Julian Pölsler im Gespräch über „Wir töten Stella“

September 26, 2017 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Art „Tatort“-Dramatik wollte er nicht

Regisseur und Drehbuchautor Julian Pölsler am Set der „Wir töten Stella“-Dreharbeiten. Bild: ©Thimfilm / Dieter Nagl

Mit „Wir töten Stella“ kommt am 29. September die zweite Verfilmung eines Marlen-Haushofer-Stoffs durch Julian Pölsler in die österreichischen Kinos. In ihrer Novelle erzählt die oberösterreichische Autorin von der Studentin Stella, unerfahren und jung, und wie sie ahnungslos ihrem Untergang entgegengeht. Sie wird für ein Studienjahr „Logiergast“ in einer mit ihren Eltern befreundeten Familie. Hausherr Richard verführt sie, seine Frau Anna beobachtet die Affäre mit kühlem Blick.

Stella wird das Opfer einer kaputten, bürgerlichen Familienidylle, die mit allen Mitteln aufrechterhalten werden muss. Annas Niederschrift der eigenen Mitschuld ist die beklemmende Bestandsaufnahme einer einsamen Antiheldin, Ehefrau und Mutter. Es spielen Martina Gedeck, Matthias Brandt, Mala Emde und Julius Haag. Julian Pölsler im Gespräch:

MM: Was finden Sie an Marlen Haushofer, dass Sie nach „Die Wand“ mit „Wir töten Stella“ schon den zweiten Text von ihr verfilmen?

Julian Pölsler: Das suche ich mir ja nicht aus, die Stoffe suchen sich mich aus – anscheinend. Was mir zum einen gefällt ist die Sprache, das ist große österreichische Literatur, zum anderen finde ich die Frauenthematik spannend. Das ist eine Welt, die mir fremd ist, und ich habe es gerne, wenn ich im Kino in solche Welten versetzt werden. Im Übrigen sind es eigentlich drei Ich-Erzählungen, die zusammengehören: „Die Wand“ ist der dritte, „Wir töten Stella“ ist der zweite und „Die Mansarde“ ist der erste.

MM: Sie haben Ihren Film in einer unbestimmten Jetztzeit angesiedelt; die Novelle ist aus dem Jahr 1958. Damals war „Wir töten Stella“ zweifellos ein gewagter Titel. Hat das Moralapostel auf den Plan gerufen?

Pölsler: Ja, freilich, viele Apostel. Weil viele gemeint haben, die Thematik sei überholt, was ich bis heute nicht finde, das Thema ist aktueller denn je. Außerdem gab es Aufregung, weil eine Frau die „Heldin“ ist, die so passiv ist. Man ist ja bemüht, Bilder von Frauen zu zeigen, die sehr aktiv sind; ich finde Haushofer berichtet darüber, wie Frauen die dehnbaren Wände die sie seit Jahrhunderten umgeben, durchbrechen. Darum ist es mir im Film auch gegangen. Ich bin nicht für die vordergründige, emanzipatorisch-kämpferische Art, die Weise, die die Haushofer gewählt hat, ist leiser – und nachhaltiger vor allem. Darum ist der Stoff auch noch immer aktuell.

MM: Die Figuren im Film sind im Wortsinn sprachlos, dafür gibt es einen ausführlich Off-Text, bei dem Sie ganz bei Haushofer geblieben sind, bei dieser poetischen und brutalen Sprache.

Pölsler: Das war mir wichtig. Das habe ich bei der „Wand“ schon gemacht, und das habe ich auch bei der „Mansarde“ vor. Ich finde die Stilistik sehr wichtig. Wenn man „Stella“ aufmerksam liest, merkt man, wie sich Haushofers sprachliche Stilmittel durch ihre Arbeiten ziehen. Das umzusetzen, darauf muss man in den Filmen wert legen.

MM: Anna, die Figur, die Martina Gedeck spielt, gibt die Temperatur des Films vor?

Pölsler: Ja, allerdings, das ist die Protagonistin. Das Spannende ist, dass sie so passiv ist, dass sie alles über sich ergehen lässt – anscheinend, aber sie ist die einzige, die aus dem Drama ihre Lehren zieht und diesen Bericht schreibt, den sie uns dann mitteilt. Damit wir vielleicht nicht die Fehler machen, die sie gemacht hat. Deshalb hält sie das alles fest.

MM: Es ist das zweite Mal, dass Martina Gedeck Haushofer spielt. War es einfach, Sie zu diesem Dreh zu bitten?

Pölsler: Ja, sie hat ja von Anfang an gewusst, dass es drei Teile sind. Während der „Wand“ habe ich ihr schon erzählt von der Trilogie, deshalb war sie schon vorbereitet. Wir können beruflich gut miteinander. Sie ist eine ganz tolle Schauspielerin, und es ist spannend mit ihr zu arbeiten. Das Problem bei Martina Gedeck ist, dass sie so viel beschäftigt ist, und da ist es nicht leicht, einen Termin zu finden, an dem sie Zeit hat. Aber wir haben es geschafft.

MM: Und „Die Mansarde“ werden Sie auch gemeinsam machen?

Pölsler: An und für sich ja. Aber jetzt arbeite ich einmal an einem Christine-Lavant-Stoff und dann an einem Robert-Seethaler-Stoff, und dann ist es Zeit für den Abschluss der Haushofer-Trilogie.

Anna schreibt ihre Lebensbeichte auf: Martina Gedeck. Bild: © Thimfilm

Matthias Brandt als Familienvater Richard: ein gefährliches Raubtier mit jovialem Auftreten. Bild: © Thimfilm

Mala Emde spielt die Stella mit hoher Intensität. Bild: © Thimfilm

MM: Während dieser ganzen Handlung, auch angesichts dieser Mitleidlosigkeit, die Anna zweifellos hat, dachte ich mir: Das sind so gutsituierte Leute, die ein Spiel spielen, dass sie nicht verlieren können.

Pölsler: Die verlieren schon auch, und was da passiert, ist, glaube ich, auch kein Phänomen der besseren Gesellschaft. So etwas kann es durch alle Schichten geben, nur würde es dort eben anders verhandelt werden.

MM: In der Novelle ist Anna mehr „Haustrampel“, eine bessere Dienstbotin des Gatten …

Pölsler: Ich habe die Figur moderner gemacht, aber nichtsdestotrotz die Problematik eins zu eins beibehalten.

MM: Stella wiederum ist der ungewünschte Eindringling, die sich mit dem Stehsatz „Störe ich?“ permanent für ihre Existenz entschuldigt. Sie wird von Mala Emde dargestellt. Wie sind Sie auf sie gekommen?

Pölsler: Ich wollte eigentlich eine Österreicherin für die Stella haben, habe auch ein paar gecastet, aber die richtige war nicht dabei. Mala Emde hat mich aufgrund ihrer starken Persönlichkeit überzeugt, die sie aber auch zurückfahren kann, wenn es erforderlich ist. Was sie im Film über Strecken muss, weil Stella, genauso wie Anna, durch Passivität gekennzeichnet ist. Sie spricht ja auch kaum. Das arme Mädel tut nichts schlimmes, außer, dass sie sich verliebt – und daraus entsteht größtes Unglück. Da stolpern lauter Menschen in Dinge, für die sie nichts können. Aber auch Richard, Annas Ehemann und Stellas Verführer oder Vergewaltiger, kann nichts dafür. Bei der Frau, die der hat …

MM: Das ist die männliche Perspektive.

Pölsler: Nein, das ist Haushofer, die Figuren zeigt, die nicht die Kraft aufbringen, die Wand, die sie einengt zu durchschlagen. Allen voran natürlich Anna.

MM: Wie sehr spricht Haushofer in ihren Texten von Emanzipation?

Pölsler: Sehr stark, nur auf eine sehr stille, subtile Art. Sie ist nicht umsonst eine Gallionsfigur der Frauenemanzipation geworden, und dann der Frauenbewegung der 1980er-Jahre, als man sie wiederentdeckt hat.

MM: Wie’s mit Stella endet, ist von Anfang an klar, denn Sie beginnen mit einem starken Bild: Die Kamera umkreist den Leichnam, zeigt auf der einen Seite ein schönes, auf der anderen Seite ein bis zum Skelett entstelltes Gesicht. Ein Memento mori?

Pölsler: Ja, weil Tod und Leben so eng bei einander liegen, und weil wir das so gerne vergessen. Man muss immer daran denken, dass der Tod zum Leben gehört.

MM: Sie haben für die Frauenfiguren und für den Film generell ein „Farbleitsystem“ entwickelt. Alles, was Martin Gedeck betrifft, ist in Blautönen gehalten, Mala Emde durchkreuzt diese Farbe mit ihren roten Kleidern; die Stadt ist blass, das Salzkammergut strahlend und farbintensiv.

Pölsler: Nicht das Salzkammergut, die Natur. Ich habe das auch mit dem Garten von Annas und Richards Haus gemacht, aber Anna geht ja nie in den Garten hinaus, sie steht immer nur am Fenster. Was die Frauen betrifft, haben Sie recht. Das hat mehrere Gründe. Zum einen steht Martina Gedeck die Farbe Blau sehr, und es passt auch zu Anna – was Kühles, Distanziertes. Die Farben habe ich eigentlich aus der Haushofer übernommen, bei ihr stürzt Stella in ihrem roten Mantel in einen gelben LKW. Den habe ich auch, ich habe mich brav an die Haushofer gehalten.

Julian Pölsler hinter der Kamera … Bild: ©Thimfilm / Dieter Nagl

… und mit Martina Gedeck. Bild: ©Thimfilm / Dieter Nagl

MM: Und diese schön fotografierte Natur, mit der docken Sie an der „Wand“ an?

Pölsler: Ja, das ist etwas, das ich übernommen habe. Sie sagen „andocken“, ich sage, ich habe mich stilistisch angenähert.

MM: Richard wird gespielt von Matthias Brandt. Mir fiel dazu ein: das Raubtier mit der randlosen Brille. Nun sagen Sie, er kann nichts dafür.

Pölsler: Natürlich kann er was dafür, aber er ist auch ein Opfer. Seine Schuld liegt darin, dass er es sich praktisch eingerichtet hat. Er hat eine herzeigbare, fesche Frau, gutgeratene Kinder und Geliebte, wann er immer er will. Er ist erfolgreich im Beruf. Warum sollte der etwas an seinem Leben ändern wollen? Dass ihm dann so ein halbes Kind in die Quere kommt, ist ungeplant und daher blöd.

MM: Das Fremdgehen, die Abtreibung, alle diese Momente höchster Dramatik finden nicht statt. Haushofer und Sie erzählen die Geschichte über den Rahmen. Literatur ist das eine, aber ist es für einen Film nicht besser, Tragik und Drastisches zu zeigen?

Pölsler: Diese Art Dramatik, die man in jedem „Tatort“ sieht, das wollte ich nicht. Ich will innere Dramatik zeigen, und wie sie diese beiden Frauen auffrisst. Wenn man sieht, wie es in den Nahaufnahmen im Gesicht von Martina Gedeck arbeitet, dann ist das nicht nur große Schauspielkunst, sondern sagt auf subtile Art auch mehr aus, als wenn ich die Sensationslust bedient hätte. Anna braucht das nicht, die ist eine starke Frau.

MM: Anna hat sozusagen ein freies Wochenende, Mann und Kinder sind weg, an dem sie diese Lebensbeichte niederschreibt. Wie kann es mit dieser Ehe weitergehen?

Pölsler: Das schreibe ich im Abspann des Films, also beantwortet sich die Frage für alle, die sich den Film bis zu Ende anschauen.

MM: Der Sohn des Hauses muss sich mit dem Troja-Mythos beschäftigen, und er tut es via eines Videos, in dem Christa Wolf „Kassandra“ liest. Woher kam diese Idee?

Pölsler: Ich bin ein großer Verehrer von Christa Wolf, und daher war das eine freie Assoziation. Ich finde das Video spannender, als wenn der Sohn nur in einem Buch geblättert und mit der Mutter darüber gesprochen hätte. Die Kassandra habe ich aus der Haushofer-Erzählung übernommen, denn dieser Bub soll bei einer Schultheateraufführung den Achilles spielen, doch der ist ihm zu angeberisch, und er sagt, er möchte lieber Kassandra sein. Und so bin ich auf die Christa Wolf gekommen. In ihrer „Kassandra“ gibt es den Wahnsinnssatz: Immer noch die Frage, aus welchen Stoff die Stricke sind, die uns ans Leben binden.

MM: Schon wieder ein emanzipatorischer Text. Sie sind Feminist.

Pölsler: Ja, es ist schrecklich mit mir. (Er lacht.)

MM: Julius Hagg spielt den Sohn, ein sehr feinnerviger Schauspieler, der etwas ganz Zartes hat.

Pölsler: Er ist großartig. Ich habe ihn Julia Stemberger und Fanny Altenburger zu verdanken. Er kam zum Casting, stellte sich vor und sagte den ersten Satz, und ich wusste: das ist er. „Zart“ ist er nur im Film, das spielt er nur, in Wirklichkeit ist er ein Macho.

MM: Ich unterstelle, Sie arbeiten mit Ihrer Trilogie an einer Haushofer-Wiederentdeckung?

Pölsler: Wiederentdeckung ist zu viel. Sagen wir so: Ich will im Bewusstsein der Öffentlichkeit halten, dass es hier eine erstklassige Schriftstellerin aus Oberösterreich gibt, deren Texte immer lesenswert sind. Das ist mir ein Anliegen. 

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Filmrezension: www.mottingers-meinung.at/?p=26303

  1. 9. 2017

Wir töten Stella

September 26, 2017 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Martina Gedeck brilliert in der Haushofer-Verfilmung

Anna hat zwei Tage Zeit für ihre Lebensbeichte: Martina Gedeck spielt nach „Die Wand“ zum zweiten Mal Haushofer. Bild: © Thimfilm

Ein starkes Bild. Die Kamera umkreist einen Leichnam in der Prosektur. Umrundet das schöne, klare, in sich ruhende Gesicht einer jungen Frau, wechselt auf die andere Seite und – zeigt eine bis zu den bloßliegenden Zähnen entfleischte Fratze. Ein starkes Bild. Ein Memento mori. Die junge Frau ist vor ein Fahrzeug gelaufen.

„Wir töten Stella“ heißt der neue Film von Regisseur Julian Pölsler, der am 29. September in den österreichischen Kinos anläuft. Bis dato galt Marlen Haushofers 60-Seiten-Novelle als schwer verfilmbar, wird alles Geschehen doch einzig aus der Innenschau einer der Figuren erzählt. Doch der Haushofer-erfahrene Pölsler, der 2012 bereits mit dem dystopischen Heimatfilm „Die Wand“ reüssierte, schuf nun mit „Wir töten Stella“ eine Art Prequel, jedenfalls den zweiten Teil der von ihm geplanten Haushofer-Trilogie, die mit „Die Mansarde“ der legendären oberösterreichischen Autorin vollendet werden soll. Als Protagonistin steht ihm auch diesmal die großartige Martina Gedeck zur Seite. Sie spielt Anna, Ehefrau und Mutter, die an Stellas Freitod nicht unschuldig ist, und der ihr Leben entzweischlagen wird.

„Ich bin allein.“ Das ist Annas erster Satz, das heißt: eigentlich erster Gedanke, und er gilt für ihre gesamte Existenz. In zwei schlaflosen Tagen und Nächten, Ehemann Richard und die Kinder sind an diesem Wochenende außer Haus, verfasst Anna eine Lebensbeichte. Für zehn Monate hat die Familie die Studentin Stella bei sich aufgenommen. Doch die Welt des Rechtsanwaltsclans verträgt keine Eindringlinge, nicht einmal selbst eingeladene. Stella, die zurückhaltende, schüchterne junge Frau, ist eine Störung, die das exakt austarierte Familienkonstrukt aus den Fugen bringt. Doch ist sie auch von genau der naiven Sexyness, die Richard anzieht. Und so dauert es nicht lange, bis ihm Stella in den Schoß fällt …

Pölsler, spätestens seit den „Polt“-Filmen als Meister der Entschleunigung bekannt, lässt der Story Zeit, sich zu entwickeln. Gesprochen wird wenig, in dieser verstörenden Familienaufstellung hat man einander ohnedies nicht mehr viel zu sagen. Die Sätze, die durch Mark und Bein gehen, Haushofers Sprache, so brutal wie poetisch, so hart und messerscharf, und von Pölsler in maximaler Texttreue übernommen, gehören der Gedeck; sie sind ihre Gedanken, ihre Niederschrift, und sie spricht sie aus dem Off. Der Rest ist lautes Schweigen. Es ist die Figur der Anna, die die Temperatur des Films vorgibt.

Pölsler hat die Novelle aus dem Veröffentlichungsjahr 1958 geschält, und den Film in einem unbestimmten Jetzt angesiedelt. Anna, bei Haushofer noch deutlich mehr „Haustrampel“ als Richards angetraute Dienstbotin, wird in der Darstellung der Gedeck zur unterkühlten, sich von ihrer Umgebung distanzierenden Wohlstandsdame. Alles, was sie tut, ist, aus einem der zahlreichen Zimmer ihrer Villa in den Garten zu sinnieren. Selbst als dort unter enervierend eindringlichem Piepsen ein Amselküken stirbt, kann sie sich nicht aufraffen aus ihrem goldenen Käfig ins Freie zu treten und zu helfen. Mit Richard führt sie eine „postzynistische“ Ehe, was bedeutet, dass man sich offenbar schon alles, was irgend möglich war, an den Kopf geworfen hat, die Lieblosigkeit, die Reserviertheit, die Seitensprünge – und dann zum gemeinsamen Rotweintrinken zurückgekehrt ist.

„Wir töten Stella“ ist ein spröder Film, der dem Betrachter keinen Rettungsring zuwirft, weder findet sich eine sympathische Figur (am ehesten noch Julius Hagg als Sohn Wolfgang) noch eine entlastende Situation. Jeder ist hier in seinen Zwängen gefangen, ohne Ausweg, und daher ohne Mitleid. Ein Aufatmen? Unmöglich. Pölslers Film ist so ruhig wie gnadenlos.

Anna kerkert sich in ihrem Haus ein …: Martina Gedeck. Bild: © Thimfilm

… und beobachtet ihre Konkurrentin Stella: Mala Emde. Bild: © Thimfilm

Die Beziehung mit Stella lässt sich an, wie ein Spiel, das reiche Leute beginnen, und das sie nie verlieren werden, weil nur sie die Regeln kennen. Die stille, ihrer Sprache wie beraubte Stella spielt Mala Emde sehr intensiv. Zwar sehr zurückgenommen, aber gerade darum mit noch mehr Tiefe. Emde hat ihre Figur bis zum Grund ausgelotet, und verleiht ihrer Rolle eine Art verwehter Todeseleganz.

Ihre Stella, ausgestattet mit der Unterwerfungsfrage „Tschuldigung, störe ich?“, begeht den kapitalen Fehler. Sie unterläuft, sobald von ihm abserviert, Richards Fremdgehsystem. Und plötzlich sind da Gefühle, Tränen, Verzweiflung, und weder Richard noch Anna wollen das: den inneren Aufruhr unter ihrer glatten Oberflächenwelt.

„Jeder Mensch trägt sein Gesetz in sich, und es sind ihm Grenzen gezogen, die er nicht überschreiten kann, ohne sich zu zerstören“, sagt/denkt Anna. Haushofer, deren Thema in jeder Umschreibung die Emanzipation war, weiß, dass zur Selbstbehauptung manchmal auch die Selbstzerstörung zählt. Pölsler macht die Verschiedenheit seiner Protagonistinnen auch in Farben deutlich: Wo Gedecks Anna ist, sind alle Nuancen von einem Todesengelblau, so auch von Haushofer vorgegeben, durchbrochen von Mala Emdes Stella in ausschließlich roten Kleidern. Die hat ihr Anna gekauft, ohne dass die Kindfrau ahnte, was dieses Rot bedeutet … Brüche nehmen Pölsler und Szenenbildner Enid Löser auch filmisch vor, mit schonungslosen Nahaufnahmen von atemraubender Intensität, immer wieder kehrenden Albtraumsequenzen, und allerlei anderen rätselhaften Bildern. Mehrmals im Film kämpfen Anna und Stella gegen eine Wand, das Gesicht und die Hände zeichnen sich in einer durchsichtigen Plastikmembrane ab, doch für Frauen gibt es hier kein Durchkommen.

Während in der Stadt alles wirkt, als hätte man ihr die Farbe entzogen, strahlt bei Ausflügen die Natur in frischestem, mit Haus und Hund und Bauersfrau auf „Die Wand“ querverweisenden Grün. Pölsler hat sich alles Reißerische verboten. Er spart das Drama aus, er lässt es hinter den Kulissen, und bleibt in der Position der Anna. Der Liebesakt, die Abtreibung, die Stella darob vornehmen lässt, ihr Suizid, finden im Film nicht statt. Die tödlichen Zumutungen, die Depression und die Demütigungen, all das schildert ausschließlich Anna. Und auch sie oft nur zwischen den Zeilen.

Pölsler macht zum psychologischen Kammerspiel, was ebensogut ein „Krimi“ hätte werden können. Er folgt ganz und gar der Haushofer und der Gedeck. Wie sie ihre Kakteen hegt und pflegt. Statt ihrer Mitmenschen. In der Sache Stella bleibt sie eine vom Rand her Beobachtende, als wäre ihr die ganze Angelegenheit zu unwichtig, um einzugreifen, und damit vielleicht Stellas Leben zu retten. Vielleicht gefiel sich die in ihrer Ehe ohnmächtige Anna aber auch darin, durch ihre heimtückisch eingesetzte Passivität den „Jungvogel“ zu vernichten.

Studentin und Untermieterin Stella hat bald ein Verhältnis mit dem Hausherrn: Mala Emde und Matthias Brandt als Richard. Bild: © Thimfilm

Für den sensiblen Sohn Wolfgang wird die Situation immer unerträglicher: Julius Hagg. Bild: © Thimfilm

Denn es ist ihr von Beginn an und aus eigener Erfahrung klar, dass Stella gegen Richard nicht bestehen wird können. Stella bleibt sogar in ihrem Sterben zurückhaltend und rücksichtsvoll. Als sie tot ist und Anna ihre Leiche identifiziert, gibt es keinen Eklat, ist doch endlich die Ordnung wiederhergestellt: „Stella war tot, und eine große Erleichterung überfiel mich.“

Den Täter, Richard, gibt Matthias Brandt als Gewaltmenschen und Lebemann, den Anna in ihrer Aufzeichnung einen „gütigen Mörder“ nennt. Brandt gestaltet die Figur als Raubtier mit randloser Brille, als Egomanen, dem sein Ich über alles geht, als Workaholic auch, der daheim sofort demonstrativ hinter den rosa Seiten der Financial Times verschwindet. Brandt illustriert Richards Dominanzverhalten mit einem Minimum an Gestik und Mimik.

Wendet sich Richard schließlich seiner Familie zu, ist er in seiner aufgesetzten Jovialität beinah furchteinflößend. Dass er Stella lange Zeit mit nonchalanter Ablehnung begegnet, ist klar, das geschieht zur Ablenkung. Eine wunderbare Performance ist auch die von Julius Hagg als Sohn Wolfgang, der, von der Mutter liebkost, vom Vater ignoriert, seinen Platz und seinen Stellenwert in dieser Gesellschaft nicht findet, und innerlich längst auf der Flucht vor diesem Dasein ist. Im Schultheater will der sensible, feinnervige junge Mann nicht den arroganten Achill spielen, sondern lieber die kluge Kassandra. Er hat auf dem Laptop eine Christa-Wolf-Lesung gespeichert, und als die Mutter danach sucht und herumstöbert, findet sie nicht nur grauenhafte Unfallvideos, sondern auch heraus, dass Wolfgang das komplette Haus mit Kameras bestückt und sie alle überwacht hat. Erst diese Aufnahmen führen Anna auf die Fährte dessen, was wirklich unter ihrem Dach passiert ist …

„Wir töten Stella“ erzählt von einem patriarchalen Machtapparat, der seine Unterdrückten gerade so viel hätschelt, wie er sie als Systemerhalter braucht. Deren Duldungsstarre ist dabei in Privattyrannei so obligatorisch wie in jeder Diktatur. Niemand sieht das und schreibt das klarer auf, als Anna, die Chronistin ihres eigenen Untergangs – Martina Gedeck einmal mehr als schauspielerische Ausnahmeerscheinung. „Jeder von uns ist sein eigener Teufel, und wir machen uns diese Welt zur Hölle“, sagte Oscar Wilde einmal. Mit „Wir töten Stella“ erweist sich Julian Pölsler nicht nur als fabelhafter Filmemacher, sondern auch als Feminist. Sein Film ist, darüber hinaus, das beklemmende Sezieren einer Familienangelegenheit zu sein, eine beunruhigende Bestandsaufnahme der Gesellschaft. Mit dem Fazit, dass sich im Mann-Frau-Verhältnis seit 60 Jahren wenig verändert hat. Einmal fragt Anna ihren Mann, warum er an ihr in einer freudlosen Ehe festhalte. „Weil du mir gehörst“, lautet darauf einer der schrecklichen Sätze Richards.

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Regisseur Julian Pölsler im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=26318

  1. 9. 2017

Cornelius Obonya im Gespräch

Oktober 28, 2013 in Buch, Bühne, Film

VON MICHAELA MOTTINGER

„Frag’ nicht, was das Theater für dich tun kann,

frag’, was du für das Theater tun kannst.“

C(R)ASH im stadtTheater Walfischgasse Bild: © Robert Polster

C(R)ASH im stadtTheater Walfischgasse
Bild: © Robert Polster

MM: Ihre aktuelle Theaterproduktion, „C(r)ash“ von Rupert Henning, läuft sehr erfolgreich im stadtTheater Walfischgasse. Sie spielen einen Cop, Officer Leroy Brooks, der, wie sich im Laufe des Abends herausstellt, durch die Finanzkrise alles verloren hat. Aber auch durch seine Antriebslosigkeit. Mein Kompliment an Sie als Schauspieler: Sie haben mich auf die Figur richtig wütend gemacht. Was waren Ihre ersten Emotionen zu Leroy – und haben Sie sich nach längerem Spielen verändert?

Cornelius Obonya: Beim Lesen war mir schon klar, dass sehr viel Selbstmitleid und Die-anderen-sind-schuld in ihm steckt. Was ich an Leroy aber mochte, ist, dass er versucht, auf etwas zu pochen: die Werte. Da können manchem die Grausbirnen aufsteigen. Zum Beispiel, ganz simpel: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft und da sagt einer: Ich repariere es halt lieber, bevor ich es entsorge. Ich hämmere selber rum. Über die Jahre. Nun weiß ich aus eigener Erfahrung, wie leidvoll es sein, kann wenn man an einem Provisorium herumbastelt – und dann muss man’s erst recht von einem Profi reparieren lassen. Manchmal ist also das Neue ganz Okay. Was ich schön fand an Rupert Hennings Text, ist, dass die Krise ein Gesicht hat. So und so viele Leute entlassen. Government Shutdown. Auf der Straße ohne Geld weiter existieren, obwohl man glaubte, eine sichere Stelle zu haben, darum ging es. Verändert hat mich das schon, insofern, als ich durch diese Rolle unendlich ruhig geworden bin. Weil dieser Typ von Rupert so geschrieben ist. Ganz gegen meine Natur. Ich bin auch viel aktiver: Da ist etwas nicht in Ordnung, ergo mach’ ich was. Das kann Leroy nicht. Er ist ein reflektiver Mensch, der nicht aus seiner Haut kann. Verschiedene Züge sind an ihm vorbeigefahren, ohne, dass er’s mitbekommen hat, weil er an etwas festgehalten hat, das durchaus begrüßenswert ist, nämlich: Da ist ein Haus aus 1876, erbaut von meinem Urgroßvater mit seiner Hände Arbeit, da schau ich schon, dass ich’s erhalte. Der Punkt ist nur: Nicht um jeden Preis. Das ist die Geschichte der USA: Dieses Begreifen, dass the American Dream, the American Way of Live nicht mehr existiert. Teils selbstverschuldet, teils durch Einflüsse von außen. Da wird nix mehr „gut“. Die Welt hat sich zu sehr verändert. Diesen Ansatz von Rupert Henning fand ich sehr schön. Ich finde es gut, dass man den Knaben mag – aber nicht ganz …

 MM: Mit Claudia Kottal und Stefano Bernardin, den neuen Hausbesitzern, die Leroy „überfällt“, ergänzt sich in dieser Produktion ein wunderbares Trio.

Obonya: Stimmt. Wir haben uns auch vorher geprüft, ob wir zusammengehen, ob wir miteinander können, gut harmonieren. Wir haben uns auf der Bühne getroffen und gesehen, ob’s laufen kann.

 MM: Der philosophische Überbau des Stücks ist für mich der finanzielle Abstieg des „Mittelstands“ durch das (Nicht-)funktionieren der Welt an sich. Denken Sie auch manchmal an eine Runde von globalen Monopoly-Spielern, die die Welt manipulieren? Wie bei den „Simpsons“ die Runde der Republikaner im Dracula-Schloss.

Obonya: Ich glaube, es gibt die „berühmten“ großen Banken, die laut Medien immer böser werden, es gibt aber auch viele, die sich um die Anliegen der Sparer bemühen. Die für dieses playing around nicht zuständig sind, sondern, die sich auf das Kerngeschäft reduzieren und gar nichts am Hut haben mit Spekulationen, sondern versuchen, das Geld der Leute so zu verwalten, so zu vermehren, dass es sich im Rahmen hält. Wenn man angibt, kein „konservativer Anleger“ zu sein, ist es kein Wunder, dass vom Bürgermeister von Bad Reutelbach bis zur kleinen Sparerin alle irgendwann reinfallen. Andererseits: Geld hat jeder gern – und noch ist das keine Sünde. Aber der Umgang  damit ist der Knackpunkt. Ich habe dazu keine Fantasien, aber natürlich die Ängste, die alle haben. Im Sinne von: Ist das Geld, das ich da verdient habe, in einiger Zeit noch dasselbe wert? Soll ich’s vom Konto abheben und im Sparstrumpf aufheben, ist es dann dasselbe wert?

MM: Hat das mit Ihrem beruflichen Werdegang zu tun? Von der Sicherheit des – pardon – Burgtheaterbeamtenschauspielers zum freischaffenden Künstler? Haben Sie’s mit Blick auf den Sparstrumpf je bedauert?

Obonya: Nein. Und ich hoffe, ich muss das auch nie tun. Es ist ein großer Freiraum, natürlich auch etwas mehr Gefahr, den man sich da geschaffen hat. Als freischaffender Schauspieler muss ich von Projekt zu Projekt schauen, das es funktioniert. Aber im Endeffekt macht das mehr Spaß.

 MM: Mir hat vor kurzem jemand, der vom Fixengagement, vom Antichambrieren im Direktionsstock,  in die Selbstständigkeit gewechselt hat, gesagt: Das ist großartig. Ich komme überall auf einen Kaffee vorbei, man mag mich als Gast, und mit den Messerwetzereien, den Intrigen am Haus, habe ich nichts zu tun. Auch das ist ein Gewinn.

Obonya: Dem stimme ich zu. Ich bin ja auch an die Burg als Gast zurückgekehrt. Ich bin nicht einer von denen, der verzweifelt in den Terminkalender oder aufs Telefon starrt, wenn mal Pause ist. Natürlich hätte ich, wie viele Kollegen, dann Angst. Eine Pause ist nur gut, wenn man weiß, was dann kommt. Eine Pause von vornherein ist nicht lustig. Aber ich kann mich echt nicht beklagen, weil ich dann Sprecher für „Universum“ oder derlei Sendungen bin, das macht auch Spaß – und bringt auch ein bisschen Geld.

MM: Sie kennen den großen Apparat, die Sie kennen viele „kleine“ Maschinen. Die Vor- und Nachteile?

Obonya: Ich spiele wahnsinnig gern an der Burg – und genau so gern in der Walfischgasse. Da gibt es für mich als Künstler keine Unterschiede. Die Vorteile der großen Maschine sind, dass man unendlich viele Möglichkeiten hat, viele Ressourcen, aus denen man schöpfen kann, unendlich viele Menschen, die einem zuarbeiten, wenn es denn notwendig ist. Der Nachteil besteht darin, dass manchmal die Präzision, die Konzentration, die Achtsamkeit auf ein Ding verloren geht, weil man auf so vieles achten muss, weil so vieles unter einen Hut gebracht werden muss. Vorteil der kleinen Maschine ist, dass man fein, punktgenau arbeiten kann. Man hat in vielen Bereichen denselben Ansprechpartner, was manchmal gut, manchmal schlecht ist. Zum Glück ist meine Frau da eine gute Wählerin. Weshalb ich mit ihr gern an der Walfischgasse arbeite. Der Nachteil ist, man hat nicht so viel Geld. Man kann nicht sagen, ich will das oder das – und das ist dann am nächsten Tag da. Wenn ich Ihnen sagen würde, was das Bühnenbild von „C(r)ash“ gekostet hat, Sie würden lachen …

MM: Regt das Nichtvorhandensein von Ressourcen die Fantasie an?

Obonya: Nein. Die Fantasie muss in beiden Apparaten gleich funktionieren. Das ist meine Hausaufgabe. Dafür ist das Theater nicht zuständig, das würde ich auch grundsätzlich ablehnen. Schauspieler sind nicht gut, wenn sie glauben, dass der Apparat ihnen die Arbeit abnimmt. Ich kann mit einem Glöckchen, wenn ich es richtig handhabe, das große Glockenspiel erschaffen. Wenn ich aber ein großes zur Verfügung habe, warum nicht verwenden? Sagen wir so: Frag’ nicht, was das Theater für dich tun kann, frag’, was du für das Theater tun kannst.

MM: Eine schöne Überschrift für ein Interview.Sie schwingen als aktueller „Jedermann“ bei den Salzburger Festspielen die größte Glocke Österreichs. Wie war diese Erfahrung im ersten Jahr?

Obonya: Riesig. Es macht sehr viel Spaß, es war unendlich viel Zuspruch vom Publikum, das habe ich mir so nicht erwartet, um ehrlich zu sein. Bis auf vier Vorstellungen hatten wir immer Standing Ovations. Ich dachte bei „Cordoba“ so etwas erlebt man nur einmal im Leben, jetzt durfte ich es ein zweites Mal erleben. Das ist unglaublich, das nimmt man mit, ich werde den Sommer 2013 nie vergessen.

MM: Das ist die Rolle, mit der man Geschichte macht.

Obonya: Das geht einem im Kopf herum, das wär’ auch blöd, wenn’s anders wäre. Aber, um ehrlich zu sein, in dem Moment, wo der Lappen hochgeht, muss es wurscht sein. Ich kann’s nur so ehrlich spielen, wie ich’s eben kann. Wenn die „Bedeutung“ der Rolle nur irgendwo im Hinterkopf herumspukt, dann darf man sie nicht annehmen. Dass man damit in einer ewigen Torschützenliste landet, ist eh klar. Und ich finde das auch toll, wenn ich mir die Reihe meiner Vorgänger anschaue, ist es eine Ehre, da aufgenommen zu werden.

MM: Haide Tenner hat Ihre Lebensgeschichte bis dato in dem Buch „Kommen Sie bitte weiter vor“ (Amalthea-Verlag) aufgezeichnet. Ein doppeldeutiger Titel.

Obonya: Das ist in der Tat so. Das ist nämlich der erste Satz, der jemals auf einer Bühne zu mir gesagt wurde, bei meinem Vorstellungsmonolog am Reinhardt-Seminar. Ich hatte Mark Antonius’ zweiten Auftritt aus Shakespeares „Julius Caesar“ vorbereitet: Wofern ihr Tränen habt, bereitet euch, Sie jetzo zu vergießen. Diesen Mantel, Ihr kennt ihn alle; noch erinnr ich mich Des ersten Males, dass ihn Cäsar trug … Und wollte mit einem roten Samtumhang in den Armen „hochdramatisch“ von hinten an die Rampe schreiten und ihn aufsagen. Und da kam eine Stimme von unten: „Kommen Sie bitte weiter vor“ und zerstörte die ganze mir zu recht gelegte Theatralik. Ich weiß übrigens bis heute nicht, wer’s sagte.

 MM: In Ihrem Alter schon eine Autobiografie?

Obonya: Um Himmels Willen, nein, keine Autobiografie mit 44! So will ich das Buch nicht verstanden wissen …

 MM: Es ist über große Strecken ein theatertheoretischer Diskurs. Inklusive eines Nacktfotos im Planschbecken.

Obonya: Das gehört zu den Doppeldeutigkeiten (er lacht). Ich erzähle von dem, von dem ich etwas verstehe, dem Beruf des Schauspielers. Das ist mir wesentlich wichtiger als alles andere. Für wen das von Interesse ist, der wird Spaß haben am Lesen. Privates bleibt privat. Wir haben’s auch in Salzburg die Society-Begleiterscheinung auf das notwendige Minimum geschrumpft. Das bin nicht ich, der Schnittlauch auf jeder Suppe. Ich bin kein Society-Mensch, das ist nicht meins.

MM: Sie erzählen aber von Ihrer Frau, Carolin Pienkos, die Regisseurin, mit der Sie nach Andrea Breth am längsten zusammenarbeiten, die auch „C(r)ash“ inszeniert hat. Sie erzählen, dass Sie beim Text lernen ein Küchendielenkaputttreter sind, weil Sie ständig auf und ab laufen … Wie arbeitet Frau Pienkos?

Obonya: Ruhig und besonnen am Schreibtisch. Für mich völlig unverständlich, diese Kontemplation, diese Stille. Ich habe übrigens noch keine Diele zerstört, meine Frau fürchtet nur immer, ich laufe einmal einen Graben in den Fußboden. Vielleicht ist diese vorweggenommene Anschuldigung ein Grund, warum ich Text am liebsten alleine lerne.

MM: Keine Lust, einmal selber etwas zu schreiben? Das Aufdeckerbuch!

Obonya: Ich kann nicht schreiben, dazu fehlt mir der lange Atem. Vielleicht einmal in meinen 70ern, wenn ich mit dem Theaterspielen aufhöre. Aber sicher kein Aufdeckerbuch; ich decke nur mein Bett auf, zwei Mal täglich, morgens und abends.

MM: Sie sind derzeit auch wieder am Drehen.

Obonya: Ich habe einen „Polt“ abgedreht. Den fünften Teil, eine Fortsetzung nach zehn Jahren. Darin spiele ich einen Polizisten – schon wieder, offenbar hat das mit meinem Ausg’schau zu tun, offenbar sieht man in mir irgendwo „Law and Order“ -, der wegen seiner Sauferei entlassen wird. Ich habe diese Figur sehr lieb gewonnen und hoffe, dass sie weiterlebt, wenn Alfred Komarek weiterschreibt. Ich habe auch das erste Mal mit Julian Pölsler zusammengearbeitet – eine gute Erfahrung, die Spaß gemacht hat. Im Moment drehe ich einen Film über eine Hebamme im Jahr 1799. Ich spiele einen Marburger Richter. Ansonsten freue ich mich auf eine wohlverdiente Pause. Das heißt, ich mache natürlich „Alpenkönig und Menschenfeind“ an der Burg und „C(r)ash“, aber sonst habe ich keine weiteren Pläne. Nichts Konkretes bis zum Frühjahr, aber das ist noch nicht zu nennen.

MM: Im besten Sinne des Wortes: Ist Ihr Theaterbegriff konservativ?

Obonya: Haha, die Frage ist nicht unlustig. Ich hasse zum Beispiel den Begriff „well-made“ zutiefst, das ist ein Begriff, der sich in die Köpfe hineingefräst hat. Ich mache auch gern ein Stück, das nur mit Handzeichen arbeitet, nur mit textlichen Andeutungen, hab’ ich auch schon gemacht, aber das will gut gemacht sein. Das können nicht alle. Ich habe mit Jan Lauwers gearbeitet, der eine sehr eigene Theaterhandschrift hat … Wenn Sie mit konservativ meinen, dass ich dem Publikum gern das geben möchte, das es verdient hat, wofür es Geld zahlt, nach einem harten Arbeitstag, nämlich eine Geschichte erzählt zu bekommen, nicht mehr und nicht weniger, dann sage ich: Ja, da bin ich gerne konservativ.

www.corneliusobonya.com

stadtTheater Walfischgasse: “C(r)ash”/Rezension: www.mottingers-meinung.at/cornelius-obonya-badet-in-selbstmitleid

„Der Alpenkönig und der Menschenfeind“: www.burgtheater.at/Content.Node2/home/spielplan/event_detailansicht.at.php?eventid=1432679&repertoireView=true

Salzburger Festspiele: www.mottingers-meinung.at/tag/jedermann

„Kommen Sie bitte weiter vor“: www.amalthea.at/index.php?id=10&showBookNr=8452

Trailer: www.youtube.com/watch?v=IMV4wxK_vYI&list=UU5EefdIu_gU5xN5j7MTNUhQ&feature=player_embedded#t=0

Wien, 28. 10. 2013