Teatrul Naţional Radu Stanca Sibiu zeigt Thomas Perle

Oktober 24, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

 „LIVE“: Digitales Theater zum Zustand Europas

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

„Identitätshinterfragung und mediale Manipulation“ nennt der in Wien lebende rumäniendeutsche Autor Thomas Perle (Rezension seines Stücks „mutterseele“: www.mottingers-meinung.at/?p=24193, „karpatenflecken“ wird im Dezember am Burgtheater zu sehen sein), „Identitäts- hinterfragung und mediale Manipulation“ also nennt Perle die Grundideen seines aktuellen Projektes „LIVE“.

Wie manifestiert sich Wahrheit im Internet? Wie funktioniert ebendort die Beeinflussung? Perle lässt in seinem Text die Grenzen zwischen der viel beschworenen neuen Realität und der Fiktion verschwimmen – und hat mit Bobi Pricop am Teatrul Naţional Radu Stanca im rumänischen Sibiu einen Regisseur gefunden, der es ihm gleichtut. „LIVE“ ist ein Medienhybrid, ein Theaterstück von cineastischer Ästhetik, konzipiert für den digitalen Raum. Fünf Episoden, in denen aktuelle europäische soziologische Themen beleuchtet werden, ein Abend, der auf der Bühne für eine begrenzte Anzahl von Zuschauern stattfindet und gleichzeitig per Online-System einem Publikum im Netz zugänglich gemacht wird.

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

Womit man auch von Österreich aus dabei sein kann. Gespielt wird in deutscher und rumänischer Sprache, mit den jeweils gegenteiligen und englischsprachigen Untertiteln. Die Schauspielerinnen und Schauspieler Johanna Adam, Yannick Becker, Emőke Boldizsár, Daniel Bucher, Anca Cipariu, Fabiola Petri, Daniel Plier, Valentin Späth und Ali Deac erzählen in den fünf Szenen Geschichten, die in enger Verbindung mit ihren persönlichen stehen. „Die in der Show beschriebenen Charaktere und Situationen spiegeln die Gedanken und Anliegen des gesamten Teams wider“, so Bobi Pricop über sein Work-in-Progress.

Und so ist man dabei, wenn eine aufgelöste Spielplatzmutti durch die nächtlichen Straßen irrt. Ihre Tochter wäre von einem Jungen belästigt worden, aber das sei doch kein Grund, dass dessen Mutter ihn bei Beschwerde so verprügle. Die zugeschalteten Kommentare reichen vom empörten „Leute, was passiert da mit uns?“ bis zum „Verkaufe Kinderbettwäsche“ … und Bildstörung … Beim einem Online-Spiel wird sich über Grenzen hinweggesetzt, nicht nur Landes-, sondern auch die von „Kill ihn! Schick‘ mir Kristalle! Benutze den Schild!“ Bis die Kombattanten im virtuellen Raum ihr wahres Ich erkennen, und eine zarte Love Story beginnt.

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

#Corona-Theater im besten Sinne ist es, was hier geboten wird, in rotes Licht getauchte Kamerafahrten zeigen eine auf vier Kojen unterteilte Bühne, in denen je ein Darsteller, eine Darstellerin samt Technik-Team sitzt. Bei perfektem physical distancing wird per Laptop und Handy interagiert. „Ausgehend von unserer Frage nach Identität in der Krise kam die wirkliche Krise in Form der noch andauernden Pandemie“, kommentiert Perle das Gezeigte.

Eindrücklich ist derart ein Online-Bewerbungsgespräch, Fabiola Petri  und Daniel Plier, in dem sich eine multilinguale, rumänische IT-Spezialistin bei einem offenbar deutschen Jobvermittler vorstellt. Der der hochqualifizierten Frau mit überheblichen Sätzen wie „Es ist nichts Schlimmes daran, das Berufsfeld zu wechseln“ oder „Das sind nun einmal die Stellen für Menschen aus Ihrem Land“ Arbeit als Erntehelferin oder in der Pflege anbietet. Eine Diskussion, die sie „erschöpft, leer und sich wertlos fühlend“ beendet.

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

Oder jenes Handy-Telefonat eines deutschen Chirurgen, Ali Deac, mit einer in Rumänien lebenden Mutter, ihr Sohn sei am Arbeitsplatz verunfallt und schwerstverletzt und sie müsse 900 € für die Kosten seiner medizinischen Behandlung überweisen. Lange lässt die Frau mit den schreckgeweiteten Augen auf sich einreden, bis sie fragt: „Und das ist kein Betrug …?“ Deutlicher und un/menschlicher als an diesen beiden Beispielen lässt sich das West-Ost-Gefälle innerhalb der EU, dieses seit 2007 unveränderte Zentrum-Peripherie-Modell kaum erklären.

Dies sei, sagt Pricop, eine Zeit „in der alles möglich und glaubwürdig ist, solange es gelingt, eine emotionale Verbindung zu unseren Schwachstellen, Veranlagungen oder Erwartungen herzustellen“. Und lässt das Ganze mit einer sarkastisch-heiteren Episode enden: Schauspieler Daniel Bucher als Journalist von „Guerilla Investigation“ auf der Suche nach jenem schwulen Priester, dem man in einem geheimen Kloster einem Folter-Exorzismus unterzogen haben soll.

LIVE: Screenshot / Teatrul Naţional Radu Stanca

Eine Schnitzeljagd mit jeder Menge Anrainer-Befragung, Bildern eines Mercedes fahrenden Klerus‘, neue Kirchen, kaputte Straßen, Schafe inmitten von Solarpaneelen und des Reporters Erkenntnis: „Um ehrlich zu sein, habe ich mir Rumänien ganz anders vorgestellt …“ Herrlich!

www.tnrs.ro/home

24. 10. 2020

National Theatre online: Frankenstein

Mai 3, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Benedict Cumberbatch brilliert als Monster wie Victor

Benedict Cumberbatch und Jonny Lee Miller spielen alternierend das Monster und dessen Schöpfer Victor Frankenstein. Bild: Clare Nicholson

Etwas wahrhaft Einmaliges bietet das Londoner National Theatre nun im kostenlosen Stream an: Mary Shelleys „Frankenstein“, für die Bühne adaptiert von Nick Dean, inszeniert vom als Filmemacher bekannten Danny Boyle – mit Superstar Benedict Cumberbatch und Boyles „Trainspotting“- Longtime-Companion Jonny Lee Miller in den Hauptrollen. Und dies alternierend! Zu sehen bis 8. Mai auf ntlive.nationaltheatre.org.uk.

Die Inszenierung ist mit einem Wort brillant. Boyle und Dean konzentrieren sich auf das Opfer der Wissenschaft, heißt: das „Monster“, erst nach mehr als der Hälfte der zweistündigen Spielzeit hat Victor Frankenstein seinen Auftritt, und entstanden ist so ein intensiver, intelligenter, von humanistischem Denken durchtränkter Abend. Eigentlich zwei, denn es lohnt, beide Versionen anzuschauen, da beide Darsteller doch differente Auffassungen der Schöpfung und ihres obsessiven Schöpfers verkörpern. Ihre Performances zu vergleichen, ist ein unvergleichliches Theatervergnügen.

Durch die schauspielerische Dopplung wird die Charakterspiegelung umso deutlicher, wird einer umso deutlicher des anderen Alter Ego, sehr heutig mutet diese Furcht vor dem Fremden und dem Unverständlichen an, auf das ergo Jagd gemacht werden muss, aber auch Mary Shelleys Aufbegehren gegen ungerechte sozial-gesellschaftliche Strukturen findet seinen modernen Widerhall. Wer jedoch, to cut a long story short, nur für eine Aufführung Zeit findet, sollte Miller als Kreatur und Cumberbatch als Victor wählen.

Das Setting, das Ausstatter Mark Tildesley und Lichtdesigner Bruno Poet, nomen est omen, entworfen haben, ist atemberaubend. Unterm rotglimmenden und elektrische Blitze aussendenden Sternenzelt wird unter Schmerzen die Kreatur geboren, als künstliche Gebärmutter steht eine riesige Hautmembran auf der blutig beleuchteten Bühne, darin pulst und bewegt es sich, bis es herausfällt – das Neugeborene, ecce homo, nackt und erbarmungswürdig, zappelnd wie ein Fisch auf dem Trockenen.

Und der Schöpfer? Kein liebevoller Vater, sondern einer, der’s mit der Angst kriegt und seinen Schutzbefohlenen verstößt, direkt vor die Eisenbahn, auf deren dampfender Lokomotive Danny Boyles liebste Brit-Band Underworld, Karl Hyde und Rick Smith, nun angebraust kommt, als wär‘ das Industriezeitalter aller Laster Anfang. Mit „Dawn of Eden“ (www.youtube.com/watch?v=LLbbWlTgS4w) untermalt diese musikalisch, wie die Kreatur aufsteht, herumstolpert, sich an der Natur erfreut und ihr ausgeliefert ist, der eigenen wie Spatzenschwarm und Regenguss, verprügelt und halb verhungert, bis sie ein Buch findet, 〈Mary Shelleys?〉, und kichernd die Seiten rascheln lässt.

Miller wie Cumberbatch leisten körperliche Schwerstarbeit, die Performance aus sabberndem Grunzen und spastischen Gesten im Bildschirm-Closeup in ihren feinsten Nuancen zu würdigen, sehr symbolisch ist, was passiert – und in cineastischem Sinne sinnlich. Cumberbatchs Kreatur besitzt Humor wie Pathos: Sein Eintritt in die Welt ist ein hilfloses Hineinwackeln ins Land kindlicher Neugier; unter De Laceys Fittichen wird er zum Schüler – Karl Johnsohn auch als verarmter, vom Großbürger zum Altbauern gewordener Blinder ein King Lear.

Und wunderbar tragikomisch ist, wie der Lehrmeister seines Pflegesohns „Piss off! Bugger off!- denn etwas anderes hatte der zuvor nie gehört -Wortschatz erweitert. „Someone will love you, whoever you are. Love can overcome prejudice“, sagt De Lacey, der des Monsters Zurichtung freilich nur ertasten kann, und dieses erwidert erstaunt: „What is love?“ Da hat das Live-Publikum gut lachen, bei den Dialogen zwischen dem zaghaften Erkunder seiner Existenz und dem Philosophen, der weniger an Gott, denn an Verstand und Vernunft glaubt.

Benedict Cumberbatch und Haydon Downing. Bild: Catherine Ashmore

Benedict Cumberbatch und Jonny Lee Miller. Bild: Catherine Ashmore

Naomie Harris und Benedict Cumberbatch. Bild: Catherine Ashmore

Episch ist’s, wie Cumberbatch John Miltons „Paradise Lost“ rezitiert, und ergreifend, wie er die Friedhofserde als seinen Ursprungsort erkennt, entsetzlich, als er empört über seine neuerliche Vertreibung durch De Laceys Sohn Keusche samt Bewohnern niederbrennt. „I sweep to my revenge,“ diesen Satz schreit auch Jonny Lee Miller, doch seine Kreatur ist ungleich animalischer, auf eine gewisse Art männlicher, also gefährlicher, die Stimme rauer, tiefer, lauter, also aggressiver. Dass das Monster an Ella Smiths „Gretel‘s“ Schoß schnüffelt, hatte man bei Cumberbatch gar nicht bemerkt, auch nicht, dass es der Dirne den Schnaps aus der Hand nimmt, trinkt, spuckt.

Und auch die Tanzillusion von Andreea Paduraru als Female Creature wird durch Millers Reaktion zum eindeutig sexuell konnotierten Traum. Dazu passt nun neckisch De Laceys „Was it a good dream?“ – „It was pleasing!“, doch grauenhaft klar wird erst bei diesem zweiten Mal Sehen, dass Eva hier bereits ihr Ende andeutet. Wirkt Cumberbatch wie ein naiv Wissbegieriger, so Miller als ein verzweifelt Suchender, wo der eine schüchtern nachhakt, muss der andere vehement widersprechen. Mit Miller mutet die Inszenierung insgesamt gewalttätiger an, gegen Miller ist das Cumberbatch-Monster ein Elegiebürscherl, welch ein Paradebeispiel dafür, wie ein Protagonist das große Ganze prägt.

Wenn Millers Monster Frankensteins kleinen Bruder William auf seine Schultern hebt, bangt man in der Minute um dessen Leben. Bei Cumberbatch gehört die Schuld dafür, da ja zum Mord getrieben, letztlich Victor. Und als die Kreatur Victors Braut vergewaltigt, bevor sie sie tötet, ist es, als würde sie lediglich die dunklen, unterdrückten Wünsche ihres Schöpfers erfüllen. Jonny Lee Miller ist ein obsessiv-eisiger Wissenschaftler, der sein Werk vor die Liebe stellt, denn auch er kennt deren wahre Bedeutung nicht, sein Frankenstein ganz Herrenmensch, selbstgerecht und frauenverachtend, nur George Harris als sein Vater ist noch herrischer als er.

Nach der Panik in der Anfangssequenz platzt er nun vor Stolz auf sein großes Experiment, dies Ausdruck seines großen Geistes, und wird von Cumberbatchs Kreatur darob als „genius“ verspottet. Auf Millers überraschtes „It speaks!“ schleudert diese ihm ihre tiefe Verachtung entgegen – warum sie gemacht wurde? „To prove that I could!“ – „So you make sport with my life?“ – „In the cause of science!“ Und wieder Paradise Lost, und Cumberbatch sagt: „God was proud of Adam, but it’s Satan I sympathize with.“ Wie aus der natürlichen Veranlagung zum Guten durch gesellschaftliche Deformation Böses entsteht, wow! Nick Dean!

Der in der Figur von Frankensteins Dauerverlobter Elizabeth auch Mary Shelleys feministischer Kritik an der männlichen Usurpation des Gottesbegriffs zu ihrem Recht verhilft. Millers Frankenstein, der Egomane mit dem Gottkomplex, wird also in dieser Auseinandersetzung dank des Monsters Logik an die Wand argumentiert, die Szene das Herzstück der Aufführung, da begegnen sich zwei Ebenbürtige auf Augenhöhe, sowohl was die Charaktere als auch deren Darsteller betrifft. Und über allem steht Danny Boyles Frage zu Deans von Glaubensfragen durchzogenem Text – nämlich, wer das Monster ist, wer abstoßend, wer ekelerregend.

Beider Hybris ist herausragend, was Wunder, dass sie einen Pakt schließen, was Wunder, dass einer des anderen darling – und beide Male ist sie Frankensteins Braut – killen wird. Mary Shelleys zweiten Romantitel „The Modern Prometheus“ bedient Cumberbatch, indem er aus diesem eine Lord-Byron’sche Figur macht. Sein Frankenstein ist ein nobleman mit jungenhaftem Charme, gleichzeitig ein in sich und seine wissenschaftlichen Theorien versponnener Forscher, subtiler im Gift und Galle Spucken, enthusiasmiert und hibbelig, sobald das neue Projekt der Leichenteil-Braut ansteht.

Benedict Cumberbatch. Bild: Catherine Ashmore

Naomie Harris und Jonny Lee Miller. Bild: Catherine Ashmore

Karl Johnson und Cumberbatch. Bild: Catherine Ashmore

Underworld mit Ensemble. Bild: Catherine Ashmore

In beiden Rollen verhalten sich die Proportionen Millers zu Cumberbatchs wie eine archaische Religion zur reformierten Kirche, ist Millers Monster verstörender und einen emotional angreifender, so Cumberbatchs Frankenstein ein Künstler. Schock und Spaß sitzen nun an anderer Stelle, die Schlüsselszene ist jetzt die Präsentation der weiblichen Kreatur, ob der der grüblerische Schöpfergott und sein entfesselter Satan rasch zu Rivalen im Wettstreit ums ewige Weib werden.

Der Januskopf im Auge-um-Auge-Kampf, da hat auch Cumberbatchs „Mein Herz schlägt wie deines“-Griff an Elizabeths Busen nichts Harmloses mehr, weil sich Miller danach in den Schritt greift. The Erbsünde-apple is eaten, um’s Denglisch zu formulieren, he will harm her, und fabelhaft ist, wie sich die Mit- auf vier verschiedene Hauptakteure eingelassen haben. Allen voran Naomie Harris als Elizabeth, die dem Monster als gute Christin mit Mitgefühl begegnet und dafür dessen Rechnung mit Frankenstein bezahlt, ihre Schändung zweifellos der affektive Höhepunkt in deren Ringen, sein zu wollen, wer man ist und wer einen daran hindert.

Harris verleiht Elizabeth große Tiefe und harmoniert mit Miller wie Cumberbatch hervorragend, keineswegs unterwürfig konfrontiert sie ihren Endlich!-Ehemann mit der Klage, warum er ein künstliches Kind, statt eines so sehnlich gewünschten mit ihr erschaffen hat, eine Szene voll aufgestauten Leids und Leidenschaften. Den düsteren leeren Raum mit seiner ahnungsvollen Atmosphäre durchbricht Boyle mit kleinen skurrilen Momenten, wie’s nur die Briten können.

Mark Armstrong als Rab und John Stahl als dessen Onkel Ewan sind kauzige Grabräuber, die beim Buddeln unbeschwert in originellem Orcadian-Dialekt schwatzen, darin Hamlets Totengräbern nicht unähnlich, ebenso wie Ella Smith sowohl als des Monsters Prostituierte Gretel als auch als Frankensteins Bedienstete Clarice eine Falstaff-Frau ist. Hayden Downing ist als William Typ wohlerzogener Spitzbub.

Fazit: Cumberbatch und Miller brillieren in allen Facetten von Wahnsinn, ist des ersteren Kreatur ein sensibler Intellektueller, überzeugt Miller mit Gefühl und Furor. Kann Cumberbatch auch das lächerlich Selbstverliebte in Frankenstein zum Vorschein bringen, so Miller dessen irritierende Skrupellosigkeit. Der Rollentausch hebt die Ironie des Gezeigten hervor, wie schnell sich in der Welt doch der Platz von Herr und Sklave drehen, und am Ende … bleiben beide für immer Verbundene. Hier im ewigen Eis. Eine Warnung für zartbesaitete Gemüter: Bei der Brautkammerszene wäre ich vor Schreck fast vom Stuhl gefallen. Und das zweimal, nein!, eigentlich: viermal.

Cumberbatch und Jonny Lee Miller. Bild: Catherine Ashmore

Cumberbatch und Jonny Lee Miller. Bild: Catherine Ashmore

Cumberbatch als Monster, bis 7. Mai: www.youtube.com/watch?v=tl8jxNrtceQ&feature=youtu.be

Cumberbatch als Victor Frankenstein, bis 8. Mai: www.youtube.com/watch?v=dI88grIRAnY&feature=youtu.be

www.nationaltheatre.org.uk           ntlive.nationaltheatre.org.uk

Trailer: www.youtube.com/watch?v=DmkQHV8e4Rk          www.youtube.com/watch?v=XKNNZKAu12g            www.youtube.com/watch?v=9NPlf4CEExU           www.youtube.com/watch?v=psAtbHDdaOU&t=23s

Benedict Cumberbatch, Jonny Lee Miller, Danny Boyle und Nick Dear im Gespräch: www.youtube.com/watch?v=wanlO8fb1co           www.youtube.com/watch?v=E67Ty4diDgE           www.youtube.com/watch?v=8yUMbxSTWqg

3.5. 2020

Opéra National de Paris: Calixto Bieitos „Carmen“ online

Mai 1, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Produktion kommt 2020/21 an die Staatsoper

Bild: © Vincent Pontet / OnP

Nicht nur die Wiener Staatsoper bietet derzeit Highlights aus dem Programm auf www.staatsoperlive.com zum kostenlosen Stream an, auch die Opéra National de Paris. Bis 3. Mai ist auf www.operadeparis.fr/magazine/carmen-replay die „Carmen“-Inszenierung von Regisseur Calixto Bieito zu sehen, die der designierte Staatsoperndirektor Bogdan Roščić zu Ostern 2021 nach Wien bringen will.

Am Pult Bertrand de Billy, es singen die Carmen – Elīna Garanča, den Don José – Roberto Alagna, die Micaëla – Maria Agresta und den Escamillo – Roberto Tagliavini. Mehr zu den Progamm-Plänen von Bogdan Roščić: www.mottingers-meinung.at/?p=39764           www.wiener-staatsoper.at

Bild: © Vincent Pontet / OnP

Bild: © Emilie Brouchon / OnP

Carmen-Trailer: www.youtube.com/watch?time_continue=47&v=zc-IOfWZhsU&feature=emb_logo           www.youtube.com/watch?v=t8kT9bS1R78           www.youtube.com/watch?v=wwXfJjqW_A4           www.youtube.com/watch?v=ROYGZort6oo            www.youtube.com/watch?v=DN5I7e9KtkQ           www.operadeparis.fr/magazine/souvenirs-de-scene-santoni

Calixto Bieito im Gespräch (fr/en): www.operadeparis.fr/magazine/liberer-carmen          www.operadeparis.fr/en/magazine/freeing-carmen           Die komplette Oper: www.operadeparis.fr/magazine/carmen-replay

1. 5. 2020

Wiener Festwochen: Trojan Women

Juni 17, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Helena als schöner junger Mann

Kim Kum-mi als Hekuba mit dem Chor: Lee Youn-joo, Kim Mi-jin, Heo Ae-sun, Seo Jung-kum, Min Eun-kyung, Na Yoon-young, Jung Mi-jung und Cho Yu-ah. Bild: National Theater of Korea

Mit einem fulminanten Schlusspunkt beenden die Wiener Festwochen ihre diesjährige Saison: Die National Changgeuk Company of Korea zeigt in der Regie von Ong Keng Sen „Trojan Women“ am Theater an der Wien. Die kühne Produktion erzählt Euripides‘ Drama mit den Mitteln des Pansori – eine traditionelle koreanische Kunstform, bei der ein epischer Gesang von einem Trommler begleitet wird – und mit musicalhaftem K-Pop.

Orientiert haben sich Texter Bae Sam-sik und die Komponisten Jung Jae-il sowie die legendäre Pansori-Sängerin Ahn Sook-sun, die in ihrer Heimat als „lebendiger nationaler Schatz“ gilt, an Sartres Interpretation des Troerinnen-Stoffs. Der französische Existenzialist verfasste sein Werk 1965 als heftige Anklage des Indochinakriegs, seine Landsleute als kolonialisierende, kriegstreibende Griechen, die Vietnamesen aus überfallene Troer, und so ist es nicht schwer, dies als Parabel auf den Imjin-Krieg zu lesen und auf die von den Japanern als „Trostfrauen“ verschleppten Koreanerinnen. Derlei Deutungen lässt Ong Keng Sens Inszenierung zu ohne mit dem Finger darauf zu verweisen, bleiben Bühnenbild und Kostüme doch, wiewohl an Altüberliefertes erinnernd, zeitlos – eine Art Tempel wird mit Videobildern von Meereswellen bis Wolkenhimmel bespielt. Die Musik und die Optik entwickeln jedenfalls einen gemeinsamen Sog, dem es unmöglich ist, sich zu entziehen. Zu Recht wurde die Aufführung am Ende mit Standing Ovations bedacht.

Guttural und ungewohnt heiser klingt das Singen der 15 Darstellerinnen und Darsteller. Allen voran überzeugen Kim Kum-mi als Hekabe, Kim Ji-sook als Andromache und Yi So-yeon als Kassandra. Komponist Jung Jae-il hat sich außerdem für den Chor eine Besonderheit einfallen lassen: Er fungiert neben dem aristokratischen Dreiergespann als deren Sklavinnen, die ihr Schicksal weit weniger beweinen als ihre Herrinnen, ändert sich doch für sie an der Hölle der Knechtschaft nichts.

Kim Kum-mi als Hekuba und Yi So-yeon als Kassandra. Bild: National Theater of Korea

Kim Ji-sook als Andromache und Lee Kwang-bok als Talthybios. Bild: National Theater of Korea

Nur drei Männer sind im Ensemble: Choi Ho-sung als Menelaos, Lee Kwang-bok als Talthybios – und Kim Jun-soo als nur von einem Klavier begleiteter Helena. Der koreanische Popstar, der in Seoul auch schon die Titelrolle im Vereinigte-Bühnen-Musical „Mozart!“ spielte, soll als androgynes Wesen die Fremdheit dieser schönsten Frau verkörpern, eine Übung, die dem jungen Singer/Songwriter makellos gelingt.

Herzstück der Aufführung ist somit auch die Auseinandersetzung Hekabe – Menelaos – Helena, in dem die gefangene Königin von Troja vom Spartaner-König verlangt, seine untreue Frau zu töten. Der aber, von ihrem Aussehen und ihrem Flehen um Gnade erneut betört, lässt sie unangetastet auf ein Schiff bringen. Für weitere starke Momente sorgt die Anrufung Apolls durch Kassandra, die ihr und aller anderen Sterben bereits voraussieht, und die stolze Trauer der Andromache, deren Säugling Astyanax von den Griechen ermordet wird, damit er nicht dereinst den Tod seines Vaters Hektor räche.

www.festwochen.at

  1. 6. 2018

Wiener Festwochen: Oameni obişnuiţi / Gewöhnliche Menschen

Juni 1, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein etwas langatmiges Antikorruptionskabarett

Die Whistleblowerin und ihre Widersacher: Marius Turdeanu, Ioan Paraschiv, Mariana Mihu, Florin Coşuleţ und Ofelia Popii. Bild: Sebastian Marcovici

Die Whistleblowerin und ihre Widersacher: Marius Turdeanu, Ioan Paraschiv, Mariana Mihu, Florin Coşuleţ und Ofelia Popii. Bild: Sebastian Marcovici

Die rumänische Regisseurin Gianina Cărbunariu und das Teatrul National Radu Stanca Sibiu zeigen bei den Wiener Festwochen ihre Arbeit „Oameni obişnuiţi / Gewöhnliche Menschen“. Whistleblower aus Großbritannien, Italien und Rumänien wurden für diese Produktion befragt, nicht Medienstars wie Snowden oder Assange, sondern Alltagshelden, in Workshops mit einem ersten Publikum der Text erarbeitet.

Doch was nun im Theater Akzent zu sehen ist, hat die theatrale Relevanz der PULS4-Show „Bist du deppert!“. In seinen besten Momenten wirkt der Abend wie ein etwas langatmig geratenes Antikorruptionskabarett. Was umso mehr schmerzt, als man Cărbunariu als „das Enfant terrible, den aufstrebenden Regiestar des rumänischen Theaters“ vorschussbelorbeerte.

Hier aber präsentiert sie zwei Stunden lang more of the same, zwar ein Psychogramm von Whistleblowern, aber deren Story ist eben immer die selbe: Aufdeckung, Verrat, Mobbing, Entlassung, schwere Erkrankung bis hin zu Krebs. Es ist, als würden einem all diese Don Quijotes von der Bühne herunter zuraunen: Freundchen, wenn du je in so eine Situation kommst, lass‘ bloß die Finger davon, Idealismus zahlt sich nicht aus. Dieser Eindruck relativiert sich erst, als in Videozuspielungen die tatsächlichen „Nestbeschmutzer und Kollegenschweine“ zu Wort kommen, starke Persönlichkeiten, die über ihr Nicht-Anders-Können angesichts der entdeckten Ungereimtheiten und Ungerechtigkeiten berichten, und die nach all ihren negativen Erfahrungen sicher und selbstbewusst in die Kamera sagen, jederzeit würden sie’s wieder so tun. Sie sind ihre besten Anwälte, und eigentlich hätte man lieber sie in einer Filmdoku als dieses Dokutheater gesehen. An dem fraglich bleibt, ob es überhaupt seinen eigenen Ansprüchen gerecht wird, wollte Cărbunariu doch den Fakt zur Fiktion überhöhen.

Dass ihr derlei nicht gelungen ist, ist auch der von ihr gewählten Spielweise geschuldet. Die Schauspieler agieren kaum miteinander, sondern adressieren lieber das Publikum. Die Zuschauer werden stellvertretend für die Mitspieler angesprochen, als bräuchte es einen Dritten um die Dialoge auszuführen, sie werden einbezogen, verschwörerisch um ihre Meinung befragt, doch weil da nichts zurückkommt, bleibt diese Art der Kommunikation eine Einbahnstraße. Und dass die Bühnenwand von Mihai Păcurar, ähnlich der von Anja Rabes in Jossi Wielers „Rechnitz“, alle Stückln spielen kann, ist allein nicht abendfüllend. So bleibt’s bei einer Aneinanderreihung gesagter Unsäglichkeiten; Cărbunariu lässt ihre Informationsveranstaltung zum Thema Whistleblowing auf keinen Kulminationspunkt zusteuern, und wie wichtig es auch sein mag, all diesen couragierten Aufdeckern Gehör zu schenken, die Skandale von Altenpflege bis Autobahnbau, von Spitalswesen bis origineller Spesenabrechnung sind soweit bekannt.

Es wird kein Gedanke dazu ausgeführt, weitergeführt, und auch jüngste Entwicklungen, wie etwa eine aufgrund von LuxLeaks erst Mitte April beschlossene neue EU-Richtlinie für den Schutz von Geschäftsgeheimnissen, sind nicht eingearbeitet. Das ist schade, muss einem Theatermacher, der sich einem derart aktuellen Gegenstand widmet, doch klar sein, dass sein Werk work in progress ist.

Dana Taloş kämpft als Eileen Chubb um das Wohl von Demenzkranken. Bild: Sebastian Marcovici

Dana Taloş kämpft als Eileen Chubb um das Wohl von Demenzkranken. Bild: Sebastian Marcovici

Ständig unter Beobachtung - vom Aufdecker zum Mobbingopfer: Ioan Paraschiv und Ofelia Popii. Bild: Sebastian Marcovici

Ständig unter Beobachtung: Ioan Paraschiv und Ofelia Popii. Bild: Sebastian Marcovici

Im Gedächtnis bleiben von dieser Aufführung zwei Namen: Eileen Chubb – und ihr Bühnen-Alter-Ego Dana Taloş, die den systematischen Missbrauch von Demenzkranken in einem Pflegeheim aufdeckte. Sie sei eher der verschreckte, stille Typ gewesen, sagt sie von sich selbst, nun kämpft sie als Politaktivistin an vorderster Front für die Rechte von Whistleblowern. Und Ian Foxley, dargestellt von Schauspieler Ioan Paraschiv. Der Ex-Militär lehnte sich gegen die mächtigen Airbus Industries auf, indem er unheilige Verquickungen zwischen dem britischen Verteidigungsministerium und dem saudischen Königshaus bloßlegte. Seine Flucht aus Riad ist tatsächlich filmreif, doch sein Prozess läuft nach sechs Jahren immer noch …

Video: www.youtube.com/watch?v=7ZvB5yuDfjc

www.festwochen.at

Mehr Rezensionen von den Wiener Festwochen:

Naše nasilje i vaše nasilje / Unsere Gewalt und eure Gewalt: www.mottingers-meinung.at/?p=20380

Три сестры / Drei Schwestern: www.mottingers-meinung.at/?p=20364

Идеальный муж / Ein idealer Gatte: www.mottingers-meinung.at/?p=20289

Dugne / Nachtasyl: www.mottingers-meinung.at/?p=20221

Der Auftrag: www.mottingers-meinung.at/?p=20189

Látszatélet / Scheinleben: www.mottingers-meinung.at/?p=20141

Città del Vaticano: www.mottingers-meinung.at/?p=20120

Die Passagierin: www.mottingers-meinung.at/?p=20085

Tschewengur. Die Wanderung mit offenem Herzen: www.mottingers-meinung.at/?p=19870

Wien, 1. 6. 2016