Werk X: Die Arbeitersaga

April 25, 2022 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Am 1. Mai werden alle vier Folgen gespielt

Das Bühnenbild zum 1. Mai steht schon: Johnny Mhanna, Susi Stach, Thomas Kolle, Peter Pertusini und Julia Schranz. Bild: © Alexander Gotter

„Die Arbeitersaga“ kommt – wie sollte es anders sein – am Tag der Arbeit im Werk X wieder zur Aufführung. Und es wird dabei viel gearbeitet: alle vier Folgen werden am 1. Mai auf die Bühne gebracht. Dazu servieren die „Seligen Affen“ ab 15 Uhr eine Heurigenjause im Hof. In der von Peter Turrini und Rudi Palla entworfenen Fernsehserie „Arbeitersaga“ wurde der Versuch unternommen, in vier miteinander verbundenen Spielfilmen eine politische Entmystifizierung der

Sozialdemokratie vorzunehmen. Gleichzeitig wird die wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung Österreichs von den 1950ern bis in die 1990er-Jahre beschrieben. Das Werk X hat sich diesem Mammutwerk in einem vierteiligen Theaterabend genähert. Die „Arbeitersaga“ wird dabei über das Erzähljahr 1991 hinaus fortgeschrieben.

Die Rezensionen von www.mottingers-meinung.at:

Folge 1 & 2: Das Drama der Sozialdemokratie als Seniorengroteske

Die Sätze, wie sie zum Teil fallen, könnten treffender nicht sein. Ins Herz treffender, denn trotz aller Hetz, die man hat, drängt doch im Hinterkopf der Grant darüber, wie groß sie einmal war, und wie klein sie gehandelt wurde und geredet wird – die „Bewegung“. Dieser sich anzunehmen, der Sozialdemokratie nämlich, hat sich das Werk X anlässlich des Hundert-Jahr-Jubiläums des Roten Wien auf die Fahnen geschrieben. In Tagen, in denen nicht wenige Türkis-Grün als Fake der ersteren und deren ruckzuck Zappen auf Blau prophezeien, sobald der Strache-Weg bereitet ist, scheint eine Zeitgeschichtsstunde durchaus sinnvoll.

Und so nimmt man sich in Meidling, alldieweil die SPÖ trotz Ärztin als Parteichefin auf der ideologischen Intensivstation liegt, Peter Turrinis und Rudi Pallas „Die Arbeitersaga“ vor. Die ORF-Serie der späten Achtzigerjahre als theatrales Mammutprojekt, der Vierteiler auf zwei Abende aufgeteilt, von denen Folge 1 & 2 gestern Premiere hatten. Das sind, fürs Fernsehen führte weiland Dieter Berner Regie, „Das Plakat“ und „Die Verlockung“, ein Streifzug auf roten Spuren von 1945 in die 1960er, dessen Episode eins Helmut Köpping und Episode zwei Kurt Palm in Szene gesetzt haben. Ästhetisch beide Male vollkommen anders gedacht, bleiben doch gemeinsame Eckpunkte.

Die nicht nur Karl und später dessen Sohn Rudi Blaha sind, sondern auch die stete Verzweiflung der „Revolutionären Sozialisten“, sie nach den Februarkämpfen von 1934 tatsächlich und als illegale Gruppe gebildet, mit den bedingungslos kompromissbereiten „Parteireformern“. Die‘s wenig bekümmerte, sich mit Gerade-erst-Gestrigen gemein zu machen – siehe eine Stadt, in der von den Karls zwar der Lueger, nicht aber der Renner vom Ring geräumt wurde. Und so verwandelt sich die Frage des Volks von „Wann hat das alles angefangen, schief zu gehen?“ zu einem „Wer hat uns verraten? Szldmkrtn!“ Das Sozialdrama wird zur skurrilen Groteske, weil wie Marx schrieb, sich alles Weltbedeutende einmal als Tragödie, einmal als Farce ereignet, weshalb Palm die Köppinger’sche Fassung zur schmierenkomödiantischen Farce dreht – im Sinne von: ein Trauerspiel ist der Zustand der SPÖ ohnedies in jedem Fall …

Als Widerstandskämpferin Trude Fiala: Zeitgeschichtsstunde mit  Susi Stach. Bild: © Alexander Gotter

Karl Blaha ist aus dem Krieg zurück: Johnny Mhanna, Peter Pertusini und Thomas Kolle. Bild: © Alexander Gotter

Marx‘ Werke wiegen schwer: Michaela Bilgeri, Martina Spitzer und der Arbeitersaga-Chor. Bild: © Alexander Gotter

Mandi und Rudi Blaha studieren die „Bravo“: Florentin Groll und Karl Ferdinand Kratzl. Bild: © Alexander Gotter

Kurt Palm macht die jugendlichen Parteirevolutionäre zum Pensionistenverband, die Senioren im Clinch mit der Gewerkschaftsjugend, die im Klub die selben Räume belegt. Michaela Mandel hat zu den krachbunten Kostümen das Setting mit scheußlicher Siebziger-Jahre-Retrotapete ausgestattet, vom Wort Votivkirche an der Wand blieb nur das CHE, die roten Hoffnungsträger schlurfen mit Rollator oder Rollstuhl übers politische Parkett, und zwar zwecks Erhaltung von dessen Glattheit ausschließlich in „Filzdackerln“. Palm hat mit seiner Krückengroteske dies Biotop auf den Punkt genau getroffen: So geht Sektion! Was Palm vorführt, ist weniger Verballhornung der Wirklichkeit als etliche im Saal glauben, und kongenial sind Karl Ferdinand Kratzl und Florentin Groll als Rudi Blaha und Haberer Mandi.

Deren Liebesgeschichte, denn selbstverständlich gibt’s auch eine, sich um Brigitte Bardot dreht, deren Schwanken zwischen Konsum und Klassenkampf die Regie allerdings gestrichen hat – die Alten schwanken wohl so schon genug. Ein Kabinettstück ist es, wie Groll und Kratzl sich mit Hilfe eines Sexratgebers und der Bravo für die Bardot in Stellung bringen wollen, ein Bodenturnen zu dessen Wie-kommen-wir-wieder-hoch? man sich zu spät Gedanken macht. Die Figur des Fritz Anders hat Palm mit dessen neu erfundener Tochter Jenny überschrieben, Michaela Bilgeri als Phrasen dreschende Filmemacherin, die verbal zwischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ und „Das sagt man nicht mehr“ changiert, die ergraute Partie darüber verwundert, dass man den „Neger“ Franz nicht mehr, weil böses N-Wort, bei seinem Nachnamen nennen darf.

„Das wird ja immer absurder“, sagt irgendwann irgendwer, da haben sich die Zuschauer schon schiefgelacht, das Beharren auf politischer Korrektheit wird als Pose entlarvt und zur Posse gemacht, dazu singt der Arbeitersaga-Chor ein gegendertes „Wir sind die ArbeiterInnen von Wien“ oder „Von nun an gings bergab“ … mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=36864

Folge 3 & 4: Die Skination in der politischen Steilabfahrt

Es dauert, bis Bettina Schwarz als mephistophelisch-clownesker Conférencier die sechzig möglichen Geschlechtsidentitäten sind gleich das Publikum begrüßt hat. Ein killing joke der leibhaftigen Gründgens-Fratze als Entrée in einen Abend, der Politik alles andere als p.c. abhandelt, eine Groteske zum Quadrat, weil’s große Kunst ist, eine Wirklichkeit zu verzerrspiegeln, die per se schon eine Farce ist. Gemäß dem auf keinem Wahlplakat zu findenden -spruch:

Humor ist, wenn das Stimmvolk lacht, hat das Werk X einmal mehr die Reflektor-Funktion übernommen, mit dem Mammutprojekt der Peter Turrini-Rudi Palla’schen „Arbeitersaga“ das Krankheitsbild der Sozialdemokratie zu persiflieren. Die TV-Serie, die sich ein Theater draus macht, ist mit „Teil II (Folge 3 & 4)“ in der finalen Runde. Bei „Müllomania“ hat Martina Gredler Regiehand angelegt; mit Bettina Schwarz spielen Ines Schiller, Lisa Weidenmüller und Annette Isabella Holzmann; Akkordeonistin Jana Schulz sorgt für den apokalyptisch kakophonischen Sound.

Die Weltuntergangsstimmung ist nicht von ungefähr, ist die Story doch um nichts weniger obskur als der Schutzkreis ums Krankenhaus Nord. Ich glaub‘, ich steh‘ im Rinterzelt, möchte man ob des ganzen Zirkus denken, Sanitärstadtrat Fred Wiedergewinner hat das Millionenprojekt einer Müllrecyclinganlage zu verantworten, doch das mit dem Aus-Alt-wird-Baustoff haut nicht hin, öffentliche Gelder sollen in der Parteikasse versickert sein – und während sich die Seilschaft zwischen Gutruf und Club 45 verlustiert, steigen dem Medienfut-zi (sic!) des Kommunalkorruptler allmählich die Grausbirn‘ auf.

Gredler karikiert mit ihrer geballten Frauenpower Männer, Macht und Machogehabe, sie zeigt eine queere Kraftlacklpartie mit Schiller als populistische Phrasen dreschendem Poser, eine „Dreck-Queen“ mit dem MA48er Slogan „Ganz Wien bleibt clean!“, Weidenmüller als Pressesprecher Rudi Blaha, ein Kasperl dessen überdimensionierte Schulterpolster nicht verbergen können, dass er sich krumm gekatzbuckelt hat, und Holzmann als Investigativjournalist im Detektiv-Trenchcoat …

Stadtrat Wiedergewinner in den Fängen der grausamen Groteske: Ines Schiller und Bettina Schwarz. Bild: © A. Gotter

Die 48er-Damen: Ines Schiller, Annette Isabella Holzmann und Lisa Weidenmüller. Bild: © Alexander Gotter

Bella Ciao: Oliver Welter, Lara Sienczak und Peter Pertusini. Bild: © Alexander Gotter

Mit der Ski-Nation geht’s bergab: Peter Pertusini, Zeynep Buyrac, Lara Sienczak und Sebastian Thiers. Bild: © A. Gotter

In Bernd Liepold-Mossers Hälfte des Abends, „Das Lachen der Maca Darac“ geht es um nichts weniger schräg zu. Ins Bühnenbild sind nun Skibindungen eingebaut, denn das Ensemble Zeynep Buyraç, Peter Pertusini, Lara Sienczak, Sebastian Thiers und der auch für die Musik zuständige Oliver Welter muss sich gut anschnallen – hat sich doch der Proporzslalom längst in eine politische Steilabfahrt verwandelt. Das Bild von der Skination macht Sinn, des Österreichers Stolz und Siegeswille ist ein gewachst gewachsener, und Liepold-Mosser ist diesbezüglich auch um kein Bonmot verlegen.

Nicht nur Peter Pertusini kann’s da auf gekonnt Kärntnerisch lai lafn losn, die Richtung – immer weiter den Hang hinunter? – stimmt angeblich auch nach diversen Spurwechseln, und am immensen Rückstand ist sowieso das Material schuld. Sagt der Kader im Chor „Proletariat“, hebt es ihn, hepp, kurz in der Hocke aus, ansonsten keine Bewegung, nicht einmal bei der von Welter als Holy Marx eingeläuteten Hüttengaudi.

Ein bissi posthysterisch ist dieses Themenkonglomerat schon, die Werk-X-tätigen Massen lassen von Konsumkapitalismus über Veganfetischismus bis zu Migration/Integration und präventiver Sicherungsverwahrung nichts aus. Bis die Darsteller aus den Schuhen in die Rollen kippen und die Turrini-Palla-Story aufgreifen, Pertusini als Kurt Höllermoser, der in einen Rudi Blaha’schen Waffendeal und dessen Fake News verstrickt wird, Zeynep Buyraç als illegale Einwanderin Maca Darac, die zwecks bevorstehender Ausweisung einen Mann zum Heiraten sucht.

Im Plastik-Schleier-Hijab rezitiert die potenzielle Braut „Ein Gespenst geht um in Europa“, das Manifest vom kleinbürgerlichen wie vom Bourgeoissozialismus heute bedrohter als zu Entstehungszeiten, und auch, wenn in Meidling alle Menschen „zur Sonne, zur Freiheit“ gerufen werden, mit der Vereinigung hapert’s. Denn wo zwischen Prolet, Prolo und Prekarier findet sich noch das echte, unverfälschte, von keinem Populismuskeim angesteckte Proletariat? Mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=38734

werk-x.at           Trailer: www.youtube.com/watch?v=0n2zUo-Or6g      www.youtube.com/watch?v=Cp__IR9BRXM

25. 4. 2022

Werk X-Petersplatz streamt: Gott ist nicht schüchtern

März 3, 2021 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

La création de l`homme Baschar

La création de l`homme Baschar al-Assad, davor: Diana Kashlan. Bild: © Alexander Gotter

Amal: Und was stimmt mit dir nicht?

Hammoudi: Ich habe zugesehen, wie neunhundertsiebzehn Menschen starben.

Diese erste Szene ist das stärkste, das die Bühnenfassung von Olga Grjasnowas Roman „Gott ist nicht schüchtern“, erarbeitet von Regisseurin Susanne Draxler und Dramaturgin Lisa Kärcher, noch bis heute Mitternacht auf werk-x.at

kostenlos zu streamen, zu bieten hat. Mann und Frau, beide in blütenweißen Anzügen, sie flüstert ihm etwas ins Ohr, seine Miene verdüstert sich, das ist geheimnisvoll, da will man mehr erfahren … Gleich wird man wissen, dass die beiden hier am Schluss ihrer Geschichte angelangt sind, die Schauspielerin und der Chirurg, zwei junge Menschen, die sich im Arabischen Frühling in Damaskus engagierten und im syrischen Bürgerkrieg endeten – und es ist wichtig, dass es diese Inszenierung nun gibt, begeht doch dieser zwischen dem Regime Assad, der kurdischen Miliz, dem IS und Gott weiß noch wem ausgetragene Kampf 2021 sein schauriges zehnjähriges Jubiläum. Die Fluchtrouten aus der Krisenregion – geschlossen, die Festung Europa hat grad Pandemie. Bitte bleiben Sie Zuhause, auch wenn dieses eine unbeheizbare, durchnässte Notunterkunft am Rande von Nirgendwo ist! Einmal sagt Hammoudi Europa hätte „die neue Rasse Flüchtling“ erfunden.

Gott. Der kommt einem an diesem Abend des Öfteren in den Sinn. Nicht nur wegen des Buch- wie Stücktitels. Auch wegen der Bühnengestaltung von Hawy Rahman, der Bagdad-Wiener, der die drei Golfkriege überlebte, und für den Spielraum Petersplatz ein Graffito frei nach Chagalls „La création de l’homme“ entwarf. Doch, doch, man ist sich auch beim zweiten Hinsehen ziemlich sicher – und wird bestätigt, als Assad-Anhänger die Zeichen an der Wand mit „Baschar ist unser Gott“ preisen.

Es spielen die tschechisch-arabisch-österreichische Schauspielerin Diana Kashlan und Werk-Xler Johnny Mhanna, er tatsächlich in Damaskus geboren und vergangenen September live in „Geleemann“ zu sehen (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=41554). Das heißt: Die beiden spielen eben nicht, sie sind die meiste Zeit in der Erzählerrolle – wie das Romandramatisierungen halt oft so mit sich bringen, noch dazu eine von Olga Grjasnowa, in dem viel passiert, doch wenig gesprochen wird. Und so fehlt im Wortsinn das Dramatische, und die protokollarische, authentische Härte, mit der die Autorin und Ehefrau des syrischstämmigen Schauspielers Ayham Majid Agha auf Gewalt, Grausamkeit und Folterzellen blickt, wird zu einem künstlichen künstlerischen Distanzhalten.

Diana Kashlan und Johnny Mhanna. Bild: © Alexander Gotter

Verhört von der Geheimpolizei. Bild: © Alexander Gotter

Bild: © Alexander Gotter

Bild: © Alexander Gotter

Nur ab und zu blitzt auf, was Grjasnowa zu schildern hat. Mit Humor, wenn Mhannas Hammoudi, gerade auf dem Möbiusband einer Behördenendlosschleife gelandet, sagt, in Syrien seien diese Wartezimmer wie Gefängnisse, man wisse nicht warum und wie lange man sitzen müsse. Mit Schrecken, wenn Kashlans Amal, mitten in der Nacht von der Geheimpolizei verhaftet und zum Verhör gebracht, erklärt, was der Mensch der Reihe nach verliert: Zähne, Würde, Freiheit, Leben. Und nein, hier will niemand einen Gewaltporno sehen, und ja, es ist an dieser Stelle niemals üblich Künstlerinnen und Künstler mit Herkunfts- und Heimatbegriffen zu punzieren.

Aber diese österreichische Erstaufführung der „Nestbeschmutzer & innen“ hat eine Wahrhaftigkeit „verspielt“, die die Vorlage erstens hat, und für die die Autorin vom deutschen Feuilleton teils sogar getadelt wurde, und für die nicht zuletzt der großartige Johnny Mhanna ein Garant gewesen wäre. Und ginge es darum, ein österreichisches Publikum abzuholen, so hätte man die Claire-Story, Hammoudis Lebensgefährtin in Paris, wo er sieben Jahre lang gelebt und studiert hat, und zu der er nicht mehr zurückkehren wird, ausbauen können. Die Entsetzlichkeit, den geliebten Mann in einem Krisengebiet zu wissen und nur mit viel Glück eine Handyverbindung zu haben …

Für all das entschädigt, und das ist der Punkt: sehenswert, Johnny Mhanna mit einem abschließenden Monolog. Die Protagonisten begegnen einander in Berlin wieder. Er als gewesener Chirurg, der im Untergrund von Deir ez-Zor in einer illegalen Ambulanz die Notversorgung für die Bevölkerung aufrechterhielt, sie, die ihren Namen „auf der Liste“ fand, flüchtete und im Mittelmeer fast ertrunken wäre. Sie, die höchst erfolgreich eine TV-Kochshow über orientalische Spezialitäten moderiert, er, der ohne Papiere in Europa kein Mensch, geschweige denn ein Arzt ist.

Johnny Mhanna. Bild: © Alexander Gotter

Und wie bezeichnend sind diese letzten Augenblicke. Hammoudi berichtet von seiner Odyssee, Polizei, Erstaufnahmestelle, Unterbringung in Hostels quer durch Deutschland, fünf Asylwerber aus fünf verschiedenen Ländern mit fünf verschiedenen Sprachen schnarchen in einem Zimmer, „wir können uns gegenseitig nicht einmal Gute Nacht wünschen“. Das Warten auf die Anhörung, die Verachtung, die Missachtung, Asylverfahren

und Deutschkurs. Und schließlich Kashlan als gelangweilte Beamtin, die es nicht einmal der Höflichkeit Wert findet, Hammoudis Namen richtig auszusprechen, und die, was Deir ez-Zor und eine Flucht nach Deutschland betrifft, sprichwörtlich keine Ahnung hat, wo Gott wohnt und wie er heißt …

werk-x.at/premieren/gott-ist-nicht-schuechtern

  1. 3. 2021

Werk X-Petersplatz: Geleemann

September 25, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Gefangen im großen deutschen Sprach-Raum

Geleemann mal vier trägt seine Zellenwand mit sich: Clara Schulze-Wegener, Johnny Mhanna, Philipp Auer und Simonida Selimović. Bild: © Alexander Gotter

Sie tragen blaue Gefängnisuniformen, und die Art, wie sie sich gegenseitig vernehmen, weist sie als Häftlinge und zugleich Wärter aus. Sie tragen ihre Zellenwände vor sich her, zwei Darstellerinnen, zwei Darsteller, drei davon „Migranten“, und es ist Maria Sendlhofers den Abend eröffnendes Publikums-Spiel, wem man’s ansieht und wem nicht. Sendlhofer, im Werk X-Petersplatz zuletzt als Performerin in „Carrying A Gun“ (Rezension:

www.mottingers-meinung.at/?p=31561) zu erleben, hat nun ebendort „Geleemann, die Zukunft zwischen meinen Fingern“ von Amir Gudarzi inszeniert – die Uraufführung eine Produktion von Andromeda Theater Vienna in Kooperation mit dem WERK X- Petersplatz, und mottingers-meinung.at zum Probenbesuch samt anschließendem Interview mit Regisseurin und Autor eingeladen.

Woher man komme und warum man hier sei, fragen Clara Schulze-Wegener, Johnny Mhanna, Philipp Auer und Simonida Selimović einander ab, Name? – Geleemann, dazwischen Gesten des Schutzes und der Abwehr, Größe? – eine gute handbreit überm jeweiligen Kopf. Der „Geleemann“, er von den Medien zu diesem gemacht, ist größer als man selbst, heißt das, und zugleich kann’s jede und jeder sein. Ja, lacht Maria Sendlhofer, als sie den Text zum ersten Mal las, dachte sie, „ich besetze das weißeste Milchbubi, das ich finde“ – oder eben so.

Amir Gudarzis Text ist so politisch wie poetisch. Wie sein Protagonist, der sich nicht als Einbrecher-Verbrecher, sondern als Dichter sieht. Da sitzt er nun in Untersuchungshaft, von den Zeitungen bereits als Vergewaltiger und Mörder vorverurteilt, Geleemann genannt, weil er sich vor seinen Taten einölte, klitschig machte, um nicht gefasst werden zu können. Den wahren Namen erfährt man nie. Der Mann ist iranischer Asylwerber, 2009 vor dem Regime in Teheran nach Österreich geflüchtet, festgenommen als Eindringling in die Schlafzimmer schlafender Frauen, auf der Suche, aus Sehnsucht nach menschlicher Nähe und Geborgenheit. „Die Menschen sind nur im Schlaf nahbar“, sagt er, und dass er es nicht mehr ausgehalten hätte, das ständige „Wegsetzen, Wegschauen, weg da, du da, weg da“.

Via Video wird der Täter zum Opfer: Johnny Mhanna und Simonida Selimović. Bild: © Alexander Gotter

Simonida Selimović, Philipp Auer, Clara Schulze-Wegener und Johnny Mhanna. Bild: © Alexander Gotter

Der virtuose Ghaychak-Spieler Pouyan Kheradmand begleitet den Abend musikalisch. Bild: © Alexander Gotter

Eine der vom Geleemann „besuchten“ Frauen bei der Aussage: Simonida Selimović. Bild: © Alexander Gotter

Mal als Chor, mal als Einzelstimme sagt das Ensemble solche Sätze, je nach eigener Biografie mit je eigener Klangfarbe, mit großer Intensität alle vier. Auf den auch als Videowände verwendeten Paneelen wird aus Täter Opfer, gefilmt hinter Plexiglas, wo auch der virtuose Ghaychak-Musiker Pouyan Kheradmand sitzt, Täter zu Opfer auch auf der Spielfläche, wenn die Masse den einen angreift. Mit Fäusten und jenen rechtspopulistischen Formulierungen, die die Wählerschaft in die offenen Arme der Xenophobie treibt.

Was Amir Gudarzi verhandelt, vom Publikum fordert, ist nicht wenig. Sein Text thematisiert, assoziiert, analysiert, ist ein komplexes Konstrukt aus Rassismus und Stereotypen, Geschichte und Gegenwart, Bewusstsein und Verdrängung, von den Wiener Kurdenmorde von 1989, der NS-Vergangenheit Österreichs, dem Attentat von Oberwart bis zur Grünen Revolution im Iran von 2009, der Ermordung politischer Gefangener am Ende des Iran-Irak-Kriegs, von Berichten der hiesigen Boulevard-Presse bis zum heutigen Antisemitismus.

Polemisch lässt er den Geleemann über die Willkommenskultur der heimischen Hotellerie lästern, die sich allerdings nicht an Flüchtlinge, sondern an „die reichen Araber“ wendet, und es geht unter die Haut, wenn er über die unter Androhung von Sanktionen zu erlernende Sprache sagt: „Deutsch ist wie ein großer Raum, in dem man gefangen ist.“ Der Geleemann kam traumatisiert aus Teheran, wen schert’s?, er ist eines jener in den 1980er-Jahren im Foltergefängnis geborenen Kinder, von denen man selbst erst durch den Dokumentarfilm „Born in Evin“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=38221) erfuhr, wer weiß das schon? Wen interessiert der „Hurensohn“, der nach der Erschießung der Mutter im Hof ihr Blut wegwaschen musste?

„Worüber man schreibt, hat immer mit einem zu tun“, sagt Amir Gudarzi. Auf der Theaterschule in Teheran, dieser Grauzone des Dürfens, wo die Proberäume via Gucklöchern überwacht werden, mit 13, 14, hatte er einen Freund, dessen Vater, wenn er betrunken war, von der Ermordung der Oppositionellen unter Ayatollah Khomeini erzählte, die Mutter, Geschwister. Gudarzi floh, wie er es formuliert, „aus religiös-politischen Gründen“, seit 2009 lebt er im Exil in Wien, gewann den österreichischen exil-DramatikerInnenpreis und erhielt das Dramatikerstipendium des österreichischen Bundeskanzleramts. Derzeit schreibt er an seinem Debütroman, schreibt, er muss schmunzeln, noch sind es viele Ideen im Kopf, darüber wie Politik der Privatheit in die Quere kommt.

Bild: © Alexander Gotter

Ein Wunschtraum vom Richtigstellen, den auch der Geleemann hat. „Steht er erst vor Gericht“, so Maria Sendlhofer, „glaubt er ein Plädoyer über Verdrängung und Verfälschung von Wissen und Gewusstem halten, und über die mediale Aufmerksamkeit, die Öffentlichkeit zum Ausleuchten der geschichtlichen und gegenwärtigen toten Winkel bringen zu können.“ Derweil wird’s auf der Spielfläche tumultuös, dem muslimischen Geleemann wird zur Gaudi der Jude David als Zellengenosse überantwortet, Vorurteile und Klischees prallen aufeinander, werden bedient und hinterfragt.

Schönster Satz zwischen den ihr Leid tragenden Tätern zum hiesigen Lieblingsmythos: „Hier gibt es nur ein Opfer – Österreich!“ Doch siehe, die Feindbilder beginnen sich anzufreunden, Philipp Auer und Johnny Mhanna spielen diese Szene über barbarische Regime, Millionen Tote, der Zweite Weltkrieg, die Besetzung durch Briten und Sowjets da wie dort, der offizielle Iran, der die Shoah ein israelisches Märchen nennt, die „Stolpersteine“, deren Inschriften der Geleemann in Wien gelesen hat. „Ein Mensch ermahnt seine Mitmenschen zum Hinschauen, aber wie steht es um seine Ignoranz?“, erklärt Sendlhofer das zu Sehende.

Und Gudarzi ergänzt: „Es geht um die Narrative und wer die Macht über sie besitzt. Wer kann komplexe Zusammenhänge vereinfachen, wer kann aus Leid Sensation machen, wer entscheidet, welche Nachricht sich gut verkauft und das Rennen um die Titelseite gewinnt?“ Was Regisseurin und Autor mit all dem in den Köpfen der Zuschauer festsetzen wollen? „Viele Fragen und keine Antwort“, lacht Sendlhofer. „Wir wollen herausfordern, weil das Publikum hier im Theaterraum jemandem, der ob seiner Tat verachtet werden müsste, zuhören muss.“ – „Wäre der Geleemann ein Österreicher, wäre er ein Einzelfall und würde psychologisiert“, ergänzt sie. „Aber so, heißt es wieder die …“

„Der Geleemann, die Zukunft zwischen meinen Fingern“, exakt und ideenreich inszeniert, perfekt und mit Hingabe an die Figur gespielt, ist ein Stück, dem wohl niemand gleichgültig begegnen wird können. Es ist Gudarzis lyrische Einladung zur Selbstbefragung, zur Hinterfragung der oftmals von anderen vorgefertigten Bildern, die man in sich trägt, es ist Gudarzis Bitte, der eigenen Voreingenommenheit bewusster zu begegnen. In Tagen wie diesen ein wichtiger Text, umgesetzt in einer sehenswerten Aufführung.

Vorstellungen bis 2. Oktober.

werk-x.at           www.facebook.com/WERKXPetersplatz

  1. 9. 2020

Werk X: Die Arbeitersaga (Folge 1 & 2)

Dezember 13, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Das Drama der Sozialdemokratie als Seniorengroteske

Kämpferische Politaktivistin trifft auf sangesfreudige Gewerkschaftsjugend: Michaela Bilgeri und der Arbeitersaga-Chor. Bild: © Alexander Gotter

Die Sätze, wie sie zum Teil fallen, könnten treffender nicht sein. Ins Herz treffender, denn trotz aller Hetz, die man hat, drängt doch im Hinterkopf der Grant darüber, wie groß sie einmal war, und wie klein sie gehandelt wurde und geredet wird – die „Bewegung“. Dieser sich anzunehmen, der Sozialdemokratie nämlich, hat sich das Werk X anlässlich des Hundert-Jahr-Jubiläums des Roten Wien auf die Fahnen geschrieben. In Tagen, in denen nicht wenige Türkis-Grün als Fake der ersteren und

deren ruckzuck Zappen auf Blau prophezeien, sobald der Strache-Weg bereitet ist, scheint eine Zeitgeschichtsstunde durchaus sinnvoll. Und so nimmt man sich in Meidling, alldieweil die SPÖ trotz Ärztin als Parteichefin auf der ideologischen Intensivstation liegt, Peter Turrinis und Rudi Pallas „Die Arbeitersaga“ vor. Die ORF-Serie der späten Achtzigerjahre als theatrales Mammutprojekt, der Vierteiler auf zwei Abende aufgeteilt, von denen Folge 1 & 2 gestern Premiere hatten. Das sind, fürs Fernsehen führte weiland Dieter Berner Regie, „Das Plakat“ und „Die Verlockung“, ein Streifzug auf roten Spuren von 1945 in die 1960er, dessen Episode eins Helmut Köpping und Episode zwei Kurt Palm in Szene gesetzt haben. Ästhetisch beide Male vollkommen anders gedacht, bleiben doch gemeinsame Eckpunkte.

Die nicht nur Karl und später dessen Sohn Rudi Blaha sind, sondern auch die stete Verzweiflung der „Revolutionären Sozialisten“, sie nach den Februarkämpfen von 1934 tatsächlich und als illegale Gruppe gebildet, mit den bedingungslos kompromissbereiten „Parteireformern“. Die‘s wenig bekümmerte, sich mit Gerade-erst-Gestrigen gemein zu machen – siehe eine Stadt, in der von den Karls zwar der Lueger, nicht aber der Renner vom Ring geräumt wurde. Und so verwandelt sich die Frage des Volks von „Wann hat das alles angefangen, schief zu gehen?“ zu einem „Wer hat uns verraten? Szldmkrtn!“ Das Sozialdrama wird zur skurrilen Groteske, weil wie Marx schrieb, sich alles Weltbedeutende einmal als Tragödie, einmal als Farce ereignet, weshalb Palm die Köppinger’sche Fassung zur schmierenkomödiantischen Farce dreht – im Sinne von: ein Trauerspiel ist der Zustand der SPÖ ohnedies in jedem Fall.

Susi Stach als Trude, Peter Pertusini, Julia Schranz, Johnny Mhanna und Thomas Kolle. Bild: © Alexander Gotter

Karl Blaha ist aus dem Krieg zurück: Johnny Mhanna, Peter Pertusini und Thomas Kolle. Bild: © Alexander Gotter

Karl mit Olga: Julia Schranz, Peter Pertusini, Susi Stach, Johnny Mhanna und Thomas Kolle. Bild: © Alexander Gotter

Thomas Kolle als Projektion, vorne: Julia Schranz, Susi Stach, Peter Pertusini und Johnny Mhanna. Bild: © Alexander Gotter

Wie sich die Bilder gleichen, wird dem Publikum mal mittels TV-Ausschnitten vom Maiaufmarsch, mal mit Quizfotos höchst amüsant vor Augen geführt, die Kanzlerparade Vranitzky, Klima, Gusenbauer, Faymann, Kern, und daneben immer: es-kann-nur-einen-geben Michael Häupl. Die Saga beginnt im April 1945, Olga Blaha ist hochschwanger, ihr Mann Karl nach wie vor, da illegaler Sozialist, mit einer Strafkolonne verschollen. Julia Schranz spielt Olga, Peter Pertusini Karl. Susi Stach ist Trude Fiala, die ebenfalls auf die Rückkehr ihres Mannes hofft, während ihr Johnny Mhanna als politisch uninteressierter Albin Roemer den Hof macht, und weil Thomas Kolle in die Rolle von Olgas im Krieg einbeinig geschossenen Bruder Kurt Swoboda schlüpft, ist klar, dass das Ganze sehr körperlich ist.

Die Schauspieler nähern sich der Bewegung über die Bewegung, das Bühnenbild von Daniel Sommergruber gilt es für sie erst zusammenzubasteln, und von Sakkos bis Sporthosen ist rot, rot, rot ihre liebste Farbe. Köpping zeigt das Politische im Privaten wie umgekehrt, die vor kurzem noch Widerstandskämpferin Trude Susi Stachs rechtet mit Kolles Kurt, dem gesinnungsmäßig geweglichen Parteifunktionär, Kolle, der im behänden Tanzschritt „harte Standpunkte“ auflösen will. Zu Recht fühlt sich die Basis gefoppt, „Koalitionen mit rechts werden immer rechts“, sagt Trude. In der Geräuschkulisse von Maschinengewehrsalven läuft Karl ohne vom Fleck zu kommen, aber am Ende doch nach Hause. Mit ihm hat der Flügel der Revolutionären Sozialisten eine Stimme mehr gegen die Sozialdemokraten. „Es sind ja noch gar nicht alle da, viele von uns sind noch im Exil oder im KZ, die müssen wir zurückholen“, sagt die Schranz wieder und wieder.

Ohne gehört zu werden. Zu Karls Fronttrauma kommt Trudes Sicht auf den Tod als Trost, Zukunftsangst wird mit Euphorie übertüncht, Filmszenen werden mit dem Bühnengeschehen überschnitten, etwa, wenn Schranz und Pertusini die Zigarettenreichung von Annette Uhlen an Helmut Berger mitgestalten, da wird die intime Filmsequenz zur kunstreichen Geste. Schön auch, wie das Anfragen bei den Sowjets um Plakatpapier in einer babylonischen Sprachverwirrung gipfelt, Johnny Mhanna, der sich zwischen den Alliiertensprachen Russisch, Englisch, Französisch verrennt – und kein Ausweg nirgendwo. So wird’s nichts mit dem Sozialismus, merkt man bald. Köpping hat den Konflikt der revolutionären und der reformistischen Kräfte in den Mittelpunkt seiner Handlung gerückt, mit heutigen Kommentaren kontrastiert, und um Specials wie eine Live-Kamera aufgepeppt.

Marx‘ Werke wiegen schwer: Michaela Bilgeri, Martina Spitzer und der Arbeitersaga-Chor. Bild: © Alexander Gotter

Mandi und Rudi Blaha studieren die „Bravo“: Florentin Groll und Karl Ferdinand Kratzl. Bild: © Alexander Gotter

Endlich bei Brigitte Bardot: Erika Deutinger, Martina Spitzer, Karl Ferdinand Kratzl und Michaela Bilgeri. Bild: © Alexander Gotter

Tanzen statt debattieren: Bilgeri, Kratzl, Spitzer, Deutinger, Groll und der Arbeitersaga-Chor. Bild: © Alexander Gotter

Sie projiziert die Streitereien überlebensgroß auf die Hinterwand, der „gesunde Opportunist“ Kurt wird als Paktierer mit dem Klassenfeind aus dem Freundeskreis vertrieben, Trude und Albin finden einander beim „Wiener-Blut“-Walzer, und zum Schluss, wenn fertig gewerktätigt ist, werden die überdimensionalen 1.-Mai-Lettern aufgestellt und „Aufmarsch“ nachgeahmt. In alten Wochenschau-Aufnahmen marschiert Schärf samt Gefolge vor Menschenmassen, der Achtstundentag wurde von links eingeführt, von rechts ohne Gegenwehr abgeschafft, und Kurt Palm lässt seine Protagonisten nun polemisieren, die rote Zukunft sei eine tote Zukunft.

Der „Monster“-Autor (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34263) macht die jugendlichen Parteirevolutionäre zum Pensionistenverband, die Senioren im Clinch mit der Gewerkschaftsjugend, die im Klub die selben Räume belegt. Michaela Mandel hat zu den krachbunten Kostümen das Setting mit scheußlicher Siebziger-Jahre-Retrotapete ausgestattet, vom Wort Votivkirche an der Wand blieb nur das CHE, die roten Hoffnungsträger schlurfen mit Rollator oder Rollstuhl übers politische Parkett, und zwar zwecks Erhaltung von dessen Glattheit ausschließlich in „Filzdackerln“. Palm hat mit seiner Krückengroteske dies Biotop auf den Punkt genau getroffen: So geht Sektion! Was Palm vorführt, ist weniger Verballhornung der Wirklichkeit als etliche im Saal glauben, und kongenial sind Karl Ferdinand Kratzl und Florentin Groll als Rudi Blaha und Haberer Mandi.

Deren Liebesgeschichte, denn selbstverständlich gibt’s auch eine, sich um Brigitte Bardot dreht, deren Schwanken zwischen Konsum und Klassenkampf die Regie allerdings gestrichen hat – die Alten schwanken wohl so schon genug. Ein Kabinettstück ist es, wie Groll und Kratzl sich mit Hilfe eines Sexratgebers und der Bravo für die Bardot in Stellung bringen wollen, ein Bodenturnen zu dessen Wie-kommen-wir-wieder-hoch? man sich zu spät Gedanken macht. Die Figur des Fritz Anders hat Palm mit dessen neu erfundener Tochter Jenny überschrieben, Michaela Bilgeri als Phrasen dreschende Filmemacherin, die verbal zwischen „Das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ und „Das sagt man nicht mehr“ changiert, die ergraute Partie darüber verwundert, dass man den „Neger“ Franz nicht mehr, weil böses N-Wort, bei seinem Nachnamen nennen darf.

Das 1.-Mai-Bühnenbild ist zusammengebastelt und steht: Johnny Mhanna, Susi Stach, Thomas Kolle, Peter Pertusini und Julia Schranz. Bild: © Alexander Gotter

„Das wird ja immer absurder“, sagt irgendwann irgendwer, da haben sich die Zuschauer schon schiefgelacht, das Beharren auf politischer Korrektheit wird als Pose entlarvt und zur Posse gemacht, dazu singt der Arbeitersaga-Chor ein gegendertes „Wir sind die ArbeiterInnen von Wien“ oder „Von nun an gings bergab“ oder säuselt „Je t’aime“. Immerhin rollt keine Geringere als Erika Deutinger als Brigitte Bardot durchs Szenario, die „Gitti“, geoutet als Front-National-

Sympathisantin und Islam-Hasserin, die hier Stofftiere füttert und ihren Ennui mit Champagner vertreiben will. Die Deutinger im Glitzerkleidchen ist vom Feinsten, und so auch Martina Spitzer als „Bienenkönigin“ Heddi Prießnitz. Die in ihrem Zitate-Quiz Aussagen von SPÖ-Kanzlern, Vranitzky, Klima, Gusenbauer, Faymann, Kern, als Unwahrheiten enttarnt, bis es nicht mehr verwundert, dass sich der Gemeindebau in FPÖ- und Nichtwähler gespalten hat. Der stolze Proletarier ist nur noch stumpfer Prolet, und während sich unheilige Allianzen bilden, ist jeder vierte Österreicher für einen starken Führer. Zustände sind im Land, die diese Doppelaufführung, diesen Mix aus Überprüfung und Persiflage, Defätismus und Zweckoptimismus dringend notwendig machen.

„Die Arbeitersaga (Folge 1 & 2)“ ist ein Workout für Lachmuskeln und Gehirnzellen. Gut so. Am 16. Jänner haben Folge 3 & 4 Premiere, Regie führen dann Martina Gredler und Bernd Liepold-Mosser.

werk-x.at           Trailer: www.youtube.com/watch?v=0n2zUo-Or6g

  1. 12. 2019

Werk X: Homohalal

Januar 19, 2018 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Am Swimmingpool die Phrasen verdreschen

Die feuchtfröhliche Trauerfeier der ehemaligen Votivkirchenbesetzer: Arthur Werner, Christoph Griesser, Stephanie K. Schreiter, Daniel Wagner, Constanze Passin und Yodit Tarikwa. Bild: © Yasmina Haddad

Es lässt sich wirklich nicht (mehr) sagen. Was war die Aufregung? Gut, das Ganze hat sich auf dem Weg Wien – Uraufführung in Dresden – Wien vom Workshop- zum Theatertext geschliffen, dazu nun die fabelhafte Inszenierung, die die Komik der Situation unterfüttert und sich auch vor Slapstick nicht scheut. Man kann das spielen, heißt das, man kann das zeigen, heißt: dieser Tage auch Zivilcourage zeigen …

Ibrahim Amirs für diese Stadt so notwendige „Homohalal“ ist mit Verspätung endlich daheim angekommen. Das Werk X griff beherzt zu, nachdem das Volkstheater vor knapp zwei Jahren mit der Begründung, für den derzeit „stark von Angst und Hass geprägten“ „Ausländer“-Diskurs sei das Stück ungeeignet, den Rückzieher machte. Ali M. Abdullah hat mit dem ihm eigenen Sinn für Hintersinn inszeniert.

Und was zu sehen ist, ist eine bissige, bitterböse Komödie, zwar rotzfrech und alle Tabus brechend, aber doch so, dass gerade die wohlgesinnt an einer Gesellschaft Beteiligten vom Autor ihre Schelte abbekommen. Die linken, im Text so genannten „Wohlstandsgelangweilten“ wie die unterstellt ehemaligen „Ziegentreiber“, all die ach so liberal sich denkenden Vorbildmenschen mit und ohne Migrationshintergrund. Das weltanschaulich entsprechend in Einvernehmen stehende Premierenpublikum jauchzte vor Freude und applaudierte am Ende begeistert.

Renato Uz stellt einen Swimmingpool auf die Spielfläche, rund um den die Figuren ihre Phrasen erst (ver-)dreschen können, bevor sie mit ihnen untergehen. Ausgangspunkt von „Homohalal“ ist eine Trauerfeier für einen früheren Mitaktivisten, trifft sich am Rand des Bassins doch der harte Kern der Votivkirchenbesetzer vom Winter 2012. Das Jahr ist nun 2037, und wenn man Amir etwas vorwerfen kann, dann, dass er die Utopie in die Zuschauerköpfe pflanzen will, Österreich wäre bis dahin zum mitmenschlich freundlichen Miteinander-Staat gereift. Davor allerdings muss noch Entsetzliches passiert sein: „2022 brennende Muslime auf den Straßen von Traiskirchen und Kärnten“.

Die Party läuft …: Constanze Passin. Bild: © Yasmina Haddad

… und eskaliert: Arthur Werner (vorne), Christoph Griesser, Stephanie K. Schreiter, Constanze Passin, Yodit Tarikwa und Daniel Wagner. Bild: © Yasmina Haddad

Dass einen solch plakative Sätze anbrüllen, ist Amirs in der Sache zwingende Art. Dezent-subtil ist hier nichts, auch die Inszenierung haut voll rein, die Trauerfeier der gelungen Integrierten und ihrer Helfer eskaliert mehr und mehr, als längst überwunden geglaubte Ressentiments und die landläufigen Vorurteile aufbrechen. Die Charaktere werden von ihrer Vergangenheit bewältigt, man reibt sich an Schuld und Sühne. Da war eine Abschiebung ins sogenannte sichere Herkunftsland, da war Folter wegen einer Nicht-Eheschließung, da war ein brennender Neonazi, und Auffanglager und Gefängnisse.

Ein Extempore über die türkisblaue Regierung, deren siegbringendes Thema und ihre Empörungsbewirtschaftung fehlt an dieser Stelle nicht. Immer wieder steigen die Schauspieler aus dem Stück aus, doch der Streit um Recht und unrecht handeln geht weiter. Das Politische wird wieder einmal privat.

Der tatsächlich kontrovers zu deutende Schlussmonolog über die Angst um und den Schutz für die mühsam aufgebaute neue Welt blieb der Wiener Fassung II mutig erhalten. Integration, sagt Amir, kann so weit gehen, dass man faschistisches Gedankengut für sich neu formuliert, die Angekommenen wollen keine Neuankömmlinge, und er zerlegt dabei die idealisierenden Klischees ebenso genüsslich wie die kriminalisierenden. Man muss nur oft genug links abbiegen, um nach rechts zu kommen, heißt es ja, und „Da stehen noch tausende von Abduls vor unseren Türen. Und die klopfen. Und wie sie klopfen“, heißt es da. Und am Ende: „Freiheit ist Sicherheit. Sicherheit ist Freiheit. Da gibt’s keine Kompromisse … Einer muss die Tür zuhalten.“

Abdul ist der mutmaßlich zu Tode gekommene Aktivist, der Radikale in der Truppe, Arthur Werner spielt ihn, ebenso wie den scheinbar vollauf assimilierten Said, der aber doch zum Berserker wird, als er erfährt, dass sein Sohn Jamal schwul ist. Christoph Griesser macht das herrlich mit Sprachfehler, und auch den Fundi-Bruder Jussuf. Constanze Passin ist Abduls Ex und Idealistin Albertina, Stephanie K. Schreiter Saids Frau Ghazala, erstere vor Verständnis für Flüchtlinge im Wortsinn triefend, zweitere auf dem Standpunkt, man habe sich, in Österreich angekommen, alles selbst erwirtschaftet. Daniel Wagner gibt das angepasste Partytier Umar, und den Vogel abschießt Yodit Tarikwa als Imamin Barbara, deren „positiver Rassismus“ darin endet, dass das „Allahu Akbar“ schließlich als Gospelsong intoniert wird. Amir hat in seinem Bühnenbiotop alle Tierchen ge(kenn)zeichnet.

Said will keinen schwulen Sohn: Christoph Griesser, Stephanie K. Schreiter, Arthur Werner und Yodit Tarikwa. Bild: © Yasmina Haddad

Für derlei Groteske geht Ali. M. Abdullah ein hohes Tempo, die Pointen und das Timing sitzen, und was die Wasserspiele betrifft, na, da schont sich wirklich keiner. Auch das Publikum kriegt seinen Teil Nässe ab. Johnny Mhanna, ein syrischer Schauspieler, agiert als er selbst. Er habe schon x-mal vor Zuschauern seine Fluchtgeschichte erzählt, sagt er, und er sei beruflich quasi ausgebucht, weil derzeit jedes Wiener Theater für ein Flüchtlingsstück einen Quotenflüchtlingsschauspieler brauche. Auch für „Homohalal“ wäre er schon zum zweiten Mal angefragt worden. Was Johnny Mhanna stattdessen will, ist, endlich der Hamlet sein, oder auch eine Medea. Und das sind an diesem beklemmend ernsthaften Riesenspaß die berührenden Momente …

Ali M. Abdullah im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=27960

werk-x.at/

  1. 1. 2018