Museumsquartier: Next to Normal

April 28, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Pia Douwes rockt endlich wieder Wien

Ab mit den Psychopharmaka in den Mist: Pia Douwes als Diana Goodman. Bild: Günter Meier

Ab mit den Psychopharmaka in den Mist: Pia Douwes als Diana Goodman. Bild: Guenter Meier

Zu Riesen mutiert tanzen die knallbunten Psychopharmaka heilsversprechend über die Bühne. „Ich spüre mich nicht mehr“, sagt die Frau. „Patientin stabil“, konstatiert der Arzt. Später aber wird Mutter ihre Little Helper in der Toilette entsorgen. „Wir haben die glücklichste Klospülung in der Straße“, scherzt sie scheinbar fröhlich mit ihrem Mann. Es ist klar, dass dieser Schein trügt.

Im Wiener Museumsquartier ist noch bis 1. Mai das Musical „Next to Normal“ zu sehen. Und die eben beschriebenen Szenen sind der Humor, der Sarkasmus, das Verzweiflungslachen, zwischen denen sich der Abend eingenistet hat. Mitunter schnieft’s rundum, und das ist gut so, denn Regisseur Titus Hoffmann, der das Stück vom englisch- in den deutschsprachigen Raum geholt und übersetzt hat, will sein Publikum mit einer Geschichte erreichen, die es etwas angeht. Das ist ein Hoffnungsschimmer für ein Genre, dass hierzulande wie ein Komapatient mit den immer gleichen Stoff-Infusionen künstlich am Leben erhalten wird. „Next to Normal“ geht gegen alle gängigen Musicalklischees an, nicht einmal das Ende ist umwerfend happy, und reüssiert gerade deswegen. Es geht um Depressionen, Selbstmordversuche, ekelhafte Elektrokrampftherapien – und es funktioniert. Mit Rums und Rockmusik. Als wär’s die Neuerfindung der Kunstgattung Singspiel, die Ansage: Innovation im System Musical ist möglich. In New York war ihnen dieses Phänomen bereits drei Tony-Awards und den Pulitzerpreis für das beste Drama (!) wert.

Komponist Tom Kitt und Autor Brian Yorkey erzählen von Diana Goodman. Sie ist die „Frau von nebenan“, Mutter einer Durchschnittsfamilie, doch lebt sie ihren Alltag weit abseits vom normalen. Denn Diana leidet an einer bipolaren Störung. Psychiater und die von ihnen verschriebenen Behandlungsmethoden bestimmen ihren Tagesablauf. Ihr Mann Dan hat sich in eine „Alles wird gut“-Selbsthypnose geflüchtet, ihre Tochter Natalie fühlt sich ungeliebt und vernachlässigt, der Sohn immerhin steht ihr zur Seite. Doch als sie ihn mit einer Geburtstagstorte überraschen will, und die anderen darob entsetzt reagieren, wird klar, dass Gabe nur in Dianas krankem Gehirn vom Säugling zum Teenager herangewachsen ist … Das alles ereignet sich so schonungs- wie schnörkellos, Hoffmanns Dialoge und Songtextbearbeitungen sind direkt, „in your face“, lieber setzt er auf die richtigen Worte als auf den besseren Reim. Im Triebe-Liebe-Hiebe-Universum ist das erfrischend und eindringlich.

Vorgetäuschtes Familienidyll: Pia Douwes, Felix Martin, Dominik Hees, Sabrina Weckerlin und hinten Dirk Johnston als Gabe. Bild: Titus Hoffmann

Vorgetäuschtes Familienidyll: Pia Douwes, Felix Martin, Dominik Hees, Sabrina Weckerlin und hinten Dirk Johnston als Gabe. Bild: Titus Hoffmann

Die Ärzte greifen zu den extremsten Mitteln: Ramin Dustdar. Bild: Titus Hoffmann

Die Ärzte greifen zu den extremsten Mitteln: Ramin Dustdar als Dr. Madden bei der grauslichen Elektrokrampftherapie. Bild: Titus Hoffmann

Nicht mehr als sechs Musiker und sechs Darsteller braucht es, um das Ganze umzusetzen. Publikumsliebling Pia Douwes hat mit der Diana einmal mehr eine Rolle gefunden, in der sie brillieren kann. Sie kann nicht nur schauspielerisch auf der ganzen Klaviatur der Gefühle spielen, sondern sie hat auch ihre Stimme mit noch mehr Timbre und emotionalem Tiefgang ausgestattet. Wie immer ist sie ein Glücksfall für die Produktion, egal, ob sie mit einem ihrer Seelenklempner einen imaginären Tango tanzt, ihren Ehemann mit einem anklagenden „Was Weisst Du?“ niederrockt oder mit Natalie im lyrischen Duett „Wär‘ Ich Nur Da“ versinkt – Pia Douwes rockt endlich wieder Wien. Tom Kitt hat für seine Musik das Schatzkästlein diverser Saitenvirtosen bemüht, tatsächlich ist auch im MQ der Mann an der E-Gitarre ein solcher, vieles klingt irgendwie vertraut, interpretiert, nicht imitiert, oft wie gerade eben improvisiert, jedenfalls ohne Ohrwurmzwang. Den einen Song, der sich durchs Trommelfell nagt und dahinter als Mitsummton festfrisst, gibt es nicht.

Beinah 90 Prozent des Stücks werden gesungen. Und ist jemand nicht mit einem Solo dran, wird er zum Chor eines anderen. Die Duette bis Sextette sind anspruchsvoll, die Stimmen der Sänger dabei wunderbar harmonisch. Felix Martin überzeugt als Dan Goodman, Sabrina Weckerlin ist eine wunderbare Natalie, rotzig-trotzig, und passend dazu hat sie ihre Stimme von Musical-Schönchengesang auf „Rockröhre“ umgeschliffen. Ihre Coming-of-Age-Story berührt nicht weniger als das Leid der Mutter; es ist die Qualität dieser Geschichte, dass man den Argumenten aller Figuren folgen, die Krise jedes Charakters begreifen kann. Felix Martin, sehr schön und sicher in hohen Tonlagen, geht einem geradezu ans Herz, wenn er über Dans Erschöpfung berichtet und davon, dass es seine Pflicht ist, nicht aufzugeben.

Dass er andererseits mit Fragen nach Dianas Warum und Wieso nervt, dass er mitunter mehr Vorwürfe als Hilfe zu bieten hat, ist allzu menschlich. Die Show wirft die Frage nach Schmerzen zulassen oder verdrängen auf, sehr wohl ausstellend, dass in dieser Zeit das funktionstüchtige Runterschlucken die gewünschte Lösung ist. Als wären sie die Antipoden agieren Dominik Hees als Natalies Freund Henry, ein von der Schlechtigkeit der Welt so überzeugter Kiffer, dass er frohgemut, weil überraschungsresistent durch diese wandeln kann, und Ramin Dustdar in der Rolle diverser Psychiater, die er mal wienerisch-freudianisch, mal zumindest in Dianas Fantasie als Rockstar anlegt. Auf ihren Fahnen steht Kurieren um jeden Preis, und auch wenn es – siehe eine gruselige Elektrokrampftherapie à la McMurphy – barbarisch ist, der Zweck heiligt die Mittel.

Die Tochter fühlt sich ungeliebt und flippt samt Freund aus: Sabrina Weckerlin und Dominik Hees. Bild: Günter Meier

Die Tochter fühlt sich ungeliebt und flippt samt Freund aus: Sabrina Weckerlin und Dominik Hees. Bild: Guenter Meier

Charismatisches Hirngespinst: Dirk Johnston als Gabe. Bild: Günter Meier

Charismatisches Hirngespinst: Dirk Johnston. Bild: Guenter Meier

 

 

 

 

 

 

 

 

Und dann ist da ein dritter, der an der Mutter zerrt. Der Sohn Gabe. Und sein Darsteller Dirk Johnston ist jedenfalls für die, die ihn noch nicht kannten, die Sensation des Abends. Ein charismatischer junger Mann, der im Ausdruck was vom jungen Leo hat, und ohne dessen Kraft die Übung ungleich schwerer zu stemmen wäre. Er ist ein egoistischer, ergo böser Geist, will er Diana doch auf seine Seite, und das muss bedeuten: aus dem Leben, ziehen. Überall im zweigeschoßigen Stahlkonstrukt des Bühnenbilds taucht er auf, als wäre es nur ein Gerüst für seine Handlungen, und auch auf der Videowand dahinter erscheint zigfach sein Lager-than-Life-Gesicht. Ein volldosiert eingesetzter Effekt. Johnston kann’s knackig oder ganz zart, nicht umsonst ist der Sänger aus Schottland auf dem besten Weg zum Star.

Am Ende heißt die Message, dass man, was man liebt, loslassen muss. Falls es sich nicht zu sehr an einen klammert. Dass, weil’s diesbezüglich weitgehend offen ausgeht, das Ensemble das Publikum mit ein bisschen viel „Liiiiiicht!“ verabschiedet, es dabei direkt adressiert und damit gleichsam missioniert, hält man aus. Es hat davor ja genug Schatten gegeben. Standing Ovations.

Pia Douwes im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=16451

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Wien, 28. 4. 2016

Next to Normal: Musicalstar Pia Douwes im Gespräch

April 14, 2016 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Zu sehen ab 26. April im Wiener Museumsquartier

Next To Normal: Pia Douwes entledigt sich als Diana Goodman ihrer Antidepressiva. Bild: Guenter Meier/Stadttheater Fuerth

Next To Normal: Pia Douwes entledigt sich als Diana Goodman ihrer Antidepressiva. Bild: Guenter Meier/Stadttheater Fuerth

„Keine Show am Broadway hat bis jetzt so direkt unser Herz berührt“, schrieb die New York Times über „Next To Normal“. Dabei war das Musical von Tom Kitt und Brian Yorkey zunächst ein ungeliebtes Kind in der Glitzermetropole. Man verbannte das Stück über die bipolare Störung einer Mutter für zehn Jahre ins Off-. Dann kamen drei Tony Awards und der Pulitzer Preis. Nun kommt „Next To Normal“ in der deutschen Übersetzung und der Regie von Titus Hoffmann nach Österreich.

Von 26. April bis 1. Mai ist Musicalstar Pia Douwes im Wiener Museumsquartier als die mit ihren Depressionen kämpfende Diana Goodman zu sehen. „Next To Normal“ zeigt berührend und realistisch, welche Auswirkungen die Krankheit auf einen selbst und die Angehörigen hat; Diana schwankt zwischen ihrem Trauma und allen erdenklichen Therapien, und ihre Familie droht daran zu zerbrechen …

Pia Douwes im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=16451

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Wien, 14. 4. 2016

Musicalstar Pia Douwes kommt mit dem Broadwayhit „Next To Normal“ nach Wien

Dezember 2, 2015 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt

Next To Normal: Pia Douwes entledigt sich als Diana Goodman ihrer Antidepressiva Bild: Guenter Meier/Stadttheater Fuerth

Next To Normal: Pia Douwes entledigt sich als Diana Goodman ihrer Antidepressiva. Bild: Guenter Meier/Stadttheater Fuerth

„Keine Show am Broadway hat bis jetzt so direkt unser Herz berührt“, schrieb die New York Times über „Next To Normal“. Dabei war das Musical von Tom Kitt und Brian Yorkey zunächst ein ungeliebtes Kind in der Glitzermetropole. Man verbannte das Stück über die bipolare Störung einer Mutter für zehn Jahre ins Off-. Dann kamen drei Tony Awards und der Pulitzer Preis. Nun kommt „Next To Normal“ in der deutschen Übersetzung und der Regie von Titus Hoffmann nach Österreich.

Von 26. April bis 1. Mai ist Musicalstar Pia Douwes im Wiener Museumsquartier als die mit ihren Depressionen kämpfende Diana Goodman zu sehen. „Next To Normal“ zeigt berührend und realistisch, welche Auswirkungen die Krankheit auf einen selbst und die Angehörigen hat; Diana schwankt zwischen ihrem Trauma und allen erdenklichen Therapien, und ihre Familie droht daran zu zerbrechen … Der Kartenvorverkauf hat begonnen. Pia Douwes im Gespräch:

MM: „Next To Normal“ ist nicht das, woran man denkt, wenn man Musical denkt. Es ist ein Familiendrama, das Thema ist psychische Störung, die Geschichte einer depressiven Erkrankung. Doch dieses Musical ist höchst erfolgreich. Warum funktioniert das?

Pia Douwes: Meistens werden „Stars“ von Kaiserin Elisabeth bis Marilyn Monroe in ihrem Leid, in ihrem Gefangensein im goldenen Käfig gezeigt. Die Folgen ihrer psychischen Erkrankungen werden in diesen Musicals aber nicht gezeigt, die Krankheit wird mystifiziert, diese Frauen müssen alle larger than life sein. Das hier aber ist die Geschichte von Diana Goodman, einer durchschnittlichen Mutter in einer normalen Familie, und wir sehen ihr dabei zu, wie ihre Emotionen und ihr Geist entgleisen. Das Stück ist aus dem Leben gegriffen, es ist zeitgemäß, das ist seine Stärke. Die Botschaft ist, psychische Krankheit kann jedem passieren. Jeder zweite von uns hat schon mal mit Depressionen gekämpft oder leidet aktuell daran. Und warum ist das so? Weil wir den Druck unseres Umfelds spüren. Wir müssen immer schneller immer mehr machen. Zum Glück ist Depression kein Tabuthema mehr, man redet darüber. Wie toll ist es also, das auch einmal in einem Musical zu thematisieren? Es ist aber kein Stück, das nur tieftraurig oder nur sarkastisch ist, es hat auch eine gute Portion Humor, eine Tragikomik, eine Verwandtschaft zum Wiener Schmäh. Deshalb passt es so gut hierher, in die Heimatstadt der Psychoanalyse.

MM: Wie war Ihre Entscheidung bei diesem Projekt mitzumachen?

Douwes: Ich habe das Stück in New York gesehen und war völlig überrascht, was es mit mir gemacht hat. Es gibt Momente, wo man denkt: Wow! Man geht aber nicht schwer raus, man ist lebendig, man ist aufgewühlt, man denkt nach über Dinge, aber man hat auch Hoffnung. Eine Spur Hoffnung. Ich fühle mich dem Projekt verbunden, weil ich das alles nur zu gut kenne. Ich weiß, was Depressionen mit einem selber und mit der Umwelt machen. Auch ich musste mit Depressionen klarkommen, ich hatte eine schwierige Zeit, aber jetzt kann ich gut damit umgehen. Deshalb kann ich dieses Stück auch spielen: Weil ich dem Thema nahe bin und weil ich mittlerweile Abstand dazu habe.

MM: Jeder Mensch kennt das: Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. Wann ist das nur noch „next to“ normal?

Douwes: Was ist schon normal? Eigentlich ist alles next to normal, denn wir alle kämpfen mit Situationen, die uns einengen und bedrängen. Wenn ich denke, wie viel mehr Ruhe und Zeit für mich ich vor zwanzig Jahren hatte … Jetzt muss ich dran bleiben, ich habe das Gefühl, dass ich dauernd irgendetwas hinterher renne. Man muss viel mehr als früher „im Einsatz sein“, damit einen das Leben nicht überholt. Das kann dazu führen, dass es einem geht wie Diana im Stück. Ich glaube, mit dieser neuen Art, wie das Leben ist, mit dieser neuen Zeit, muss man sich auseinandersetzen.

MM: Deutschsprachige Erstaufführung ist so gut wie Uraufführung in den USA, Sie konnten die Rolle der Diana also völlig neu gestalten. Wie haben Sie sich ihr genähert? Was wollten Sie ihr geben?

Douwes: Diana ist eine Riesenherausforderung, weil sie alles erlebt, alle nur erdenklichen Formen medizinischer Behandlung, Verständnis und Unverständnis in ihrer Familie, Angst und alle möglichen anderen Emotionen. Ich dachte mir: Wie kann ich so etwas darstellen? Ich habe viel gelesen über Psychosen, über Behandlungen. Ich habe in meiner depressiven Phase selber viele Therapien gemacht. Die Krankheit liegt bei uns in der Familie, meine Großmutter und ihr Großvater waren manisch-depressiv, wir kennen das also, und so konnte ich mich in die Figur gut einfühlen. Ich habe mich sehr intensiv mit dem Übersetzer und Regisseur Titus Hoffmann unterhalten. Wir haben viel darüber geredet, was diese Krankheit mit einem macht, was sie mit mir, Pia, machte. Ich habe gute Freunde, die sich deshalb das Leben genommen haben. Die hatten Karriere, Familie, alles – von außen betrachtet. Auch mit diesem Sterben musste ich mich auseinandersetzen. Ich verstehe aber nicht nur die Tragik, sondern auch den Humor im Stück, wenn man sich denkt, wie bescheuert ist das, das man nichts mehr auf die Reihe kriegt.

MM: Ist eine bipolare Störung wie ein Kontrollverlust? Schaut man sich von außen zu und denkt: Warum bin ich gerade so und kann nicht anders sein? Was weiß ich – fröhlich, ausgeglichen?

Douwes: Meine Erfahrung ist, dass es wie eine Spirale ist, die nach unten geht, und man hat das Gefühl, dass man nicht mehr hochklettern kann. Man wird sehr passiv. Ich kann mich an Zeiten erinnern, da habe ich meine Arbeit super gemacht, da wusste im Theater niemand, wie es mir geht, aber zu Hause saß ich im Schlafrock herum, habe nicht mehr gegessen … Ich hatte nur die Disziplin, abends auf die Bühne zu steigen. Die Arbeit war meine Rettung, ich habe mich ausgelebt in der Show. Die beste Beschreibung für Depressionen ist im Buch „Eat Pray Love“, wenn Elizabeth Gilbert schreibt, wie ihr die Depression ins Ohr hauchte, während die Einsamkeit ihre Hand hielt und nicht mehr losließ. Zwischen diesen beiden Gefühlen steht man. Sie beeinflussen einen so, dass man nicht mehr funktioniert. Dann gibt es die Tage, wo man denkt: Es geht mir soo gut! Und dann passiert eine Situation, mit der man nicht umgehen kann, die man nicht kontrollieren kann, und man denkt, das Leben ist furchtbar. In zehn Minuten kannst du von ganz oben ganz unten sein.

MM: Was tut man dagegen?

Douwes: Etwas, das kein Hirn braucht. Aufräumen, Wäsche waschen. Wenn der Kopf leer ist, sind auch die negativen Gedanken weg. Hauptsache, beschäftigt.

MM: Diana steht zwischen drei Männern: Ihrem Arzt, der sie mit Elektrokrampftherapie quält, das ist wie „Einer flog über das Kuckucksnest“, ihrem Ehemann und ihrem Sohn …

Douwes: Der Sohn versucht, sie auf seine Seite zu ziehen, der Mann versucht, sie zu retten, der Arzt versucht, sie zu heilen. Das sind drei Kräfte, die an ihr zerren, drei Energien, die sie manipulieren. Deshalb trifft sie zum Schluss eine Entscheidung, die nur für sie richtig ist. Wodurch das Publikum auch eine gewisse realistische Hoffnung bekommt. Das Ende ist nicht schwer, das Ende ist sehr leicht. Das letzte Lied heißt auch „Licht“.

MM: Das ist interessant. Ich wollte nämlich fragen: Es gibt kein Happy End, wie wollen Sie das dem Publikum erklären?

Douwes: Für mich endet das Stück wie das Leben. Haben wir jedes Jahr ein Happy End? Es geht immer weiter, ja, mit gewissen Wendungen und in bestimmte Richtungen. Aber Happy End? Ein Ende muss neue Türen öffnen – und das Ende von „Next To Normal“ öffnet neue Türen für alle. Wenn man dafür offen ist.

MM: Sprechen wir über die Musik: Es gibt sechs Solisten und sechs Musiker. Sie sind auch einer des anderen Chor. Das stelle ich mir sehr herausfordernd vor. Sie singen eigentlich ununterbrochen?

Douwes: Das ist ja das Großartige. Es gibt schöne Solos und wirklich komplizierte Chorsätze. Die Musik ist, wie Sie sagen, sehr herausfordernd, manchmal „in your face“, mit ziemlich harten Texten. Wenn Diana ihrem Mann zu erklären versucht, was in ihr umgeht, ist das keine große Herzschmerzballade, sondern ein Rocksong. Die Musik ist sehr zugänglich, aber manchmal ändert sie sich total unerwartet, agiert sozusagen gegen die gezeigten Emotionen. Das finde ich toll daran. Die Musik ist Rock, Pop, County, mit stilistischen Einflüssen von Billy Joel bis Bruce Springsteen.

MM: Wird das das Musical sein, das mit all unseren Seh- und Hörgewohnheiten bricht?

Douwes: Es gibt verschiedene Musicals, die das schon machen, aber ich denke, das hier ist etwas besonderes. Es gibt weder den typischen Bombastsound, sondern es spielt eine Band, noch ein großes Bühnenbild, sondern eine Art Stahlgerüst und ein paar Requisiten. Man kann sich als Darsteller auch nicht verstecken hinter einem Kostüm oder einer Maske. Dadurch wird das Stück noch klarer. Statt Bombast gibt’s wie gesagt Wiener Schmäh.

MM: Apropos, Sie genießen nach wie vor Ihre Stippvisiten in Wien?

Douwes: Ja, das habe ich wirklich mit ganz wenigen Städten, aber in Wien habe ich das: Ich fahre vom Flughafen rein und denke mir: So, ich bin wieder zu Hause. Ich habe mehr als zehn Jahre hier gewohnt, ich habe diese Stadt schon vor 25 Jahren erlebt, also fast ein ganzes Leben. Ich genieße es hier zu sein, und ich genieße, wie Wien sich verändert.

MM: Zum besseren, versteht sich.

Douwes: Haha, die Suggestivfrage. Ich finde, Wien hat sich geöffnet. Wien hat Tradition, das mögen die Holländer sonst nicht so, aber ich mag das, aber Wien ist zugänglicher geworden. Auch touristischer, aber genauso empfänglicher für andere Einflüsse. Der Wiener kann ja prinzipiell sehr gut mit sich allein auskommen, ohne „Fremde“, doch nun habe ich das Gefühl, die Stadt ist heller geworden – irgendwie.

MM: Für alle Pia-Fans, die die Zeit bis Ende April überbrücken müssen, gibt es …

Douwes:  … das traditionelle Weihnachtskonzert mit Uwe Kröger, „A Merry Musical Xmas“ am 14. Dezember in der Wiener Stadthalle. Und ich arbeite gerade an einem Buch, „Augen.Blicke aus dem Barock“, das im Februar erscheinen wird.

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Wien, 2. 12. 2015