MdM Salzburg: Bill Viola

Juli 25, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Erste Präsentation des Videokünstlers in Österreich

Sharon, 2013, High-Definition-Video, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Der amerikanische Künstler Bill Viola zählt zu den renommiertesten Videokünstlern der Gegenwart. Seine mit modernster Technologie umgesetzten Bildwelten überzeugen durch ihre kontemplative Balance und überwältigen durch ihre unmittelbare Emotionalität und bildnerische Vehemenz. Sie sprengen den Rahmen konventioneller Sehgewohnheiten, die von den alltäglichen Bilderfluten in Film, Fernsehen und den sozialen Medien geprägt sind.

Seine bildgewaltigen Werke sind der conditio humana gewidmet; sie schaffen immersive Erlebniswelten, welche die Betrachtenden mit den Grundbedingungen und Potenzialen menschlicher Existenz konfrontieren und wesentliche Themen wie Leben und Tod, Traum und Wiedergeburt, Erinnerung und Vergessen, Verwandlung und Verklärung thematisieren. Das Museum der Moderne Salzburg zeigt mit der in enger Zusammenarbeit mit dem Bill Viola Studio entstandenen Personale die erste museale Präsentation von Violas Werk in Österreich.

Viola, der sich seit den 1970erJahren intensiv mit dem menschlichen Körper, divergierenden Zeitordnungen, Spiritualität und Transzendenz auseinandersetzt, ist zu Recht als „postmoderner Humanist“  bezeichnet worden, der einen intensiven Dialog mit nichtwestlicher Kunst, Musik und Religion pflegt und seine virtuos komponierten Werke sowohl als Reflexion über die Daseinsverortung

des Menschen in der Welt begreift wie auch als Erkundung der Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Bewusstseins. Violas spirituelle Aufgeschlossenheit gegenüber dem östlichen Denken lässt ihn Werke von höchst eindrücklicher visionärer Poetik schaffen, die das Geistige mit dem Ästhetischen verbinden, ohne dabei in neureligiöse Dogmatik abzudriften.

Die Tradition der abendländischen Malerei insbesondere der Einfluss bedeutender Renaissancekünstler ist für sein Werk, das der künstlerischen Erforschung des bewegten Bildes gewidmet ist, von großer Bedeutung. Zudem gelingt es ihm mittels avancierter Videotechniken wie Zeitlupe, Zeitraffer, Überblendung, Mikro und Makroaufnahmen, die Wahrnehmung der realen Welt zu transzendieren. Gerade in unsicheren und verstörenden Zeiten haben Violas Werke eine große Relevanz, da sie von einer Idee der Hoffnung und Solidarität getragen sind.

The Raft, Mai 2004, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

The Raft, Mai 2004, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

So ist beispielsweise seine VideoprojektionThe Raft“, die in extremer Zeitlupe die Überwältigung einer Menschenmenge durch einen gewaltigen Wasserstrom zeigt, eine universelle Metapher der Bedrohung menschlichen Lebens. Bei dieser Darstellung des Leidens der Weltgesellschaft war es dem Künstler wie er in einem Statement festhielt wichtig, dass alle „Schiffbrüchigen“ überlebten: Niemand sollte verloren sein („No one is lost“).

Five Angels for the Millennium, 2001, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Five Angels for the Millennium, 2001, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

In Violas Werk tauchen bestimmte Motive wie etwa die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, Landschaften, Pflanzen, Tiere und Menschen, der Künstler selbst, Mitglieder seiner Familie immer wieder auf; in manchen zitiert der Künstler auch eigene Werke. Eine der Motivlinien, die sich durch das Werk von Viola ziehen, sind Bilder von Menschen, die ins Wasser tauchen oder darin schweben, etwa in Installationen wieFive Angels for the Millennium“. „Wasser ist ein so kräftiges, augenfälliges Symbol der Reinigung wie auch von Geburt, Wiedergeburt und sogar Tod“, so der Künstler.

Auch die dem Plakatmotiv der Ausstellung am Museum der Moderne Salzburg zugrundeliegende Arbeit ist Teil von Violas jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit dem Element Wasser.Sharon“ entstammt einer Serie von Wasserporträts, die etwas Beunruhigendes an sich haben zumal Wasser kein natürlicher Lebensraum für den Menschen ist und doch Träumende zeigen, die eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlen und scheinbar ohne zu atmen unter Wasser existieren können.

Night Vigil, 2005/2009, Videoinstallation, Detail, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Night Vigil, 2005/2009, Videoinstallation, Detail, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Licht und Helligkeit als Sehnsuchtssymbol verarbeitet die InstallationNight Vigil“, ein Diptychon auf zwei nebeneinanderliegenden Bildschirmen. Darin werden eine Frau und ein Mann, die mitten in der Nacht durch Dunkelheit getrennt sind, zueinander und zu der Lichtquelle hingezogen, die ihre Sehnsucht erhellt. Die Motive inNight Vigil“ stammen aus einer Produktion von Richard Wagners OperTristan und Isolde“ von 2005 an der Pariser Opéra Bastille, für die Viola mit dem Regisseur Peter Sellars, dem Dirigenten EsaPekka Salonen und Kira Perov, seiner Studiomanagerin und künstlerischen Partnerin, zusammenarbeitete.

Die Überblicksausstellung zu Violas Werk am Museum der Moderne Salzburg ist eine Einladung, sich auf die immersiven VideoRaumWelten dieses großen Künstlers und damit neue, ungewohnte Perspektiven auf die großen Themen des Lebens einzulassen.

Zu sehen bis 30. Oktober.

www.museumdermoderne.at

25. 7. 2022

MdM Salzburg: Ellen Harveys „The Disappointed Tourist“

August 1, 2021 in Ausstellung, Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Verloren gegangene Sehnsuchtsorte gesucht

Ellen Harvey in ihrem Studio mit Arbeiten aus der Serie „The Disappointed Tourist“ / work in progress, 2020. Bild: © Etienne Frossard

In ihrer ersten Einzelausstellung in Österreich im Museum der Moderne Salzburg beschäftigt sich Ellen Harvey mit einem Thema der Nostalgie. Dafür malt sie Orte, die Menschen gerne besuchen würden, die aber nicht mehr existieren. Ellen Harvey: „Wir leben in einer Welt, die sich oft anfühlt, als würde sie vor unseren Augen verschwinden … Orte, die wir zu besuchen gehofft haben, hören auf zu existieren.“

Für ihre Salzburger Schau, zu sehen ab dem 23. Oktober, nimmt die Künstlerin unter disappointedtourist.org Einreichungen von „verlorenen Orten“ entgegen. Wenn Sie ein Gemälde Ihres Sehnsuchtsort im Museum der Moderne Salzburg hängen sehen möchten, dann können Sie eine Abbildung davon HIER / www.disappointedtourist.org/submit-a-site hochladen.

Die Britin Ellen Harvey ist Malerin, Kartografin, Konzeptkünstlerin und vieles mehr. Ihre Medien reichen von klassischer Ölmalerei über Zeichnung und Spiegelgravur bis zu skulpturalen Installationen und Arbeiten im öffentlichen Raum. Mit ihren Werken liefert sie kritische Kommentare zur Wahrnehmung von Kunst, zum sozialen Raum, den Kunst einnimmt, und zur Rolle von Kunst als Spiegel der Gesellschaft. Sie bedient sich oft des Humors, der Satire und des Spektakels, um die Betrachterinnen und Betrachter zu einer Veränderung ihrer Denkweisen zu verführen.

„The Disappointed Tourist“ ist eine Serie: Seit 2019 malt Harvey Orte, die sie auf die Frage „Gibt es einen Ort, den Sie (wieder) besuchen möchten, den es aber nicht mehr gibt?“ als Antwort vorgelegt bekommt. Der Künstlerin geht es um die Verortung existenzieller Erinnerungen. Das Spektrum reicht von traumatischen Erfahrungen wie Krieg, Rassismus und ökologischen Katastrophen bis zu den alltäglicheren Verlusten durch technologischen Wandel oder Gentrifizierung, von kulturell bedeutenden Orten zu persönlichen Lieblingsplätzen, von jüngst Verschwundenem zu den großen Verlusten der Geschichte.

Kurzfilm: www.youtube.com/watch?v=ajK7C76Jxm0

www.disappointedtourist.org          www.ellenharvey.info           www.museumdermoderne.at

1. 8. 2021

Bild: © Etienne Frossard, Screenshot: disappointedtourist.org

Bild: © Etienne Frossard, Screenshot: disappointedtourist.org

Bild: © Etienne Frossard, Screenshot: disappointedtourist.org

Bild: © Etienne Frossard, Screenshot: disappointedtourist.org

MdM Salzburg: This World Is White No Longer

April 23, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Schau gegen Rassismus und Xenophobie

Angelika Wienerroither: Utopia (Why can’t we all just get along?) (Detail), 2021. Courtesy of the artist, © Angelika Wienerroither

„Diese Welt ist nicht mehr weiß und wird es nie mehr sein“, stellte der USamerikanische Schriftsteller James Baldwin 1953 in seinem Essay „Stranger in the Village“ fest. Baldwins prophetischer Satz steht für eine entschiedene Kritik am weißen westlichen Denken und zugleich für einen Aufruf zu einem universellen Humanismus. In seinem Essay reflektiert er seine Erfahrung als schwarzer New Yorker, der Anfang der 1950erJahre in einem Schweizer Dorf

zu Besuch ist. Die ausschließlich weißen Bewohnerinnen und Bewohner begegnen dem Schriftsteller nicht mit einer feindseligen, aber doch grundsätzlich abweisenden Haltung. Sein Aussehen, seine Sprache erscheinen ihnen fremd. Von diesem spezifischen einfachen Blick unterscheidet Baldwin jene Erfahrung, in der es nicht mehr eine für sich stehende weiße oder schwarze Sichtweise der Welt gibt, sondern eine Geschichte unterschiedlicher Perspektiven, die durch das Drama von Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus und durch das fortwährende Ringen mit diesen Herausforderungen eng, tiefgehend und komplex miteinander verbunden sind.

Die Ausstellung „This World Is White No Longer. Ansichten einer dezentrierten Welt“, ab 24. April im Museum der Moderne Salzburg, sieht in Baldwins Kernaussage, dass der machtpolitisch dominante weiße Blick seine Gültigkeit verloren hat, eine wesentliche Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Xenophobie und Exklusion. Die Ausstellung vertritt eine Haltung, in der es nicht um eine reine Darstellung von Kritik geht, sondern darum, die „weiße Brille“ abzunehmen. Sie untersucht das Potenzial des Perspektivenwechsels als eine Methode zur Dezentrierung des eigenen Blicks auf die Welt. Die Kritik an rassistischen Denk-und Verhaltensmustern ist dabei ebenso wichtig wie die Wahrnehmung und Reflexion unterschiedlicher Sichtweisen und der Wechsel zwischen verschiedenen Identitätskonstruktionen und Lebenswirklichkeiten.

Ein Referenzwerk der Ausstellung ist die aus der Sammlung Generali Foundation stammende MultimediaInstallation „Black Box / White Box“ der Künstlerin und Philosophin Adrian Piper. Piper bietet in dieser 1992 entstandenen Arbeit zwei Sichtweisen auf die Misshandlung des schwarzen USBürgers Rodney King durch die örtliche Polizei und die darauffolgende Unterstützung der Täter durch den damaligen Präsidenten George Bush senior: eine schwarze und eine weiße Sichtweise.

Samuel Fosso: Self-Portrait (Angela Davis), 2008. Courtesy the artist und JM Patras, Paris © Samuel Fosso und JM Patras, Paris. Bild: Samuel Fosso

Samuel Fosso: Emperor of Africa, 2013. Courtesy the artist und JM Patras, Paris © Samuel Fosso und JM Patras, Paris. Bild: Samuel Fosso

Samuel Fosso: Black Pope, 2018. Courtesy the artist und JM Patras, Paris © Samuel Fosso und JM Patras, Paris. Bild: Samuel Fosso

Die Installation erlaubt es in zwei unterschiedliche Perspektiven einzutauchen und vom jeweils eigenen Standpunkt aus einen Blickwechsel vorzunehmen. In einem solchen Prozess der Dezentrierung des Denkens wird Diskriminierung mit einem Mal spürbar. Während Betroffene darin eine Bestätigung ihrer Situation finden, lernen die anderen, was es bedeutet Rassismus zuerfahren. Pipers Arbeit ist ein Schlüsselwerk der jüngeren Kunstgeschichte. Wie kaum eine andere Arbeit schließt sie die Problematik von Rassismus und Xenophobie mit dem Erkenntnispotenzial eines empathischen Perspektivenwechsels kurz.

Die Ausstellung präsentiert ausgehend von zentralen Werken der Sammlung Generali Foundation eine Auswahl signifikanter Positionen von Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf jeweils spezifische Weise mit der Dezentrierung und Dekolonisierung des Denkens und der Bewegung zwischen unterschiedlichen Identitäten und Lebenswirklichkeiten befassen. Diese Instrumente einer multiperspektivischen Globalität bilden wichtige Elemente der Infragestellung von Rassismus, Xenophobie und sozialer und kultureller Exklusion.

Mit Werken von Karo Akpokiere, Lothar Baumgarten, Danica Dakić, Forensic Architecture, Samuel Fosso, Charlotte HaslundChristensen, Alfredo Jaar, Voluspa Jarpa, Belinda KazeemKamiński, Adrian Piper, Lisl Ponger und Kara Walker.

Kara Walker: Bureau of Refugees, Freedmen and Abandoned Lands: Lucy of Pulaski (Videostill), 2009. Courtesy Sprüth Magers und Sikkema Jenkins & Co © K. Walker. Bild: K. Walker

Danica Dakić: El Dorado. Gießbergstraße, 2006–07. Farbdiapositiv, Leuchtkasten. Courtesy of the artist © Danica Dakić / Bildrecht, Wien 2021. Bild: Danica Dakić

Lothar Baumgarten, Unsettled Objects (Detail), 1968–69. © Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am MdM Salzburg / Bildrecht, Wien 2021. Bild: Dario Punales

Forensic Architecture: Border Violence Across the Evros/Meriç River: Six Investigations (Videostill), 2019–21: „Ein Zeuge beschreibt die Gewalt, die er während eines Push-Backs durch Grenzschutzbeamte erlitten hat“. Courtesy of the artists © Forensic Architecture. Bild: Forensic Architecture

Dazu präsentiert die Klasse für Fotografie und Neue Medien der Universität Mozarteum Arbeiten, die aus einer intensiven Beschäftigung mit verschiedenen Ausprägungen von Rassismus entstanden sind. Mit einer Vielfalt an Zugängen reflektieren die Studierenden alltäglichen und strukturellen Rassismus, hinterfragen Identitätszuschreibungen und untersuchen Möglichkeiten von Machtkritik und Selbstermächtigung. Sie stellen Verbindungen zu anderen Diskriminierungsformen her und thematisieren die Mechanismen sozialer Medien ebenso wie neokolonialistische Praktiken des Tourismus.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage nach der eigenen Position innerhalb von Kulturen und Ökonomien in Österreich und das damit einhergehende Verhältnis zu Rassismus. Die Ausstellung versteht sich als Verhandlungsraum. Sie verändert sich während der Laufzeit und macht damit einen Diskussionsprozess sichtbar, der unbeantworteten Fragen, fragmentarischen Überlegungen und Richtungswechseln gleichermaßen Raum gibt wie vollendeten Werken.

Werke unter anderem von Pia Geisreiter, Hannah Imhoff, Charlotte Pann, Sabine Reisenbüchler, EvaMaria Schitter, Sculpting Feminism Reading Group, Angelika Wienerroither und Alba Malika Belhadj Merzoug.

www.museumdermoderne.at

23. 4. 2021

Museum der Moderne Salzburg: Physiognomie der Macht. Harun Farocki & Florentina Pakosta

Dezember 11, 2020 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Kriege, Revolutionen und mächtige Männer

Harun Farocki: Ich glaubte Gefangene zu sehen, 2000. © Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg. Bild: Harun Farocki

Ab 8. Dezember widmet sich die Doppel- ausstellung „Physiognomie der Macht“ im Museum der Moderne Salzburg in einer umfassenden Gegenüberstellung dem Werk des deutschen Filmemachers Harun Farocki und der österreichischen Grafikerin und Malerin Florentina Pakosta. Während Farocki zu den wichtigsten Dokumentarfilmern und

Medienkünstlern Deutschlands ab den 1970er-Jahren zählt, ist Pakosta eine der zentralen Figuren der feministischen Avantgarde in Österreich. Die beiden stehen in ihren Arbeiten für einen Realismus, der sich aus Themen und Anliegen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts entwickelt hat. So unterschiedlich ihre Medien auch sind, so sprechen ihre Arbeiten durch die zutiefst politische Dimension doch vergleichbare Sprachen. Im Mittelpunkt stehen dabei oftmals Formen von Machtausübung und Machterfahrung.

Die Ausstellung präsentiert sechs zentrale Videoinstallationen, Essay- und Dokumentarfilme von Harun Farocki aus der Sammlung Generali Foundation, darunter die Videoinstallation „Ich glaubte Gefangene zu sehen“ aus dem Jahr 2000 und die Trilogie „Auge/Maschine I–III“, entstanden von 2001 bis 2003. Diese beiden Arbeiten beschäftigen sich mit der Zurichtung des Menschen durch technologische Überwachungs- und Kontrollsysteme und der Legitimierung von Krieg mit dem Argument einer vermeintlich „humanen“ Kriegsführung mithilfe elektronischer Hightech-Systeme.

Dem steht der Stummfilm „Aufschub“ von 2007 gegenüber, für den Farocki Filmaufnahmen aus dem Jahr 1944 über den Lebensalltag jüdischer Gefangener im „Durchgangslager“ Westerbork in den Niederlanden behutsam zusammengefügt und mit Zwischentiteln ergänzt hat. Die Filme „Ein Tag im Leben der Endverbraucher“ von 1993 und „Die Bewerbung“ von 1997 thematisieren die Rollen des Menschen als Konsument und als Arbeitssuchender in einer von kapitalistischen Prinzipien bestimmten Lebenswelt. Im Zentrum des preisgekrönten Films „Videogramme einer Revolution“ – mit Andrei Ujica, 1992 – steht die Dynamik politischer und sozialer Machtverhältnisse und die damit verbundene Rolle medialer Inszenierung. Er schildert anhand von Film- und TV-Aufnahmen die Rumänische Revolution im Jahr 1989.

Florentina Pakosta: Selbstbildnis mit Zaun, 1976. MdM Salzburg. Bild: Rainer Iglar / Bildrecht, Wien 2020

Harun Farocki: Aufschub, 2007. Nederlands Inst. voor Oorlogs-documentatie, Amsterdam. Bild: Farocki

Florentina Pakosta: Fleischwolfmund, 1979. Museum der Moderne Salzburg. Bild: Hubert Auer, Bildrecht, Wien 2020

Die Präsentation von Florentina Pakosta gibt einen 50 Jahre überspannenden Einblick in ihr Werk. Sie reicht von frühen Zeichnungen zu Krieg, Gewalt und feministischen Themen über ihre Physiognomie-Studien, in denen sie sich auf differenzierte Weise auch mit den Charakterköpfen des Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt beschäftigt, die monumentalen und zugleich subversiven Porträts ihrer mächtigen männlichen Zeitgenossen aus Kunst, Politik und Wirtschaft und die satirisch-surrealistischen Montageköpfe bis hin zu den Warenlandschaften und den abstrakten Trikolore-Bildern der 1990er- und 2000er-Jahre. Erstmalig werden in größerem Umfang Werke von Pakosta gezeigt, die sich in der Sammlung des Museum der Moderne Salzburg befinden, komplettiert durch wichtige Leihgaben der Künstlerin sowie weiterer Sammlungen.

Der 2014 verstorbene Filmemacher Harun Farocki war ein akribischer Beobachter und Analytiker der gesellschaftlichen Verhältnisse seiner Zeit. In den Studierendenprotesten der späten 1960er-Jahre politisiert, entwickelte er einen dokumentarischen und essayistischen Stil, in dem er eigene Filmaufnahmen mit Bildern aus anderen Quellen wie Massenmedien und Überwachungssystemen verknüpfte. Er war insbesondere an jenen Strukturen interessiert, durch die sich die Gesellschaft selbst zurichtet.

So fragen seine Arbeiten nach den Auswirkungen totalitärer Überwachungs- und Kontrollsysteme, nach dem Alltag in einer von der kapitalistischen Logik durchdrungenen Lebens- und Arbeitswelt und nach der zunehmend komplexen Beziehung von Mensch und Maschine. Sie forschen stets nach der Rolle des Bildes in Herrschaftsverhältnissen. Sie machen sichtbar, wie Bilder in Dienst genommen werden, sei es durch Überwachung, technisch-militärische und zivile Bildanalysen oder Fernsehen und Werbung. Zugleich legt Farocki die dem Film eigenen Konstruktionsprinzipien offen. Er ist in seinen Filmen und Videoarbeiten stets als Autor präsent, als Beobachter und Gestalter, der mit den Mitteln der Montage und des Kommentars unsere Wahrnehmung lenkt und eine aktive Rezeption fordert.

Rumänische Revolution im Jahr 1989 – Harun Farocki: Videogramme einer Revolution, 1992. Bild: Harun Farocki

F. Pakosta,: Wenn Männer ihre Ehefrauen töten III, 1968. Besitz der Künstlerin. Bild: Rainer Iglar / Bildrecht, Wien 2020

Florentina Pakosta: Die weiße Weste, 1972. Besitz der Künstlerin. Bild: Rainer Iglar / Bildrecht, Wien 2020

Harun Farocki: Ein Tag im Leben der Endverbraucher, 1993. Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am Museum der Moderne Salzburg. Bild: Harun Farocki

Florentina Pakosta war in jungen Jahren damit konfrontiert, dass Frauen in Kunstwelt, Wirtschaft und Politik nur Nebenrollen spielten. Ihr frühes Interesse an sozialen Verhältnissen, an Randgruppen und Außenseitern verlagerte sich in den 1970er-Jahren hin zur Auseinandersetzung mit der eigenen Erfahrung der Marginalisierung als Künstlerin. Sie betrieb intensive zeichnerische Porträtstudien, in denen sie nicht nur ihre eigene Existenz, sondern auch das männliche Antlitz der Macht analysierte, das sich ihr entgegenstellte.

Die Physiognomie des Gesichts wurde zu einem zentralen Motiv ihrer Arbeiten. Pakosta nahm am Gesichtsausdruck nicht nur die psychische Verfassung, sondern auch einstudierte, verinnerlichte soziale Masken und Rollen wahr. In präzise aufgebauten, teils hyperrealistisch wirkenden Zeichnungen, gänzlich reduziert auf Schwarz und Weiß, porträtiert und karikiert sie den zur Maske geronnenen Gesichtsausdruck mächtiger Männer.

In feministischen und satirisch-surrealistischen Zeichnungen thematisiert sie darüber hinaus das Herrschaftsverhältnis zwischen den Geschlechtern. Pakosta erweist sich in ihrem von ihr so genannten Erstwerk, das von einem figurativen Realismus geprägt ist, als Meisterin der Zeichnung und anderer grafischer Techniken. Was ihre Zeichnungen auf direkte Weise ansprechen, assoziieren ihre späteren Malereien in der Bildsprache der Abstraktion: das Gewaltsame und Zerbrechliche, aber auch Dynamische und Veränderliche.

 www.museumdermoderne.at

 8. 12. 2020

Wien Museum und Wienbibliothek: Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne

Oktober 11, 2020 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Fanfotos mit Marlene Dietrich und Buster Keaton

Werbeplakat für den Film Bambi, 1951. © Wienbibliothek im Rathaus

Anlässlich seines 75. Todestages erhellt ab 15. Oktober die Ausstellung „Im Schatten von Bambi. Felix Salten entdeckt die Wiener Moderne“ in der Wienbibliothek im Rathaus und im Wien Museum die vielen Facetten Felix Saltens. Sie präsentiert ihn als einflussreichen Journalisten, mächtigen Kulturkritiker, experimentierfreudigen Theatergründer und bedeutenden Protagonisten des kulturellen Lebens der Wiener Moderne.

Korrespondenzen mit Zeitgenossen zeigen ihn als Mitstreiter des literarischen Netzwerks „Jung Wien“ um Hermann Bahr, Hugo von Hofmannsthal und Arthur Schnitzler. Mit Tierbüchern wie „Bambi“ feierte er internationale Erfolge als Bestsellerautor. Als Chronist seiner Zeit dokumentierte Salten das tägliche Geschehen in Taschenkalendern. So sind die Einträge vor seiner Flucht in die Schweiz 1938/39 ein maßgeblicher Beitrag für die Kulturgeschichte der Stadt.

Zentrale Grundlage der Ausstellung ist Felix Saltens Nachlass, der 2015 und 2018 von der Wienbibliothek im Rathaus erworben wurde.

Dieser eröffnet mit zahlreichen Fotos, Lebensdokumenten, dem Manuskriptarchiv und besonders der Briefsammlung mit etwa 700 Korrespondenzpartnern, unter ihnen Karl Kraus, Heinrich und Thomas Mann, Berta Zuckerkandl und Stefan Zweig, einen Blick auf Leben und Wirken des Tausendsassas. Hinzu kommt die Nachlassbibliothek mit mehr als 2.300 Büchern, die unikale Arbeits- und Handexemplare, zahlreiche Widmungen und eine Belegsammlung seiner Werke enthält.

Im deutschsprachigen Raum erlangte Felix Salten zuerst als Journalist bei der Wiener Allgemeinen Zeitung und der Wiener Tageszeitung Die Zeit eine große Leserschaft und schillernden Ruhm. Die Auflagenzahlen ebenso emporschnellen ließ auch seine Berichterstattung für die Berliner Morgenpost über das Erdbeben von San Francisco 1906 – ein frühes Dokument von Fake News, da Salten über das Ausmaß der Katastrophe nur mutmaßen konnte. Über den Journalisten Salten kursieren zahlreiche Klischees, vor allem eilt ihm der Ruf des Skandal- und Klatschreporters voraus, weil er auf der Suche nach einer guten Story in der Tat bereit war, auch den Boulevard zu bedienen, für eine Schlagzeile immer ans Limit zu gehen und bisweilen auch darüber hinaus.

Wie viele intellektuelle Zeitgenossen war Felix Salten anfangs ein Trommler für den Ersten Weltkrieg: „Es muss sein!“, rief er den Lesern der Neuen Freien Presse am 29. Juli 1914 zu. Saltens Essay war der einzige journalistische Beitrag, der dem kaiserlichen Kriegsmanifest „An meine Völker!“ beigestellt werden durfte, das auf allen Titelseiten der Hauptstadtblätter an diesem Tag veröffentlicht wurde. Die Eindrücke von Verletzten, Toten und des Leides der Zivilbevölkerung ließen Salten gegen Ende des Weltkrieges umdenken. Auch er fühlt sich ab 1917 der ideenpolitischen Wende verpflichtet und spricht vom „Verständigungsfrieden“, der einen Frieden mit Kompromissen möglich machen soll. Dies spiegeln auch Saltens zahlreiche pazifistische Zeitungsartikel wieder. Die Ausstellung illustriert dieses komplexe Thema etwa mit Saltens Feuilletons oder Veranstaltungsplakaten zugunsten der Kriegswohlfahrt.

Gruppenfoto mit Marlene Dietrich (mit Felix Salten, Mitte), USA, 1930. © Wienbibliothek im Rathaus

Gruppenfoto mit Buster Keaton (11.v.l.); Felix Salten (13.v.l.), USA, 1930. © Wienbibliothek im Rathaus

Felix Saltens Presseausweis für das Jahr 1933. © Wienbibliothek im Rathaus

Felix Salten mit Max Reinhardt bei den Proben zu „Faust“ bei den Salzburger Festspielen, 1933. © Wienbibliothek im Rathaus

Im Dezember 1922 erschien der Roman „Bambi“, mit dem Felix Salten seinen Ruhm als Meister der Tiererzählung begründete. Zuerst als unverkäuflicher Flop im Ullstein Verlag erschienen, wurde die Neuauflage im jungen Wiener Zsolnay Verlag 1926 zum Bestseller im deutschsprachigen Raum und Salten, der bis dahin sein Einkommen vornehmlich als Journalist erzielte, konnte von den literarischen Einnahmen leben. Dokumentiert ist dieser Erfolg auch in der Nachlassbibliothek, die an die 100 verschiedene Ausgaben und Übersetzungen von „Bambi“ enthält.

Vor allem die amerikanische Ausgabe von 1928 und eine US-Buchclub-Ausgabe im selben Jahr mit einer Startauflage von 50.000 Exemplaren machten Salten auch international zur Berühmtheit. Belegt ist dies mit einer Reihe von Fotos, die 1930 im Rahmen einer journalistischen Reise durch die USA entstanden: Prominente wie Buster Keaton, Marlene Dietrich oder Henry Ford wollten stets direkt neben dem Bestsellerautor von „Bambi“ stehen. 1942 schließlich kam Disneys „Bambi“ als dessen erster abendfüllender Trickfilm in die Kinos.

Abseits von „Bambi“ ist Felix Salten heute vor allem als vermeintlicher Autor des skandalträchtigen Romans „Josefine Mutzenbacher oder Die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt“  aus dem Jahr 1906 bekannt – auch wenn dieser sich nie zur Autorenschaft bekannte und im ganzen Nachlass kein Hinweis darauf zu finden ist. Ein Fund im Nachlass ist aber jedenfalls Felix Salten zuzuschreiben: In einem dicken Konvolut ungeordneter Manuskriptblätter und Fragmente befanden sich verstreut acht handschriftliche Seiten, die sich zu einer vollständigen, bisher unbekannten pornographischen Novelle zusammenfügen ließen. Darin erzählt eine junge Prostituierte namens Albertine von ihrer sexuellen Initiation und Befreiung, die sie letztlich ins Bordell führte. Schauplatz ist neben anderen deutschen Städten besonders das Berlin der Roaring Twenties.

Das für Saltens Arbeitsweise typische, schwierig zu entziffernde Bleistiftmanuskript dürfte um 1930 entstanden sein. Saltens „Albertine“ entpuppt sich darin als seltsam ambivalenter Text, der zwar die Selbstermächtigung einer jungen Frau schildert und trotzdem als männliche Wunschphantasie erkennbar ist, wie sie für das Bürgertum des 19. Jahrhunderts typisch ist. Felix Saltens vielfältige Interessen spiegeln sich in seinen Texten zu Theater, Kino und Literatur wider und machen ihn zum wichtigen Auskunftsgeber über das kulturelle Leben Wiens. Bereits früh begeisterte sich Salten für das Medium Film und veröffentliche in den 1920er Jahren regelmäßig Filmbesprechungen. Aus seinem Verständnis für das Kino und dessen kultureller Bedeutung in der Moderne sowie seiner grundlegenden Beschäftigung mit dem Medium Film und dessen dramaturgischem Potential entstanden seit 1913 außerdem Drehbücher.

Felix Salten auf Sommerfrische am Attersee, um 1930 © Wienbibliothek

Brief des 9-jährigen Paul Salten an seinen Vater, 1912. © Wienbibliothek

Felix Salten mit Arthur Schnitzler, um 1910. © Wienbibliothek im Rathaus

Er führte zumindest einmal selbst Regie, lieferte Ideen und literarische Vorlagen, darunter für die – nicht erhaltene – Verfilmung von Saltens Erzählung „Olga Frohgemuth“  von 1922, in der die Konfrontation zweier sozialer Milieus im Zentrum steht. Gezeigt werden auch Saltens vielfältige Beziehungen zum Theater: als Autor, Kritiker und Theatergründer wie als Bezugsperson für Schauspieler und Theaterleute wie etwa Max Reinhardt.

Als Chronist seiner Zeit dokumentierte Salten das tägliche Geschehen in Taschenkalendern – so sind die Einträge vor seiner Flucht in die Schweiz zum Jahr 1938/39 ein maßgeblicher Beitrag für das kulturelle Gedächtnis der Stadt. Aus Angst vor der Gestapo hat Salten noch im Frühjahr 1938 viele Briefe, Schriftstücke und Manuskripte verbrannt, geblieben sind etwa 7.000 Korrespondenzstücke von 700 Schreibern, die im Nachlass enthalten sind. Unter den mehr als 2.300 Bänden seiner Bibliothek befinden sich unikale Arbeits- und Handexemplare, Belegsammlungen etwa seiner Tierbücher „Bambi“, „Florian“ und „Perri“ sowie 202 Widmungsexemplare – darunter Gedichtbände von Rainer Maria Rilke, die Erstausgabe von Franz Werfels „Verdi“-Roman oder eine Ausgabe von Gustav Mahlers Briefen, die die Herausgeberin Alma Maria Mahler dem Widmungsempfänger zu Weihnachten 1924 schenkte. Vor seiner Flucht dürfte die Bibliothek aber sehr viel mehr dedizierte Bände enthalten haben.

Saltens Flucht 1939 wurde von prominenten Zeitgenossen unterstützt: Gerüchte wie dieses, dass er im Konzentrationslager wäre, rief Künstler wie Erika und Thomas Mann auf den Plan. Sie setzten sich für eine finanzielle Unterstützung ein, damit Salten mit seiner Frau in die Schweiz einreisen durfte, wo seine Tochter bereits als Schweizer Staatsbürgerin lebte. Als Journalist hatte Salten in der Schweiz Berufsverbot, doch er konnte weiter belletristisch arbeiten. Dennoch waren seine letzten Lebensjahre von finanziellen Schwierigkeiten geprägt, vor allem weil er auf internationale Buchtantiemen nach dem Kriegseintritt der USA keinen Zugriff mehr hatte. Felix Salten starb am 8. Oktober 1945 in Zürich, wo er auch beigesetzt wurde.

www.wienmuseum.at           www.wienbibliothek.at

11. 10. 2020