Ein Ärzteroman-Lesemarathon aus den Homeoffices

April 16, 2020 in Tipps

VON MICHAELA MOTINGER

Kabarettisten fordern „Noch eine Chance für Bettina“

Bild: © Ronny Tekal

Nach der virtuellen Lesung von Albert Camus‘ „Die Pest“ mit den Rabenhof-Allstars (siehe: www.mottingers-meinung.at/?p=39026) folgt nun ein weiterer Klassiker der Weltliteratur – der im Jahr 1970 im Bastei-Lübbe-Verlag erschienen ist. Für all jene, denen Camus zu schwer und die Pest zu schwarz ist, stellt Autorin Gitta von Bergen ihre Protagonistin Bettina ins Zentrum ihres kleinen Romans voll Liebe, Schmerz und – vielleicht– auch einem Happy End. Ronny Tekal und Norbert Peter aka die Medizinkabarettisten Peter&Tekal haben befreundete Kolleginnen und Kollegen zum Vortrag gebeten, und das Line-up der Mitwirkenden kann sich sehen lassen.

Mit dabei sind: Lukas Resetarits, Mike Supancic, Paul Pizzera, Klaus Eckel, Stefan Jürgens, Joesi Prokopetz, Ludwig Müller, Nadja Maleh, Fifi Pissecker, Angelika Niedetzky, Pepi Hopf, Günther Lainer, Werner Brix, Fredi Jirkal, Gerold Rudle, Monica Weinzettl, Sabine Petzl, Tini Kainrath, Omar Sarsam, Dieter Chmelar, Birgit und Nicole Radeschnig, Gerald Fleischhacker, Robert Blöchl von Blözinger, die Gebrüder Moped Martin Strecha und Franz Stanzl, Kernölamazone Caro Athanasiadis, Tricky Niki

Sedlak, Markus Hauptmann, Andy Woerz, Harry Lucas, Clinic-Clown-Gründer Roman Szeliga, Robert Mohor, Markus Richter, Uschi Nocchieri, Patricia Simpson, Norbert Peter, Ronny Tekal und Frau Kratochwill, Lydia Prenner-Kasper, Christoph Fälbl, Anja Kaller, Alex Kröll, Martin Kosch, Stefan Haider, Alexander Sedivy, Barbara Balldini und Guido Tartarotti.

Bild: © Ronny Tekal

Bild: © Ronny Tekal

Zu hören kostenlos ab 17. April, 17 Uhr. Dass sich ein gewisser Humor aus der Schere zwischen vortragender Ernsthaftigkeit und Inhalt ergibt, liegt in der Natur der Sache Groschenroman. Die Einblicke, die ein erster Trailer bietet, sind jedenfalls Weltklasse.

Trailer: youtu.be/6_Wo7STW8bg          Mehr Infos: www.facebook.com/petertekal               www.medizinkabarett.at

16. 4. 2020

Kabarett Niedermair – Mike Supancic: Familientreffen

November 5, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Nordkorea-Gstanzln made in der Steiermark

Großartiger Kabarettist, begnadeter Parodist: Mike Supancic. Bild: © Ludwig Rusch

Die siebzehn im Vorfeld hinuntergestürzten Magenbitter machen die Verwandtschaft auch nicht leichter verdaulich, heißt: jene 68 Leute, die zum 80iger der Cecilia-Tant‘ kommen werden. Mike Supancic muss diesmal ran, nämlich an Vorbereitung und Vollzug des nächsten „Familientreffen“.

Dies der Titel des aktuellen Programms des steirischen Kabarettisten, und apropos, Magen-: so bitterböse hat man den Spaßmacher noch selten erlebt, kippt ihm doch die Sippschaft-Satire in ungewohnter Beständigkeit Richtung Politsarkasmus. Die Groteske wird regelrecht grausam, sobald er vom Alltäglichen ins Allzu-Unmenschliche schwenkt.

Die Fronten im Psychoclankrieg sind rasch geklärt, hie Onkel Rudi mit der indonesischen Katalogfrau Nr. 214-335 und der Kärntner Schitrainer Kurt, der immer noch vom „Pastern“ träumt, dort Tante Aloisia mit dem Wahlspruch „Ich kann nicht mehr!“ und Wahltante Wiltrud mit dem Wolfshund – und dann ist da noch der Hubsi, von dem niemand genau weiß, in welchem Verhältnis er zu wem steht, der aber gekonnt Opas Konten hackt und leer räumt. Die Supancics gehen einander über alles, auch gegenseitig über die Leichen.

Vom Weihwasser-Waterbording bis zum Vase-übern-Kopf-Stülpen wird keine Quälerei ausgelassen, und wenn Supancic in bester ian-anderson’scher Folk-Rock-Manier vom Gewerkschaftsbruder Jethro Tull singt, im zarten Alter von 41 bereits in den Unruhestand versetzt, weil ihn die Belegschaft schnellstens in den Betriebsratssarg wünschte, dann ist das so morbid und makaber, dass es nicht verwundert, dass auf den Entzug aller Du-Wörter auch die Degradierung „Du bist nicht mehr mein Großneffe zweiten Grades!“ folgen muss.

Das ungemütliche Stelldichein der Familie Supancic ist selbstverständlich musikalisch unübertrefflich. Der Meister der Melodien-Parodie kann’s von Volksdümmlich bis Heavy Metal, sein Nonsensattacken werden da wie immer schwer hintersinnig, um nicht zu sagen: hinterhältig, die Themen des Tages allesamt besungen – der FPÖ-Historikerbericht im Stil der Liederbuchaffäre, wobei „Ein Neger wollte Hochzeit machen“ freilich nicht im fröhlichen Fidiralala endet, und ein Blondi(e)-Song Hitlers Schäferhündin meint. Nach spöttischen Kim-Jong-un-Gstanzln erhebt überdies Donald Trump die Stimme, um zur „Shaft“-Titelmusik zu verkünden, dass er zwar ohne Plan auf wen, dafür prompt aus der Hüfte schieße.

Derart geht’s vom Klimaschutz-Speiseeis über tatsächlich explodierende Mietkosten bis zur Zusammenlegung der Sozialversicherungen, weil gerade erst Allerheiligen und Allerseelen war, präsentiert Sepp Forcher „Mei liabste Leich“ – und Fans, die dachten, der gute alte „O’Leary“ oder die „OEBB Train“ seien nicht zu toppen, dürfen auf das „Theo Lingen Selbstmord Medley“ gespannt sein. Die Supancics sind so skurril wie die Addams-, so gruselig wie die Kelly-, im Gegensatz zur Familie Putz vom Lutz sogar freiwillig komisch, und ihr „Familientreffen“ so leicht entflammbar und hitzig, als würde man die Brandstifter persönlich zum „Feuer aus!“ rufen. Auf zwei Stunden Schlager, Scharfsinn und Schlagfertigkeit folgte von Seiten des Publikums schallende Begeisterung.

www.niedermair.at           www.supancic.at           www.youtube.com/user/feinfein69

  1. 11. 2019

Nurejew – The White Crow

September 21, 2019 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Der waghalsige Weg vom Sowjetflüchtling zum Weltstar

Der ukrainische Balletttänzer Oleg Ivenko brilliert in seiner ersten Schauspielrolle, hier als Rudolf Nurejew als Krieger Solor in „La Bayadère“. Bild: Alamode Film

„Monsieur Nurejew muss sich jetzt entscheiden“, sagt der Flughafenpolizist, und markiert damit den Moment, auf den der ganze Film abzielt. Der 23-jährige Balletttänzer sitzt im Wachzimmer auf dem Aéroport de Paris – Le Bourget, es ist der 16. Juni 1961, sein Blick ist gesenkt, die Hände zittern. Wird er im Westen bleiben oder in die Sowjetunion zurückkehren? Und was wird aus seiner Familie, wenn er sich für ersteres entscheidet? Wird er hier überhaupt Fuß fassen können oder nur als Trophäe des Kalten Kriegs gelten?

Man weiß, wie’s ausgeht, auch, dass der nunmehr Staatenlose 1964 als Tänzer und Choreograph an die Wiener Staatsoper engagiert wurde und im Zuge dessen die österreichische Staatsbürgerschaft annahm. Doch dank der virtuosen Darstellung von Oleg Ivenko kann man nicht anders, als augenblicklich um den verängstigten Flüchtling zu bangen. Der junge ukrainische Tänzer von der Tatar State Ballet Company verkörpert im Biopic „Nurejew – The White Crow“, ab 27. September in den Kinos, den späteren Weltstar. Es ist Ivenkos erste Arbeit als Schauspieler, und wie er sich dem egozentrischen, exzentrischen, mittelschwer explosiven Genie in körperlicher und künstlerischer Haltung nähert, ist von unfassbarer Authentizität.

Ralph Fiennes hat sich für sein drittes Regievorhaben nach dem Lesen der Biografie von Julie Kavanagh für diesen Wendepunkt im Leben der Legende begeistert, hat Dramatiker und Drehbuchautor David Hare ins Team geholt, der, wie er es formuliert, bereits das „berühmte Monster“ Nurejew kennenlernte, und der nun für sein Tun mit Clara Saint, Pierre Lacotte und weiteren Freunden und Wegbegleitern des Tanzgottes sprach. Gemeinsam entwickelten Fiennes und Hare für ihren Film eine Nouvelle-Vague-Ästhetik, die Kameramann Mike Eley in cremigen Bildern, und Production Designerin Anne Seibel und Kostümbildnerin Madeleine Fontaine perfekt bis ins kleinste Roaring-Sixties-Detail umsetzten.

Und weil es Fiennes, der auch Russisch spricht, wichtig war, mit russischen Schauspielern zu drehen, sind Chulpan Khamatova als Ksenija Puschkin, Fiennes selbst spielt Nurejews brillanten Lehrmeister Alexander Puschkin, Alexey Morozov als KGB-Agent Strischewsky, der ukrainische Ballettstar Sergei Polunin als Juri Solowjew und Anna Polikarpova, bis vor Kurzem Erste Solistin des Hamburg Ballett, als Primaballerina Natalia Dudinskaya Teil des Casts. Für die richtige Atmosphäre sorgt einmal mehr die Musik von Komponist Ilan Eshkeri, der auch bei den bisherigen Fiennes-Projekten dabei war, und der den Sound zwischen klassisch russisch und modern minimalistisch wechseln lässt.

Regisseur Ralph Fiennes spielt Rudis berühmten Leningrader Ballettlehrer Alexander Puschkin. Bild: Alamode Film

Nurejew ist sich ab seinen ersten Solos absolut sicher, dass er schon bald ein Weltstar sein wird: Oleg Ivenko. Bild: Alamode Film

Auch die Erzählebenen wechseln. Fiennes hat die drei Zeitfenster Paris 1961, Ausbildung am Choreografischen Institut Leningrad ab 1955 und die Kindheitsjahre in den späten 1940ern, gedreht auf 16 mm und in bis beinah zum Schwarzweiß gedämpften Farben, ineinander verwoben. „Nurejew – The White Crow“ beginnt am Anfang, am 17. März 1938, als Rudi in der bis zum Bersten vollen Transsibirischen Eisenbahn geboren wird. Auf diese Art zur Welt gekommen zu sein und sein Minderwertigkeits- empfinden wegen seiner ärmlichen Herkunft, werden den Hochsensiblen fürs Leben prägen.

Und wohl Ursache – zumindest interpretieren es Fiennes und Ivenko so – für seine wie eine Waffe geführte Hybris sein. Haupthandlungsstrang ist freilich Paris, wo Nurejew als Mitglied der Gastspieltruppe des Kirow-Ballett an der Opéra Garnier auftritt; aus den Schlüsselszenen dieses ersten Aufenthalts im Westen entwickeln sich die Rückblenden. An die 1940er-Jahre, und wie ihn die anderen Kinder schon im baschkirischen Dorf nahe Ufa „weiße Krähe“ nennen, den außergewöhnlichen Außenseiter, den der russische Kinderstar Maksimilian Grigoriyev spielt.

An seinen aus dem Dienst in der Roten Armee heimkehrenden Vater, der Rudi bei einem Jagdausflug allein im Wald zurücklässt; wie er mit seiner Mutter und seinen vier Schwestern dank einer in der Lotterie gewonnenen Eintrittskarte in Ufa seine erste Ballettaufführung sieht; der frühe Unterricht bei den ehemaligen Ballerinen Anna Udeltsova und Elena Vaitovich. An die Ausbildung in Leningrad ab 1955, wo Nurejew als 17-Jähriger fast zu spät ankommt, und daher sofort beschließt, die Ballettschule in der Hälfte der Zeit zu absolvieren. Da zeigt Oleg Ivenko Nurejews Hartnäckigkeit, seinen Fleiß, aber auch sein aufbrausendes Temperament, wenn er Lehrer ablehnt, die ihn zu wenig fordern, oder den von Nebojša Dugalić dargestellten Ersten Solotänzer Konstantin Sergejew, weil ihn irritierend, aus dem Ballettsaal wirft. Schließlich darf Rudi bei Alexander Puschkin vortanzen und wird in dessen Klasse aufgenommen. Eindrucksvoll intensiv ist dieses Zusammenspiel von Fiennes und Ivenko, der Zögling, der an des Meisters Lippen hängt, wenn dieser „Nur durch Disziplin erreicht man Freiheit“ doziert, dabei selbst aber vorm Apparat kapituliert hat.

Auf Sightseeingtour in der Sainte-Chapelle: Oleg Ivenko, rechts: seine späteren Lebensretter Pierre Lacotte (Raphaël Personnaz) und Clara Saint (Adèle Exarchopoulos). Bild: Alamode Film

Nurejew liebt das Flair in den Straßen von Paris und genießt das Sitzen in den legendären Kaffeehäusern: Oleg Ivenko. Bild: Alamode Film

Fiennes spielt Puschkin mit väterlicher Milde als Antithese zum Klischee des gestrengen Ballettlehrers, aber auch einer seltsam bizarren Bedachtsamkeit, mit einer Art gewaltsam erzwungener Zurückhaltung, die die politische Dimension seines Jobs verdeutlicht, ein Beiklang, der die gesamten 127 Minuten des Films begleitet. Sozusagen als Klammer dazu dient ein Verhör Puschkins durch den KGB, bei dem er beteuert, nichts von Nurejews Fluchtplänen gewusst zu haben. Als ihn daheim dann seine Frau fragt „Alles in Ordnung?“, wird er mit einem hocherfreuten „Ja!“ antworten.

Ksenija ist es auch, die Rudi nach einer Knöchelverletzung aus dem Krankenhaus holt, ihn in der ehelichen Wohnung, genauer: in deren Schlafzimmer aufnimmt, und dort Rudis „Entjungferung“ erledigt. „Nurejew – The White Crow“ bleibt stets nah an seinem Protagonisten. In langen Sequenzen von Proben und Auftritten zeigt nicht nur Ivenko sein Können, sondern auch, dass Rudis Selbstherrlichkeit, mit der er seinem Umfeld gehörig auf die Nerven geht, durchaus berechtigt war. Mit lakonischem Humor geht Ivenko an diesen Wesenszug heran: Als der noch unbekannte Tänzer auf einem Bankett etwa gefragt wird, ob er auf der Bühne gewesen sei, lautet die Replik trocken: „Hätte ich getanzt, hätten Sie es bemerkt“.

Dies vorgetragen nicht mit der Arroganz eines Angebers, sondern in der Vorahnung, dass er mit dieser Aussage einmal recht haben wird. Ivenko gestaltet seine Figur als wissbegierigen, intelligenten, charismatischen Mann, dem es nicht genügt, die Pflicht von Choreografien zu erfüllen, weil er das Leben zur Kür machen will. In Paris wird er zu Clara Saint und Pierre Lacotte sagen, er habe das „Feminine“ in seinen Stil integriert, um ebenso zu strahlen wie die beneideten Ballerinen, und um die männlichen Rollenparts endlich zu emanzipieren.

Auch Nurejews Bisexualität thematisiert Fiennes‘ Film unaufgeregt. Louis Hofmann ist als Rudis erster Geliebter, der ostdeutsche Tänzer Teja Kremke, zu sehen, ein Freigeist, der in Nurejew erste Fluchtgedanken keimen lässt. Kremke war Nurejew auch künstlerisch ein wichtiger Partner, hat er doch dessen Darbietungen gefilmt und gemeinsam mit Rudi auf Fehler analysiert – eine Erinnerung, ausgelöst beim Betrachten antiker Männerstatuen im Louvre. In Paris genießt Nurejew „La Liberté“, die Freiheiten und Freizügigkeiten des Westens in vollen Zügen.

Im Ballettsaal mit Juri Solowjew: Oleg Ivenko und der ukrainische Ballettstar Sergei Polunin. Bild: Alamode Film

Ein Wunsch aus Kindertagen erfüllt sich, als Rudi in Paris eine Modelleisenbahn ersteht: Oleg Ivenko und Sergei Polunin als Juri Solowjew. Bild: Alamode Film

Er kauft sich – sein größter Wunsch – eine Modelleisenbahn, mit der er mit Juri Solowjew, Zimmergenosse seit Institutstagen, spielt, pflaumt nicht gleich spurende Verkäufer und Kellner an, schlendert allein durch die Pariser Parks, bei all diesen Unternehmungen misstrauisch beäugt und wegen „kapitalistischen Verhaltens“ offiziell verwarnt von KGB-Aufpasser Strischewsky, den Alexey Morozov die Angst um die eigene Person aus allen Poren schwitzen lässt. Nurejew findet verlässliche Freunde im französischen Balletttänzer Pierre Lacotte und in der kunstsinnigen, irgendwie geheimnisumwitterten Chilenin Clara Saint.

Raphaël Personnaz und Adèle Exarchopoulos überzeugen als diese Charaktere, mit denen Rudi die Nachtclubs der Stadt und Jazzspelunken, in den Männer mit Männern und Frauen mit Frauen tanzen, unsicher macht. Dass Clara die Verlobte des bei einem Autounfall gestorbenen Sohns von André Malraux, seines Zeichens Links-Gaullist, Kulturminister und Autor des Romans „La Condition humaine“, war, wird Nurejew vor seiner Rückführung in die UdSSR bewahren. Dass der impulsive Rudi auch sie immer wieder beleidigt und beschämt, verzeiht sie ihm in ihrer bedingungslosen Zuneigung permanent …

In dieser letzten halben Stunde verwandelt Fiennes seinen Film in einen dramatischen Politthriller, der verdeutlicht, welche vernichtende Wirkung repressive Regime auf den Einzelnen haben. Als es nämlich weiter gehen soll zur nächsten Tourneestation London, wird Nurejew von Strischewsky und seinen Schergen von der Truppe abgesondert. Erst heißt es, er solle zurück in die Heimat, um bei einem Staatsempfang zu tanzen, dann seine Mutter sei erkrankt. Mit allen Mittel und allen möglichen Psychospielchen will man ihn nach Moskau verfrachten, wo er von der Bildfläche verschwinden soll.

Als Strischewsky mit Anklageerhebung droht und Nurejew nach dem Warum fragt, lächelt dieser zynisch: „Uns fällt schon was ein“ (es wurde eine Verurteilung in Abwesenheit wegen Landesverrats). Da projiziert Oleg Ivenko eine Furcht in seinen bis dahin unbezähmbare Kraft versprühenden Blick, dass es einem Gänsehaut macht. Und während die Ballettkollegen sich mit eingezogenem Kopf Richtung Gate davonschleichen, weicht der zur Verabschiedung mitgekommene Pierre als menschliches Schutzschild nicht von Rudis Seite – bis Clara alle ihr zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung gesetzt hat. Was folgt ist ein fulminanter Showdown, ein spektakulärer Befreiungsakt aus den restriktiven Fängen des sowjetischen Systems. Der Rest ist Geschichte …

 

Video: Teja Kremke fotografiert und filmt Rudolf Nurejew

www.nurejew-thewhitecrow.de

  1. 9. 2019

Bohemian Rhapsody

Oktober 30, 2018 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Biedermann und kein Brandstifter

Rami Malek als Freddie Mercury. Bild: © 2018 Twentieth Century Fox

„Das Einzige, das noch außergewöhnlicher ist als ihre Musik, ist seine Geschichte“, verheißt der deutschsprachige Trailer in großen Lettern. Allein, so stellt es sich nicht dar. Weder über Queen noch deren genialen Frontmann Freddie Mercury erfährt man in Bryan Singers Biopic „Bohemian Rhapsody“ Tiefergehendes bis tief Ergreifendes. Um dies hier nicht falsch zu verstehen, das ist kein Ruf nach Voyeurismus.

Aber der morgen in den Kinos anlaufende Film verhält sich zur Band- und Mercurys persönlicher Geschichte so beiläufig, als würde man gelangweilt seine alte Plattenkiste durchblättern. Rami Maleks sublime Performance als Freddie Mercury und der wie am Schnürchen abgespulte Greatest-Hits-Soundtrack können nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Drehbuch, erst von Peter Morgan, dann übernahm Anthony McCarten, zu handzahm ist. Ein Umstand, der übrigens, glaubt man Branchenblättern, sowohl Singer – auch er knapp vor Drehschluss ausgetauscht und durch Dexter Fletcher ersetzt – als auch dem erstgenannten Freddie-Darsteller Sacha Baron Cohen sauer aufstieß. Aber die Masterminds Brian May und Roger Taylor wollten offenbar was Familienfreundliches, Altersfreigabe ist jetzt ab sechs, und das haben sie bekommen. Die Bandmitglieder kommen rüber wie Oberbuchhalter, alles Biedermänner, keine musikalischen Brandstifter. Hoffentlich ist ein Rockstar-Leben nie so unglamourös fade, wie’s in „Bohemian Rhapsody“ ausschaut.

Rami Malek als Freddie Mercury und Gwilym Lee als Bryan May. Bild: © 2018 Twentieth Century Fox

Rami Malek als Freddie Mercury, Gwilym Lee als Bryan May und Joe Mazzello als John Deacon. Bild: © 2018 Twentieth Century Fox

Am Unverzeihlichsten ist, dass der Film so ambivalent mit der Darstellung von Mercurys sexueller Zerrissenheit umgeht, aus der wohl sowohl seine Einsamkeit als auch seine Exaltiertheit resultierten. Zwar hat sich der Sänger nie offiziell zu seiner Bisexualität bekannt, und das war auch nicht notwendigerweise laut auszusprechen, hat er doch weder in Songtexten noch in der Art seiner Auftritte je ein Geheimnis darum gemacht.

Doch Mercurys Familiengeschichte und Vaterkonflikt, seinen barocken Partys und seinem Hereinfallen auf falsche Freunde, seinem Liebeskummer und den deshalb oft handfesten Streitereien, seiner Flamboyanz und Exzentrik, wird weniger Raum gegeben als seiner Hingabe für seine Katzen. May und Taylor wollten es sichtlich geschönt, geglättet, auch historisch hin und wieder feingeschliffen – et voilà.

Montreux fehlt ganz, auch David Bowie oder Montserrat Caballé, die München-Episode gibt‘s kurz und ohne Barbara Valentin, und als Mercury seine Band-Familie über seine HIV-Diagnose informiert, und eine Welt in sich zusammenbricht, steht das Drehbuch dieser Tragik so hilflos gegenüber, als hätte es „The Show Must Go On“ nie gegeben.

Das legendäre Band-Aid-Konzert 1985 im Wembley-Stadion, Beginn- und Schlusspunkt des Films, wirkt seltsam kleiner als das Original. Gute Momente immerhin hat „Bohemian Rhapsody“. Einen im rohen Look britischer Sozialdramen, als ein selbstbewusster Farrokh Bulsara mit seinem improvisierten Vorsingen auf einem Autoparkplatz May und Taylor von seinen Qualitäten überzeugt. Eine eskalierende Pressekonferenz, auf der die Journalisten nur an „faggoty Freddie“ interessiert sind, May jedoch über Musik reden will. Einmal, als im Studio gezeigt wird, wie May, einen Fußballfansong im Ohr, auf das Stampf-Stampf-Klatsch von „We Will Rock You“ kam. Und natürlich die Aufnahme von „Bohemian Rhapsody“, die Ben Hardy als Roger Taylor ein immer höheres „Galileo“ abverlangt. Wiewohl er nicht so hübsch ist, wie das Original einst war, leistet Hardy ganze Arbeit.

Queens legendäre Live Aid-Performance: Gwilym Lee als Brian May, Ben Hardy als Roger Taylor, Rami Malek als Freddie Mercury und Joe Mazzello als John Deacon. Bild: © 2018 Twentieth Century Fox

Ebenso wie, bereits erwähnt, Rami Malek in seiner Anverwandlung des charmantesten Überbisses der Rockgeschichte auf ganzer Linie überzeugt. Joseph Mazzello ist ein glaubwürdiger John Deacon, und vor allem Gwilym Lee übertrifft alle Erwartungen, er hat sich Aussehen und Habitus von Brian May angeeignet, wie es vielleicht noch keinem Schauspieler bei einem Musiker gelungen ist.

Lucy Boynton besticht als Mercurys ehemalige Verlobte und Lebensmensch Mary Austin, Aaron McCusker ist anrührend als Mercurys letzter Lebenspartner Jim Hutton. Komödiantisch ist der Cameo von Mike Myers als Label-Verantwortlichem, der nicht an die Radiotauglichkeit der sechsminütigen „Bohemian Rhapsody“ glaubt. Myers sorgte bekanntlich Anfang der 1990er-Jahre mit „Wayne’s World“ dafür, dass der epische Song wieder in die Hitparaden kam … Alles in allem ist „Bohemian Rhapsody“ ein Film, an dem sich mutmaßlich viele Fans erfreuen, über dessen Ungenauigkeiten sich einige aber sicher ärgern werden. Den erhofften und erwarteten Blick hinter die Kulissen gibt es weder was die Band Queen und deren musikalisches Schöpfen, noch was Freddie Mercury und sein Leben angeht. Dexter Flechter bastelt dieweil schon an seiner nächsten Rockstar-Biografie, dem Elton-John-Biopic „Rocketman“. Man weiß nicht, ob man sich da freuen oder fürchten soll.

www.foxfilm.at/bohemian-rhapsody

Trailer: www.youtube.com/watch?v=2Xw1jDUIACE

  1. 10. 2018

Mike Supancic: Im Jenseits ist die Hölle los

Januar 28, 2016 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Der gfeanzteste Herzkasperl im Kabarettzirkus

Mike Supancic beim Repetieren seiner halbautomatischen Humtata Bild: © Ernesto Gelles

Mike Supancic beim Repetieren seiner halbautomatischen Humtata
Bild: © Ernesto Gelles

Das Beste kommt zum Schluss. Die Wutbürgerparade auf der Mariahilfer Straße. Die liegt ja günstigerweise vor dem Stadtsaal, und dort lässt Mike Supancic die Unzufriedenen aufmarschieren. Die eingeglasten Nicht- und Raucher, Führer-Scheinbesitzer und verflixt flinke Fußgänger, die Schnitzel- und die Selleriefresser, Hassposter und ihre Gotteskrieger. Im Internet wenigstens die Wahrheit steht. Der Radetzkymarsch wird im Pegidaschritt durchkreuzt, kurz überlegt das Publikum, ob es mitklatschen soll, lässt es aber – jahaha!, Supancic und seine Auslegungen sind subtil auszulegen. Und apropos Verführer, natürlich ist der Anführer der Mit-mir-sicher-nicht-Bewegung da. Er rappt und reimt … Strache … auf … Rache.  Überhaupt sind die Reime wieder Weltklasse.

Supancic, der lustigste Steirer jenseits des Trachten- und Volkstanzvereins „Lustige Steirer“, hat ein neues Programm. Das heißt „Im Jenseits ist die Hölle los“ und ist, ehrlich gesagt, ein bissel jenseitig, weil’s von den ewigen Jagdgründen bis zu den ungarischen geht. Was quasi schon jenseits von Gut und Böse ist, aber nicht stringent erzählt wird. Falls Logik eine Kabarett-Kategorie ist. Die Gürtellinie ist jedenfalls grenzzaunlos und für Bitterböse wurde sowieso noch keine bauliche Maßnahme erfunden, in Summe lässt sich also sagen: Man hat im Fritz Kortner’schen Sinne bis zum Sich-Anwischerln gelacht. Supancic spielt seine größten Stärken als Singer-Songklauer-Stimmimitator wie Atouts aus. Doch weil man das Gefühl nicht los wird, er habe um ein paar echt klasse Lieder eine krampfige Rahmenhandlung geschummelt, sticht er nicht so hoch wie sonst.

Los geht’s mit „Sympathy for the Devil„. Mike Supancic ist nämlich gestorben, und wie’s schon so heißt, dieser Weg er wird kein leichter sein, führte er über einen Supersaveshaver und ein Krokodil bis zur Terrorgruppe Fast Food. Nicht fragen! Das Ganze stellt sich sowieso als Irrtum heraus, in diesem Programm ist nichts und niemand sicher, jedenfalls landet Supancic bei diversen Begräbnissen, einem Gipfeltreffen der Todesarten – der Selbstmord ist ein Steirer: schnell, sauber, freiwillig – und schließlich bei Viktor Orbán. Letzteres war vom Gevatter als Rückführung gedacht, allerdings im Sinne früheres Leben nicht Flüchtling. Supancic, der große Poet, ist der gfeanzteste Herzkasperl im Kabarettzirkus. Ein König unter den Faschingsprinzen. Er schlägt mit Schlagern gnadenlos zu, die halbautomatische Humtata ist eine von ihm neu erfundene Waffengattung, weil er genau weiß, wie subversiv auf Ung’schmackig geht. Zu „The Girl from Ipanema“ wird Organdiebstahl an einem Straßenkind begangen, „Wand’rin‘ Star“ wird zu „Pornos schauen“, „Da Ya Think I’m Sexy?“ im Falsett gesungen zur Ode an den Schönheits-OP-Wahn.

Das ist so schiach, dass einem der Schiach angeht. Supancic hat mehr Stimmen als tausend Teufel. Und noch mehr Loavn. Er hat das Triviale einmal mehr zur Kunst erhoben. Er fabuliert über die Modedroge Magic Steckerlfisch und den VW-Konzern, lässt Falco unter den Wohlstandsverlierern die „Helden von heute“ suchen und Niki Lauda die zwei Hustinettenzuckerl, die früher mehr in der Packung waren. Anlässlich seines Titel-Diebstahls rast er noch schnell über den Datenschutz-Highway. Bis der Fidesz-Führer schließlich den Segen Urbi et Orbán erteilt: „Ganz weit hinter Debrezin, da soll reden der Muezzin“. Da kann sich einer vor Ärger blau kickln, dass ihm das nicht selber eingefallen ist … Jedenfalls ist es kein Wunder, dass Supancic zwischen den Synonymen blöd und Politik den roten Faden verliert. Und apropos Symbiont, ein gruseliger Wirt kommt auch noch vor. Was dann den Stammtisch des Schreckens endgültig an seinen Richtwert bringt. Sogar bei „Einer geht noch, einer geht noch rein“ ist irgendwann Obergrenze Unterlippe.

Was alles wurscht ist. Weil, im Stadtsaal war Schihüttenstimmung. Mike Supancic ist der geborene Entertainer. Und was noch wichtiger ist: Er hat sich wirklich gut unterhalten. Und sein Publikum erst recht. Sympathy for the Supancic. Ob die Aufklärungsrate von Revierinspektor Schmelzer das gleiche Kultpotenzial hat, wie ein O’Leary oder die OEBB-Train, wird sich zeigen.

Termine derzeit von 29. Jänner bis 2. Juni von Kulisse Wien bis Casineum Graz.

www.supancic.at

Wien, 28. 1. 2016