Academy Awards Streaming: The Midnight Sky

April 12, 2021 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

George Clooneys Oscar-nominierte Klimadystopie

Der todkranke Astronom Augustine Lofthouse bleibt allein in einer Wetterstation in der Arktis zurück: George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Zu Unrecht von den diversen Jurys übergangen darf sich George Clooneys Klimadystopie „The Midnight Sky“ fühlen. Zwar gab’s bisher von den Golden Globes bis zu den BAFTA Awards 48 Nominierungen, aber nur drei Auszeichnungen: Bei den Satellite Awards 2020 der International Press Academy ging der Preis für die Beste Filmmusik an Alexandre Desplat, die Visual Effects Society bedachte

„The Midnight Sky“ bei den VES Awards 2021 mit den Auszeichnungen für die Besten visuellen Effekte in einem Realfilm und Raumschiff „Aether“ für das Beste Modell in einem Real- oder Animationsfilm. Und auch punkto Academy Awards war nur eine Nominierung für die Besten visuellen Effekte drin. Weil diese Trophäen-Flaute für den verrätselten Sci-Fi-Film nicht okay ist, hier noch einmal die Filmkritik vom Jänner 2021:

Die totenstille Welt, die wir den Kindern hinterlassen

Mittendrin gönnt sich George Clooney den schönsten Space-Song seit Major Tom, wenn Mitchell, Pilot des NASA-Raumschiffs Aether, Neil Diamonds „Sweet Caroline“ an- und nach und nach die ganze Crew in den Refrain miteinstimmt. Gerade ist man einem Meteoritenhagel entkommen und an der Außenhülle der Aether müssen Reparaturen vorgenommen werden. Doch beim riskanten „Weltraumspaziergang“ ein Moment des gemeinsamen Kräftesammelns, ein lautstarker Lobgesang auf den Zusammenhalt – der Mensch als soziales Wesen, diese kurze Szene von inhaltlich anscheinend keiner Relevanz, ist die Message, die Clooney dem Publikum seines im Jänner auf Netflix uraufgeführten Films „The Midnight Sky“ mit auf den Weg geben will.

Clooney, Regisseur und Hauptdarsteller, ließ fürs Sci-Fi-Survival-Drama Lily Brooks-Daltons postapokalyptischen Roman „Good Morning, Midnight“ für die Bildschirme adaptieren, von keinem Geringeren als „Revenant“-Drehbuchautor Mark L. Smith, einem Spezialisten für viel Spannung bei wenigen Worten. Die im Februar 2020 auf Island und den Kanaren entstandenen, teilweise unwirklich schönen, atemberaubenden Bilder stammen von Kameramann Martin Ruhe, mit dem Clooney im Jahr davor bei seiner Miniserie „Catch 22“ zusammengearbeitet hat.

Während die Aether-Besatzung zurück zur Erde düst, sind auf dieser die beiden Pole die einzig verbliebenen Orte, an denen es noch genug Sauerstoff zum Atmen gibt – und auch das nicht mehr für lange. Es ist das Jahr 2049, ein „Ereignis“ hat stattgefunden, und das arktische Barbeau Observatorium wurde vollständig evakuiert – oder ist das Leben der „in Sicherheit“ Gebrachten bereits ausgelöscht? Nur der todkranke Astronom Augustine Lofthouse hat sich entschlossen zu bleiben.

George Clooney in den atemberaubend schönen Bildern von Martin Ruhe. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Suche nach dem Weg zum Lake Hazen: Caoilinn Springall und George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Das Funkgerät hat den Geist aufgegeben: Caoilinn Springall und George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Wanderer durchs ewige Eis: Caoilinn Springall und George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Mutterseelenallein und müden Blicks schlurft Clooney durch die leeren Gänge seines Endzeitszenarios, die scheint’s schicksalsergebene Gleichmütigkeit nagt an Augustine wie der Krebs, mal schließt er sich ans Dialysegerät an, mal kniet er kotzenden vor der Kloschüssel, die Tabletten wirft er händeweise ein. Als junger Wissenschaftler hatte der Klimadystopist die Theorie von der Bewohnbarkeit des Jupitermondes K23 aufgestellt, diese zu überprüfen war die Aether ausgesendet worden, doch auf der Heimreise ist man vom Kurs ins unkartografierte All abgekommen – und keine Funkverbindung im ganzen Kosmos.

„The Midnight Sky“ erzählt diese zwei, eigentlich drei Handlungsstränge parallel. Augustine findet versteckt in der Stationsküche ein etwa achtjähriges Mädchen, Neuentdeckung Caoilinn Springall, deren ausdrucksstarke Performance schwer beeindruckt, denn die Figur ist stumm, und die kleine Springall spricht Bände mit ihren großen blauen Augen – in denen die unausgesprochenen Fragen an das Versagen der Erwachsenen stehen. Eine entsprechende Blume malt sie, also „Iris“ heißt sie, gibt sie Augustine zu verstehen, der sich ob ihres Anblicks erst geistesverwirrt glaubt.

Und Essig ist’s mit dem in Whiskey-Laune dem Ende Entgegendämmern, der griesgrämige Märtyrer mit dem Prophetenbart schaltet in den Überlebensmodus einer Vaterfigur, der selbsternannt „letzte Mensch auf Erden“ hat nun eine Rettungsmission, mit Iris bricht er auf ins ewige Eis. Zum Observatorium am Lake Hazen, mit dessen reichweitenstärkerer Antenne er hofft, da draußen jemanden zu erreichen – es wird dies (no na) Aether-Mission-Specialist Sully sein.

Die werdenden Eltern Sully und Adewole: Felicity Jones und David Oyelowo. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Pilot Mitchell sieht als erster die verheerte Erde: Kyle Chandler. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Crewmitglieder Sanchez und Maya: Demián Bichir und Tiffany Boone. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Sully will die Außenhülle des Raumschiffs reparieren: Felicity Jones. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Es ist bemerkenswert, wie Clooney in seinem Beinah-Stummfilm der Sprachlosigkeit der Charaktere Raum gibt. Dass diese Übung, der die literarische Gedanken-Freiheit durch Clooneys Verzicht auf eine „Stimme aus dem Off“ verunmöglicht ist, gelingt, liegt am fabelhaften Cast. Auf der Aether sind dies Felicity Jones als Sully, David Oyelowo als Flugkommandant Adewole, Tiffany Boone als Flugingenieurin Maya, Kyle Chandler als Pilot Mitchell und Demián Bichir als Aerodynamiker Sanchez.

Das Team im Gegensatz zum Buch multiethnisch, und noch etwas hat Clooney geändert: Als ihm nämlich Felicity Jones während der Dreharbeiten freudestrahlend eröffnete, dass sie ein Kind erwarte, machte er aus der Not eine fiktionale Tugend und baute die Schwangerschaft ins Script ein – mit Adewole als Vater für Sullys Baby. Ein unerwarteter Twist, der die Deutlichkeit der im Film gestellten Frage, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen wollen, nur verstärkt, hier Iris und mutmaßlich „Caroline“, siehe Song, da sich nach Ultraschall-Feststellung des Geschlechts alle Astronauten bei der Namensfindung fürs Ungeborene geradezu überschlagen.

In den funktionell-kühl und kahlen Umgebungen von Forschungs-Isolations-Station und Raumschiff ist die einzige Herzenswärmequelle die Nähe, die einer beim anderen sucht. Die unendliche Stille des Weltalls, die totenstillen Weiten der Welt durchbricht Clooney mit ein wenig CGI-Action, aber nie so viel, dass sie seine Schauspielerinnen und Schauspieler klein macht. Herzenswärme, das war für den jungen Augustine ein Fremdwort, in Traumsequenzen blendet das von der Krankheit ausgezehrte Alter Ego zurück in sonnige Tage.

Als der Workaholic die Liebe von Jean zurückwies, weil er lieber Leben auf anderen Planeten suchte, während ihm sein eigenes durch die Finger rannte, Jean, die ihm Jahre später eröffnet, dass er Vater einer Tochter sei. Lange Zeit bleibt „The Midnight Sky“ ein verrätselter Film, bis sich das hier Beschriebene aufdröselt, eine trostlose, emotional so dichte und derart schwerelos-langsam erzählte Story, dass man sich ihrer Wirkmacht schier nicht zu entziehen vermag, Augustine ein pragmatischer, doch nicht kaltblütiger Mann, der bis zum Töten tut, was getan werden muss, der Rücken gebeugt von der Last des eigenen und von der Menschheit selbstverschuldeten Verlusts.

Der alte Mann und die Klimakatastophe: George Clooney als Astronom Augustine Lofthouse. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Welche Crewmitglieder verlassen die „Aether“ und wer bleibt an Bord? Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Ohne seinen handelsüblichen Gute-Laune-Charme verkörpert Clooney dies Wesen mit einer Präzision und Schärfe, die einen frösteln lässt. Wie Augustine, als er durch die von der Erderwärmung angetauten Eisschollen bricht, wodurch sich die Winterwelt in tosende Wassermassen verwandelt, eine hochdrama- tische Szene zum Dominium terrae und seiner Gefährlichkeit. Eine Bibelstelle, die neue Über- setzungen als ein Anvertrauen und Schützen der Schöpfung auslegen, für jene, denen der Fortschritts- nicht der einzige Glaube ist.

„Wir haben uns in Ihrer Abwesenheit nicht gut um sie gekümmert“, sagt Augustine, als die Astronauten fassungslos einen ersten Blick auf ihre zerstörte Heimat erhaschen. Was also bleibt der Mannschaft zu tun? Jenen Mitgliedern, die hoffen, ihre auf der Erde zurückgelassenen Familien in einem Evakuierungslager zu finden, jenen, die nach Augustines finaler Warnung und seinem langgefassten Plan folgend umdrehen wollen, weil sie sich wie moderne Adam und Eva einen Neuanfang auf K23 wünschen. Der Abschied naht, Augustine Lofthouse hat seinen letzten Auftrag erfüllt …

[Spoiler – Denn Sully bittet ihr großes wissenschaftliches Vorbild beim den Film beendenden Dialog, sie beim Vornamen zu nennen. Ihre Mutter, erklärt sie, habe früher mit ihm zusammengearbeitet, doch Professor Lofthouse werde sich wohl nicht mehr an Jean erinnern, sie selbst jedenfalls sei nur seinetwegen dem Raumfahrtprogramm beigetreten, ihr Name, man ahnte es schon: Iris. Ihr achtjähriges Phantasma, erkennt die Zuschauerin, der Zuschauer jetzt, war Augustines Kopfgeburt, ein Katalysator für sein Handeln – und so sieht man Clooney in einer abschließenden Einstellung vorm Sonnenuntergang, die Hand ausgestreckt als würde er immer noch und zugleich endlich die kindliche Iris damit festhalten. – Spoiler-Ende]

Im Jahr eins nach Ausbruch der Pandemie ist Clooneys Weltendrama wie geschaffen zum Nachdenken darüber, wohin die Reise gehen soll. Ob es möglich sein wird, im Bewusstsein neuer Gefahrenherde ein ebensolches für die Verletzlichkeit der Zivilisation und die Hybris der Menschheit zu schaffen? Ob die digitale Vereinsamung die Lockdowner den Wert eines realen Anderen erkennen lässt? Mit ihren Versorgungskabeln wie mit Nabelschnüren ans Mutterschiff gebunden singt es die Aether-Crew im All: „Hands, touching hands / Reaching out, touching me, touching you“. Stärker berühren könnte einen George Clooney nicht. Erstveröffentlichung: www.mottingers-meinung.at/?p=44003

Trailer dt./engl.: www.youtube.com/watch?v=cGjVxSbCZFE          www.youtube.com/watch?v=DXUUqr3AFKs           www.netflix.com

12. 4. 2021

Streaming: Clooneys Klimadystopie „The Midnight Sky“

Januar 9, 2021 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Die totenstille Welt, die wir den Kindern hinterlassen

Der todkranke Astronom Augustine Lofthouse bleibt allein in einer Wetterstation in der Arktis zurück: George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Mittendrin gönnt sich George Clooney den schönsten Space-Song seit Major Tom, wenn Mitchell, Pilot des NASA-Raumschiffs Aether, Neil Diamonds „Sweet Caroline“ an- und nach und nach die ganze Crew in den Refrain miteinstimmt. Gerade ist man einem Meteoritenhagel entkommen und an der Außenhülle der Aether müssen Reparaturen vorgenommen werden. Doch beim riskanten „Weltraumspaziergang“

ein Moment des gemeinsamen Kräftesammelns, ein lautstarker Lobgesang auf den Zusammenhalt – der Mensch als soziales Wesen, diese kurze Szene von inhaltlich anscheinend keiner Relevanz, ist die Message, die Clooney dem Publikum seines kürzlich auf Netflix uraufgeführten Films „The Midnight Sky“ mit auf den Weg geben will. Clooney, Regisseur und Hauptdarsteller, ließ fürs Sci-Fi-Survival-Drama Lily Brooks-Daltons postapokalyptischen Roman „Good Morning, Midnight“ für die Bildschirme adaptieren, von keinem Geringeren als „Revenant“-Drehbuchautor Mark L. Smith, einem Spezialisten für viel Spannung bei wenigen Worten. Die im Februar 2020 auf Island und den Kanaren entstandenen, teilweise unwirklich schönen, atemberaubenden Bilder stammen von Kameramann Martin Ruhe, mit dem Clooney im Jahr davor bei seiner Miniserie „Catch 22“ zusammengearbeitet hat.

Während die Aether-Besatzung zurück zur Erde düst, sind auf dieser die beiden Pole die einzig verbliebenen Orte, an denen es noch genug Sauerstoff zum Atmen gibt – und auch das nicht mehr für lange. Es ist das Jahr 2049, ein „Ereignis“ hat stattgefunden, und das arktische Barbeau Observatorium wurde vollständig evakuiert – oder ist das Leben der „in Sicherheit“ Gebrachten bereits ausgelöscht? Nur der todkranke Astronom Augustine Lofthouse hat sich entschlossen zu bleiben.

Mutterseelenallein und müden Blicks schlurft Clooney durch die leeren Gänge seines Endzeitszenarios, die scheint’s schicksalsergebene Gleichmütigkeit nagt an Augustine wie der Krebs, mal schließt er sich ans Dialysegerät an, mal kniet er kotzenden vor der Kloschüssel, die Tabletten wirft er händeweise ein. Als junger Wissenschaftler hatte der Klimadystopist die Theorie von der Bewohnbarkeit des Jupitermondes K23 aufgestellt, diese zu überprüfen war die Aether ausgesendet worden, doch auf der Heimreise ist man vom Kurs ins unkartografierte All abgekommen – und keine Funkverbindung im ganzen Kosmos.

George Clooney in den atemberaubend schönen Bildern von Martin Ruhe. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Suche nach dem Weg zum Lake Hazen: Caoilinn Springall und George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Das Funkgerät hat den Geist aufgegeben: Caoilinn Springall und George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Wanderer durchs ewige Eis: Caoilinn Springall und George Clooney. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

„The Midnight Sky“ erzählt diese zwei, eigentlich drei Handlungsstränge parallel. Augustine findet versteckt in der Stationsküche ein etwa achtjähriges Mädchen, Neuentdeckung Caoilinn Springall, deren ausdrucksstarke Performance schwer beeindruckt, denn die Figur ist stumm, und die kleine Springall spricht Bände mit ihren großen blauen Augen – in denen die unausgesprochenen Fragen an das Versagen der Erwachsenen stehen. Eine entsprechende Blume malt sie, also „Iris“ heißt sie, gibt sie Augustine zu verstehen, der sich ob ihres Anblicks erst geistesverwirrt glaubt.

Und Essig ist’s mit dem in Whiskey-Laune dem Ende Entgegendämmern, der griesgrämige Märtyrer mit dem Prophetenbart schaltet in den Überlebensmodus einer Vaterfigur, der selbsternannt „letzte Mensch auf Erden“ hat nun eine Rettungsmission, mit Iris bricht er auf ins ewige Eis. Zum Observatorium am Lake Hazen, mit dessen reichweitenstärkerer Antenne er hofft, da draußen jemanden zu erreichen – es wird dies (no na) Aether-Mission-Specialist Sully sein.

Es ist bemerkenswert, wie Clooney in seinem Beinah-Stummfilm der Sprachlosigkeit der Charaktere Raum gibt. Dass diese Übung, der die literarische Gedanken-Freiheit durch Clooneys Verzicht auf eine „Stimme aus dem Off“ verunmöglicht ist, gelingt, liegt am fabelhaften Cast. Auf der Aether sind dies Felicity Jones als Sully, David Oyelowo als Flugkommandant Adewole, Tiffany Boone als Flugingenieurin Maya, Kyle Chandler als Pilot Mitchell und Demián Bichir als Aerodynamiker Sanchez.

Die werdenden Eltern Sully und Adewole: Felicity Jones und David Oyelowo. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Pilot Mitchell sieht als erster die verheerte Erde: Kyle Chandler. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Crewmitglieder Sanchez und Maya: Demián Bichir und Tiffany Boone. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Sully will die Außenhülle des Raumschiffs reparieren: Felicity Jones. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Das Team im Gegensatz zum Buch multiethnisch, und noch etwas hat Clooney geändert: Als ihm nämlich Felicity Jones während der Dreharbeiten freudestrahlend eröffnete, dass sie ein Kind erwarte, machte er aus der Not eine fiktionale Tugend und baute die Schwangerschaft ins Script ein – mit Adewole als Vater für Sullys Baby. Ein unerwarteter Twist, der die Deutlichkeit der im Film gestellten Frage, welche Welt wir unseren Kindern hinterlassen wollen, nur verstärkt, hier Iris und mutmaßlich „Caroline“, siehe Song, da sich nach Ultraschall-Feststellung des Geschlechts alle Astronauten bei der Namensfindung fürs Ungeborene geradezu überschlagen.

In den funktionell-kühl und kahlen Umgebungen von Forschungs-Isolations-Station und Raumschiff ist die einzige Herzenswärmequelle die Nähe, die einer beim anderen sucht. Die unendliche Stille des Weltalls, die totenstillen Weiten der Welt durchbricht Clooney mit ein wenig CGI-Action, aber nie so viel, dass sie seine Schauspielerinnen und Schauspieler klein macht. Herzenswärme, das war für den jungen Augustine ein Fremdwort, in Traumsequenzen blendet das von der Krankheit ausgezehrte Alter Ego zurück in sonnige Tage.

Als der Workaholic die Liebe von Jean zurückwies, weil er lieber Leben auf anderen Planeten suchte, während ihm sein eigenes durch die Finger rannte, Jean, die ihm Jahre später eröffnet, dass er Vater einer Tochter sei. Lange Zeit bleibt „The Midnight Sky“ ein verrätselter Film, bis sich das hier Beschriebene aufdröselt, eine trostlose, emotional so dichte und derart schwerelos-langsam erzählte Story, dass man sich ihrer Wirkmacht schier nicht zu entziehen vermag, Augustine ein pragmatischer, doch nicht kaltblütiger Mann, der bis zum Töten tut, was getan werden muss, der Rücken gebeugt von der Last des eigenen und von der Menschheit selbstverschuldeten Verlusts.

Der alte Mann und die Klimakatastophe: George Clooney als Astronom Augustine Lofthouse. Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Welche Crewmitglieder verlassen die „Aether“ und wer bleibt an Bord? Bild: Philippe Antonello/Netflix ©2020

Ohne seinen handelsüblichen Gute-Laune-Charme verkörpert Clooney dies Wesen mit einer Präzision und Schärfe, die einen frösteln lässt. Wie Augustine, als er durch die von der Erderwärmung angetauten Eisschollen bricht, wodurch sich die Winterwelt in tosende Wassermassen verwandelt, eine hochdrama- tische Szene zum Dominium terrae und seiner Gefährlichkeit. Eine Bibelstelle, die neue Über- setzungen als ein Anvertrauen und Schützen der Schöpfung auslegen, für jene, denen der Fortschritts- nicht der einzige Glaube ist.

„Wir haben uns in Ihrer Abwesenheit nicht gut um sie gekümmert“, sagt Augustine, als die Astronauten fassungslos einen ersten Blick auf ihre zerstörte Heimat erhaschen. Was also bleibt der Mannschaft zu tun? Jenen Mitgliedern, die hoffen, ihre auf der Erde zurückgelassenen Familien in einem Evakuierungslager zu finden, jenen, die nach Augustines finaler Warnung und seinem langgefassten Plan folgend umdrehen wollen, weil sie sich wie moderne Adam und Eva einen Neuanfang auf K23 wünschen. Der Abschied naht, Augustine Lofthouse hat seinen letzten Auftrag erfüllt …

[Spoiler – Denn Sully bittet ihr großes wissenschaftliches Vorbild beim den Film beendenden Dialog, sie beim Vornamen zu nennen. Ihre Mutter, erklärt sie, habe früher mit ihm zusammengearbeitet, doch Professor Lofthouse werde sich wohl nicht mehr an Jean erinnern, sie selbst jedenfalls sei nur seinetwegen dem Raumfahrtprogramm beigetreten, ihr Name, man ahnte es schon: Iris. Ihr achtjähriges Phantasma, erkennt die Zuschauerin, der Zuschauer jetzt, war Augustines Kopfgeburt, ein Katalysator für sein Handeln – und so sieht man Clooney in einer abschließenden Einstellung vorm Sonnenuntergang, die Hand ausgestreckt als würde er immer noch und zugleich endlich die kindliche Iris damit festhalten. – Spoiler-Ende]

Im Jahr eins nach Ausbruch der Pandemie ist Clooneys Weltendrama wie geschaffen zum Nachdenken darüber, wohin die Reise gehen soll. Ob es möglich sein wird, im Bewusstsein neuer Gefahrenherde ein ebensolches für die Verletzlichkeit der Zivilisation und die Hybris der Menschheit zu schaffen? Ob die digitale Vereinsamung die Lockdowner den Wert eines realen Anderen erkennen lässt? Mit ihren Versorgungskabeln wie mit Nabelschnüren ans Mutterschiff gebunden singt es die Aether-Crew im All: „Hands, touching hands / Reaching out, touching me, touching you“. Stärker berühren könnte einen George Clooney nicht.

Trailer dt./engl.: www.youtube.com/watch?v=cGjVxSbCZFE          www.youtube.com/watch?v=DXUUqr3AFKs           www.netflix.com

  1. 1. 2021

KosmosTheater: Good Morning, Boys and Girls

Oktober 21, 2017 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Der Attentäter und die „Tai Chi“-Übungen

Selfie! „Cold“, Susanne und der Amok: Giamo Röwekamp, Sophie Resch und Pablo Leiva. Bild: Bettina Frenzel

Seit Langem schon, sagt Barbara Klein im Programmheft-Interview, hätte sie sich mit dem Gedanken getragen, ein Stück über Amoklauf an Schulen zu zeigen. Ein Nachdenken über sogenannte School Shooter, die Mitschüler und Lehrer kaltblütig ermorden und den eigenen Tod ebenso ungerührt herbeisehnen – während ihr Umfeld von den seelischen Veränderungen dieser Heranwachsenden, ihren oft monatelangen Vorbereitungen zur Tat nichts mitbekommen hat/haben will. „Wenig nachvollziehbar“ nennt Klein diese Ahnungslosigkeit.

Gemeinsam mit Choreografin Paola Bianchi brachte sie nun am KosmosTheater Juli Zehs „Good Morning, Boys and Girls“ zur österreichischen Erstaufführung. Es ist die Abschiedsinszenierung der Hausherrin am „Theater mit dem Gender“, am 30. Oktober wird die neue Leitung des KosmosTheaters vorgestellt, und es ist ein erstklassiger Abend, bei dem eindeutig die Form über den Inhalt zu stellen ist. Denn von Juli Zeh gibt es nichts Neues. Ihr Text ist eine Aufzählung, eine Aneinanderreihung von Eh-schon-Wissen:

Jugendliche werden zum Attentäter, weil sie 1. in der Schule gemoppte Außenseiter sind, 2. sie im Elternhaus keine Zuwendung erhalten, 3. sie sich ergo im Kinderzimmer mit Ego Shootern und anderem Teufelszeug abreagieren, auch weil 4. sich Mädchen nicht für sie interessieren. Wobei dies bei Jens, Kampfname im Computerspiel Counter Strike: „Cold“, gar nicht der Fall ist. Der poetisch begabte Einzelgänger, dessen grausame Kurzgeschichten die Lehrerin aus der Fassung bringen, findet in der trotzigen, weltschmerzgeplagten Susanne eine – eigentlich noch radikalere – Gleichgesinnte.

Am Ende wird sie nicht nur dafür sorgen, dass alles ganz anders gewesen sein wird, als die Erwachsenen glauben, sondern dem Publikum damit gleichsam auch einen Spiegel vorhalten. Den beiden zu Erziehenden stehen die dazu Berechtigten gegenüber: Vater und Mutter, ein in seine Intellektualität selbstverliebtes Galeristenehepaar, das seine Ich-Bezogenheit als antiautoritär tarnt, und die betuliche, dem klugen „Cold“ nicht gewachsene Deutschprofessorin Frau Patt.

Der Vater verteidigt sich gegen Schuldvorwürfe: Jens Ole Schmieder mit Johanna Prosl. Bild: Bettina Frenzel

Die Lehrerin glaubt an das Böse in Computerspielen: Johanna Prosl als Frau Patt. Bild: Bettina Frenzel

Zeh, die vernünftigerweise nicht um Antworten ringt, unverständlicherweise aber auch keine bis dato ungestellten Fragen aufwirft, hat immerhin das weitere Geschehen spannend verzahnt. Die Handlung wechselt im schnellen Takt zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Jens hat seine Wahnsinnstat bereits begangen, nein, er bereitet sie noch vor, er spricht bei seinem eigenen Begräbnis, hat Streit mit den Eltern, und sieht (sich im Kopf schon als) einen sensationslüsternen CNN-Reporter sie bedrängen. Jens‘ Fantasie und die Realität überlappen mehr und mehr.

Ist der Counter-Strike-Clan echt oder eine gehörte Stimme? Man kann nur noch ahnen, was erdacht und was erlebt ist. Und zu all diesen Gedanken reflektieren die Eltern über Schuld und Versagen, die Lehrerin über zu spätes Eingreifen. Hat man sich zu wenig gekümmert, bemüht, beschäftigt? „Aber du bist doch ein lieber Bub“, keucht sie ungläubig, als er sie später mit der Benelli niederstreckt. „Heute nicht“, erwidert Jens. Und schon ist man mitten im Blutbad. Das bei Barbara Klein und Paola Bianchi freilich keines ist. Die Gewalt wird vielmehr getanzt und so deutlich „körperlich“ empfunden.

Die Schauspieler bewegen sich zu einer ausgeklügelten Choreografie, dem Tai Chi ähnlichen Bewegungen, die übers Physische zugleich ihre psychische Verfassung darstellen. Als Frau Patt nimmt Johanna Prosl oft einen belehrenden Gestus an, mit spitz in die Luft stechenden Fingern bemängelt sie Rechtschreibschwächen. Der Vater, Jens Ole Schmieder, tigert in ständiger Bewegung durch den Spielraum, während er unablässig gewesene Amokläufe rezitiert. Columbine, Erfurt, Winnenden, Newtown, in Asien wird immer nur mit dem Messer gemordet. „Haben die keine Knarren?“, fragt er – und die Frage hat weniger mit Zynismus als mit Fassungslosigkeit zu tun. An solchen Stellen ist das Stück auch komisch.

Das Ende kommt anders als erwartet: Giamo Röwekamp, Pablo Leiva und Sophie Resch. Bild: Bettina Frenzel

Die Eltern tanzen Ratlosigkeit und Verzweiflung: Jens Ole Schmieder und Susanne Rietz. Bild: Bettina Frenzel

Wie er – Vater ballt die Fäuste zur Selbstverteidigung gegen ihre verbalen Angriffe – versichert sich auch Mutter/Susanne Rietz ihrer Unschuld am Geschehen. Traumatisiert sieht sie, dass ihr nicht nur eine gemeinsame Zukunft, sondern auch die Vergangenheit geraubt wurde, denn immer wird sie sich nun fragen müssen: „Warum?“ wiederholt sie wie in Loops. Dass Jens ein lieber Sohn war, ist ihr Mantra, während ihre Arme wie die einer Marionette baumeln. Als nichts anderes nämlich sieht sie ihr Sohn. Dass sie seinen Hund nicht mochte, ihn kahl scherte, hat er ihr nicht verziehen.

Als der einzig Geliebte dann auch noch stirbt, brennen bei Jens die Sicherungen durch. What a life, what a cliche. Ein Geschenk – Giamo Röwekamp als „Cold“ turnt über derlei Untiefen mit Leichtigkeit hinweg. Er ist als gewaltbereiter Teenager extrem glaubhaft, egal, ob er sich in theatralischer Christuspose probt, oder beim ersten Flirt aufgeregt mit den Beinen wippt. Im Gleichtakt mit Sophie Resch als kurz einmal nicht verdrossener Susanne. Den beiden folgt, weißgewandet und mit weißer Maske, der „Amok“, Pablo Leiva mit am Oberkörper befestigten Bombenpackages.

Die Schwarzweiß-Bilder, die er vom Liebespaar mit dem Smartphone filmt (auch Counter Strike wird an die Wand projiziert), funktionieren als Subtext zum Gesagten – nervös verschränkte Finger, wütend aufgerissene Augen, dann wieder ein Selfie zu dritt. Nach Schuldzuweisungen aller an alle, nach Ausstellung eines Tatbestands, nicht aber seiner Erhellung, endet das Stück mit dem Kernthema des KosmosTheaters, der Gleichberechtigung von Mann und Frau. Wie, will nicht verraten werden. Die fabelhafte Aufführung mit dem überzeugenden Ensemble ist noch bis 28. Oktober zu sehen.

Trailer: www.youtube.com/watch?time_continue=1&v=pKIMKEig0nw

www.kosmostheater.at

  1. 10. 2017