Wien Modern / sirene Operntheater: Kabbala

November 1, 2022 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER-MEHMOOD

Per mystischer Musik durch das Universum

Kabbala. Bild: © sirene Operntheater

Mit einem Wort? Überwältigend! Das sirene Operntheater zeigt im Rahmen von Wien Modern und in Kooperation mit dem Planetarium Wien „Kabbala. Und nun war es in der Mitte der Nacht“, ein Oratorium in hebräischer Sprache von René Clemencic nach Texten der prophetischen Kabbala. „Zeigen“ ist für diese konzertante Aufführung die korrekte Benennung, ist doch der Schauwert ebenso groß wie das Klangerlebnis. Die Künstlerin Kristine Tornquist

von sirene sowie der Illustrator und Designer Germano Milite haben in Zusammenarbeit mit Astronominnen und Astronomen für den Sternenprojektor des Planetariums einen Film geschaffen, der parallel zur Musik in den Weltraum entführt. Zu sehen sind fantastische Bilder. Mit beinah Lichtgeschwindigkeit fliegt das Publikum von planetarischen Nebeln zu fernen Galaxien, Sterne rasen auf einen zu, dass einem schwindelt, und spätestens wenn man den Riesenstern Beteigeuze passiert, weiß man, dass man hier per mystischer Musik durchs Universum unterwegs ist. Das Ganze ist derart atemberaubend, dass es tatsächlich kaum zu beschreiben ist.

Clemencic hat seine Kabbala 1992 für das legendäre zweite Mittelfest in Cividale del Friuli komponiert. Das Oratorium zählte damals zu den herausragenden Aufführungen. „Kabbala“ ist für fünf Gesangssolisten – zwei Countertenöre, zwei Tenöre, einen Bassbariton ‐ und sechs Instrumentalisten ‐ Zink oder Trompete, zwei Schlagzeuger und drei Posaunen vorgesehen. Und wie stets in seinen Kompositionen geht es Clemencic in erster Linie um Klang‐Symbolik, wobei er Klänge und Klangkomplexe als akustische Zeichen und Chiffren für innere Erlebnisse und Erfahrungen einsetzt.

Unter der Leitung von François‐Pierre Descamps sind die Countertenöre Nicholas Spanos und Bernhard Landauer, die Tenöre Gernot Heinrich und Richard Klein sowie Bassbariton Colin Mason zu hören, zu den Solisten die InstrumentalistInnen Gerald Grün, Trompete, Werner Hackl, Peter Kautzky und Christian Troyer, Posaunen, sowie Robin Prischink und Adina Radu, Schlagwerk – grandiose Künstler und eine Künstlerin, wie sie besser nicht zu wünschen wären.

François‐Pierre Descamps und Ensemble. Bild: © Armin Bardel

Mitten im Universum, umtost von Sternen. Bild: © Armin Bardel

Der Urknall über den ProtagonistInnen. Bild: © Armin Bardel

Musikalischer Flug durch planetarische Nebel. Bild: © A. Bardel

Jüdische Mystik, die Zahlensymbolik der Kabbala, eine ungewöhnliche Besetzung: sirene macht sich hier an ein Werk, das wahre Lichtfunken sprüht, wenn die Männerstimmen unter der Himmelskuppel zum martialischen, zum archaischen Gesang anheben, die Posaunen in den tiefen Lagen wirkungsvoll mit Tenor und Countertenören kontrastieren, die beiden Schlagwerke donnern – wobei es den Akteuren gleichzeitig gelingt, auch eine meditative Stimmung zu erzeugen. Die Zuschauerinnen und Zuschauern haben sich zu diesem Zeitpunkt längst in den Sesseln des Planetariums zurückgelehnt, um das Spektakel über ihren Köpfen zu genießen.

So enigmatisch die Musik, so unergründlich das Weltall. Und man selbst auf der Reise vom Urknall zum kosmischen Netz, vorbei am Orion und den Plejaden, dabei beim einander umschlingenden Tanz zweier kollidierender Galaxien, mitten hinein in den Katzenpfotennebel. Den gibt es wirklich. Im Sternbild Skorpion. Schließlich die Sonne, die Erde. Zimzum, das Eigenexil Gottes, Die 22 heiligen Buchstaben, Welt der Prüfung / Welt der Unreinheit, Krieg der Söhne des Lichtes gegen die Söhne der Finsternis am Ende der Zeiten, so lauten Überschriften zu den vorgetragenen Texten, endlich die Rückkehr ins himmlische Jerusalem.

Yehalecha adonaj elohenu kol maaßecha. va-chaßidecha zadikim oße rezoncha ve-amcha bet ißrael kulam berina jodu vivarchu vischabchu. vifaaru et schem kevodecha. ki lecha tov lehodot leschimcha naim lesamer. U-meolam ve-ad olam ata el: baruch ata adonaj melech mehulal batischbachot. Baruch ata, adonaj, elohenumelech ha-olam, ha-gefen ve-al peri ha gefen. Gesegnet bist Du, Allmächtiger, unser Gott, König der Welt.

Bild: © Armin Bardel

Bild: © Germano Milite

Immer wieder formen sich aus Ringen Unendlichzeichen: . Bekannt gemacht wird man auch mit den Säulen der Schöpfung, jener interstellaren Masse im Adlernebel, einem Ort der Sternenentstehung in der Weite eines vermeintlichen Nichts. Auch die Kabbalisten beginnen ihren Schöpfungsmythos in der Spannung zwischen Nichts und Alles. Die Basis der kabbalistischen Lehre ist die Suche des Menschen nach der Erfahrung einer unmittelbaren Beziehung zu Gott. Sie führt über das rationale Verstehen hinaus, dringt in tiefreichende Dimensionen der Tora jenseits ihrer wörtlichen Botschaft vor. Ziffern/Sefirot und die 22 hebräischen Buchstaben enthüllen dabei die Geheimnisse der himmlischen Sphären.

„Das hebräische Wort Kabbala bedeutet in der Übersetzung ,Überlieferung‘. Sie ist das Fundament der jüdischen Mystik. Und doch geht sie über alles spezifisch Jüdische hinaus und spricht vom Menschen und seinem Weg durch die Welten. Behandelt werden sein Ausgesetztsein, seine Gottesferne und die Entfernung vom eigenen Selbst. Die Kabbala spricht von den Bedingungen seiner Entwicklung und von seiner Selbstverwirklichung. Diese jüdische Weisheit formuliert alles, was uns zutiefst betrifft“, so René Clemencic in einer Schrift zu seinem Werk.

So findet sich in dieser Aufführung ein komplexer Kosmos zusammen. Makro- und Mikro-, Mystik, Mensch und das Universum. Wir sind der Stoff, aus dem die Sterne sind. „Kabbala“ vom sirene Operntheater ist eine Herausforderung, eine Überforderung aller Sinne. Außergewöhnlich, eindrucksvoll, ein mit Sicherheit unvergessliches Erlebnis!

Weitere Vorstellungen: 04., 08., 11., 13., 17., 19. November, 12., 14. Jänner 2023.

Trailer: www.youtube.com/watch?v=wzmRACe7Awk          www.sirene.at/aktuell/2022-kabbala          www.vhs.at/de/e/planetarium          www.wienmodern.at

TIPP: SCIENCE – Jeweils um 19 Uhr vor den Vorstellungen halten WissenschaftlerInnen Vorträge zu Astronomie, Astrophysik und dem Schöpfungsmythos in der Kabbala (im Ticket inbegriffen). Die Themen reichen von Urknall und Glaube über Zimzum, der Selbstkontrakion Gottes, bis zur dunklen Seite des Universums.

Bild: © Armin Bardel

TIPP: MAKROKOSMOS

Von 22. bis 27. November zeigt sirene Operntheater ebenfalls im Rahmen von Wien Modern im Jugendstiltheater Wien „Makrokosmos I-IV“, vier Zyklen nach dem Zodiak von George Crumb, einem der meistgespielten zeitgenössischen amerikanischen Komponisten. „Makrokosmos I-IV“ ist hochkomplex, anspielungsreich und zyklisch aufgebaut, eine kosmische Choreographie im „Celestial ballroom“. Alle vier Teile beziehen sich auf den Zodiak, jenen 30 Grad breiten Streifen entlang der Ekliptik, in dem die 12 Monatszeichen stehen. Das sirene Operntheater stellt Crumbs subtiler und bildreicher Musik mit PRINZpod, Wendelin Pressl, Peter Koger, Barbis Ruder und Burkert/Tornquist fünf künstlerische Positionen zur Seite. www.sirene.at/aktuell/2022-makrokosmos

  1. 11. 2022

Albertina modern: The Face. Avedon bis Newton

Juli 31, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Starfotografen fotografieren Stars

Franz Hubmann: Marc Chagall (1887-1985), 1957, Abzug 1999 | Albertina, Wien – Schenkung Sammlung Helmut Klewan © Franz Hubmann / brandstaetter images / picturedesk.com

Die Ausstellung „The Face“ in der Albertina modern zeigt ausgewählte Werke zeitgenössischer Porträtfotografie aus der Sammlung der Albertina. Die Fotografien von internationalen und nationalen Künstlerinnen und Künstlern zeigen, wie facettenreich das Thema Porträt sein kann: Der Bogen reicht von eindringlichen Bildnisstudien berühmter Persönlichkeiten über Porträtaufnahmen von Kunstschaffenden in ihren Ateliers bis hin zu Arbeiten, die sich mittels serieller Aufnahmen eingehend mit den Porträtierten und ihrem Lebensumfeld auseinandersetzen.

Über die gezeigten Fotografien werden Themen wie kulturelle Identität, persönliche Beziehungen, diverse Lebenswelten aber auch Fragen der Herkunft und des eigenen Ichs verhandelt. Mit Werken unter anderem von Nancy Lee Katz, Richard Avedon, Gottfried Helnwein, Chuck Close und Franz Hubmann.

Zu sehen bis 6. November.

www.albertina.at

27. 7. 2022

Gottfried Helnwein: Michael Jackson, Köln, 1988 | Albertina, Wien © Gottfried Helnwein / Bildrecht, Wien 2022

Gottfried Helnwein: Elton John, München, 1992 | Albertina, Wien © Gottfried Helnwein / Bildrecht, Wien 2022

Gottfried Helnwein: Mick Jagger, London, 1982 | Albertina, Wien © Gottfried Helnwein / Bildrecht, Wien 2022

 

Albertina modern / Stadtkino Wien: Ai Weiwei

März 12, 2022 in Ausstellung, Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Größte Retrospektive bisher. Mit Filmprogramm

Ai Weiwei: Illumination, 2019. Lego-Bausteine. Courtesy of the artist. Bild: Courtesy of the artist and Lisson Gallery © 2022 Ai Weiwei

Ai Weiwei ist einer der bedeutendsten Künstler unserer Zeit, ein unermüdlicher Aktivist und Kritiker autoritärer Systeme. Die Albertina modern widmet ihm nun ab 16. März seine bislang umfangreichste Retrospektive. „In Search of Humanity“ befasst sich eingehend mit dem Aspekt der Menschlichkeit und der künstlerischen Stellungnahme in Ai Weiweis Schaffen (Virtuelle Eröffnung am 15. März via Youtube oder Facebook, siehe unten). Schon seine frühesten Werke sind von der Auseinander- setzung mit seinem

Heimatland China geprägt, wo er als Kind durch die Verbannung seines Vaters, des großen Dichters Ai Qing, die Auswirkungen der Kulturrevolution miterlebte. Als junger Mann im New Yorker East Village der 1980er-Jahre wurde er Zeuge und Dokumentarist der dortigen Protestbewegung. Zurück in Peking waren es die unmittelbaren Nachwehen des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens, auf die er künstlerisch reagierte. Sein ausgestreckter Mittelfinger, den er bekannten Bauwerken als Repräsentationsobjekten der Macht entgegenhielt und damit Missständeanprangerte, wurde schließlich zu seinem Markenzeichen.

Ai Weiwei: Dropping a Han Dynasty Urn, 1995. Privatsammlung. Bild: Albertina / Lisa Rastl & Reiner Riedler © 2022 Ai Weiwei

Ai Weiwei: Study of Perspective – Eiffel Tower, 1999. Albertina, Wien – Sammlung The Essl Collecion. Bild: Mischa Nawrata. © 2022 Ai Weiwei

Ai Weiwei: S.A.C.R.E.D. (i) S upper, 2013. Diorama. Courtesy of the artist and Lisson Gallery. Bild: Courtesy Ai Weiwei Studio and Lisson Gallery © 2022 Ai Weiwei

Immer wieder sind es Machtstrukturen und die Mechanismen der Herrschaftsausübung, die der Künstler thematisiert, sei es die Zerstörung von Kulturgütern als Ausdruck der eigenen Überlegenheit oder die Ausübung von Manipulation, Zensur und Überwachung von staatlicher Seite. Unablässig schaut er stets dort genauer hin, wo er Meinungsfreiheit und Menschenrechte in Gefahr sieht bei Einschüchterungsmethoden der chinesischen Regierung, der Bedrohung von Journalisten sowie politischen Aktivisten über die Proteste in Hongkong und die massiven Restriktionen in Wuhan beim Ausbruch der Corona-Pandemie bis hin zur eigenen Inhaftierung 2011.

Die aktuelle Situation Flüchtender auf der ganzen Welt betrachtet Ai als die vielleicht größte globale humanitäre Krise seit dem Zweiten Weltkrieg, als enorme Herausforderung für uns als solidarische Gesellschaft und sieht bei jedem und jeder einzelnen von uns die Verantwortung, zu handeln. Mit Ai Weiweis kulturellen Readymades, seinen Wandarbeiten, Skulpturen, Installationen, Fotografien und zahlreichen Filmen bietet die Ausstellung einen beeindruckenden Überblick über die mehr als vier Jahrzehnte währende Karriere des Künstlers und beinhaltet Schlüsselwerke aus allen Schaffensphasen.

Zu sehen bis 4. September.

www.albertina.at           Link zur virtuellen Eröffnung am 15. März, 18.30 Uhr: www.youtube.com/watch?v=6k3kV4wFIA8

Ai Weiwei: Forever Bicycles, 2003. 42 Fahrräder. Privatsammlung. Bild: Albertina, Wien / Lisa Rastl & Reiner Riedler © 2022 Ai Weiwei

Ai Weiwei: Zodiac (Dragon), 2019. LEGO-Bausteine. Privatsammlung. Bild: Albertina, Wien / Lisa Rastl & Reiner Riedler © 2022 Ai Weiwei

Ai Weiwei: Neolithic Vase with Coca-Cola Logo, 1994. Privatsammlung. Bild: Albertina, Wien / Lisa Rastl & Reiner Riedler © 2022 Ai Weiwei

Instagram-Takeover

Bereits gestern übernahmt Ai Weiwei den Instagram-Account der Albertina und postet über seine Kunst und aktuelle Ereignisse. www.instagram.com/albertinamuseum

Ai Weiwei – Selected Films im Stadtkino Wien

Von 14. März bis 16. Mai zeigt das Stadtkino als Begleitprogramm zur Ausstellung in der Alberina sieben Filme von und mit Ai Weiwei. Die Termine:

14. März, 18 Uhr AI WEIWEI: NEVER SORRY, Porträt über den Künstler, politischen Aktivisten und Privatmenschen. Regie: Alison Klayman. Trailer siehe unten.
21. März, 18 Uhr CORONATION über Covid-19 in China samt einer Reise in die „Verbotene Stadt“ Wuhan. Regie: Ai Weiwei. Trailer: www.youtube.com/watch?v=RYoA6DjRuu
4. April, 18.30 Uhr THE FAKE CASE über Ai Weiwei nach seinen 81 Tagen in Einzelhaft. Regie: Andreas Johnsen. Trailer: www.youtube.com/watch?v=EXcGfQ5CrCc&
18. April, 20.15 Uhr FAIRYTALE, Projekt für die Documenta 12, Ai Weiwei bringt 1001 ChinesInnen nach Kassel und befragt sie nach ihren Eindrücken. Regie: Ai Weiwei + Sunflower Seeds. Trailer: www.youtube.com/watch?v=B1cYkK0cVEA
2. Mai, 18 Uhr THE REST über den Umgang Europas mit Flüchtlingen, Storys über Krieg, Armut und Verfolgung – und den Spiegel, die „der Rest“ dem europäischen, politischen Zeitgeist vorhält. Regie: Ai Weiwei, Trailer: www.youtube.com/watch?v=Ax5L-cLPJwY
16. Mai, 20 Uhr HUMAN FLOW begleitet Flüchtlinge rund um den Globus, eine Reise rund um die Welt von Afghanistan, Bangladesch, Frankreich, Griechenland, Deutschland, Irak, Israel, Italien, Kenia, Mexiko bis in die Türkei. Regie: Ai Weiwei. Trailer: siehe unten.

stadtkinowien.at          www.aiweiwei.com

12. 3. 2022

Albertina modern: Online-Führungen durch „THE 80s. Die Kunst der 80er Jahre“. In fünf Sprachen

November 24, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Jungen Wilden und ihre „Heftige Malerei“

Gilbert & George: We Are, 1985. Collection Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg · Seoul © Gilbert & George / © Bildrecht, Wien 2021

Ab morgen bieten Albertina und Albertina modern Online-Führungen durch ihre aktuellen Ausstellungen. Via Zoom kann man live und digital dabei sein, wenn die Kunstvermittlerinnen und Kunstvermittler der Häuser die Highlights der Schauen präsentieren, Hintergründe erläutern und auf die Live-Fragen des Publikums eingehen. Preis für ein Online-Ticket: 5 Euro. Einen besonderen Stellenwert in diesem Lockdown-Programm nimmt der Ausstellungs-

rundgang durch „THE 80s. Die Kunst der 80er Jahre“ der Albertina modern ein, der in den Sprachen Deutsch, Französisch, Spanisch, Russisch und Italienisch mitzuerleben ist. Die Ausstellung „The 80s“ in der Albertina modern präsentiert mehr als 160 Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die nicht nur dieses Jahrzehnt bestimmten, sondern deren Schaffen weit in die Kunst des 21. Jahrhunderts vorausreicht. Die 1980er: Es ist das Zeitalter des (Neo-)Liberalismus, der nun endgültig in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft angekommen ist. Margaret Thatcher und Ronald Reagan regieren mit konservativen Kräften den anglo-amerikanischen Raum.

Das Aufkommen der ersten PCs, von Videospielen, Globalisierung, der Öffnung der nationalen Grenzen und steigende Mobilität suggerieren eine Welt in relativer Harmonie. Kino-Besucherrekorde, technischer Fortschritt und die Verlockungen des Konsums versprechen eine rosige Zukunft. Auch vom Ende der Geschichte, einem saturierten, westlich dominierten Weltbild ist da und dort die Rede. Und doch: Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist nur ein junges Menschenleben entfernt. Nach vorne drängt eine Generation, die genug vom Nachkriegsmuff hat. Eine Generation, der Wohlstand und Gemütlichkeit keineswegs genügen. Wer sich nicht zu sehr ablenken lässt, erkennt eine Welt im OstWestKonflikt, spürt den Druck der atomaren Aufrüstung oder ist durch die Friedensbewegung und die deutsche Wiedervereinigung geprägt.

Es ist ein Jahrzehnt der Rebellion, aus den Radios ertönt Elektromusik mit sinnlosen Texten, Wave und Punk zeigen der Gesellschaft offen ihren Unmut. Aus dem Untergrund erwächst eine Avantgarde, die experimentiert, in Frage stellt und einen Spiegel vorhält. Die Kunst der 1980er ist bunt und facettenreich. Sie kann alles sein, nur eines nicht: langweilig. In den Achtzigerjahren wurde plötzlich alles möglich. Die großen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche sind auch in der Kunst deutlich sichtbar. Künstlergruppen brechen mit dem festgefahreren Kunstbetrieb, entthronen die Avantgarde: Die „Jungen Wilden“ entdecken die bildende Kunst neu und stellen ebenso selbstbewusst wie gesellschaftlich engagiert unter dem Begriff „Heftige Malerei“ aus.

Jeff Koons: Bear and Policeman, 1988. Kunstmuseum Wolfsburg © Jeff Koons. Bild: Gautier Deblonde

Izhar Patkin: Don Quijote Segunda Parte, 1987. Privatsammlung © Izhar Patkin

Mike Kelley: Estral Star #3, 1989. Sammlung Ringier, Schweiz © Bildrecht, Wien 2021. Bild: Gerhard Born

Nicht eine Geschichte, sondern viele kleine Erzählungen bestimmen die 1980erJahre. Vielfalt im Denken und Handeln, Wissen und Glauben haben Hochkonjunktur. Grenzerweiterungen in vielerlei Hinsicht und Vernetzung gehören zu den wesentlichen Kennzeichen dieser Zeit. Wie kaum ein anderes Jahrzehnt haben sich die Achtzigerjahre ins Gedächtnis derjenigen eingebrannt, die diese Dekade erlebten. Die schrillen Retrovisionen, die in zyklischen Abständen ein Revival erleben, begeistern aber auch heute noch jüngere Generationen. Nach den kargen Jahren von Konzeptkunst und Minimalismus äußern sich die Neuen Wilden nun auf bunte und vor
allem auch sehr experimentelle Weise. Entdeckung und die Freude am Neuen stehen im Vordergrund. Ein Versuchslabor, das auch vor Kitsch und Pathos keinerlei Berührungsängste mitbringt. Mehr noch: Als sicheres Zeichen von Selbstreflektion, vielleicht auch als Augenzwinkern, wird der Finger dorthin gelegt, wo sich die massentauglich inszenierte Gesellschaft etwas zu ernst nimmt.

In der bildenden Kunst macht sich das „Anything Goes“ des anarchistisch denkenden Österreichers Paul Feyerabend durch stilistischen Reichtum bemerkbar. Der sogenannte Hunger nach Bildern, der diese Dekade einläutete und sich in den expressiven Gesten der Jungen Wilden auf großformatigen Leinwänden widerspiegelt, ist nur als Gegenbewegung zu den minimalistischen und konzeptuellen Strömungen der 1960er und 1970erJahre verständlich. „Die Kunst wuchert, zeugt Triebe und Filiationen, bildet Knotenpunkte und Verästelungen“, schreibt der Herausgeber des damals angesagten Kunstmagazins „Wolkenkratzer“ Wolfgang Max Faust. Nun steht Abstraktion neben greifbarer Figuration, Emotion neben rationaler Kühle. Die neuen Medien, das anbrechende digitale Zeitalter bringen eine neue Kunst der Chiffre, Fiktion und Kopie hervor.

David Salle: Room with blue statue, 1986. Albertina, Wien – The Essl Collection © Bildrecht, Wien, 2021

Francesco Clemente: Hermaphrodite, 1985. Albertina, Wien – The Jablonka Collection © Francesco Clemente

Isolde Joham: Electric Rider, 1981. Privatsammlung © Isolde Joham | Bild: Olga Pohankova

Bruce Nauman: Sex and Death by Murder and Suicide,1985. Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel © Bruce Nauman/ Bildrecht, Wien, 2021. Bild: Bisig & Bayer, Basel

Die 1980erJahren, die von Jeff Koons und Jenny Holzer über JeanMichel Basquiat und Keith Haring bis zu Cindy Sherman und Richard Prince reichen, sind die Wiege der Kunst von heute. Fragen der Aneignung und der Autorschaft werden genauso diskutiert wie Kritik an der Konsumkultur. Das Oeuvre von österreichischen Kunstschaffenden wie Brigitte Kowanz und Erwin Wurm über Herbert Brandl und Maria Lassnig bis zu Franz West und Peter Kogler gliedert sich in der Ausstellung „The 80s.“ mühelos in den Kanon eines internationalen Staraufgebots ein. Vertreter sind unter anderem Jean Michel Basquiat, Jeff Koons, Keith Haring, Robert Longo, Cindy Sherman, Sherrie Levine und Jenny Holzer. Ihre Kunst bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt in der jüngeren Kunstgeschichte.

Aber nicht nur die Hauptvertreter der amerikanischen Picture Generation und der Approbiation Art zeigt die Ausstellung über die 80erJahre, sondern auch die wichtigsten Exponenten der italienischen Transavantgarde wie Francesco Clemente und Sandro Chia, und auch dem bis heute einflussreichen deutschen Beitrag dieses Jahrzehnts, Martin Kippenberger und Albert Oehlen, sowie die wichtigsten österreichischen KünstlerInnen der 80erJahre, Brigitte Kowanz und Isolde Joham, daneben Brandl, Schmalix, Scheibl und Moosbacher. Als Hauptvertreter der Neuen Wilden, Rockenschaub und Peter Kogler als Vertreter des Neo Geo und der Installationskunst. Einzelfiguren wie Franz West, Erwin Wurm und Maria Lassnig werden eine herausragende Rolle spielen in diesem Überblick über das in seiner Bedeutung für die Gegenwartskunst gar nicht zu überschätzenden Jahrzehnt.

Weitere Online-Führungen gibt es unter anderem zu den Schauen „American Photography“ (www.mottingers-meinung.at/?p=47267) oder „Modigliani“ (www.mottingers-meinung.at/?p=47693).

www.albertina.at/albertina-modern/ausstellungen/digital

Online-Workshops für TeilnehmerInnen ab 14 Jahren

Wer sich selbst mit Pinsel oder Bleistift beweisen will, dem bietet die Albertina Online-Workshops, in denen unterschiedliche Techniken sowie künstlerische Themen im Mittelpunkt stehen. Bei Hands on gestaltet man ein expressives Porträt einer Hand in Acrylfarben. Vom wohl berühmtesten Hasen der Albertina (Albrecht Dürers aus der Sammlung Albertina) lässt man sich bei Aquarell & Hase inspirieren. Alles andere als leise wird ein Stillleben in Pastellkreide nach Vorbildern der Ausstellung „Monet bis Picasso“ ausfallen. Die Vielfalt grafischer Techniken lotet das Programm Schwarz/Weiß aus. Die Workshops dauern 1,5 Stunden und richten sich an alle ab 14 Jahren. Die Materialien erhalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einige Tage vor Termin per Post. Die Teilnahmegebühr beträgt 28 Euro. Mehr Informationen hat die Albertina Kunstvermittlung: besucher@albertina.at

shop.albertina.at/de/online-programme/workshopsonline

24. 11. 2021

Albertina modern: THE 80s. Die Kunst der 80er Jahre

Oktober 11, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Jungen Wilden und ihre „Heftige Malerei“

Gilbert & George: We Are, 1985. Collection Thaddaeus Ropac, London · Paris · Salzburg · Seoul © Gilbert & George / © Bildrecht, Wien 2021

Die Ausstellung „The 80s“ in der Albertina modern präsentiert ab 10. Oktober mehr als 160 Arbeiten von Künstlerinnen und Künstlern, die nicht nur dieses Jahrzehnt bestimmten, sondern deren Schaffen weit in die Kunst des 21. Jahrhunderts vorausreicht. Die 1980er: Es ist das Zeitalter des (Neo-)Liberalismus, der nun endgültig in Gesellschaft, Politik und Wirtschaft angekommen ist. Margaret Thatcher und Ronald Reagan regieren mit konservativen

Kräften den anglo-amerikanischen Raum. Das Aufkommen der ersten PCs, von Videospielen, Globalisierung, der Öffnung der nationalen Grenzen und steigende Mobilität suggerieren eine Welt in relativer Harmonie. Kino-Besucherrekorde, technischer Fortschritt und die Verlockungen des Konsums versprechen eine rosige Zukunft. Auch vom Ende der Geschichte, einem saturierten, westlich dominierten Weltbild ist da und dort die Rede. Und doch: Das Ende des Zweiten Weltkrieges ist nur ein junges Menschenleben entfernt. Nach vorne drängt eine Generation, die genug vom Nachkriegsmuff hat. Eine Generation, der Wohlstand und Gemütlichkeit keineswegs genügen. Wer sich nicht zu sehr ablenken lässt, erkennt eine Welt im OstWestKonflikt, spürt den Druck der atomaren Aufrüstung oder ist durch die Friedensbewegung und die deutsche Wiedervereinigung geprägt.

Es ist ein Jahrzehnt der Rebellion, aus den Radios ertönt Elektromusik mit sinnlosen Texten, Wave und Punk zeigen der Gesellschaft offen ihren Unmut. Aus dem Untergrund erwächst eine Avantgarde, die experimentiert, in Frage stellt und einen Spiegel vorhält. Die Kunst der 1980er ist bunt und facettenreich. Sie kann alles sein, nur eines nicht: langweilig. In den Achtzigerjahren wurde plötzlich alles möglich. Die großen gesellschaftlichen und politischen Umbrüche sind auch in der Kunst deutlich sichtbar. Künstlergruppen brechen mit dem festgefahreren Kunstbetrieb, entthronen die Avantgarde: Die „Jungen Wilden“ entdecken die bildende Kunst neu und stellen ebenso selbstbewusst wie gesellschaftlich engagiert unter dem Begriff „Heftige Malerei“ aus.

Jeff Koons: Bear and Policeman, 1988. Kunstmuseum Wolfsburg © Jeff Koons. Bild: Gautier Deblonde

Izhar Patkin: Don Quijote Segunda Parte, 1987. Privatsammlung © Izhar Patkin

Mike Kelley: Estral Star #3, 1989. Sammlung Ringier, Schweiz © Bildrecht, Wien 2021. Bild: Gerhard Born

Nicht eine Geschichte, sondern viele kleine Erzählungen bestimmen die 1980erJahre. Vielfalt im Denken und Handeln, Wissen und Glauben haben Hochkonjunktur. Grenzerweiterungen in vielerlei Hinsicht und Vernetzung gehören zu den wesentlichen Kennzeichen dieser Zeit. Wie kaum ein anderes Jahrzehnt haben sich die Achtzigerjahre ins Gedächtnis derjenigen eingebrannt, die diese Dekade erlebten. Die schrillen Retrovisionen, die in zyklischen Abständen ein Revival erleben, begeistern aber auch heute noch jüngere Generationen. Nach den kargen Jahren von Konzeptkunst und Minimalismus äußern sich die Neuen Wilden nun auf bunte und vor
allem auch sehr experimentelle Weise. Entdeckung und die Freude am Neuen stehen im Vordergrund. Ein Versuchslabor, das auch vor Kitsch und Pathos keinerlei Berührungsängste mitbringt. Mehr noch: Als sicheres Zeichen von Selbstreflektion, vielleicht auch als Augenzwinkern, wird der Finger dorthin gelegt, wo sich die massentauglich inszenierte Gesellschaft etwas zu ernst nimmt.

In der bildenden Kunst macht sich das „Anything Goes“ des anarchistisch denkenden Österreichers Paul Feyerabend durch stilistischen Reichtum bemerkbar. Der sogenannte Hunger nach Bildern, der diese Dekade einläutete und sich in den expressiven Gesten der Jungen Wilden auf großformatigen Leinwänden widerspiegelt, ist nur als Gegenbewegung zu den minimalistischen und konzeptuellen Strömungen der 1960er und 1970erJahre verständlich. „Die Kunst wuchert, zeugt Triebe und Filiationen, bildet Knotenpunkte und Verästelungen“, schreibt der Herausgeber des damals angesagten Kunstmagazins „Wolkenkratzer“ Wolfgang Max Faust. Nun steht Abstraktion neben greifbarer Figuration, Emotion neben rationaler Kühle. Die neuen Medien, das anbrechende digitale Zeitalter bringen eine neue Kunst der Chiffre, Fiktion und Kopie hervor.

David Salle: Room with blue statue, 1986. Albertina, Wien – The Essl Collection © Bildrecht, Wien, 2021

Francesco Clemente: Hermaphrodite, 1985. Albertina, Wien – The Jablonka Collection © Francesco Clemente

Isolde Joham: Electric Rider, 1981. Privatsammlung © Isolde Joham | Bild: Olga Pohankova

Bruce Nauman: Sex and Death by Murder and Suicide,1985. Emanuel Hoffmann-Stiftung, Depositum in der Öffentlichen Kunstsammlung Basel © Bruce Nauman/ Bildrecht, Wien, 2021. Bild: Bisig & Bayer, Basel

Die 1980erJahren, die von Jeff Koons und Jenny Holzer über JeanMichel Basquiat und Keith Haring bis zu Cindy Sherman und Richard Prince reichen, sind die Wiege der Kunst von heute. Fragen der Aneignung und der Autorschaft werden genauso diskutiert wie Kritik an der Konsumkultur. Das Oeuvre von österreichischen Kunstschaffenden wie Brigitte Kowanz und Erwin Wurm über Herbert Brandl und Maria Lassnig bis zu Franz West und Peter Kogler gliedert sich in der Ausstellung „The 80s.“ mühelos in den Kanon eines internationalen Staraufgebots ein. Vertreter sind unter anderem Jean Michel Basquiat, Jeff Koons, Keith Haring, Robert Longo, Cindy Sherman, Sherrie Levine und Jenny Holzer. Ihre Kunst bezeichnet einen wichtigen Wendepunkt in der jüngeren Kunstgeschichte.

Aber nicht nur die Hauptvertreter der amerikanischen Picture Generation und der Approbiation Art zeigt die Ausstellung über die 80erJahre, sondern auch die wichtigsten Exponenten der italienischen Transavantgarde wie Francesco Clemente und Sandro Chia, und auch dem bis heute einflussreichen deutschen Beitrag dieses Jahrzehnts, Martin Kippenberger und Albert Oehlen, sowie die wichtigsten österreichischen KünstlerInnen der 80erJahre, Brigitte Kowanz und Isolde Joham, daneben Brandl, Schmalix, Scheibl und Moosbacher. Als Hauptvertreter der Neuen Wilden, Rockenschaub und Peter Kogler als Vertreter des Neo Geo und der Installationskunst. Einzelfiguren wie Franz West, Erwin Wurm und Maria Lassnig werden eine herausragende Rolle spielen in diesem Überblick über das in seiner Bedeutung für die Gegenwartskunst gar nicht zu überschätzenden Jahrzehnt.

Virtuelle Eröffnung: www.youtube.com/watch?v=r8kPCopiNv8           www.albertina.at

10. 10. 2021