VON MICHAELA MOTTINGER
Ein antiker G5 mit Gerald Gross als News-Anchorman

Geht auf in seiner Rolle: Gerald Gross als News-Moderator Gerald Gross. Bild: Art Carnuntum
Nach dem Blutbad in der Arena werden etwaigen Überlebenden die Wassermelonenköpfe zerstampft, dann die toten Körper entfernt. In Memoriam der Mensch- und Tieropfer, die hier auf grausamste Weise umkamen, wird eine byzantinische Hymne gespielt. Die Savaria Legio marschiert zum Schutz der Ehrengäste auf, Antonio Morillo Lopez kommt als berittener Bote und zeigt mit seinem Pferd auch gleich ein paar Reitkunststücke.
Schließlich fährt Gerald Gross im Ü-Wagen vor. Sein Kamerateam baut sich vor der Vidi-Wall auf, denn der Nachrichten-Anchorman wird von einem der wichtigsten Ereignisse der Antike berichten: der Kaiserkonferenz am 11. November 308 in Carnuntum, einer Zusammenkunft, die die damals bekannte Welt von Grund auf veränderte.
Wegen des großen Erfolges im Vorjahr zeigte Art-Carnuntum-Intendant Piero Bordin noch einmal das von ihm ausgeklügelte Spektakel „The Summit/Der Gipfel“. Nicht als Fiktion, sondern als Bericht will er sein „Gipfeltreffen am Originalschauplatz“ verstanden wissen, doch nach dem hochamüsierten Publikum zu schließen, ist ihm auch eine tadellose Komödie gelungen, deren Komik darin besteht, dass Politiker immer waren, wie sie sind.
Der historische Hintergrund: Kaiser Diokletian führte 293 im römischen Reich die Tetrarchie ein. Zwei Augusti – er selbst im Osten, sein Freund Maximian im Westen – sollten unterstützt von zwei Caesares, Constantius Chlorus und Galerius, regieren. Nach zehn Jahren sollten diese zu Augusti aufrücken, das heißt: jeder Politiker wäre 20 Jahre im Amt, zehn als Caesar, zehn als Augustus. Diese wunderbare Idee löste sich in Rauch auf, nachdem Diokletian und Maximian von ihren Ämtern zurückgetreten waren.
Zwar rückten Severus im Westen und Maximinus Daia im Osten als Caesares auf, doch als Diokletians Nachfolger als Augustus, Constantius Chlorus, verstarb, riefen dessen Truppen kurzerhand seinen Sohn Konstantin zum neuen Augustus und damit zum Severus-Konkurrenten aus. Maxentius, Sohn des ehemaligen Augustus Maximian, bunkerte sich in Rom ein. Und sozusagen am Spielfeldrand wartete Licinius, Kandidat des Galerius für die Nachfolge des Severus als Augustus des Westens, auf seine Chance. In solcher Situation berief Diokletian die Kaiserkonferenz von Carnuntum ein …

Diocletian (Erich Svoboda) steigt bodyguard-bewacht aus seinem Wagen. Bild: Art Carnuntum

Die Politiker grüßen das Volk, Gerald Gross wartet bereits auf ein Interview. Bild: Art Carnuntum
Diesen G5 hat Piero Bordin im römischen Amphitheater gewitzt nachgebaut – und optisch ins Heute verlegt. Die Kaiser fahren in großen Limousinen vor. Maximian (Leopold Böhm) gibt Gerald Gross, der sich vor dem Konferenzzelt um Interviews bemüht, die typisch nichtssagende Altpolitiker-Antwort. Galerius (Rudolf Karasek), der einflussreichste Senior-Kaiser, ist ein sleeker Teflonmann. Maximinus Daia (Grigore Bostan), Typ Funktionär, flüchtet sich in ein „Kein Kommentar!“.
Im Hubschrauber kommt schließlich Diocletian (Erich Svoboda) und fertigt Gross auf dessen Frage nach etwaigen wiedererwachten politischen Ambitionen mit einem Originalzitat ab: „Wenn Ihr die Kohlköpfe gesehen hättet, die wir in Salonae mit eigener Hand großziehen, würdet Ihr dies nicht für eine verlockende Alternative halten.“
Da muss Gross dann schon ein bisschen seufzen; es ist herrlich, wie der ehemalige ZiB-Moderator mit Humor und einem Hauch Selbstironie in seiner Rolle als „Gerald Gross“ aufgeht, vor dem erneuten Live-Einstieg noch schnell mit Puder das Gesicht mattiert.
Ein kurzes Gewitter ganz Vollprofi in seinen Beitrag einflicht – und natürlich auch ein wenig aus dem Nähkästchen plaudert. „Manche Potentaten sehen in Interviews ein Verhör, alles schon erlebt auf diversen Konferenzen“, kommentiert er trocken, dass ihn die Kaiser kurz und knapp abgefertigt haben. Und spekuliert anhand des aufgetischten Caterings, dass dies „wohl ein Verhandlungsmarathon wird“.
Das alles ist so zeitlos modern, könnte ebenso gut ein Meeting der Brüsseler Spitzen oder ein Bussi-Bussi-Auftritt von Trump/Putin sein, die Parallelen sind gelegt, es ist wirklich zum Lachen. Nichts fehlt an diesem Abend. Weder die gemeinsame Altarenthüllung noch die Pose beim Gruppenfoto.
Umrahmt wird „The Summit/Der Gipfel“ von der Musik des 1.Frauen-Kammerorchesters von Österreich. Unter der Leitung von Kati Maróthy spielen die Damen Yannis Markopoulos – unter anderem sein „Malamatenia Logia“ – oder Joseph Haydns „Quinten-Quartett“. Der Vienna Symphonic Choir singt mit „Meditations“ als Parabase eine Komposition von Christopher J. Hoh für die „Kaiser von Carnuntum“.

Antonio Morillo Lopez kommt als berittener Bote zur Savaria Legio … Bild: Art Carnuntum

… und zeigt mit seinem Pferd in der Arena ein paar Reitkunststücke. Bild: Art Carnuntum
Dann plötzlich: Breaking News – die Ereignisse überschlagen sich. Außer Protokoll fährt ein Militärfahrzeug vor, ihm entsteigt ein Vier-Sterne-General. „Militärputsch?“, orakelt Gross. Nein, es ist der eilig herbeigerufene Licinius (Pavel Strasil). Wenn er sich das nächste Mal zeigt, wird er den Tarndrillich gegen einen dunklen Anzug getauscht haben, und man versteht, was das bedeutet:
Licinius wird im Westen des Reiches Augustus – ohne jemals Caesar gewesen zu sein. Ein weiterer Gewinner der Konferenz ist Konstantin. Er – Gross: „ein politisches Jungtalent mit übersteigerten Ambitionen“ – wird in seinen Augen allerdings „nur“ Caesar unter Licinius. Wie das endet, ist bekannt. Für den Osten wurden Galerius als Augustus und Maximinus Daia als Caesar bestätigt.
Im Epilog erklärt Gross, nunmehr bereits aus dem „Newsroom“ auf der Vidiwall, die bis heute nachhallende Bedeutung der Kaiserkonferenz von Carnuntum: Sie bereitete den Weg für folgende Zusammenkünfte, bei denen 311 das „Toleranzedikt von Nikomedia“ erlassen und 313 die „Vereinbarung von Mailand“ getroffen wurden.
„Wir sind seit Langem der Ansicht, dass Freiheit des Glaubens nicht verweigert werden sollte. Vielmehr sollten jedermann seine Gedanken und Wünsche gewährt werden, so dass er in der Lage ist, geistliche Dinge so anzusehen, wie er selbst es will. Darum haben wir befohlen, dass es jedermann erlaubt ist, seinen Glauben zu haben und zu praktizieren, wie er will“, verlautbaren Licinius und Konstantin darin. Und damit gleichsam das Ende der Christenverfolgung und die allgemeine Religionsfreiheit. Siehe Erklärung der Menschenrechte, Artikel 18. Und das alles begann in Carnuntum …
Das weitere Programm von Art Carnuntum 2017: www.mottingers-meinung.at/?p=25318
www.artcarnuntum.at
- 7. 2017