Museum der Moderne Salzburg: Oskar Kokoschka

November 8, 2018 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Zeugnisse einer zerrissenen Zeit

Oskar Kokoschka: Pietà, 1909. Plakat für die Internationale Kunstschau Wien. Museum der Moderne Salzburg © Fondation Oskar Kokoschka / Bildrecht, Wien, 2018. Bild: Hubert Auer

Das Museum der Moderne Salzburg präsentiert ab 10. November nach vielen Jahren wieder die druckgrafischen Arbeiten von Oskar Kokoschka, die einen zentralen Teil der hauseigenen Sammlung ausmachen, und zeigt sie erstmals in ihrem zeithistorischen Zusammenhang. Im Œuvre des österreichischen Expressionisten nehmen die Druckgrafiken einen wichtigen Stellenwert ein. Bereits während seines Kunststudiums im Wien der Jahrhundertwende entstanden erste Exemplare, die im Lauf der Jahre, insbesondere in der Spätphase seines künstlerischen Schaffens, zu einem beachtlichen Bestand anwachsen sollten.

Mit „Oskar Kokoschka. Das druckgrafische Werk im Kontext seiner Zeit“ wird nun erstmals eine umfangreiche Ausstellung ganz Kokoschkas Lithografien und Radierungen gewidmet. Ausgehend von seinem umstrittenen Frühwerk spannt die Ausstellung in acht Kapiteln mit etwa 210 Blättern einen Bogen über die Porträts aus der Dresdner Zeit bis hin zu seinem Spätwerk, das ihn als Bewunderer der griechischen Kunst und Kultur ausweist, und verortet die einzelnen Werkgruppen – die vollständig gezeigt werden – in ihrem historischen Zusammenhang.

Das Zeitgeschehen, mit dem sich Kokoschka in einzelnen Werkphasen kritisch auseinandergesetzt hat, bildet dabei wichtige Referenzpunkte. „Wir erforschen in dieser Ausstellung die künstlerische und persönliche Entwicklung Kokoschkas, der ein Zeitzeuge des zwanzigsten Jahrhunderts war. In Auflehnung gegen die Ästhetik des im Wien der Jahrhundertwende dominierenden Jugendstils entwickelte er eine expressive Bildsprache, in der sich die Unsicherheit und Zerrissenheit dieser Zeit widerspiegelt“, erklärt Barbara Herzog, Kuratorin der Ausstellung.

Auftakt sind Kokoschkas Arbeiten für die Wiener Werkstätte, die während seiner Ausbildung an der Kunstgewerbeschule entstanden sind. Parallel dazu betätigte er sich auch als Schriftsteller und schrieb das Drama „Mörder, Hoffnung der Frauen“, dessen Uraufführung 1909 zu einem Skandal führte. Die männliche Verunsicherung angesichts der weiblichen Emanzipationsbestrebungen im Wien der Jahrhundertwende spiegelt sich auch in zahlreichen Arbeiten wider, in denen er seine konfliktreiche Beziehung zu Alma Mahler künstlerisch verarbeitet. Nach der Trennung von Alma meldete Kokoschka sich freiwillig zum Kriegsdienst. Aufgrund seiner Erlebnisse und Verwundungen wurde der Künstler zum Pazifisten.

Oskar Kokoschka: Christus hilft den hungernden Kindern, 1945. Museum der Moderne Salzburg © Fondation Oskar Kokoschka / Bildrecht, Wien, 2018. Bild: Rainer Iglar

Oskar Kokoschka: Kouros I, 1968, publ. 1970. Plakat für die Olympischen Spiele 1972 in München. Museum der Moderne Salzburg © Fondation Oskar Kokoschka / Bildrecht, Wien, 2018. Bild: Rainer Iglar

Vor den Nationalsozialisten, die sein Werk als „entartet“ diffamierten, musste Kokoschka nach England fliehen. Nach Kriegsende kehrte er nicht mehr nach Österreich zurück, sondern ließ sich in der Schweiz nieder. Mit lithografischen Zyklen zu Themen aus der klassischen Mythologie huldigte Kokoschka in seinem Spätwerk dem antiken Erbe, dessen Bedeutung er nicht nur in ästhetischen, sondern auch in ethischen Kategorien maß. Seine Bedeutung für Salzburg liegt vor allem in seiner langjährigen Tätigkeit als Presse Gründer und Leiter der „Schule des Sehens“, die er gemeinsam mit Friedrich Welz 1953 ins Leben rief.

www.museumdermoderne.at

8. 11. 2018

Festspiele Reichenau: Doderers Dämonen

Juli 7, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein glänzend gespieltes Gesellschaftsporträt

Johanna Arrouas, Joseph Lorenz, Sascha O.Weis. Bild: Festspiele Reichenau

Die Quapp hält endlich das ihr zugedachte Testament in Händen: Johanna Arrouas mit „Geyrenhoff“ Joseph Lorenz und „Kajetan Schlaggenberg“ Sascha Oskar Weis. Bild: Festspiele Reichenau/Dimo Dimov

Auch dieses Jahr brachten die Festspiele Reichenau eine großartige Romandramatisierung zur Uraufführung. Nach Doderers „Strudlhofstiege“ 2009 hat sich Autor und Schauspieler Nicolaus Hagg nun mit dessen „Dämonen“ gleichsam eine Art Fortsetzung vorgenommen und versucht das beinah 1400 Seiten starke Meisterwerk auf eine mögliche Essenz zu komprimieren. Die Übung ist gelungen. Haggs Bühnenfassung erzählt stringent und mit kaum mehr als einem Dutzend Figuren die wichtigsten Episoden aus Doderers Großstadtepos.

Er hat die Studien aus dem Huren- und Verbrechermilieu der Brigittenau bewusst gestrichen und sich auf die großbürgerlichen bis aristokratischen Kreise in der Wiener Innenstadt konzentriert. Die Menschen, die Hagg zeigt, sind Kriegsversehrte, vor allem die Männer Gefangene ihrer Welt von gestern, während die Frauen in eine Moderne aufbrechen, im Kopf schon aufgebrochen sind, ohne zu wissen, dass ihnen alsbald der Weg dorthin abgeschnitten werden wird. Und doch ist es, als ahnten diese noch an der Vergangenheit laborierenden Figuren bereits den kommenden, größeren Schrecken. Was hier entworfen wurde, sind keine psychologisch bis ins Detail ausgearbeiteten Einzelbilder, sondern ein umfassendes Gesellschaftsporträt. Es ist, als wollte Hagg eine kollektive Geschichtsgedächtnislücke schließen, über eine Zeit, deren Ursache und Wirkung in den Köpfen gern auf ein Jahrzehnt später verlegt wird. Deren Ungeist in Österreich aber schon viel früher und ohne Einfluss „von außen“ hochkochte und der immer noch köchelt.

Auch mit Augenmerk darauf sind „Doderers Dämonen“ in Reichenau eine wichtige Inszenierung. Vorgenommen von Regisseur Hermann Beil, der mit feiner Hand ein fabelhaftes Ensemble durch dieses fabelhafte Ensemblestück geleitet. Denn die eine Hauptrolle gibt es nicht. Beil zeigt eine Szenenfolge, einen sich rasch drehenden Reigen, aus dem von Hagg mit je unterschiedlicher Temperatur und Temperament vier Handlungsstränge hervorgehoben sind:

Johanna Arrouas, David Oberkogler, Johanna Prosl, Julia Stemberger und Sascha Oskar Weis. Bild: Festspiele Reichenau/Dimo Dimov

Johanna Arrouas, David Oberkogler, Johanna Prosl, Julia Stemberger und Sascha Oskar Weis. Bild: Festspiele Reichenau/Dimo Dimov

André Pohl, Thomas Kamper, Rainer Frieb, Joseph Lorenz. Bild: Festspiele Reichenau

Die Intrige rund um die Quapp fliegt auf: André Pohl, Thomas Kamper, Rainer Frieb und Joseph Lorenz. Bild: Festspiele Reichenau/Dimo Dimov

Den der Mary K., deren Straßenbahnunfall den Fluchtpunkt der „Strudlhofstiege“ bildet und die nun mit einer Beinprothese zu leben und jenseits aller Standesunterschiede den Arbeiter Leonhard Kakabsa lieben lernt – sie in jeder Hinsicht eine der schönsten Personen, die Doderer je erdacht hat. Den des René Stangeler, 2009 noch von Hagg selbst gespielt, und seiner schwierigen Beziehung zu Mitmenschen im Allgemeinen und der Jüdin Grete Siebenschein im Besonderen. Kajetan Schlaggenberg und seine Schwäche für die „dicken Damen“ – von Hagg nicht eine Sekunde ins Lächerliche gezogen, sondern als Synonym für einen Gemütszustand ernst genommen. Und die Geschichte der „Quapp“, Charlotte Schlaggenberg, rund um die sich ein Krimi um ein unterschlagenes Testament und ein sagenhaftes Vermögen entspinnt. Dies alles festgehalten in der Chronik des Sektionsrates Geyrenhoff.

Er ist, gemeinsam mit Stangeler und Schlaggenberg, ein drittes Alter Ego Doderers. Und das Kreativduo Hagg/Beil veranlasst ihn seine Erinnerungen statt erst 1955 bereits 1945 in einem halbzerstörten Nachkriegskaffeehaus Revue passieren zu lassen. Doderers „Dämonen“ beleuchtet das Jahr 1926/27, die Geschehnisse bis zum Schattendorfer Urteil und zum Justizpalastbrand. Am 30. Jänner 1927 hatte die Sozialdemokratische Arbeiterpartei Österreichs in dem kleinen burgenländischen Ort eine Versammlung abgehalten, die von Mitgliedern der politisch rechten Frontkämpfervereinigung Deutsch-Österreich beschossen wurde. Es gab Tote, darunter ein sechsjähriges Kind. Die Täter wurden von einem Geschworenengericht freigesprochen, was die gewalttätigen Ausschreitungen in Wien zur Folge hatte.

Wie Gespenster der Vergangenheit tauchen nun erst Stimmen, dann die Charaktere aus Geyrenhoffs Gedächtnis auf und beginnen aus einer Distanz von tausend Jahren von Neuem ihr Spiel. In ihren Gesprächen berichten sie von sich und ihrem gewesenen Schicksal; Hagg hat den Tonfall dieser Tage gut getroffen, er mengt leisen Humor unter Doderers Melancholie, lässt seine Figuren zwischen Seelengüte und Sarkasmus changieren, und freilich ist‘s seine Perfidie, dass Hoffnung auf vier Liebeshappyends gemacht wird, und man doch nicht weiß, wie es mit all diesen ans Herz Gewachsenen nach Ende des Abends, nach Ende des Dritten Reichs ausgegangen sein wird. „Doderers Dämonen“ sind Nachrichten aus einer untergegangenen Welt, und in ihr Menschen beim Versuch, das Glück für sich neu zu erfinden. Manche werden scheitern müssen …

Julia Stemberger, Philipp Stix. Bild: Festspiele Reichenau

Mary K. bekennt sich zu ihrer großen Liebe, dem Arbeiter Kakabsa: Julia Stemberger und Philipp Stix. Bild: Festspiele Reichenau/Dimo Dimov

Die Schauspieler in Reichenau sind wie stets hochkarätig. Und Beil lässt seinen ersten Kräften Raum zum Spielen. Allen voran brilliert Julia Stemberger als Mary K., die sich mit Mut und Mutterwitz nicht von ihrem Lebenswillen abschneiden lässt, egal welche Steine ihr in den Weg geworfen werden. Ihr zur Seite steht Philipp Stix als Leonhard Kakabsa, der prototypische Fall eines romantisierten Arbeiters. Er hat sich selbst ermächtigt, dieser beinah Dostojewski’sche neue Mensch, der sich Latein beibringt und den Weltaltas studiert. Stix ist einer der Sympathieträger im Stück.

Neben David Oberkogler als zwischen Wut und Weichheit schwankender Stangeler, der knurrig die tiefen Gefühle zu verbergen sucht, die er für seine Grete, dargestellt von Karin Kofler, hegt. Der große Peter Matić hat als ihr Vater mit seinen trocken dargebrachten Sagern zur ganzen Angelegenheit die Lacher auf seiner Seite. Sascha Oskar Weis gehorcht als Kajetan Schlaggenberg seiner Obsession für die weiblichen Rundungen; er ist ein Mann mit Herz, auch wenn’s ihm ab und an in die Hose rutscht. Seine Schwester schließlich, die Quapp, gestaltet Johanna Arrouas als emanzipierte Frau, die weiß, was sie will – und sei’s der ungarische Diplomat Geza Orkay (David Jakob). Die Intrige rund um sie veranstalten André Pohl als milder Teufel und Thomas Kamper als ängstlicher Bösewicht, aufgedeckt wird sie von „Wachtmeister“ Rainer Frieb und natürlich Geyrenhoff, dem Joseph Lorenz mit gewohnter Prägnanz Profil und Grandezza verleiht und dem mit der Friederike Ruthmayr von Fanny Stavjanik auch noch eine späte Ehe ins Haus steht.

Doderers „Dämonen“ können in ihrer Bühnenfassung in Reichenau auf ganzer Linie reüssieren. Das ist dem geistreich pointierten Plot ebenso wie dem ihn heiter-skurril umsetzenden Cast zu danken. Die Festspiele zeigen, was sie am besten können, nämlich auf den Konversationston fokussiertes, hervorragendes Schauspielertheater. Hermann Beil hat mit viel Gespür für Hagg/Doderers Sprachmelodien und -färbungen die Figuren durch eben diese Eigenheiten charakterisiert und inszeniert. Mehr ist für die gelungene Aufführung auch nicht nötig. Den zugegeben gewaltigen Rest kann man ja nun im Buch nachlesen, denn nicht zuletzt darauf macht der Abend Lust – Lust auf mehr Doderer.

Nicolaus Hagg im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=20209

www.festspiele-reichenau.com

Wien, 7. 7. 2016

Festspiele Reichenau: Nicolaus Hagg im Gespräch

Mai 24, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Er dramatisiert Heimito von Doderers „Dämonen“

Nicolaus Hagg: Bild: Sepp Gallauer

Nicolaus Hagg: Bild: Sepp Gallauer

Der Schauspieler und Autor Nicolaus Hagg hat für die Festspiele Reichenau eine Bühnenfassung von Heimito von Doderers Hauptwerk „Die Dämonen“ erarbeitet. Nach der „Strudlhofstiege“ 2009 oder „Anna Karenina“ 2012 ist dies eine weitere Dramatisierung aus seiner Hand. Doderers eng an die „Strudlhofstiege“ anschließender Roman erzählt aus den Jahren 1926/27 in Wien und von einer Clique, den „Unsrigen“, einer besseren Gesellschaft, und ihrem irren Beziehungsgeflecht.

Unter den unzähligen Intrigen die ausladendste, ist die der Charlotte von Schlaggenberg, genannt „Quapp“, die als ungefähr letzte erfährt, dass sie Erbin eines Millionenvermögens ist, das ihr beinahe unterschlagen worden wäre. Das alles wird als Rückblick geschildert, ein Sektionsrat Geyrenhoff erinnert sich in den 1950er-Jahren in einer Chronik an die Geschehnisse. „Doderers Dämonen“ wird am 4. Juli bei den Festspielen Reichenau uraufgeführt. Es inszeniert Hermann Beil. Es spielen Joseph Lorenz den Geyrenhoff, sowie unter anderem Julia Stemberger, Johanna Arrouas, André Pohl, Peter Matić, Rainer Frieb, Thomas Kamper, Sascha Oskar Weis und David Oberkogler. Nicolaus Hagg im Gespräch:

MM: Sie haben die Romandramatisierungen bei den Festspielen Reichenau zu einer eigenen Kunstform erhoben. Was ist der Reiz daran?

Nicolaus Hagg: Diese Romane selbst. Sich in diese Themen und in die Vielfältigkeit der Figuren hineinzutigern. Man hält sich nicht damit auf, eigene Handlungsstränge zu erfinden, sondern man kann sich direkt auf einen Dialog werfen. Man kann sich auf die Reduktion konzentrieren, die die Bühne braucht, ohne sich einen Kopf machen zu müssen, wie es dann weitergeht. Sich im Detail verlieren zu können, das ist der große Reiz daran. Ich erlebe bei diesen Dramatisierungen die Literatur noch einmal intensiver. Ich habe Doderer schon als Pubertierender gelesen und hab‘ mir das alles damals sehr filmisch vorgestellt, nun stelle ich es mir theatralisch vor.

MM: Nun werden Romandramatisierungen von manchen Theaterschaffenden als Modeerscheinung betrachtet. Andererseits sagte kürzlich ein Intendant und Regisseur, er greife zu großen Romanen, weil es zu wenige gute neue Stücke gibt. Wie denken Sie darüber?

Hagg: Ich mache diese Arbeit noch gar nicht so lange, dass ich mich nicht auch als Teil der „Modeerscheinung“ begreifen müsste. Bei Intendanten herrscht halt auch der Glaube, besser ein bekannter Buchtitel als ein ungekanntes Stück. Ich weiß nicht, ob das konkurrieren muss. Es gibt gute neue Stücke und gute Romandramatisierungen. Natürlich gibt es da einen gewissen Wildwuchs, ich habe diesbezüglich Aufträge auch schon zurückgelegt, weil ich das vorgeschlagene Buch für nicht dramatisierbar hielt. Das wird schließlich trotzdem gemacht, funktioniert aber auf einer Bühne nicht, wie ich meine. Dann gibt es unglaublich monströse Bücher, wie die „Dämonen“ von Doderer, wo’s geht. Man kann ihn wie einen Hollywoodfilmautor begreifen, und wenn man auf eines seiner Bücher mit Lust hingreift, wird daraus ein eigenes Stück.

MM: Hollywood, weil er so monumental entwirft?

Hagg: Ja, die Romane sind wie Treatments zu Monumentalschinken. „Die Strudlhofstiege“ oder „Die Dämonen“, dies auch ein Hinweis an den Österreichischen Rundfunk, gehören nicht als Hörspiel ins Radio, sondern als Serie ins Fernsehen. Das ist ein riesiges Stück österreichischer Geschichte, von der wir weit davon entfernt sind, sie aufgearbeitet zu haben. Wie sich dieser Tage politisch zeigt. Das sind Sechzigteiler, da könnte ich ein einheimisches „Downton Abbey“ draus basteln.

MM: Apropos, politisch: Ist Doderer diesbezüglich eine schwierige Liebe? Wie steht es mit den „Dämonen“, die ihn gejagt haben?

Hagg: Für mich ist es keine schwierige Liebe. Das ist schließlich Weltliteratur. Außerdem lache ich zwei, drei Mal pro Seite laut auf, ich finde Formulierungen, die sind so unglaublich toll, das ist schon herrlich. Ich habe für Reichenau ja schon „Die Strudlhofstiege“ gemacht, aber „Die Dämonen“ liest man vier, fünf Mal, und jedes Mal ist es ein anderes Buch. Das ist mir noch nie passiert. Doderer verändert die Menschen, die ihn lesen, er verändert ihre Horizonte. Der Buchhändler in Gloggnitz hat 2009 so viele Exemplare der „Strudlhofstiege“ verkauft, dass ihn der Verlag gefragt hat, ob er damit heizt. Ich hoffe, dass uns nun etwas Ähnliches gelingt. Die bewusstseinserweiternde Droge Doderer sollte man mehr unter die Leute werfen.

MM: Was nun keine wirkliche Antwort auf meine Frage war: Doderer hat „Die Dämonen“ um heikle Passagen erleichtert. Alles, wo’s um „die Reinheit des Blutes“ geht hat er beispielsweise nachträglich gestrichen. Ich habe Rezensionen von 1957 bis 2012 gelesen, es ist interessant, dass ausgerechnet bei diesem Autor die NSDAP-Mitgliedschaft vergeben und vergessen scheint …

Hagg: Er hat Stellen getilgt, ja, heute werden ganze Bücher umgeschrieben, aber nicht von den Autoren, sondern von den Verlagen, weil böse, nicht mehr opportune Worte drinnen vorkommen. Doderer ist 1933 in die NSDAP eingetreten, um überhaupt einmal ein Buch zu verkaufen, 1941 aber wieder ausgetreten. 1941 war das Jahr mit den meisten Eintritten in die NSDAP. Da war der Frankreichfeldzug gewonnen, da war der Hitler-Stalin-Pakt beschlossen, Hitler war ein Superstar, ein unverwundbarer Siegfried der deutschen Geschichte – und Doderer dreht sich um und geht. Da traut sich einer aus dem Verein auszusteigen! Gegen den habe ich politisch nichts. Aus einem sehr nationalen Umfeld kommend, seine Schwester war eine Nazi bis zum Tod, war er nicht einmal ein politisch Suchender. Ich glaube, wir haben genug damit zu tun, uns die Täter dieser Zeit anzuschauen. Wenn wir auch noch die Opportunisten unter die Lupe nehmen, werden wir nie fertig. Vielleicht sollten wir, die glauben, die Vergangenheit zu kennen und aus ihr gelernt zu haben, nicht im Blick zurück verharren. Wir sollten uns die Täter von heute anschauen. Die Täter, die munter und in Scharen durch die blaue Vordertür hereinkommen, während wir immer noch beim braunen Hintertürl hinausschauen.

MM: Doderer hat aus seiner Vergangenheit auch nie ein Hehl gemacht.

Hagg: Ich denke, sein Werk spricht für sich. In den „Dämonen“ ist das große Fanal die Schüsse von Schattendorf und das darauffolgende Urteil und mit ihm einhergehend der Brand des Justizpalastes und seine zig Toten. Wo die junge, die jungfräuliche Republik auf die eigenen Leute hat schießen lassen. Das war der Anfang vom Ende der ersten Republik.  Das heißt, dass unsere Schuld am Tod, am Mord der Republik viel früher beginnt, als die Ausrede des Austrofaschismus und vor allem des Anschlusses, die Ausrede, erst ein von der Dollfuß-Nummer, dann von Hitler überfallenes Land gewesen zu sein, zulassen. Da ist Doderer g’scheiter als andere. Die Kleingeistigkeit der Bevölkerung und der Parteipolitik, die er in ganz vielen Zeilen aufzeigt, auch in den „Wasserfällen von Slunj“, die zerstört das Große. Er, mit dem Blick aufs Große, kann das erkennen. Das ist die wichtige historische Information aus diesem Werk. Und die ist doch sehr früh hingeschrieben dafür, dass man es in Österreich immer noch nicht zur Kenntnis genommen hat.

MM: Kann das kein Zufall sein, dass man in Zeiten wie diesen einen Roman wie diesen in die Hand nimmt?

Hagg: Natürlich. Den Loidolts und mir war nach der „Strudlhofstiege“ immer klar, dass wir auch „Die Dämonen“ machen wollen. Vor eineinhalb Jahren hatten wir das Gefühl, da beginnt etwas sich loszutreten, in Ungarn, aber auch bei uns, an Geschichtsverdrängung, an Radikalisierung, an Lagerbildung, sodass wir sagen: So, jetzt. Wobei mir immer noch leid ist, dass wir „Die Dämonen“, die ja zwei durch den Donaukanal getrennte Romane sind, nicht in der Fülle zeigen können, sondern uns auf den 9. Bezirk beschränken. Das hat vielleicht auch mit einer Reichenau-Tradition zu tun, aber auf die Brigittenau mit ihren noch einmal 30, 40 Figuren, haben wir bei dieser Dramatisierung verzichtet.

"Doderers Dämonen" mit Julia Stemberger, Peter Matic, Joseph Lorenz, Johanna Arrouas und David Oberkogler. Bild: Festspiele Reichenau

„Doderers Dämonen“ mit Julia Stemberger, Peter Matic, Joseph Lorenz, Johanna Arrouas und David Oberkogler. Bild: Festspiele Reichenau

MM: Womit Sie meine nächste Frage schon ansprechen: „Die Unsrigen“ flechten unzählige wilde Intrigenstränge. Was haben Sie daraus gefiltert? Welche Geschichte aus dem Konvolut an Geschichten erzählen Sie uns?

Hagg: In erster Linie die Geschichte der Charlotte von Schlaggenberg. Die „Quapp“-Geschichte ist der dramaturgische rote Faden. Dazu die drei Männer: Geyrenhoff, als Chronist eigentlich die langweiligste, oder besser gesagt: schwierigste Figur, weil er so untheatralisch ist, aber an ihm interessiert mich sein Kriegstrauma. Schlaggenberg und die Fantasie der „Dicken Damen“, die ich sehr ernst genommen habe als große Sehnsucht nach einer Mütterlichkeit. Und Stangeler, der ebenfalls mit versehrter Seele aus dem Krieg zurückkommt. Bei den beiden anderen Männern lässt Doderer es nur erahnen, sie haben im Roman nur kurz Platz, darüber zu sprechen, aber bei Stangeler ist das Trauma sein Grundmotiv. Und es wird von außen überwunden werden – durch eine großartige Frau, die an ihn glaubt. Er kathartisiert sich im Roman über 60 Seiten. Dafür, glaube ich, ist der ganze Roman geschrieben. Darin liegt Doderers ganze erruptive Gestaltungskraft.

MM: Die sich aus seinem eigenen Kriegstrauma speist?

Hagg: Er war jung im Ersten Weltkrieg, dann in Sibirien in russischer Kriegsgefangenschaft, hat grauenhafte Dinge erlebt, und ist zu Fuß von dort nach Haus gegangen. Er hat jahrelang nichts anderes gesehen, als den Tod. Das kann man sich gar nicht vorstellen. Sein Werk liest sich wie eine Fortsetzung dieser Erlebnisse.

MM: Sie haben in der „Strudlhofstiege“ den Stangeler noch selbst gespielt. Jetzt nicht?

Hagg: Nein. Es hat Vor- und Nachteile im eigenen Stück zu spielen. Damals, mit Maria Happel als Regisseurin, ging das gut. Die hatte so irre Ideen, dass sie mich völlig vergessen ließ, dass der Text einmal von mir war, weil ohnedies was ganz anderes daraus entstanden ist. Diesmal wollte ich nicht dabei sein, weil mir der Text zu nahe ist. David Oberkogler ist mein „Nachfolger“ als Stangeler … Er wird das besser machen, als ich es gekonnt hätte. Ich habe ehrlich gesagt schon beim Schreiben an ihn gedacht, weil er diese verzweifelte Streitlust, diesen akademischen Wissendurst, die Wut des Stangeler, aber auch seine Weichheit, seine Tiefe sehr repräsentiert. Da gibt es Sätze … die stehen schon dort, weil ich gewusst habe, dass sie der Oberkogler sprechen wird, die könnte ich gar nicht sagen.

MM: Das klingt, als ob Sie in Produktionsfragen gefragt sind?

Hagg: Das klingt nach einer Liebeserklärung an David Oberkogler. Aber, ja, natürlich spricht man über Besetzungen. Und wenn alles erst im Entstehen ist, ich aber schon weiß, wohin eine Figur geht, ist es gut, ein Gesicht dazu zu haben. Ansonsten gehe ich nicht einmal auf Leseproben. Ich rauche nicht mehr. Was soll ich tun, wenn ich mich aufrege? (Er lacht.)

MM: Können Sie also gut Kindsweglegung betreiben? Manchen Dramatikern muss man die Stücke ja beinah aus den Händen stemmen.

Hagg: Ja! Ich habe wirklich schon nervöse Ausschläge bekommen, wenn ich ein Stück abgegeben habe. Diesmal habe ich gesagt, ich kann nicht dabei sein, weil ich ein echtes kleines Kind habe. Ich hatte mit Regisseur Hermann Beil davor sehr schöne Gespräche, bei ihm wird alles in besten Händen sein. Außerdem bin ich selber in recht intensiven Proben.

MM: Sie selber spielen in Nestroys „Liebesgeschichten und Heiratssachen“. Es inszeniert Helmut Wiesner, Sie sind …

Hagg: … der Wirt. Wir proben seit Mitte Mai, mit einem toll vorbereiteten Miguel Herz-Kestranek als Nebel, der vorne am Bug steht und weit daher leuchtet. Marcello de Nardo, frisch aus den USA zurück, wo er das Theater, glaube ich, sehr vermisst hat, spielt mit viel Elan den Marchese Vincelli. Ich selber stehe am dritten Mast und schau‘, dass ich auch einmal ein Segel aufziehe. Der Wirt ist eine hübsche kleine Rolle, ich hoffe, dass es gut wird.

MM: Abgesehen davon, dass es kleine Rollen ja nicht gibt, haben Sie also beschlossen den Reichenau-Aufenthalt diesmal zur Sommerfrische zu nutzen, und das schwere Gepäck bei anderen abzustellen?

Hagg: Ich hoffe, dass das schwere Gepäck auch leicht daherkommen wird. Denn auch „Die Dämonen“ haben etwas Komödienhaftes. Soweit Komödie in Österreich überhaupt entstehen kann. Wir haben mehr Talent für die politische Posse, für die Satire, für die Lyrik. Obwohl: Es gibt auch einen Thomas Bernhard der immer Komödien geschrieben hat. Oder Wolfgang Bauer, in dessen „Magic Afternoon“ beispielsweise sich tatsächlich die Gesellschaft spiegelt, obwohl es komödienhaft daher kommt. Aber sonst sind wir mit Komödien nicht sehr gesegnet. Aber wir haben eine große Erzählertradition in Österreich. Joseph Roth würde ich furchtbar gern machen, oder Musils „Der Mann ohne Eigenschaften“ noch einmal dramatisieren, auch Doderers „Die Wasserfälle von Slunj“. Und vielleicht einen eigenen Prosatext schreiben, einmal – oder bald. Aber in Reichenau, da haben Sie schon recht, ist Sommer angesagt. Wir wohnen dort seit sieben Jahren an einem märchenhaften Platz, in einem alten großen Haus aus der Zeit um 1800. Unten fließt die Schwarza vorbei, da gehe ich mit meinen Söhnen Wasserrutschen auf Autoreifen. Es gibt Momente, an denen ich mich tatsächlich im Jänner schon nach Reichenau träume und sehne.

Nicolaus Hagg in der Volksopern-Erfolgsproduktion "Der Kongress tanzt": Als Finanzminister mit "Fürstin" Regula Rosin. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

Nicolaus Hagg in der Volksopern-Erfolgsproduktion „Der Kongress tanzt“: Als Finanzminister mit „Fürstin“ Regula Rosin. Bild: © Barbara Pálffy/Volksoper Wien

MM: Und danach der eigene Roman. Wollen Sie sich aufs Schreiben fokussieren? Was sind Ihre nächsten Pläne?

Hagg: Was Reichenau betrifft, bereiten wir schon etwas Neues für 2018 vor. Ich kann nichts verraten, nur so viel: Die Festspiele wollen sich in der Zeit weiter vorwärts bewegen und mit den Stücken näher an das Jahr 1938 heranrücken, was mir sehr entgegenkommt, weil das eine Welt ist, die ich schreibend nun gut kennengelernt habe. Dann bin ich ja an der Volksoper engagiert, spiele wieder „Anatevka“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=19898), „The Sound of Music“ und „Der Kongress tanzt“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=17709). Für diese Möglichkeit bin ich sehr dankbar, weil ich das Haus sehr liebe, weil das Klima rund um Robert Meyer toll ist, und weil ich ein bisserl auf dem Bankerl sitzen und die Aussicht genießen kann. Ich habe ein heimatliches Gefühl, wenn ich an die Volksoper denke, ich verbinde mit ihr ja auch eine persönliche Liebe. Aber die Schreiberei ist schon eine große Sehnsucht. Da möchte ich schon noch so manches erzählen. Egal in welcher Form. Ich bin in einem Alter, wo ich das eine noch nicht loslassen kann und das andere nicht mehr missen möchte. Die fixe Verpflichtung an der Volksoper ermöglicht mir, innezuhalten und nachzuschauen, wohin der Weg mich führen wird. Also, ein eigener längerer Prosatext, ja, mal schauen … Allerdings ist dann die Gefahr, dass einer daherkommt und ihn dramatisiert. (Er lacht.)

www.festspiele-reichenau.com

Wien, 24. 5. 2016

Belvedere: Klimt/Schiele/Kokoschka und die Frauen

Oktober 20, 2015 in Ausstellung

VON RUDOLF MOTTINGER

The Good, The Bad and The Ugly der Aktmalerei

Egon Schiele, Die rote Hostie, 1911 Bild: © Privatsammlung, Courtesy Galerie St. Etienne, New York

Egon Schiele, Die rote Hostie, 1911
Bild: © Privatsammlung, Courtesy Galerie St. Etienne, New York

Sie waren gleichsam The Good, The Bad and The Ugly ihrer Kunstzeit: „Masturbationsmaler“ Gustav Klimt; der wegen Oszonität und Verstößen gegen die Sittlichkeit sogar inhaftiert gewesene Egon Schiele, der im Gegensatz zu Klimt, der zu seinen Geliebten emotional immer auf Distanz blieb, selbst wenn sie die Mütter seiner Kinder waren, sein Verhältnis zu seinem Model Wally Neuzil öffentlich machte; und „Oberwildling“ und Alma-Mahler-Geschädigter Oskar Kokoschka. Nicht selten wurden sie als Pornographen beschimpft, ja sie taten einander mitunter sogar gegenseitig als solche ab. Kokoschka, der in Liebesdingen meist die Flucht ergriff, war frustriert ob des sprichwörtlich erfolgreichen „Treibens“ seines Idols Gustav Klimt, neidvoll und verächtlich äußerte er sich über seinen künstlerischen Rivalen Schiele, weil der „immer lauter Mädeln um sich gehabt“ habe.

Klimt, Schiele und Kokoschka zählen zu den wichtigsten erotischen Malern der Wiener Moderne. Das Belvedere widmet ihnen und ihrem Verhältnis zu den Frauen ab 22. Oktober eine Ausstellung: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stellten weitreichende gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen und eine gedankliche Neuorientierung die traditionellen Geschlechterrollen infrage. Die Gleichstellung von Mann und Frau sowie die Lust nach sexueller Befreiung waren Gebot der Stunde.

Das intellektuelle Wien des Fin de Siècle war von der weiblichen Sexualität geradezu besessen, auch Freud, Schnitzler, Weininger forschten. Klimt, Schiele und Kokoschka näherten sich dieser „Frauenfrage“ auf  jeweils eigene Weise; das relativ freimütige Bekenntnis früher Feministinnen zu ihrem Körper versetzte die Künstler in Aufruhr, etwas Neues war am entstehen, verstanden die selbsternannten Frauenversteher, und erfüllte ihre Werke mit einer Mischung aus Grauen und Begeisterung. Das ewig Weibliche zog sie hinan, die „Femme fatale“ schreckte sie, selbst wenn von eigener Hand auf die Leinwand geworfen. „Mit einer verliebten Frau kann man alles tun, was sie will“, kommentierte Klimt diese Emanzipation scherzhaft, und doch befreite er die Frau in der Kunst als erster von ihrer Scham. Schiele entfesselte die Kraft einer beinah bedrohlichen, wilden Weiblichkeit, die sich der männlich-rationalen Kontrolle entzog, Kokoschka agierte distanzierter, doch mit nicht weniger Wucht.

Die Schau gliedert sich in vier Hauptthemen: Porträt, Liebes-Paar, Mutter mit Kind und Akt. „Das Thema ,Klimt/Schiele/Kokoschka und die Frauen‘ wirft ein Licht auf beide Seiten der Wiener Gesellschaft, auch die jenseits der Salonkultur des Großbürgertums. Immer mehr bürgerliche Frauen und vor allem die Frauen des Industrieproletariats opponierten und  organisierten sich in der Frauenbewegung. Ihnen lag nicht nur daran, die männlich dominierte Erziehung, die rein repräsentative Tätigkeit als Ehefrau und die sinnentleerten Konventionen zu überdenken, sie forderten ganz konkret ihre Rechte ein und insistierten auf einer Umwertung und Neuordnung der Geschlechterrollen“, so Belvedere-Direktorin Agnes Husslein-Arco. Klimts kostbare, elegante und in leuchtenden Farben ausgeführte Porträts des „Rätsel Frau“ fanden bei den Damen der Wiener Gesellschaft großen Anklang. Doch die individuelle Persönlichkeit der Dargestellten ließ der Künstler beinahe vollkommen hinter die reich ornamentierten Oberflächen zurücktreten. Schiele und Kokoschka kehrten diese dekorative Formel um, indem sie ihre Modelle in eine bildnerische Leere stießen. Damit erzwangen sie eine Konfrontation mit existenziellen Ängsten, die hinter Klimts Horror Vacui verborgen geblieben war. Der damals herrschenden Auffassung zum Trotz, dass Frauen keine Seele hätten, prägten Schiele und Kokoschka damit im Akt eine neue, moderne, psychologisch durchdrungene Porträtmalerei.

Aus den Werken Klimts, Schieles und Kokoschkas geht hervor, dass alle drei am Glauben an die romantische Liebe festhielten: an eine Verbindung von Seelenverwandten, die durch erotische Leidenschaft besiegelt wird. Doch während Klimt in seinen Liebespaardarstellungen, oft sind er selbst und seine Lebensmenschin Emilie Flöge die Porträtierten, den Inhalt auf eine allegorische Ebene hob, ließen die beiden Expressionisten persönliche Erfahrungen in ihr Schaffen  einfließen. Tatsächlich sind Evokationen glücklos verlaufender Beziehungen bei Schiele und Kokoschka oft emotional überzeugender als ihre Darstellungen idealisierter, glücklicher Liebender. Da Mann und Frau als Gegensatz verstanden wurden, kann keine reibungslose Vereinigung der beiden stattfinden. Und apropos, Tabubruch: das Private der Herren blieb oft sehr konventionell konservativ. So muss es Egon Schiele die Seele zerschrammt haben, als seine Ehefrau Edith Harms den endgültigen Bruch mit Wally Neuzil forderte, den er schweren Herzens endlich vollzog, nachdem beide Frauen ein Dreiecksverhältnis abgelehnt hatten. „Ich bin froh, dies alles und noch mehr zu erleben, denn gerade diese Erlebnisse, die traurig sind, klären den schaffenden Menschen“, sagt Schiele dennoch.

Das Motiv der Mutter mit dem Kind, eines der ältesten Bildthemen der westlichen religiösen Kunst, wurde im Geiste der Sexualpolitik des Fin de Siècle einer Wandlung unterzogen. In der allgemeinen Vorstellung kategorisierte man Frauen als „Madonnen“, keusch und mütterlich, oder „Huren“, heißt: sexuell unersättliche Räuberinnen. Klimt und Schiele unterwanderten diese Dichotomie, indem sie Akte von Schwangeren und nackte Mütter zeigten. Damit stellten sie eine ausdrückliche Verbindung zwischen Mutterschaft und weiblicher Sexualität her. Kokoschka hingegen schien der Auffassung gewesen zu sein, dass die Mutterschaft eine Frau von sexueller Promiskuität „heilen“ könne. Er war besessen von dem Wunsch, mit seiner Geliebten Alma Mahler ein Kind zu zeugen, und stellte sie in seiner Kunst wiederholt allegorisch als Jungfrau Maria dar. Alma trieb gegen Kokoschkas Willen ab, er zog als Freiwilliger in den Krieg. Erst mit Olda Palkovská kam Hitlers späterer „Kunstfeind Nr. 1“, der „Entartetste unter den Entarteten“, zur Ruhe.

Klimts Akte wiederum sind von verführerischer Schönheit, und in vielen seiner eindeutig erotischen Zeichnungen sind sie von einer Passivität, die an Bewusstlosigkeit grenzt. Im Vergleich dazu sind die Aktdarstellungen Schieles und Kokoschkas schroffer. Kantige Linien untergraben einladende weibliche Kurven, markante Bildausschnitte und ungleichmäßige Farbigkeit generieren eine Aura des Unbehagens. Anders als beim klassischen Akt scheint diesen Frauen häufig bewusst zu sein, dass sie beobachtet werden. Zuweilen wirken sie davon sogar unangenehm berührt … Die Ausstellung untersucht diese Unterschiede und Gemeinsamkeiten tiefgreifend. Im Zuge dessen werden neue Einblicke in die Beziehungen zwischen den Geschlechtern im frühen 20. Jahrhundert sowie die Ursprünge der modernen sexuellen Identität erarbeitet.

www.belvedere.at

Wien, 20. 10 2015

Festspiele Reichenau: Effi Briest

August 5, 2014 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Wie ein Fohlen, das gezähmt und gebrochen wird

Effi Briest mit Geert von Innstetten und Major Crampas: Alina Fritsch mit Michael Dangl und Sascha Oskar Weis Bild: Festspiele Reichenau, Carlos de Mello

Effi Briest mit Geert von Innstetten und Major Crampas: Alina Fritsch mit Michael Dangl und Sascha Oskar Weis
Bild: Festspiele Reichenau, Carlos de Mello

Im Auftrag der Festspiele Reichenau hat Nicolaus Hagg eine Bühnenfassung von Theodor Fontanes „Effi Briest“ erstellt. Das Ergebnis: Ein spannender, überzeugender Theaterabend, bei dem Regisseurin Regina Fritsch ihre Tochter Alina Fritsch als die liebenswerteste aller Ehebrecherinnen der Literaturgeschichte zu inszenieren weiß. Alles stimmt. Von der Musik Bernhard Moshammers bis zum einfach genialen Bühnenbild von Peter Loidolt.

„Effi Briest“ wurde von 1894 bis 1895 zunächst als Fortsetzungsroman in der Deutschen Rundschau abgedruckt. Beschrieben wird das Schicksal eines siebzehnjährigen Mädchens, das auf Zureden ihrer Mutter den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten heiratet. Dieser behandelt Effi nicht nur wie ein Kind, sondern vernachlässigt sie zugunsten seiner karrierefördernden Dienstreisen. Vereinsamt in dieser Ehe, geht Effi eine flüchtige Liebschaft mit einem Offizier ein. Als Innstetten Jahre später dessen Liebesbriefe entdeckt, ist er außerstande, Effi zu verzeihen. Zwanghaft einem überholten Ehrenkodex verhaftet, tötet er den verflossenen Liebhaber im Duell und lässt sich scheiden. Effi ist fortan gesellschaftlich geächtet und wird sogar von ihren Eltern verstoßen. Erst drei Jahre später sind diese bereit, die inzwischen todkranke Effi wieder aufzunehmen. Das Ende ist letal; Hagg gelingt es trotzdem aus dem schweren Stoff leichte Fäden zu ziehen. Nicht zuletzt durch die Hilfe des wunderbaren Martin Schwabs als Effis Vater, ein gutes, banges Herz von Beginn an, für den die Seele zwar kein weites Land (auch das wurde dieses Jahr in Reichenau gegeben), das Leben an sich aber ein zu weites Feld ist. So entzieht er sich der großen Frage, wie weit Eltern Schuld am Schicksal ihres Kindes tragen.

Regina Fritsch verwendet in ihrer Regie genau jene Dosis an Ironie, Überzeichnung und Sentiment, die die Geschichte braucht. Effi ist bei ihr kein „braves“, stilles Mädchen, sondern ein übermütiges Fohlen, das gezähmt und gebrochen wird. Eine Entwicklung, die Alina Fritsch glaubhaft rüberbringt. Regina Fritsch gibt ihre Mutter als Frau, die sich ihrer Pflichten bewusst ist. Kein Entrinnen nirgendwo. Der Mann, den sie für Effi auserkoren hat, hätte eigentlich einmal der ihre werden sollen … so weit, so Freud. Michael Dangl als Innstetten nimmt die Tochter-Trostpreis entgegen, erst steif, versteinert, wird er dann doch noch zu einem unbeholfenen Liebenden. Aber da ist es schon zu spät, da war schon Major von Crampas mit Effi im Heu. Sascha Oskar Weis ist ganz Mannsbild, ein Abenteurer mit Lust auf Lustbarkeiten. Kein Vergleich mit dieser Spaßbremse von Landrat. Der noch dazu ständig weg ist, Bismarck über Beischlaf stellt. Der pragmatische Pragmatisierte treibt Effi regelrecht in die Arme des ungestümen Uniformträgers.

Ebenso viel Sorgfalt wie auf die Ausgestaltung der Hauptrollen wenden Fritsch und Hagg für die Mitspieler auf. Rainer Friedrichsen ist ein gruseliger Kruse. Ein Hausdiener, der Effi mit Spukallerlei über die Nächte auf dem Dachboden erschreckt. Emese Fay spielt das sensible Kindermädchen Roswitha; Hans-Dieter Knebel den freundlichen, bald einzigen Freund, Apotheker Gieshübler. Hannes Gastinger als Dangls Vorgesetzter, der lebenskluge Ministerialrat Wüllersdorf, bittet Innstetten noch inständig von seinem Plan abzusehen. Stellt als einziger die Frage nach der Verjährung von Ehebruch. Umsonst. Innstetten verliert seine Ehre (denn nach dem Tod des Majors ist natürlich auch er gesellschaftlich geächtet) um der Ehre Willen.

Der Abend spinnt sich in eine fein gestaltete mysteriös-traumartige Atmosphäre ein. Wände verschieben sich, geben den Blick auf die Natur frei, oder schieben sich zum Gefängnis des eigenen Haushalts zusammen. Am Schluss noch einmal Effis Kinderlachen. Wie eine Erinnerung an die Unwiederbringliche. Reichenau at its best.

Wien, 11. 7. 2014

www.festspiele-reichenau.com