wortwiege: Bloody Crown – Season II
August 27, 2021 in Bühne, Tipps
VON MICHAELA MOTTINGER
Uraufführung von Ian McEwan in Wiener Neustadt

Nina C. Gabriel in „Dantons Tod“. Bild: © Ludwig Drahosch
Unter der künstlerischen Leitung von Anna Maria Krassnigg geht das Theaterfestival „Bloody Crown“ in den historischen Kasematten von Wiener Neustadt in die zweite Runde. Nach dem großen Erfolg des Eröffnungsjahres stehen 2021 abermals zwei brisante europäische Macht-Spiele auf dem Programm: „Nussschale“ von Ian McEwan und „Dantons Tod“ von Georg Büchner. Der britische Bestsellerautor Ian McEwan steuert, als Begleiter des Salon Royal, seine Gedanken im Kontext bei.
War im Eröffnungsjahr das Thema Diffusion, Auseinanderbrechen und Aufbrechen alter Strukturen und Bündnisse – in Europa, zwischen den transatlantischen Partnern bis hinein in die intimsten Familienstrukturen – inhaltlich prägend, so ist es im Jahr 2021 die vielstimmige Analyse einer Art unruhigen Stillstandes, die Auseinandersetzung mit der Frage, wie die Gesellschaften – seit jeher und weltweit – auf epochale Ereignisse der Veränderung und Bedrohung reagieren. Was brütet dieser unheimlich stille Unruhezustand für die Zukunft aus: Aufbruch? Zusammenbruch? Neuordnung?
Die Premieren: „Nussschale“ und „Dantons Tod – Narren, Schurken, Engel“
„Nussschale“ nach dem Roman von Ian McEwan, Premiere am 15. September, ist die denkbar kühnste Fortschreibung der Hamlet-Geschichte. Der raffinierte Kunstgriff liegt darin, dass dieser Neo-Hamlet ungeboren ist, aber dennoch in seiner „Nussschale“ alles wahrnimmt. Die bejubelte Neuinterpretation des Shakespeare-Stoffes ist in einer Bühnenfassung der wortwiege zu erleben. Dazu arbeitet das Team erneut im Genre der Kinobühnenschau, einer weitgehenden Verwebung der beiden darstellenden Künste Film und Bühne – neben anderen raren Formaten der darstellenden Kunst ein Markenzeichen der Compagnie.
McEwans Roman greift die Ermordung von Hamlets Vater auf. Der Sohn wird Zeuge der Verführungs- und Machtspiele seiner Verwandtschaft, der Königsmord wird in ein heutiges Londoner Setting versetzt. Der Neo-Hamlet verfügt somit über die Freiheit eines utopischen Zeitgenossen, die Gesellschaft und das Verhalten seiner Mitmenschen zu durchschauen und mit Zorn, Kritik und Humor zu verfolgen. Er ist ein König der Fantasie, der sich von Beobachtungen anregen lässt. Er ist dabei, wenn die Mutter und ihr Geliebter Pläne schmieden, ihren Gatten und seinen Bruder zu ermorden und kann sehen, wie diese Pläne von unvorhergesehenen Ereignissen durchkreuzt werden, bis der Mord selbst schließlich zu einer überstürzten Wahnsinnstat wird.

Bild: © Bloody Crown – Season II

Flavio Schily in „Nussschale“. Bild: © Martin Schwanda
Neben dem Reiz eines ungewöhnlichen szenischen Settings erwartet das Publikum eine mit schwarzem britischen Humor erzählte Kriminalgeschichte, eine ironische Bestandsaufnahme der Gegenwart und ihrer Marotten sowie ein berührender Appell für das Recht auf Leben – innere und äußere Krisen hin oder her. In der Regie von Jérôme Junod und Anna Maria Krassnigg spielen Nina C. Gabriel, Flavio Schily, Jens Ole Schmieder, Martin Schwanda, Petra Staduan und Isabella Wolf.
Die zweite Produktion, „Dantons Tod – Narren, Schurken, Engel“, Premiere am 17. September, ist die zeitgenössische Bearbeitung des Klassikers von Georg Büchner durch die wortwiege. Sie zeigt das Drama über die Hintergründe der Französischen Revolution des damals 22-jährigen Autors aus weiblichem Blick und vereint Polit-Thriller, Revolutionsgeschichte und Metaphysik. Die Inszenierung besorgen auch hier Jérôme Junod und Anna Maria Krassnigg; es spielen Nina C. Gabriel, Judith Richter, Petra Staduan und Isabella Wolf.
Salon Royal – Begleitende Gespräche, Impuls und Dialog
Sowohl Hamlet als auch Danton erleben Zeiten gewaltiger Umbrüche. Autoritäten und Traditionen bröckeln, die Macht zeigt ihre grinsende Fratze und die Sicht auf die Zukunft erscheint zweifelhaft. Im Salon Royal sprechen an fünf Sonntags-Matinéenn hochkarätige Gesprächsgäste aus Kunst, Literatur und Wissenschaft über Fragen von Macht, deren Bedingungen, Verführungen, Verschiebungen, unterschiedliche Gesichter und Spiele in Gegenwart und Zukunft: Die österreichische Schriftstellerin Olga Flor, die deutsch-georgische Autorin Nino Haratischwili, die Schweizer Autorin, Journalistin und Architektin Zora del Buono, die Philosophin Lisz Hirn, der Schriftsteller und Psychiater Paulus Hochgatterer sowie der Kulturphilosoph und Essayist Wolfgang Müller-Funk sowie der britische Bestsellerautor Ian McEwan.
Der Kartenvorverkauf hat begonnen.
www.bloodycrown.at www.wortwiege.at
27. 8. 2021