Volkstheater online: König Ottokars Glück und Ende

April 27, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Zweisprachiger Stream mit anschließendem Live-Chat

Zusammenstoß zweier Machtmenschen: Karel Dobrý als Ottokar und Lukas Holzhausen als Rudolf von Habsburg. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Ab 29. April, 18 Uhr, bietet www.nachtkritik.de für 24 Stunden die Volkstheater-Produktion „König Ottokars Glück und Ende“ zum kostenlosen Stream an – und zwar in deutscher und tschechischer Sprache. Die Zuschauerinnen und Zuschauer streamen gemeinsam, denn gezeigt wird eine Aufzeichung der Inszenierung von Dušan David Pařízek beim Prager Theaterfestival. Diese ist auf Deutsch nun erstmals im Netz zu sehen; im Anschluss ab 20 Uhr gibt es einen englisch-

sprachigen Live-Chat mit nachtkritik-Redakteur Christian Rakow als Host, dem Schauspielerpaar Anja Herden und Lukas Holzhausen, sie in der Rolle der Kunigunde von Massowien zu erleben, er als Rudolf I., Dramaturg Roland Koberg und Regisseur Pařízek. Beiträge in tschechischer und deutscher Sprache sind möglich.

Pařízek war in der Volkstheater-Saison 2018/2019 der erste tschechische Regisseur, der das österreichische Nationaldrama in Szene setzte. Zum ersten Mal wurde das vermeintlich böhmenfeindliche Stück dafür ins Tschechische übersetzt, die Vorstellungen wurden übertitelt. So konnte die Inszenierung ihre explosive Kraft an beiden Hauptschauplätzen an Moldau und Donau entfalten. Das Wiener Publikum sah sich als Opportunisten, als „leichtbeweglich Volk“ gespiegelt und ihren ersten Führer – schon er ein Meister der inszenierten Bescheidenheit – als „Ausländer“ enttarnt. Die Prager Zuschauer feierten beim Gastspiel im Ständetheater ihren fallenden Helden Primislaus Ottokar, dargestellt von einem tatsächlichen Hero des tschechischen Theaters – Karel Dobrý.

Kritik: Grillparzer als grausame Groteske

Ein Glück, gibt’s die Übertitel. Im Dickicht der Akzente und Dialekte ist nämlich nicht einmal die Hälfte dessen verständlich, was auf der Bühne gesprochen wird. Mag sein, dass Dušan David Pařízek dem Publikum so seine Message mitgeben will: Was Politiker herumtönen, versteht ohnedies kein normaler Mensch … Premiere von „König Ottokars Glück und Ende“ am Volkstheater. Im Bühne-Interview betonte der interviewscheue, tschechische Regisseur, er werde in seiner Lesart des obrigkeitshörig-xenophoben Stücks, von dem es bis dato keine Übersetzung ins Tschechische gab, „den Schwarzen Peter wieder den Österreichern zurückgeben“. Nun, zumindest hat er ihnen den Narrenhut aufgesetzt, denn so neu ist die Interpretation des Böhmen-Königs als tragischem Helden und des Habsburgers als gewieftem Schlitzohr nun auch wieder nicht.

Definitiv anders ist, dass Pařízek auf krause Wortgefechte setzt, auf Szenen von absurder Komik, manchmal hart am Slapstick, und nicht zuletzt wegen der lächerlichen Papierkrönchen denkt man mehr an Paradeinsze- nierungen von „König Ubu“, als an ein Werk des ehrenwerten k.k. Finanzbeamten. Getreu dem Motto „Fürchtet die Posse, nicht das Pathos!“, hat Pařízek zweiteres zugunsten ersterer verblasen, Grillparzers Trauerspiel wird bei ihm zur zunehmend grausamen Groteske; es wird mehr gelacht als bei den Pradlern, das muss man mögen, und an dieser Stelle wird es das. Grillparzer-Puristen packt indes mutmaßlich das nackte Grauen.

Karel Dobrý hoch zu Ross. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Rainer Galke als Margarethe. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Anja Herden als Kunigunde. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Pařízek hat das Personal auf sieben Darsteller gestrichen, und verwendet als Bühnenbildner wieder sein Lieblingsmaterial rohes, unbehandeltes Holz. Böhmen, eine Bretterbude, die am Ende in sich zusammenkracht. Die Kostüme von Kamila Polívková bewegen sich zwischen Proll-Buxe und Gangsta-Hoodie, jeweils versehen mit passendem Logo für die Hood. Heißt: Roter Löwe hie, weißer da, und Seyfried Merenberg muss natürlich einen Steirerwappensweater tragen. Dies gleichsam macht den größten Teil von Pařízeks Konzept aus – eine herkunftsgetreue Besetzung. Der tschechische Theater- und Filmstar Karel Dobrý spielt den Ottokar, der Schweizer Lukas Holzhausen Rudolf von Habsburg, Thomas Frank, immerhin lange Mitglied am Grazer Schauspielhaus, den steirischen Ritter Merenberg.

Rainer Galke darf als Margarethe von Österreich, Wiener Bürgermeister und Nürnberger Burggraf in fremden Sprachgefilden wildern, und Anja Herden erprobt sich als Kunigunde, Enkelin des Ungarn-Königs, am „Ungoorrisch“. So weit, so ja eh, ein Versuch, Přemysls und später Habsburgs Vielvölkerverlies zu versinnbildlichen. Tatsächlich macht deren Gleichheit im Machtrausch, Gegensätzlichkeit im Streben danach, den Abend aus. Dobrýs Ottokar kommt zu Pferd auf die Bühne, ein Souverän, der die Gesellschaft seines Schimmels der der Gattin – Rainer Galke ganz Diva, mit kleiner Krone und riesigem Hermelin, schwankend zwischen Resignation und Ressentiments – vorzieht. Mit einem tschechischen „Ahoj!“ grüßt Ottokar gönnerhaft die Anwesenden, was Holzhausens Habsburg mit einem Schwyzerdütschen „Hoi!“ beantwortet – und schon geht das Geplänkel über den korrekten Wortgebrauch los. Dass sich Ottokars „Ad Honorem Jesu“ am Ende in ein deutsches „Heil!“ verwandeln wird, bringt Pařízeks Intention bei dieser Arbeit auf den Punkt.

Dobrý ist zweifellos ein Charismatiker, der seine polternde Performance über die Rampe direkt ins Publikum trägt, als wolle sich sein Ottokar dort des Gehorsams seiner Untertanen versichern. Dieser Ottokar ist so jähzornig wie stolz, so leidenschaftlich wie geradlinig, eine Majestät, ein Alphatier, schließlich starr vor Demütigung. Diese wird ihm Rudolf zufügen, den Holzhausen, szenisch sicher wie stets, als ehrgeizigen Realpolitiker anlegt. Im Unterschied zum aufbrausenden Ottokar ist er mit den Verbündeten verbindlich, gibt mitunter hinterlistig fast den Tölpel vor, wenn er dem Hof seine Sprechweise aufzwingt, sich mittels Souffleur am Bühnendeutsch übt, und alle nötigt, ihn kumpelhaft „Ruedi“ zu nennen. Ein gefährlicher Mann, von Anfang an. Der sich zum Schluss die Schlachterschürze umbindet, bevor er Ottokar ein Blutbad anrichtet.

Thomas Frank ist per Sweater und Stimmübung  als steirischer Ritter Merenberg gekennzeichnet. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Rudolf in der Schlachterschürze: Karel Dobrý als Ottokar und Lukas Holzhausen. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Doch bis dahin muss sich Ottokar noch vom schwäbelnden Burggrafen Zollern ankeppeln lassen, während Rudolf vom Wiener Bürgermeister Paltram Vatzo mit allen Ehren empfangen wird. Rainer Galke spielt beide mit höchster Hingabe, singt nicht nur Operette und Heurigenlieder, sondern auch Falco, und geht sogar schwimmen, wonach er sein an die Badehose genähtes Riesengemächt auswringt. Als Vasallen gefallen Thomas Frank als naiver Berserker Merenberg – und Wasser speiender Springbrunnen.

Und Peter Fasching, als Zawisch von Rosenberg Oberintrigant und E-Zitherspieler. Gábor Biedermann bleibt als stets einlenkender Kanzler Braun von Olmütz diesmal unter seinen Möglichkeiten, dafür spielt Anja Herden als Kunigunde alle ihr zur Verfügung stehenden aus, wenn sie heimwehkrank und in temperamentvoller Verzweiflung ihre Sätze mit „Bei uns in Ungarn …“ beginnt. Einfach alles auf der „ähresten“ Silbe betonen, erklärt sie Kunigundes Idiom.

So ist Pařízeks Zweieinviertel-Stunden-Aufführung zumindest kurzweilig zu nennen, mit Kalkül ist vom weltpolitisch Bedeutsamen der

Begründung einer Dynastie, die bis ins 20. Jahrhundert hinein in Europa herrschte, nicht viel übriggeblieben, womit Pařízek seinen Standpunkt der Lächerlichmachung der – Zitat – „Suche nach einem Führer, der uns alle wach küsst“ klarmacht. Wie vieles wurde auch der alte Horneck gestrichen, die Österreich-Rede tragen Frank und Fasching als Rockpoem vor. Sie wissen: „Da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden … mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=31195

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27. 4. 2020

Volkstheater: König Ottokars Glück und Ende

Januar 9, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Grillparzer als grausame Groteske

Zusammenstoß zweier Machtmenschen: Karel Dobrý als Ottokar und Lukas Holzhausen als Rudolf von Habsburg. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Ein Glück, gibt’s die englischsprachigen Übertitel. Im Dickicht der Akzente und Dialekte ist nämlich nicht einmal die Hälfte dessen verständlich, was auf der Bühne gesprochen wird. Mag sein, dass Dušan David Pařízek dem Publikum so seine Message mitgeben will: Was Politiker herumtönen, versteht ohnedies kein normaler Mensch … Nach krankheitsbedingter Verschiebung also endlich die Premiere von „König Ottokars Glück und Ende“ am Volkstheater.

Im Bühne-Interview betonte der interviewscheue, tschechische Regisseur, er werde in seiner Lesart des obrigkeitshörig-xenophoben Stücks, von dem es bis dato keine Übersetzung ins Tschechische gab, „den Schwarzen Peter wieder den Österreichern zurückgeben“. Nun, zumindest hat er ihnen den Narrenhut aufgesetzt, denn so neu ist die Interpretation des Böhmen-Königs als tragischem Helden und des Habsburgers als gewieftem Schlitzohr nun auch wieder nicht. Definitiv anders ist, dass Pařízek auf krause Wortgefechte setzt, auf Szenen von absurder Komik, manchmal hart am Slapstick, und nicht zuletzt wegen der lächerlichen Papierkrönchen denkt man mehr an Paradeinszenierungen von „König Ubu“, als an ein Werk des ehrenwerten k.k. Finanzbeamten. Getreu dem Motto „Fürchtet die Posse, nicht das Pathos!“, hat Pařízek zweiteres zugunsten ersterer verblasen, Grillparzers Trauerspiel wird bei ihm zur zunehmend grausamen Groteske; es wird mehr gelacht als bei den Pradlern, das muss man mögen, und an dieser Stelle wird es das. Grillparzer-Puristen packt indes mutmaßlich das nackte Grauen.

Pařízek hat das Personal auf sieben Darsteller gestrichen, und verwendet als Bühnenbildner wieder sein Lieblingsmaterial rohes, unbehandeltes Holz. Böhmen, eine Bretterbude, die am Ende in sich zusammenkracht. Die Kostüme von Kamila Polívková bewegen sich zwischen Proll-Buxe und Gangsta-Hoodie, jeweils versehen mit passendem Logo für die Hood. Heißt: Roter Löwe hie, weißer da, und Seyfried Merenberg muss natürlich einen Steirerwappensweater tragen. Dies gleichsam macht den größten Teil von Pařízeks Konzept aus – eine herkunftsgetreue Besetzung. Der tschechische Theater- und Filmstar Karel Dobrý spielt den Ottokar, der Schweizer Lukas Holzhausen Rudolf von Habsburg, Thomas Frank, immerhin lange Mitglied am Grazer Schauspielhaus, den steirischen Ritter Merenberg.

Rainer Galke als Margarethe, Lukas Holzhausen als „Ruedi“. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Ein Pferd, ein Pferd …: Karel Dobrý hoch zu Ross. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Rainer Galke darf als Margarethe von Österreich, Wiener Bürgermeister und Nürnberger Burggraf in fremden Sprachgefilden wildern, und Anja Herden erprobt sich als Kunigunde, Enkelin des Ungarn-Königs, am „Ungoorrisch“. So weit, so ja eh, ein Versuch, Přemysls und später Habsburgs Vielvölkerverlies zu versinnbildlichen. Tatsächlich macht deren Gleichheit im Machtrausch, Gegensätzlichkeit im Streben danach, den Abend aus. Dobrýs Ottokar kommt zu Pferd auf die Bühne, ein Souverän, der die Gesellschaft seines Schimmels der der Gattin – Rainer Galke ganz Diva, mit kleiner Krone und riesigem Hermelin, schwankend zwischen Resignation und Ressentiments – vorzieht. Mit einem tschechischen „Ahoj!“ grüßt Ottokar gönnerhaft die Anwesenden, was Holzhausens Habsburg mit einem Schwyzerdütschen „Hoi!“ beantwortet – und schon geht das Geplänkel über den korrekten Wortgebrauch los. Dass sich Ottokars „Ad Honorem Jesu“ am Ende in ein deutschen „Heil!“ verwandeln wird, bringt Pařízeks Intention bei dieser Arbeit auf den Punkt.

Dobrý ist zweifellos ein Charismatiker, der seine polternde Performance über die Rampe direkt ins Publikum trägt, als wolle sich sein Ottokar dort des Gehorsams seiner Untertanen versichern. Dieser Ottokar ist so jähzornig wie stolz, so leidenschaftlich wie geradlinig, eine Majestät, ein Alphatier, schließlich starr vor Demütigung. Diese wird ihm Rudolf zufügen, den Holzhausen, szenisch sicher wie stets, als ehrgeizigen Realpolitiker anlegt. Im Unterschied zum aufbrausenden Ottokar ist er mit den Verbündeten verbindlich, gibt mitunter hinterlistig fast den Tölpel vor, wenn er dem Hof seine Sprechweise aufzwingt, sich mittels Souffleur am Bühnendeutsch übt, und alle nötigt, ihn kumpelhaft „Ruedi“ zu nennen. Ein gefährlicher Mann, von Anfang an. Der sich zum Schluss die Schlachterschürze umbindet, bevor er mit Ottokar ein Blutbad anrichtet.

Doch bis dahin muss sich Ottokar noch vom schwäbelnden Burggrafen Zollern ankeppeln lassen, während Rudolf vom Wiener Bürgermeister Paltram Vatzo mit allen Ehren empfangen wird. Rainer Galke spielt beide mit höchster Hingabe, singt nicht nur Operette und Heurigenlieder, sondern auch Falco, und geht sogar schwimmen, wonach er sein an die Badehose genähtes Riesengemächt auswringt. Als Vasallen gefallen Thomas Frank als naiver Berserker Merenberg – und Wasser speiender Springbrunnen – und Peter Fasching, als Zawisch von Rosenberg Oberintrigant und E-Zitherspieler. Gábor Biedermann bleibt als stets einlenkender Kanzler Braun von Olmütz diesmal unter seinen Möglichkeiten, dafür spielt Anja Herden als Kunigunde alle ihr zur Verfügung stehenden aus, wenn sie heimwehkrank und in temperamentvoller Verzweiflung ihre Sätze mit „Bei uns in Ungarn …“ beginnt. Einfach alles auf der „ähresten“ Silbe betonen, erklärt sie Kunigundes Idiom.

Anja Herden als Kunigunde, die Enkelin des Ungarn-Königs. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Peter Fasching als Rosenberg, Thomas Frank als Merenberg. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

So ist Pařízeks Zweieinviertel-Stunden-Aufführung zumindest kurzweilig zu nennen, mit Kalkül ist vom weltpolitisch Bedeutsamen der Begründung einer Dynastie, die bis ins 20. Jahrhundert hinein in Europa herrschte, nicht viel übriggeblieben, womit Pařízek seinen Standpunkt der Lächerlichmachung der – Zitat – „Suche nach einem Führer, der uns alle wach küsst“ klarmacht. Wie vieles wurde auch der alte Horneck gestrichen, die Österreich-Rede tragen Frank und Fasching als Rockpoem vor. Sie wissen: „Da tritt der Österreicher hin vor jeden, denkt sich sein Teil und lässt die anderen reden …“

www.volkstheater.at

  1. 1. 2019

Akademietheater: Kommt ein Pferd in die Bar

September 6, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Parforceritt des Samuel Finzi

Samuel Finzi als selbstzerstörerischer Stand-up-Comedian Dov Grinstein. Bild: Bernd Uhlig

„Wer ist jetzt in den Siedlungen und drischt auf die Araber ein?“, fragt Dov Grinstein angesichts des ausverkauften Saals sein Publikum. Political correctness ist seine Sache ganz offensichtlich nicht; der Stand-up-Comedian ist ein Krakeeler, schwankt zwischen Publikumsbeschimpfung und Publikumshure, immer auf der Jagd nach dem nächsten faulen Witz, mit dem er die Wahrheit zur Wirklichkeit entstellen kann. Samuel Finzi spielt diesen Unangemessenen, fast zweieinhalb Stunden lang tobt und berserkert er über die Bühne des Akademietheaters, ist süffisant und vulgär, im einen Moment beleidigend, im nächsten sich wort- und tränenreich entschuldigend.

Finzi gibt sich als geborener Entertainer, seine bitterbös-humorige Darstellung hat was von Lenny Bruce, und ist dabei noch jüdischer. Der israelische Autor und Friedensaktivist David Grossmann – bei der Premiere anwesend und ob des Schlussapplauses ziemlich gerührt – hat den Dov Grinstein für seinen Roman „Kommt ein Pferd in die Bar“ erdacht. Regisseur Dušan David Pařízek fertigte eine Bühnenfassung des Buchs an, seine Inszenierung ist nun von den Salzburger Festspielen nach Wien übersiedelt.

Eine „etwas alternativ geratene Comedy Show“ nennt Dov seinen Auftritt. Zu seinem 57. Geburtstag tritt er zur großen Abrechnung an. Er, der seine Zuschauer fast so sehr wie sich selbst hasst, wird im Laufe des Abends allerdings alle Sympathie und noch mehr Mitleid auf sich ziehen. Zum Sterben krank scheint er zu sein, was ihn zur Beschäftigung mit dem Sein und Nicht-mehr-Sein drängt. Dov erzählt von Kindheit und wie es ist, ein Kind dieser Zeit zu sein. Vom Irrsinn im Staate Israel kommt er zu dem in der eigenen Familie – Vater und die schwer traumatisierte Mutter die einzigen Shoa-Überlebenden der ganzen Sippschaft -, er reißt schlechte Scherze über Dr. Mengele, gerät über die bildhafte Beschreibung eines Orgasmus als Kriegszustand zum Sinai-Feldzug, lästert über die Palästinenser-Politik und über das paramilitärische Jugendcamp, in das ihn die Eltern einst steckten.

Pitz lässt Dovs sarkastische Schale bersten: Samuel Finzi und Mavie Hörbiger. Bild: Bernd Uhlig

Am Ende wird aus Witz die Wahrheit: Samuel Finzi und Mavie Hörbiger. Bild: Bernd Uhlig

Diesen psychischen Parforceritt begleitet Pařízek mit denkbar kargsten Mitteln, und erzielt mit seiner szenischen Sparsamkeit größte Wirkung. Finzi spielt mit seinem Schatten auf der das Bühnenbild bildenden Holzwand sowie an gegen Gelobte-Land-Klischees. Er rennt gegen beide, wird sich in der Hitze des Wortgefechts den Anzug in Fetzen reißen und das Gesicht blutig schlagen. Und dann ist da die Frau, „Maniküre und Medium“, die sich als Kindheitsgefährtin enttarnen wird – Pitz, von pitzkele, winzig.

Und wie die Wand fällt, birst auch Dovs sarkastische Schale, wenn sich das ehemalige Nachbarsmädchen an einen ganz anderen Dovele erinnert. „Du warst ein guter Junge“ beteuert sie und widerspricht den Schilderungen Dovs immer wieder mit einem bestimmten „So war das nicht“. Mavie Hörbiger schlüpft in die Rolle dieser naiv-ätherischen Feengestalt, die den vom Leben Beschädigten, sich selbst Beschädigenden immer wieder auf sich zurückwirft.

So wirken stärker als die Ausdeutung der israelischen Volksbefindlichkeit von NS-Regime zu Nationalitätsgesetz Dovs private Momente.

Lustig sei es gewesen, sagt Pitz, wie er stets im Handstand laufend seine Mutter von der Arbeit heimbegleitet habe. Doch Dovele erzählt die wirkliche Geschichte: Weil seine Mutter nach Auschwitz nicht mehr ertragen konnte, wenn Blicke auf sie gerichtet waren, hat der Sohn diese mit seiner Gaukelei auf sich gelenkt. Der Mensch wird von einer „willkürlichen äußeren Kraft, die mit Gewalt in das Leben, eine Seele, eindringt“, zugerichtet. Welch ein intensiver Theaterabend.

www.burgtheater.at

  1. 9. 2018

Akademietheater: Vor Sonnenaufgang

Dezember 21, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Bipolar gestörte Familienverhältnisse

Fröhliches Feiern: Markus Meyer (Thomas Hoffmann), Dörte Lyssewski (Annemarie Krause), Michael Maertens (Alfred Loth) und Marie Luise Stockinger (Helene). Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Die langerwartete Geburt setzt ein, Martha wird nun ihr Kind bekommen. Sekt wird zu Fruchtwasser, drei kreischende Männer ersetzen die gebärende Frau, einer fällt in Dauerohnmachten, einer hält sich an der Flasche fest, einer hämmert ins Klavier … Dies die Temperatur von Dušan David Pařízeks Inszenierung von „Vor Sonnenaufgang“ am Akademietheater.

Für die der Regisseur einmal mehr seine zuletzt am Volkstheater immer wieder eingesetzten, geliebten Overheadprojektoren und seine Schminktische mitgebracht hat, von beiden jeweils zwei Stück, wobei erstere diesmal als Rampenscheinwerfer dienen. So viel zum szenischen Teil des Abends. Zwingender als Pařízeks Arbeit ist jedenfalls die von Ewald Palmetshofer. Von ihm nämlich stammt der Text, eine Gerhart-Hauptmann-Überschreibung im Auftrag des Theaters Basel, nun ist in Wien zu sehen, wie brillant das geworden ist.

1889 hat Hauptmann sein Werk verfasst. Darin besucht der Volkswirt Alfred Loth seinen alten Studienfreund Thomas Hoffmann auf dem Lande, wo der in eine ortsansässige Bauernfamilie eingeheiratet hat. Der linke Intellektuelle trifft auf einen konservativ Gewordenen und ist entsetzt, auch über den allüberall herrschenden Alkoholismus, ist er selbst doch strikter Abstinenzler. Zwar gibt es ein Liebesintermezzo mit der jüngeren Tochter des Hauses, Helene, doch wird Alfred sie wieder verlassen – eben, weil ihm in der Familie zu viel gesoffen wird.

Palmetshofers Fassung deutet die Differenzen nur an. Die gesellschaftlichen Grenzen sind bei ihm verwischter, die Figuren wirken verlorener, taumelnd. Ihre Sprachlosigkeit ist in Halbsätzen, in abgebrochenen Sätzen festgehalten; sie mäandern durch das, was sie sagen wollen, und gerade weil sie so im Unkonkreten bleiben, ist diese Familienaufstellung sehr prägnant. Die Krauses sind natürlich längst keine Bauern mehr, sondern Unternehmer, Alfred ein Journalist bei einem linken Wochenblatt, dem man zunächst unterstellt, einen Aufdeckerartikel schreiben zu wollen.

Doch dahinter lauert die Familienkrankheit …: Michael Abendroth (Egon Krause) und Dörte Lyssewski. Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

… alle leiden an Depressionen und an Alkoholismus: Markus Meyer und Stefanie Dvorak (Martha). Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Michael Maertens ist großartig als unsicherer, sensibler Eindringling, denn eigentlich bereitet sich die Familie auf die Geburt von Tochter Marthas erstem Kind vor, wie er vor Verlegenheit von einem Fuß auf den anderen tritt, und trotzdem seine Standpunkte durchsetzt, das ist Maertens vom Feinsten. Markus Meyer als Thomas Hoffmann ist ihm ein entsprechend starker Widerpart, nicht wirklich unsympathisch, aber auch keine Figur, der die Herzen zufliegen. So distanziert, wie er sich zum Geschehen verhält ist klar, ihm ist nur am Firmengeld und am Chefsessel gelegen.

Palmetshofer geht dem bei Hauptmann festgeschriebenen Alkoholismus auf den Grund, er verortet ihn in einer Familienkrankheit. Jeder scheint hier an einer bipolaren Störung zu leiden, vor allem die Töchter des Hauses sind manisch-depressiv, doch erfährt man das nur allmählich und mehr zwischen den Zeilen: dass Martha (Stefanie Dvorak überintensiv) ihr – schließlich ohnedies tot geborenes – Kind deshalb nicht wird lieben können, und dass ihre Schwester Helene offenbar Job und Wohnung verloren hat. Marie-Luise Stockinger gestaltet sie als eine, die sich bemüht, gute Miene zum bösen Lebensspiel zu machen. Fabian Krüger gibt den Hausarzt Dr. Schimmelpfennig als einen, der Helene liebt, aber um ihre Probleme weiß.

Der Arzt bleibt unglücklicher Beobachter: Fabian Krüger (Dr. Peter Schimmelpfennig). Bild: Reinhard Werner/Burgtheater

Als Vater und Stiefmutter glänzen der vom Volkstheater ausgeborgte Michael Abendroth und Dörte Lyssewski, sie als überdrehte Übermutter, er als bärbeißiger guter Kerl, geben die beiden der Aufführung die Prise Humor, die sie braucht. Während der Alkohol in Strömen fließt … Der Schluss ist bei Palmetshofer je nach Sichtweise happy. Alfred, nun über Helenes Zustand, ihre „dunkle Seite“ informiert, bleibt dennoch – doch wie soll das enden?

Im Kern ist Pařízek weder zu Palmetshofer noch zu Hauptmann viel eingefallen, und, was die Schauspieler nicht selber aus den Charakteren rauszuholen vermögen, verflacht. Mehr Regieideen als die Gimmicks von gestern hätten dem Abend gutgetan. Und ein Esstisch.

www.burgtheater.at

  1. 12. 2017

Volkstheater: Das Narrenschiff

September 10, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Laufender Probenprozess vor Publikum

Einblick ins Workshoptheater: Bei Dušan David Pařízek symbolisieren Schminktische die Schiffskabinen. Stefanie Reinsperger, Jan Thümer, Sebastian Klein, Katharina Klar, Seyneb Saleh, Anja Herden, Lukas Holzhausen und Rainer Galke. Bild : © www.lupispuma.com / Volkstheater

Einblick ins Workshoptheater: Bei Dušan David Pařízek symbolisieren ein Dutzend Schminktische die Schiffskabinen. Stefanie Reinsperger, Jan Thümer, Sebastian Klein, Katharina Klar, Seyneb Saleh, Anja Herden, Lukas Holzhausen und Rainer Galke. Bild : © www.lupispuma.com / Volkstheater

Wenn diese Inszenierung in ein, zwei, drei Wochen fertig sein wird, ist aus ihr sicherlich eine sehr schöne und spannende Arbeit geworden. Derzeit allerdings ist, was man auf der Bühne des Volkstheaters sieht, noch in mehrerer Bedeutung des Wortes unkonzentriert. Regisseur Dušan David Pařízek zeigt als Saisoneröffnungspremiere des Volkstheaters „Das Narrenschiff“ von Katherine Anne Porter in einer eigenen, tadellos griffigen Textfassung, doch ist, was er zeigt, ein laufender Probenprozess vor Publikum.

Ein Eindruck, der insofern durchaus gewollt sein mag, als Pařízek, wie immer auch fürs Bühnenbild verantwortlich, neben eine Schiffsdeck-Spielfläche ein Dutzend Schminktische platziert, die als eine Art Backstagebereich ist gleich Schiffskabinen dienen, und an denen alle Schauspieler immer anwesend sind. Doch dies „Workshoptheater“ darf nicht Ursache dafür sein, dass die Handlung in alle Richtungen zerfließt, dass sich einem nicht erschließt, welche Geschichte hier eigentlich erzählt – Stoff gäb’s ja genug aus den „Rassen“ und Klassen, von Kapital und Krise bis Sozialismus und Nationalsozialismus – und welchen Sukkus sie haben soll. Diverses versteht man schlicht nicht, und dies nicht im Sinne von enigmatisch, sondern von unverständlich.

Warum etwa reist Bulldogge Bébé ohne Herrl Professor Hutten, und wenn man auf den Hund schon wert legt, warum fehlt die Schlüsselszene des Romans, ihre Rettung durch den Zwischendeck-Basken, der dabei freilich sein Leben verliert? Warum ist statt Hutten der sittenstrenge jüdische Kaufmann Julius Löwenthal Schweizer, warum die hyperhysterische Condesa offenbar aus Simmering entsprungen, außer dass Lukas Holzhausen und Stefanie Reinsperger den jeweiligen Zungenschlag beherrschen?

Ein halbes Dutzend Passagiere präsentiert seine Schicksale: Jan Thümer, Gábor Biedermann, Lukas Holzhausen, Seyneb Saleh und Rainer Galke. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Passagiere gehen an Bord: Jan Thümer, Gábor Biedermann, Lukas Holzhausen, Seyneb Saleh und Rainer Galke. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Michael Abendroth brilliert als Schiffsarzt Dr. Schumann; mit Stefanie Reinsperger als La Condesa. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Michael Abendroth brilliert als Schiffsarzt Dr. Schumann; mit Stefanie Reinsperger als La Condesa. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Am besten ist der Abend dort, wo Pařízek Porter spielen lässt. Wenn ihn dann ab und an der didaktische Zeigefinger des deutschen Diskurstheaters in die Seite sticht – als kubanisch-spanische misera plebs wird dazu das Publikum angeleuchtet und angesprochen -, dann ist das eben … Volkstheater unter Anna Badora. Zu diesem theaterpädagogischen Ansatz passt, dass der Regisseur wieder seinen obligatorischen Overheadprojektor mitgebracht hat, auf dem die Schauspieler fröhlich Folien hin und her schieben. Das kennt man bereits ebenso, wie die Versuche des Souffleurs einem Düsseldorfer Mimen hiesige Dialekte beizubringen. Siehe „Alte Meister“. Wiener reden zwar vielleicht komisch, können aber übers Jahr durchaus was im Kopf behalten …

Die Momente entstehen aus einzelnen Bildern. Anja Herden als Mary Treadwell und Michael Abendroth als Schiffsarzt Dr. Schumann schaffen in ihren bestechenden Auftritten die Atmosphäre, die man sich für den ganzen Abend gewünscht hätte. Die beiden präzisieren Situationen, die Amerikanerin mit dem Sarkasmus einer Siegernation und jenem Lieber-gar-nicht-wissen-Wollen, das lange die Haltung der USA zum Dritten Reich kennzeichnete, der Deutsche mit einer verweht-nostalgischen Melancholie, die beinah anachronistisch den Untergang alles Guten und die Morgendämmerung des Bösen charakterisiert. Der Kapitän ist abwesend wie Gott, so dass der Teufel seinen Platz einnimmt – Rainer Galke ist als nationalsozialistischer Zeitungsherausgeber Siegfried Reber Agitator, Angstmacher und derart großmäuliger „Piefke“, wie’s der österreichischen Seele ein Stachel in derselben ist. Katharina Klar und Sebastian Klein gestalten mit viel Engagement das On-Off-Liebespaar Jenny Brown und David Scott.

Bei der Todesfiesta nimmt der Dampfer endlich Fahrt auf: Lukas Holzhausen, Seyneb Saleh und Rainer Galke. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Bei der Todesfiesta nimmt der Dampfer endlich Fahrt auf: Lukas Holzhausen, Seyneb Saleh und Rainer Galke. Bild: © www.lupispuma.com / Volkstheater

Anderen Darstellern, wie Seyneb Saleh als Lizzi Spöckenkieker, Gábor Biedermann als Wilhelm Freytag, Bettina Ernst als Frau Otto Schmitt oder vor allem auch Jan Thümer als William Denny, wünscht man von Herzen mehr Zeit für ihr Spiel in dieser beinah dreieinhalbstündigen Aufführung. Wie’s werden wird können, zeigt sich nach der Pause, wenn der Dampfer endlich Fahrt aufnimmt und eine Todesfiesta beginnt.

Mit grell geschminkten Totenkopfmasken, mit Sätzen, die wie im Rhythmus der Füße stampfen. Marschiert und gestorben wird immer noch wo, da ist Gestern wie heute. In dieser Szene blitzt Pařízeks inszenatorische Brillanz auf, am Rest kann ganz ehrlich noch gefeilt werden.

Michael Abendroth im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=21783

www.volkstheater

Wien, 10. 9. 2016