Burgtheater: Dies Irae – Tag des Zorns

Dezember 20, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Pulp Fiction Apocalypse

Vor der Apokalypse ist postapokalyptisch: Markus Meyer, Elma Stefanía Ágústsdóttir und Florian Teichtmeister. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Dies ist die Geschichte von einem Mann, der aus dem 50. Stock von einem Hochhaus fällt. Und während er fällt, wiederholt er, wie um sich zu beruhigen, immer wieder: ‚Bis hierher lief’s ganz gut, bis hierher lief’s ganz gut, jusqu’ici tout va bien, so far so good …“ So beginnt der französische Spielfilm „La Haine“ von Mathieu Kassovitz, so begann gestern die Endzeit-Oper „Dies Irae – Tag des Zorns“ am Burgtheater. Felix Rech, brillant als Pentheus in den „Bakchen“ (Rezension:

www.mottingers-meinung.at/?p=34408), saust entlang einer Fensterfassade steil bergab und zählt die Sekunden bis zu seinem Aufschlag, sein Gesichtsausdruck dabei gelassen, denn wie gesagt … Der Sturzflug des Schauspielers via Vidiwall ist nur einer der Wow-schau!-Effekte, den die Materialschlacht zum Thema Weltuntergang in knackigen zwei Stunden zeigt.

Kay Voges, designierter Volkstheaterdirektor, der sich mit dieser Arbeit erstmals dem Wiener Publikum präsentiert, Komponist und Tastenvirtuose Paul Wallfisch, Volkstheater-Voges‘ zukünftiges musikalisches Mastermind, und Dramaturg Alexander Kerlin sind angetreten, um der Eschatologie das von ihr erzeugte Entsetzen wie einen maroden Zahn zu ziehen. Dies mittels einer Pulp Fiction Apocalypse. Als würde der Sterbensschreck grundlos überbewertet, als wäre der Totentanz ein Rock’n’Roll samt Sex & Drugs, und auch Rech darf später, statt auf dem Erdboden sein Ende zu finden, mit Andrea Wenzl Liebe machen, und zwischen diesen Bezugspunkten kleiner Tod, Todestrieb, Todesangst changiert der ganze Abend.

Honi soit, der angesichts dieser Uraufführung denkt, Hausherr Martin Kušej klammere sich einmal mehr an sein Konzept vom männlich-martialisch-dunkelmetallischen Maschinentheater, wiewohl die Bühne von Daniel Roskamp derlei Bildern ähnelt. Anarchie, Kakophonie, das Chaos der Schöpfung sind bei dieser freien Assoziation Programm. Vom Labyrinth der Schauplätze, das über schmale Treppen und Durchgänge ins Innere eines Flugzeugrumpfes, einen Operationssaal, einen Love-Room und ein mit Zivilisationsresten zugemülltes Schlachtfeld reicht. Vom Samplen von Klassik, Rock und Pop, Schubert, Strauss, Britten, Prince – bis zu Carole Kings „I Feel the Earth Move“ als einer Art Leitmotiv.

Katharina Pichler und Mavie Hörbiger. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Felix Rech und Andrea Wenzl. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Felix Rech fällt und fällt und … Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Mit Zitaten von – selbstverständlich und mit Quellenangabe versehen – der Offenbarung des Johannes und des Buchs Hesekiel über Friedrich Nietzsche und Karl Kraus bis Kassandra und Greta Thunberg – Sinnsprüche unzähliger Weltuntergangspropheten entlarvt, ernstgenommen, als Erheiterung gedacht. Die „Rede des toten Christus“ von Jean Paul gibt dem Nihilismusgedanken gehörig Zunder, Hugo von Hofmannsthals „Die Zeit ist ein sonderbar Ding“ aus dem Rosenkavalier passt auch perfekt, all die gesungenen und gesprochenen Brocken aus dem literarischen Steinbruch. Erzählt werden keine einzelnen Geschichten, vorhanden sind weder Plot noch Protagonisten, vielmehr ereignet sich ein Knäuel an Dramen gleichzeitig. Kaleidoskopisch dreht sich ein Panoptikum, dreht sich die Bühne, Voges‘ und Wallfischs Doomsday-Loop gilt für alles und jeden. Man wolle, so Voges im Programmheft, so den „Moment vor dem Ende“ porträtieren, ohne dass der Moment selbst ein Ende finde. Mission accomplished!

Florian Teichtmeister kündigt als Flugkapitän der Air Mageddon den Flight to Gomorra an, schaltet dann allerdings auf Autopilot, um über Gottes Willen zu sinnieren, ergo: Panik bei Passagierin Dörte Lyssewski, nicht nur, weil etliche Mitreisende auf rätselhafte Weise spurlos verschwunden sind, siehe Stephen Kings „Langoliers“, sondern auch, weil die Maschine dabei ist, abzuschmieren. In einer Absteige namens Eden/Ende jagt ein Höhepunkt den nächsten, Live-Koitus mit Darstellern aus der heimischen Sex-Positive-Szene war vor der Premiere ja vollmundig angekündigt worden und natürlich kein Aufreger, und sind Wenzl und Resch wie Romeo und Julia Akt I, so Barbara Petritsch und Martin Schwab dieselben Akt V.

Er auf dem Sterbebett sehnlichst auf eine komödiantische, keinesfalls bitte tragödische Erlösung wartend, sie immer noch unterwegs mit Brautkranz, beide sich ihrem Ende entgegen neigend. Exitus ist, wenn man trotzdem lacht. Markus Meyer macht einen versifften Hotelpagen-Riff-Raff, Sopranistin Kaoko Amano singt, dem Aussehen nach eine yūrei aus der Edo jidai, zum Steinerweichen schön, Elma Stefanía Ágústsdóttir, schon in der „Edda“ ein Gesamtkunstwerk (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=35418), ist eine weitere von Voges‘ stolz-aufrechten Frauengestalten und schreitet als solche bedeutungsschwanger wispernd die Spielflächen ab. Mavie Hörbiger und Katharina Pichler agieren als untote Wladimir und Estragon, die ihr Warten auf … wiedergängerisch treppauf, treppab staksen lässt.

Runa Schymanski, Markus Meyer, Elma Stefanía Ágústsdóttir, Felix Rech und Andrea Wenzl. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Martin Schwab, Barbara Petritsch, Elma Stefanía Ágústsdóttir und Felix Rech. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Materialschlacht auf dem Gräberfeld: Kaoko Amano, Andrea Wenzl und Felix Rech. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Runa Schymanski, Elma Stefanía Ágústsdóttir und Yana Ermilova. Bild: Matthias Horn/Burgtheater

Die beiden haben den besten, weil clownesken Part, jedenfalls das großartigste Zwiegespräch: „Letzte Nacht bin ich dem Heiland begegnet.“ – „Und was hat er gesagt?“ – „Nichts.“ – „Immerhin.“ Wie aus dem Zauberfüllhorn träufeln Voges und Wallfisch immer wieder Neues, Skurriles, Albtraumhaftes in die Augen und Ohren des Publikums, ihr Multimediaspektakel gleichsam ein Absurdes Theater, in dem die Melancholia die Euphoria, erstere nach Lars von Trier, zweitere laut Sam Levinson, umarmt, die Live-Musik von Wallfisch, Percussionist Larry Mullins aka Toby Dammit und Violinist Simon Goff ein ebenso wichtiger Kitt der Collage, wie die Video-Art von Robi Voigt und die Video- und Lichtgestaltung von Voxi Bärenklau und die Castorf’schen Live-Kameras, heißt: innen spielen, nach außen projizieren – ein Teamwork, das dem A und Ω immerhin etwas Burlesque verleiht.

Führt doch der Weg die Figuren weder Richtung Himmel noch Hölle, sie stolpern vielmehr die Möbiusschleife entlang oder stecken zum Schluss wie Happy-Days-Winnie im Dreckshügel fest. Die Wenzl muss lautstark gebären, Lyssewski trägt als Schwarze Witwe den Seherinnen-Monolog aus der Orestie vor, Weihrauchduft wabert durch den Saal, es gibt Krieg und ein eigentlich längst postapokalyptisches Gräberfeld, Hesekiel 37, 1-14, in dem Runa Schymanski mit Space-Odyssey-Affenmaske nach Knochen wühlt, und die einzig weißgewandete Ágústsdóttir unter den von Mona Ulrich krähenschwarz Eingekleideten lädt zur Black Mass. Teichtmeister fragt via Leinwand den Vater nach dessen Verbleib, Schwab lebt Castellucci-gleich ab, Rech, von der Schubumkehr erfasst, fliegt nun hinan. Ob sich so das Volkstheater füllen lässt?

Fazit: „Dies Irae“ ist mehr Ausstattungs- als Sonstwas-Oper, Schauwert schlägt Story, weshalb sich Sinnsucher sinnlos im Hightech-Dickicht verirren. Die Technikabteilungen des Burgtheaters liefern eine Leistungsschau vom Feinsten, sie halten das Perpetuum mobile gekonnt in Bewegung, und aus dem Off kommt „Was ist los?“ – „Das Ende kommt.“ – „Das Ende?“ – „Vermutlich.“ Und wenn sie nicht gestorben sind, querverweisen sie noch heute.

www.burgtheater.at

  1. 12. 2019

mumok – Nikita Kadan: Project of Ruins

Juni 27, 2019 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein Ukrainer stößt die Sowjetkunst vom Sockel

Nikita Kadan: Victory (White Shelf), 2017. Courtesy: Nikita Kadan / Transit Gallery, Mechelen / GRAD Gallery, London. Bild: Natalia Tarasova, © Nikita Kadan

Ab heute zeigt das mumok Arbeiten des ukrainischen Künstlers, Autors und politischen Aktivisten Nikita Kadan. Kadan, geboren 1982, setzt sich in seiner Arbeit mit den gesellschaftspolitischen Entwicklungen in seiner Heimat auseinander. Dabei erweist er sich in seinen Installationen, Objekten, Zeichnungen und Videos als kritischer Beobachter und Interpret sowohl der Umbrüche als auch der Zusammenhänge zwischen kommunistischer Vergangenheit und neoliberaler Gegenwart.

Im Zentrum der Ausstellung „Project of Ruins“ steht seine Auseinandersetzung mit der Rolle avantgardistischer Kunst in der Ukraine während der Sowjetzeit und deren gegenwärtige Bedeutung und Rezeption. Kadan lässt statuenlose Sockel wie gebirgsartige Formationen bis unter die Decke des Schauraums ragen. Er formt in seiner Installation im mumok die heldenbestückten Sockelskulpturen aus der Sowjetzeit in skulpturale Sockel ohne Helden um und verdeutlicht damit die Verdrängung des politischen Erbes in der Ukraine anhand der Zerstörung kommunistischer Denkmäler.

Der Ausstellungstitel verweist auf diese gezielte Vernichtung als politisches Projekt und lässt sich ebenso auf die künstlerische Thematisierung dieser Entwicklung beziehen. Die nach dem Ende der Sowjetunion einsetzende und seit 2015 durch die Dekommunisierung staatlich sanktionierte Denkmalzerstörung ist im Zusammenhang mit der russischen Aggression auf der Krim und in der Ostukraine zu sehen. Dort werden von prorussischen Kräften ukrainische Denkmäler eliminiert, um die nationale Identität des Landes zu unterminieren. Der Krieg zwischen der Ukraine und Russland vollzieht sich auch auf der symbolischen Ebene mit brachialer Härte, er verdunkelt nicht nur die Gegenwart, sondern droht auch die historische Realität zu überschatten.

Denn der Blick zurück ist mit einer undifferenzierten Verurteilung der kommunistischen Vergangenheit als Synonym für die sowjetische Diktatur verbunden. Diese Blickverengung auf die Geschichte sowie die naive Glorifizierung der Gegenwart stellt Kadan mit seiner künstlerischen und agitatorischen Arbeit zur Diskussion. Er erinnert nicht nur an die sowjetkritischen und antistalinistischen Aspekte innerhalb des historischen Kommunismus, sondern auch an die avantgardistischen Facetten jener propagandistischen Monumente, die nun von Zerstörung bedroht sind.

Ausstellungsansicht Project of Ruins – Nikita Kadan: The Broken Pole II, 2019. Bild: Klaus Pichler, © mumok

Ausstellungsansicht Project of Ruins – Nikita Kadan: The Broken Pole I, 2019. Bild: Klaus Pichler, © mumok

Um die Bedeutung der ukrainischen Avantgarde innerhalb der konstruktivistischen Moderne hervorzukehren, bezieht sich Kadan auf zwei historische Leitfiguren: Ivan Kavaleridze und Vasyl Yermilov. Während Kavaleridze sowohl als Autor und Regisseur im filmischen Bereich wie auch als Schöpfer monumentaler Propagandaskulpturen in der Ukraine bekannt wurde, gilt Yermilov als Zentralfigur des ukrainischen Konstruktivismus und als Mitbegründer einer dem deutschen Bauhaus vergleichbaren Künstlerwerkstatt. Werke beider Künstler werden von Kadan zitiert und transformiert: von Kavaleridzes Monumenten, die zum Teil ohnehin schon von den Nazis und den Stalinisten demoliert wurden, reproduziert er raumhohe Sockel, lässt aber die Figuren weg. Ein Revolutionsdenkmal Yermilovs arbeitet er in eine Skulptur um, die statt der einstigen buntfarbigen Politsymbole einem düsteren Kriegsrelikt aus jüngster Zeit als Postament dient.

Kadans Umdeutung von Monumenten kommt einem Denkmalsturz gleich, der gegen die Verdrängung der Geschichte gerichtet ist und zugleich den Bezug zur Gegenwart herstellt. In ihr verbindet sich die Simplifizierung und Instrumentalisierung von Geschichte mit einem neoliberalen Profitstreben, das der weiteren Entsolidarisierung und Fragmentierung innerhalb der Gesellschaft Vorschub leistet. Neben der russischen Bedrohung ist das soziale Vakuum, das im Postkommunismus entstanden ist, jener Nährboden, den Kadan als Katalysator nationalistischer Vergangenheitsverklärung ausmacht und thematisiert.

Postkarte vom Denkmal für Taras Shevchenko in Poltawa, Ukraine, 1925. Bild: © Boris Tristan, 1957.

Ausstellungsansicht Project of Ruins – Nikita Kadan: The Red Mountains, 2019. Sockelrekonstruktion vom Taras Schewtschenko Denkmal, Poltawa, Ukraine, 1925. Bild: Klaus Pichler, © mumok

Nikita Kadan ist Mitglied der Künstlergruppe R.E.P./Revolutionary Experimental Space sowie Mitbegründer des Künstlerkomitees und der Aktivistengruppe Hudrada. Als kunstpolitischer Aktivist arbeitet er auch mit Architekten, Soziologen und Menschenrechtsaktivisten zusammen.

Video:

 

www.mumok.at

27. 6. 2019