Viva la libertà
April 7, 2014 in Film
VON RUDOLF MOTTINGER
Philosophische Verrückte sind die besseren Politiker
Als er in Paolo Sorrentinos „Il Divo“ als Andreotti eine dunklere Version der italienischen Politposse spielte, wünschte man sich zärtlich die Verbalschlachten zwischen dem Parteichef der Democrazia Cristiana und seinem fanatischen Lieblingsverfolger Dario Fo zurück www.youtube.com/watch?v=WkO5caIurbA . Nun ist Toni Servillo wieder als Politiker zu sehen. In Roberto Andòs‘ Satire „Viva la Libertà“ (der hier seinen eigenen Roman „Il truono vuoto“ – „Der leere Thron“ verfilmt hat) spielt er den Leiter der italienischen Opposition, der – pardon! – von seinem Job die Schnauze voll hat. Und über Nacht verschwindet. Nach Frankreich. Motto: Lieber ein gut gedeckter Tisch als ewig aussichtlichslos am Verhandlungstisch. Nicht nur die Presse, auch die eigenen Reihen haben sich auf ihn schon eingeschossen, also, ins Auto und Arrivederci! Der Spin Doctor rotiert – bis die Medien den Verschwundenen doch wieder auftun. Allerdings: Es ist sein Zwillingsbruder. Philosoph und irgendwie auch gerade aus der Pychiatrie entlassen … Aber das Gesicht, die Ähnlichkeit … nur nicht in den gesellschaftlichen Anschauungen …
Gut, der Plot ist nicht neu. Es gab „Dave“ mit Kevin Kline oder „Der Diktator“ mit Sacha Baron Cohen. Aber angesichts der Tatsache, dass in Italien gerade der vierte Regierungschef innerhalb von drei Jahren sein Amt antrat, besser gesagt: Matteo Renzi kürzlich Enrico Letta aufgelöst hat (Italien ist das Paradebeispiel dafür, dass ein Land auch ohne Politiker funktioniert. Sie wechseln schneller als mancher Mann die Unterhosen. – Dario Fo), hat Andòs‘ Film jede Berechtigung. Und er ist ausgezeichnet noch dazu. Nicht zuletzt dank Toni Servillo. Der wechselt die Rollen, als wäre er eine gespaltene Persönlichkeit. Zwillingsgaga Giovanni gehört zur gutmütigen Weltverbessererart. Er rüttelt die Bürger mit Brandreden wach und bringt die Massen auf der Piazza – wo sich der gebürtige Italiener zum Glück für die Demokratie ja gern einfindet – mit einem Brecht-Gedicht zum Jubeln, er steht kurz davor, die Parlamentswahlen zu gewinnen. Er ist durch den Schein der Macht nicht zu verführen. Er ist ganz Sein. Enrico wiederum entdeckt in Paris seine Jugendliebe Danielle (Valeria Bruni-Tedeschi, die bei den Wiener Festwochen 2011 in der wunderbaren „Traum im Herbst“-Inszenierung – ein Stück von Jon Fosse mit im Museumsquartier nachgebautem Louvre – von Regiemeister Patrice Chéreau zu sehen war).
Natürlich arbeitet der Film mit den üblichen Klischees. Enricos Ehefrau erkennt die Wahrheit, Enricos persönlicher Assistent auch. Und so kommt die Realität, wie sie kommen muss. Man sollte, um sich das Träumen zu bewahren, vorher das Kino verlassen. Den Roberto Andòs und sein Hauptdoppeldarsteller Toni Servillo laden zum Träumen ein. Warum soll nicht einmal ein Feuerkopf die Welt wärmen, wenn kalte Herzen sie doch nur erfrieren lassen? Ein schöner Film.
Trailer: www.youtube.com/watch?v=fbfVHWdyqd4
Wien, 7. 4. 2014