Filmmuseum: Federico Fellini / Ermanno Olmi
Januar 7, 2019 in Film
VON MICHAELA MOTTINGER
So verschieden, so verwandt die Seelen

La Dolce Vita, 1960, Federico Fellini. Bild: Österreichisches Filmmuseum
Das Österreichische Filmmuseum beginnt das Neue Jahr ab 10. Jänner mit einer Gegenüberstellung zweier der außergewöhnlichsten Regisseure des italienischen Kinos. Zum einen ist das Federico Fellini, der durch Filme wie „La strada“ oder „La dolce vita“ zu einem der berühmtesten Filmemacher weltweit wurde. So unverwechselbar ist Fellinis Stil, dass er sogar ein eigenes Wort hervorbrachte: „Felliniesk“ – als Beschreibung des fantastischen und fantasievollen Exzesses, der über das bloß Groteske hinausgeht.
Weniger populär, aber nicht weniger herausragend ist das Werk des 2018 verstorbenen Ermanno Olmi. Bereits mit seinen ersten Spielfilmen wie „Il posto“ und „I fidanzati“ etablierte er sich als eine Schlüsselfigur im Aufbruch des italienischen Films der frühen 1960er-Jahre und reüssierte im Verlauf seiner Karriere mit Werken wie dem Cannes-Gewinner 1978, „L’albero degli zoccoli“, oder dem auf Joseph Roth basierenden Venedig-Sieger 1988, „La leggenda del santo bevitore“, immer wieder international.
Vielleicht lag der Unterschied in der Außenwahrnehmung daran, dass Olmi etwas verkürzt vor allem als hintergründiger Chronist bescheidener Leben galt, während Fellinis aufsehenerregende Flamboyanz eine weithin sichtbare Marke auf dem Kinoweltmarkt etablierte. Doch sollte man sich vom auf den ersten Blick augenfälligen Kontrast nicht täuschen lassen. Fellinis ostentativ persönlicher, oft autobiografischer Zugang trägt maßgeblich zu seiner filmischen Autorenhandschrift bei; am deutlichsten wohl in „8½“ mit Marcello Mastroianni als fellinieskem Regisseur, einem der bekanntesten Selbstbespiegelungskabinette des Kinos. Olmis Werk war ebenso persönlich, aber eben auf zurückhaltende Art: „Die Sujets meiner ersten Spielfilme fand ich in mir selbst: Ich war der Junge in ,Il posto‘ und der Arbeiter in ,I fidanzati‘, der nach Sizilien ging.“ Olmis große historische Chronik „L’albero degli zoccoli“ war direkt von den Erzählungen seiner Großmutter inspiriert.

L’albero degli zoccoli, 1978, Ermanno Olmi. Bild: Österreichisches Filmmuseum

E venne un uomo, 1965, Ermanno Olmi. Bild: Österreichisches Filmmuseum
Sowohl Fellini wie Olmi versuchten zudem auf ihre Weise einen Aufbruch aus dem dominanten Dogma des italienischen Neorealismus. Fellini hatte sich in den 1940ern als Drehbuchautor vor allem bei Roberto Rossellini im Umfeld dieser Strömung etabliert. Als Regisseur orientierte er sich in der folgenden Dekade rasch in eine individuellere Richtung um: Die stilisierte allegorische Erzählung von „La strada“ wurde von Kollegen wie Luchino Visconti als „neoabstrakter“ Bruch mit der Wirklichkeit abgelehnt. Der internationale Durchbruch ermöglichte Fellini schließlich ein Eintauchen in opulente Bilderbögen, die narrative Normen ignorierten, um in mythologischen, satirischen und eigenwilligen Spektakeln zu schwelgen.
Vom antiken „Satyricon“ ins gegenwärtige „Roma“, von der vernichtenden Dekonstruktion Casanovas zur Attacke auf die seelenlose Berlusconi-Fernsehwelt mit „Ginger e Fred“, von bittersüßen Jugenderinnerungen in „Amarcord“ zum verspielten Selbstporträt „Intervista“: Fellini inszenierte sich dabei stets selbst als Auteur-Dompteur eines überquellenden Kino-Zirkus – in „I clowns“ hatte er 1970 beides sinnbildlich gleichgesetzt.
Olmi hingegen verfolgte auch bei der Anverwandlung der neorealistischen Ästhetik eine Strategie der subtilen Zurücknahme, nicht nur als Autor-Regisseur, sondern oft auch als sein eigener Kameramann und Schnittmeister:
Zum Kino gekommen war er in den 1950er-Jahren als Elektrizitätswerkangestellter, der für seine Firma Kurzdokumentarfilme über deren Aktivitäten und das Leben der Arbeiter drehte. Beim Übergang zum Spielfilm mit „Il tempo si è fermato“ übersetzte er diese dokumentarischen Wurzeln durch Einsatz von Laienschaupielern sowie von Originalschauplätzen in einen von allen erzählerischen und sentimentalen Kompromissen bereinigten „Neo-Neorealismus“ mit unaufdringlicher spiritueller Tiefenwirkung. In der exakten Zeichnung der Lebenswelten konfrontierte er den humanistischen Zugang vorurteilsfrei mit der Erfahrung einer neuen Wirtschaftswunder-Epoche und der einhergehenden Entfremdung, etwa im kafkaesken Büroalltag von „Il posto“.

Fellini Satyricon, 1969, Federico Fellini. Bild: Österreichisches Filmmuseum
Es hätte beinahe einen Zusammenschluss von Olmi und Fellini gegeben: Die von Olmi mit Fellini-Drehbuchautor Tullio Kezich 1961 gegründete unabhängige Produktionsfirma 22 dicembre sollte jungen Regisseuren ihre künstlerische Freiheit garantieren – Federico Fellini, der ähnliche Ziele verfolgte, erwog tatsächlich einzusteigen, schlug dann aber doch eigene Pfade ein. Und auch Ermanno Olmi orientierte sich nach dem Scheitern dieses innovativen, aber letztlich nur kurzlebigen Projekts um:
Mit dem nahezu ethnografischen Papst-Biopic „E venne un uomo“ versuchte er sich erstmals an der Großproduktion und der Arbeit mit Schauspielstars. Auch die katholische Prägung eint Fellini und Olmi: Wo sich Fellini in seinen Filmen zwiespältig daran abarbeitete, und manche als tief religiös, andere als blasphemisch wahrgenommen wurden, folgte Olmi seiner christlichen Überzeugung, was seine Außenseiterposition verstärkte – zu katholisch für die radikalen Linken, zu progressiv für die orthodoxen Katholiken. Letztlich bleibt sein Werk so unvereinnahmbar und vielschichtig wie das Fellinis: Ob Olmi einen asiatischen Piratenfilm mit Bud Spencer drehte – „Cantando dietro i paraventi“, 2003 – oder in Zeiten der Flüchtlingskrisen die Rückbesinnung auf menschliche Nächstenliebe forderte – „Il villaggio di cartone“, 2011 –, es sind stets die Filme eines freien Mannes.
7. 1. 2019