Werk X: Werner Schwabs „Eskalation ordinär“

April 21, 2022 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Günter Franzmeier beeindruckt als Helmut Brennwert

Ecce homo: Günter Franzmeier als Helmut Brennwert. Bild: © Alexander Gotter

„Noch mehr Senf. Noch mehr scharfen Senf auf mich hinauf!“, fordert der in die Arbeitslosigkeit verbannte gewesene Sparkassen- mitarbeiter Helmut Brennwert, alldieweil die all/gemeine Meinung längst den ihren zu seinem Lebensablauf dazugibt. Da steht der ewige Verlierer am Würstelstand, um sich für sein Bewerbungsgespräch im Bankinstitut zu stärken, und ausgerechnet jener Leitende Angestellte, bei dem er sich sogleich vorstellen soll,

beschmiert und ruiniert Brennwerts besten, weil einzigen Anzug mit der „balkanesischen“ Würzpaste. Die Folge: „Eskalation ordinär“. So der Titel von Werner Schwabs 1994er-Stück, vom Autor als „Schwitzkastenschwank in 7 Affekten“ beschrieben, und nun von Ali M. Abdullah im Werk X inszeniert. Mit Schwabs Theatertext greift der Regisseur eines der virulentesten Gegenwartsthemen auf: Die Erwerbslosigkeit des einzelnen als größten anzunehmenden Unfall in der gewinnmaximierenden Menge. Abdullah zeigt auf gut Schwabisch ein frei-marktwirtschaftliches Volksstück, und ein Schelm, der sich was denkt über die von Raoul Eisele nach und nach rosa gestrichene Rückwand. Nur wer was schafft, schafft an!

Das Fortschrittsopfer in dieser Finanz-Farce gibt Günter Franzmeier, der sich als Brennwert bis an den Rand des schauspielerisch Möglichen verausgabt. Nach Beendigung seiner Volkstheater-Ensemblemitgliedschaft war der geniale Performer tatsächlich selbst arbeitslos, eine Erfahrung, die er jetzt ins Erspüren des Schwab’schen Antihelden mit treffsicherer Authentizität einbringt. Mit kommender Saison ist Franzmeier fix am Theater in der Josefstadt engagiert …

Für Brennwert geht’s derweil nicht nur an der Imbissbude um die Wurst. „Ich brauche Feuer heute, heiße Feuersbrunst gegen meine entzündungsfördernde Arbeitsratlosigkeit“, sagt er. Doch sein Abstieg nimmt von der Sparkassenfiliale über ein Gasthaus bis zum Stadtpark rasante Fahrt auf. Eine Demütigung folgt auf die nächste. Brennwert wird beschimpft, getreten, geprügelt, erniedrigt, vergewaltigt, zur Masturbation gezwungen; er wird zum „Dreckschwein“ über den der Gesellschaftskörper befindet, er sei eine Gestankmischung aus „Straßenköterkot, Erbrochenem, eigenmenschlichen Exkrementen und Senf“ – soweit die Schwabische Definition vom Menschen als armes Würschtl: eine dünne Haut, in die die Schlachter brutal allerlei Unrat pressen.

Ein Stück Wurst geht noch: Günter Franzmeier, Eduard Wildner und Susanne Altschul. Bild: © Alexander Gotter

Brennwerts ob dessen Versagen am Arbeits-/Markt angeekelte Verlobte: Maddalena Hirschal. Bild: © Alexander Gotter

Die Polizei, dein Feind und Henker: Christian Dolezal als Niroster mal sechs und Günter Franzmeier. Bild: © Alexander Gotter

Am Würstlstand zählt nur Bares: Christian Dolezal und Sebastian Thiers. Bild: © Alexander Gotter

Eine grausige Kasperliade hält Abdullah da auf der Spielfläche ab. Mit Sebastian Thiers als mit Süffisanz gewalttätigem Leitendem Sparkassenangestellten, der seine höhnenden, Schwabisch zerhackten Sätze wie Nägel ins Brennwert’sche Fleisch treibt, und der Brennwerts ob dessen Versagen am Arbeits-/Markt angewiderte Verlobte Maddalena Hirschal mit In/Brunst zu begatten versucht. An allen Schauplätzen treffen auch Edu Wildner und Susanne Altschul als Alter Ehemann und Alte Ehefrau ein, und wie sie sich in Demut vor ihrer von Thiers überreichten Rente verbeugen, die Pension „der Schlachtschussapparat der Sparkassen“, das ist deutlich.

Später wird Wildner Richtung Brennwert lapidar feststellen, „das ist alles ein bisschen modernistisch kompliziert. Zu meiner Zeit hat man solche Leute einfach nur vergast, erschossen oder aufgehängt.“ Unter all diesen erschlag-resistenten Wurschtln und ihrem Watschenmann Brennwert ist Christian Dolezal das garstig-komödiantische Krokodil, der in den Rollen Wurstbudenbesitzer, Polizist, Cafetier, Parkwächter, Talkshowmaster und Zeitungskioskinhaber, allesamt auf den bezeichnenden Namen Niroster getauft, eine Glanzleistung liefert.

„Inspektor Niroster/ wie Sie sich sehend denken können/ Herrschaften/ Persona gratissima/ aber eigentlich ein Perpetuum mobile“, sagt diese personifizierte richtende Öffentlichkeit an einer Stelle. Via Niroster und Brennwert tunken Schwab/Abdullah die hiesige, sich stetig selbstbefeuernde Geschichtsunbelehrbarkeit tief in den Österreich-Katholizismus. Franzmeier ist ganz Schmerzensmann, sein Erscheinen ein Ecce homo, die sieben Szenen wie die sieben letzten Worte. Zwischen Penisattrappen und Dessous ouverts stammelt er sein Elōi, Elōi, lema sabachthani! Und scheitert schlussendlich sogar am letzten Akt seiner Selbst-/Aufgabe.

Grausames Sparkassen-Spiel: Sebastian Thiers und Günter Franzmeier. Bild: © Alexander Gotter

Blut und Boden für die deutsche Eiche: Günter Franzmeier, hinten malt Raoul Eisele. Bild: © Alexander Gotter

Parkwächter Dolezal, Susanne Altschul, Günter Franzmeier und Eduard Wildner. Bild: © Alexander Gotter

Bei Talkshowmaster Dolezal: Günter Franzmeier, Sebastian Thiers und Maddalena Hirschal. Bild: © Alexander Gotter

Nur kurz, als er wütend die deutsche Eiche zu alter Größe aufforsten will, kann er die all/gemeine Meinung für sich gewinnen. Sein Talkshow-Ruhm ist allerdings von kurzer Dauer: „Hoffentlich gibt es kein ewiges Leben. Hoffentlich gibt es keine ewige Arbeitslosigkeit“, sagt er. Und: „Es ist alles egal, aber nichts ist egalitär.“ Franzmeier auf Brennwerts Weg vom Verstoßenen, Vergewaltigten, Verrückten, Verklärten zum Verzweifelten mitzuverfolgen, ist einzigartig. Mit ihm hat die Werk-X’sche Klassenkampfmaschine den nächsthöheren Schleudergang eingelegt.

„Eskalation ordinär“ entblößt das Symptom einer Krise, die einmal mehr von Politik und Wirtschaft als kaum bewältigbar ausgewiesen wird, und in der das um seinen Lebenserhalt gebrachte Humankapital aka der Mensch samt seiner Würde in den Orkus befördert wird. Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s der Wirtschaft gut.

Das Ensemble ergeht sich in der Kunst, Werner Schwabs Werkstoff Sprache, seine Fleischstücke mit Text, ohne deren dialektische Erdung zu leugnen zu Arche-/Typen zu formen. Von den Mitläufern über die Wegschauer zu den Mittätern hetzen sie ihre zwischen Sparkasse und Zeitungsstand hingerotzten Figuren ins Extreme hinein – und zeigen das von der anonymen Macht des Marktes ausgewrungene Menschenmaterial mit immer wieder hochkochender Bösartigkeit. Ein grandioses, radikal sprachgewaltiges Grand Guignol!

werk-x.at

  1. 4. 2022