 Uhr muss sie warten, bis ihr Graf auch den „Joint des Mittelalters“ inhaliert hat. Im damaligen Volksglauben wurde ein Kranker schon dadurch geheilt, dass er unter einem Hollunder ein Schläfchen machte. Und Heilung braucht der von Nikolaus Barton gespielte Friedrich Wetter Graf vom Strahl dringend. Edel ist er, doch gerade erst von einer unerklärlichen Schwermut geheilt (?), ein Zer- und Vergrübler. Allerdings viel weniger Elegiebürscherl als der „Prinz von Homburg“ in der einen oder anderen Regiearbeit. Bleibt als weitere Hauptrolle Kunigunde von Thurneck, von Veronika Glatzner einwandfrei großartig als berechnendes Kunstgeschöpf verkörpert – wenn man da noch von Körper reden kann. Ein Geist, der, würde man heute sagen, über eine Schönheits-OP-Katastrophe regiert. Kleist wollte Kunigunde ursprünglich als Nixe haben. Happel nimmt in einer Badeszene, in der die äußere Hülle wieder Form annehmen soll, Bezug darauf. Ein Moment für Connaisseurs. Dennoch, und damit ist die Nadel im Heuhaufen gefunden, wäre in der Kunigunde mehr drin gewesen. Mehr Buhu, mehr Spuk, mehr Argh!

Die übrigen teilen ihre Talente auf mehrere Rollen auf. So ist Maria Happel, wie so gern gesehen, das komische Element – von der Köhlersfrau bis zu Kunigundes Tante. Die Frau schont sich wirklich nicht, wenn es darum geht, sich in hautenge Catsuits zu zwängen. Wunderbar (tragi-)komisch ist auch Sebastian Edtbauer als Gottschalk, des Grafen ergebener, ständig Äpfel essender Knecht. Cornelia Köndgen überzeugt sowohl als des Grafen herrische Mutter wie als schrullige Haushälterin im Schloss. Michael Masula verleiht Grafen, Rittern, Nachtwächtern und einem Erzbischof Würde. Paula Nocker wechselt von Köhlerjunge zur Nichte der Gräfin, und Annemarie Nocker hat die überhaupt wichtigste Rolle: den Cherub, der alles zum Guten wendet.

www.sommerspiele-perchtoldsdorf.at

www.mottingers-meinung.at/maria-happel-und-michael-sturminger-im-gespraech/

Forum Frohner: Aktionistinnen

Mai 13, 2014 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

Von VALIE EXPORT bis Kiki Kogelnik

Kiki Kogelnik: Kunst kommt von künstlich, 1967, Intervention, Wien Bild: Kiki Kogelnik Foundation, Wien/New York, 2014

Kiki Kogelnik: Kunst kommt von künstlich, 1967, Intervention, Wien
Bild: Kiki Kogelnik Foundation, Wien/New York, 2014

Ab 18. Mai zeigt das zur Kunsthalle Krems gehörende Forum Frohner die Schau „Aktionistinnen“.

Hartnäckig ist der internationale Ruhm des „Wiener Aktionismus“ an seine männlichen Vertreter gebunden. Außer VALIE EXPORT, die sich mit ihren Body-Art-Aktionen und dem „Expanded Cinema“ auch im Ausland etablieren konnte, und den bis Amerika bekannten Werken von Birgit Jürgenssen, werden die in den 1970er- und 1980er-Jahren auftretenden Vertreterinnen des Aktionismus nur zögerlich von der Kunstgeschichte wahrgenommen. Dabei haben gerade Renate Bertlmann, Linda Christanell, Rita Furrer, Margot Pilz oder Inge Opitz mit ihren Aktionen über die Galerien Grita Insam, Ursula Krinzinger und die Galerie im Griechenbeisl hinaus auch in Museen, Kunstvereinen und der Kremser Performancewoche 1983 großes Aufsehen erregt.

Nach der Erinnerungsschau „Mothers of Invention“ (2003) in der mumok-Factory und „Matrix“ (2008) im MUSA setzt die Präsentation im Forum Frohner die Forschung zu den wichtigsten Protagonistinnen des österreichischen Aktionismus fort. Aktionen, dokumentiert in Fotografie und Film, sowie Aktionsrelikte werden dabei gegenübergestellt. Bevor der Begriff „Performance“ in die Szene der bildenden Kunst des Theaters Eingang fand, dienten Kunstaktionen vor allem der Vermittlung gesellschaftspolitischer Statements. Weitere Inhalte sind die Alltagssymbolik der Frau, wobei – ganz im Unterschied zur masochistischen Thematik der „Wiener Aktionisten“ – eine feine Klinge in Sachen subtiler Humor und Identitätsbefragung geführt wurde. Selbstbespiegelungen des zum Objekt verdammten weiblichen Körpers werden zu Projektionsflächen für feinen Sprachwitz in Parallele zu strukturalistischer Methodik, vorgeführt vor allem durch die Medien Video, Fotografie und Film.

Künstlerinnen: Renate Bertlmann, Linda Christanell, VALIE EXPORT, Rita Furrer, Birgit Jürgenssen, Kiki Kogelnik, Inge Opitz und Margot Pilz

www.kunsthalle.at

Wien, 13. 5. 2014

Museum der Moderne Salzburg: Ana Mendieta …

März 28, 2014 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

… im Dialog mit dem Wiener Aktionismus

Ana Mendieta: Untitled (Glass on Body Imprints), 1972, Suite of six colour photographs, estate prints, 65 x 48 x 2,3 cm; Untitled (Body Tracks), 1974, Colour photograph, lifetime print, 25,4 x 20,3 cm, Collection Igor DaCosta; Untitled (Facial Hair Transplant), 1972, Suite of seven colour photographs, estate prints 1997, 32,4 x 48,9 cm; alle: © The Estate of Ana Mendieta Collection, L.L.C. Courtesy Galerie Lelong, New York and Paris and Alison Jacques Gallery, London

Ana Mendieta: Untitled (Glass on Body Imprints), 1972, Suite of six colour photographs, estate prints, 65 x 48 x 2,3 cm; Untitled (Body Tracks), 1974, Colour photograph, lifetime print, 25,4 x 20,3 cm, Collection Igor DaCosta; Untitled (Facial Hair Transplant), 1972, Suite of seven colour photographs, estate prints 1997, 32,4 x 48,9 cm; alle: © The Estate of Ana Mendieta Collection, L.L.C. Courtesy Galerie Lelong, New York and Paris and Alison Jacques Gallery, London

Ab Mitte März werden im Museum der Moderne Salzburg die ersten Ausstellungen und Veranstaltungen präsentiert, die unter der neuen Leitung von Sabine Breitwieser ausgerichtet werden. Los geht’s am 29. März mit Ana Mendieta. Traces. Das Museum der Moderne Salzburg widmet der US-amerikanischen Künstlerin erstmals im deutschsprachigen Raum eine umfangreiche Retrospektive und stellt ihre Werke mit der parallel gezeigten Ausstellung Im Dialog: Wiener Aktionismus inhaltlich zueinander in Beziehung.

Ana Mendieta zählt zu den bedeutendsten und einflussreichsten Künstlerinnen unserer Zeit. Sie wurde 1948 in Kuba geboren und im Alter von zwölf Jahren von ihren Eltern gemeinsam mit ihrer Schwester in die USA geschickt, um dort aufzuwachsen. Sie kam 1985, mit erst 36 Jahren, in New York ums Leben. Ihr bahnbrechendes  Werk wurde in großen Retrospektiven in den USA und Europa gewürdigt und ist in Sammlungen wichtiger Museen vertreten. Eine umfassende Ausstellung im deutschsprachigen Raum, insbesondere in Österreich, und die erste deutsche Monografie über Ana Mendieta sind längst überfällig. Die Ausstellung präsentiert mit rund 150  zentralen Arbeiten in einer Vielzahl von Medien, die von Fotografie, Film und Skulptur  bis zur Zeichnung reichen, einen umfangreichen Überblick. In einer großen Sektion  wird das Archiv der Künstlerin präsentiert; Kleinbilddias und Fotografien, Notizbücher und Postkarten werden eigens für die Ausstellung aufbereitet. Mendieta widmete ihre Arbeit der Suche nach ihrer Herkunft und Identität. Im  Laufe ihrer kurzen Karriere – und ihres ebenso kurzen Lebens – schuf die Künstlerin ein radikales wie originelles Werk, in dem sich ihr Interesse an der Wechselbeziehung zwischen Ritualen und Skulptur, zwischen Körper und Natur manifestiert. Unter Einsatz ihres eigenen Körpers in Verbindung mit elementaren Materialien wie Blut, Feuer, Erde und Wasser kreiert sie „Körperbilder“ und vergängliche „Erdkörper“-Skulpturen. Mendieta lotet darin Themenkomplexe wie Leben und Tod, Wiedergeburt und spirituelle Transformation aus. Der Schmerz und Bruch durch kulturelle Vertreibung und Exil sind in einigen ihrer Werke deutlich lesbar. Die Umrisse des Körpers der Künstlerin werden beispielsweise durch Schwarzpulver, Feuerwerk oder Wasser ausgelöscht. Mendieta formt Darstellungen von antiken Göttinnen aus Sand, ritzt sie in Felsen, schreibt sie in Ton oder auf Blättern ein. Die künstlerischen Medien, die sich Mendieta in ihren Arbeiten zunutze macht, könnten unterschiedlicher nicht sein, aber die Bilder, die sie herstellt, sind von einer unverwechselbaren, überwältigenden und mystischen Poetik gekennzeichnet.

Zeitgleich beginnt die Schau Im Dialog: Wiener Aktionismus. Gezeigt werden Arbeiten von Renate Bertlmann, Günter Brus, VALIE EXPORT, Adolf Frohner, Anestis Logothetis, Otto Muehl, Hermann Nitsch, Friederike Pezold und Rudolf Schwarzkogler. Das Museum der Moderne Salzburg widmet erstmalig eine eigene Ausstellung  KünstlerInnen und Werken aus der Sammlung, die mit dem sogenannten Wiener Aktionismus assoziiert werden. Zusätzlich werden in einem Raum Werke von Künstlerinnen gezeigt, die einen gänzlich anderen Körperbegriff und ein neues Frauenbild ins Zentrum rücken und in Zusammenhang damit eine Medienkritik einbringen. Dieser spezielle Fokus auf die Sammlung des Museum der Moderne Salzburg erschließt überraschende Bestände, die durch ihren Umfang und mit bislang kaum gezeigtem Material beeindrucken. Aus dieser Vielfalt kann eine Geschichte der Repräsentation von körperbezogener Kunst abgelesen werden, die deren Entwicklung in den letzten Dekaden verdeutlicht.

Dass diese Ausstellung parallel zur Retrospektive von Ana Mendieta stattfindet, passiert natürlich nicht ohne Grund. Während ihres Studiums bei Hans Breder am Intermedia Program an der School of Art and Art History der University of Iowa, USA, das dieser ab 1968 mehr als drei Dekaden lang geführt hatte, wurde Mendieta mit der Arbeit von KünstlerInnen wie Vito Acconci, Mary Beth Edelson, Hans Haacke, Allan Kaprow oder Robert Wilson, aber auch mit den Wiener Aktionisten  vertraut. Das hat in den Performances und der künstlerischen Praxis von Mendieta einen deutlichen Widerhall gefunden. Die teilweise radikale Auseinandersetzung mit  dem Körper als künstlerischem Medium, die gezielte Auswahl von Fotografien, denen  die Aufgabe zukommt, ein performatives Werk im Galerienkontext zu vermitteln, sowie  der experimentelle Umgang mit Konzepten und Disziplinen sind nur einige dieser  Verbindungen, die wir heute erkennen können.

www.museumdermoderne.at

Wien, 28. 3. 2014