VON MICHAELA MOTTINGER
Inszeniert sein Stück „Anfangen“ in der Drachengasse

Thomas Kamper
Bild: GAMÜKL
Unter Michael Schottenberg war er eine der Stützen des Volkstheater-Ensembles, glänzte als Seujanika im „Revisor“, als Hauptmann im „Woyzeck“ oder als Möbius in „Die Physiker“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=12231), spielte mehr als 150 Rollen. Doch da schlugen noch zwei Seelen in seiner Brust. Die eines Autors und die des Regisseurs. 2005 inszenierte er am dietheater künstlerhaus seinen eigenen Text „Jokebox“.
Nun ist Thomas Kamper bei „Anfangen“. Sein erstes neues Stück nach dem Volkstheater wird im Theater Drachengasse uraufgeführt, Kamper führt selbst Regie. Im Mittelpunkt stehen drei Frauen, Schauspielerinnen, Pippa Galli, Michaela Hurdes-Galli und Julia Schranz. Sie entziehen sich der Welt, zurück in ihre Wohnung, in diese Wohnküche mit Klo am Gang. Dort wollen sie dem unwirtlich gewordenen Draußen etwas entgegensetzen, eine neue Form des Umgangs pflegen. Was vorhandene Konflikte umso gefährlicher schwelen lässt. Denn die drei Diven sind keine unbeschriebenen Blätter, sondern die Seiten eines Stückes, das das Anfangen-Wollen komödiantisch auf die Probe stellt. Premiere ist am 7. Dezember. Thomas Kamper im Gespräch:
MM: Sie haben also vorgespult auf „Anfangen“?
Thomas Kamper: Das ist eine Rückkehr zu Dingen, die ich schon gemacht habe: Autor sein, Regisseur sein, vielfältiger sein. 2005 habe ich das zuletzt ausgelebt, dann war es nicht mehr möglich, weil ich im Volkstheater-Ensemble Dienst geleistet habe. Da war das Ensemble Familienersatz, weil so viel zu tun war, dass keine Zeit blieb für irgendetwas anderes. Jetzt, freigesetzt, kann ich tun, was mich noch mehr interessiert als spielen.
MM: Das heißt: Freisein ist Lebensqualität?
Kamper: Es ist für mich vitaler, weil ich mehr Verantwortung habe. Ich trage mehr Risiko, da fühle ich mich lebendiger, als wenn ich nur eine Teilverantwortung habe und mich mit Leuten herumschlagen muss, deren Vorstellungen ich nicht teile. Im Ensemble führt man eine Art Doppelleben, man denkt sich: Wenn das durchgestanden ist, dann werde ich die Möglichkeiten haben zu tun, was ich will, dann, dann … Das geht von Jahr zu Jahr weiter und nichts ereignet sich. Das heißt nicht, dass alle, mit denen ich gearbeitet habe Idioten waren, aber es gab nur ein paar, mit denen ich wirklich glücklich war.
MM: Geht Ihnen das Spielen nicht ab?
Kamper: Ich bin kein besessener Schauspieler, mich interessiert das Theater aus verschiedenen Aspekten. Ich glaube schon, dass es für einen Autor und Regisseur von Vorteil ist, wenn er mit dem Spielen Erfahrung hat. Ich weiß aber auch, wie ein Regisseur einen Prozess blockieren kann. Da muss ich mich sehr zurücknehmen, da sind bei unseren Proben schon Konflikte entstanden. Hier kann man das halt direkter austragen, als in einem Betrieb, wo alle darauf bedacht sind, dass alles seine Ordnung behält.
MM: Und die Kehrseite der Medaille? Sie müssen sich ums Geld selber kümmern, um Aufführungsorte …
Kamper: Ja, die Sicherheit, dass Ende des Monats ein Gehalt auf dem Konto ist, gibt es nicht. Ich bin aber ohne Angst in diese Freiheit gegangen. Ich hätte auch nichts dagegen, etwas anderes zu tun, das Leben von einer anderen Seite kennenzulernen. Damit meine ich, nicht unbedingt am Theater zu sein. Aber es ist einmal schön, nicht um fünf Uhr früh aufzustehen, um vor der Probe noch zu schreiben. Es ist schön, einmal selber über seine Zeit zu verfügen. Die Kehrseite der Medaille will ich mir jetzt noch nicht vor Augen führen.
MM: Jetzt möchte ich aber wissen, was Sie sich vorstellen könnten, anderes zu tun.
Kamper: Einen Sozialberuf ausüben, wo man etwas für die Menschen tut, ganz praktisch, nicht so abstrakt wie beim Theater.
MM: Freisein ist jetzt Ihre Chance, Ihr Theaterverständnis umzusetzen. Das da wäre?
Kamper: Die altmodische Laborsituation, in der das Ergebnis lange nicht feststeht. Ich als Regisseur lege Eckpunkte fest, aber dazwischen ist freier Entfaltungsspielraum. Das ist eine Balance, die schwer zu finden ist, darauf wird im normalen Theaterbetrieb wenig Rücksicht genommen, da muss man sich immer sehr konditionieren, dass man erfüllt, was gefordert wird. Dieser Erfüllzwang sollte total reduziert werden, damit Fantasie stattfindet. Das wäre das Wichtigste. Sonst habe ich ein total konventionelles Theaterverständnis. Mich interessieren die Grundfragen – Zeit und Raum.
MM: Wie kam’s nun zu „Anfangen“?
Kamper: Wir haben uns schon früh getroffen, mit den drei Schauspielerinnen Pippa Galli, Michaela Hurdes-Galli und Julia Schranz, und das Stück gemeinsam entwickelt. Mit Assoziationen von den drei Nornen bis zu den drei Hexen. Das ist eine Zeit, die man am arrivierten Theater gar nicht mehr hat. Dann gab es einen Zeitpunkt, wo nichts mehr weiterging. Und über diesen Prozess des Probens habe ich einen Text geschrieben. Eine Vorlage, auf der wir nun aufbauen. Wir arbeiten sehr über Improvisation und ich versuche herauszufinden, was die Schauspielerin will. Als ich den Text im Kopf hatte, hatte ich einen ganz anderen Weg vor Augen, als er jetzt geht. Das ist für mich interessant. Ich will mir ja nicht ständig selber begegnen, ich will wissen, was andere Menschen mit mir machen. Ich gerate zwar gerade in den Konflikt, dass mich diese künstlerische Freiheit mitunter überfordert, aber das ist mir lieber, als ich gerate gar nicht dorthin.
MM: Drei Frauen ziehen sich aus der Welt in eine Wohnung zurück, um bei null wieder zu beginnen. Da hat’s ein Echo der „Drei Schwestern“.
Kamper: Mein Stück hat tatsächlich mit Tschechow zu tun, es gibt Anspielungen für Insider, ist aber hoffentlich auch sehr komödiantisch. Die Pointe ist, dass gerade aus dem Unvermögen anzufangen, etwas entstanden ist. Das ist wie bei den Menschen, die immer hoffen, dass ihr Leben beginnt, während sie es schon leben. Am Schluss, wenn man stirbt, bleibt einem nichts anderes über, als anzuerkennen, dass es das war.
MM: Warum ein Wiederanfang als Komödienautor?
Kamper: Es ist ein Kammerspiel mit einem sehr eigenen Humor, von dem ich hoffe, dass er aufgeht. Es ist kein Boulevardstück, wiewohl ich dieses Genre sehr respektiere, es ist eher Clownerie. Und wie jede Clownerie hat sie einen existenziellen Hintergrund. Es gab, als ich jung war, Regisseure wie den Rudolf Noelte, die einen unglaublichen Realismus auf die Bühne gebracht haben. So stelle ich mir das sprachlich und szenisch auch vor.
MM: Wenn wir schon bei tief und existenziell sind: Wie muss man leben, um am Ende nichts zu bereuen?
Kamper: Wenn man weiß, dass man alles so getan hat, weil man nicht anders konnte, und es war gut so. Das ist die einzige Möglichkeit, zu Frieden zu kommen.
MM: In Ihrem Text heißt es: „Wir hocken uns in eine Ecke der Welt und warten, bis man uns bemerkt“. Haben Sie da das Lebensmotto vieler Menschen aufgegriffen?
Kamper: Es hat mit den Verlorenen in der Gesellschaft zu tun, die das Gefühl haben, das sie nichts wert sind. Dieses Gefühl beantworten meine drei Schauspielerinnen mit Rückzug. Es gibt momentan gesellschaftlich nur diese zwei Möglichkeiten: Man zieht sich zurück ins Private oder man geht total hinaus. Dazwischen gibt es offenbar nichts mehr. Das Leben kommt aber auch in den hermetisch abgeschlossenen Raum – und es findet auch zwischen diesen dreien statt. Das Leben kennt keinen Anfang und kein Ende, damit müssen meine Figuren umgehen.
MM: Die Produktion ist ein Familienbetrieb.
Kamper: Ja, aber das spielt für mich keine Rolle. Ich behandle Pippa als meine Tochter nicht anders als andere Schauspieler. Mit Michaela habe ich oft zusammen gearbeitet, Julia kenne ich aus St. Pölten, vom Landestheater. Das sind alles Menschen, mit denen mich etwas verbindet, von denen ich denke, dass man mit ihnen etwas ausprobieren kann. Wo’s nicht so wahnsinnig viel Überredungskunst braucht, wo man sich nicht ständig rechtfertigen muss oder auf dem Prüfstand steht, weil man ohnedies eine gemeinsame künstlerische Sprache spricht. Wo man einen Grundkonsens hat und nicht ständig mit Reibung konfrontiert ist.
MM: Haben Sie schon über diese Arbeit hinausgedacht?
Kamper: Ich würde am liebsten mit einem Kreis von Schauspielern arbeiten, die mir nicht so nah sind, die ich aber kenne – ich habe schon Namen im Kopf, die ich fragen möchte, ob sie sich mit mir zusammentun -, und wieder auf diese Art ein Stück entwickeln, einen Text vorantreiben. Also quasi zuschauen und dann darüber schreiben. Ich bin ein Praktiker. Ich denke immer so mit: Wenn ein Requisit da steht, aber dort gebraucht wird, wie bringe ich es hin …? Das macht ein anderer Autor vielleicht nicht. Ich denke immer szenisch. Außerdem arbeite ich gerade an einer Prosa. Nix Dramatisches, nur eine Geschichte.
www.drachengasse.at
Wien, 23. 11. 2015