Kino wie noch nie: Sechs Filme als Freiluft-Preview

Juni 21, 2022 in Film

VON MICHAELA MOTTINGER

Leonard Cohen, Lady Diana und der Sundance-Hit

The Princess. Bild: © Polyfilm

Das wunderschöne „Kino wie noch nie“ öffnet in Kooperation mit der Viennale am 23. Juni wieder seine Pforten im Wiener Augarten für alle cinephilen Freiluftfreundinnen und -freunden. Polyfilm zeigt in diesem Rahmen sechs Filme als Preview – noch vor dem Kinostart im Herbst/Winter.

The Princess von Ed Perkins. Termine: 29.6. – 21.30 Uhr Augarten, 30.6. – 19.30 Uhr Metro

Zum 25. Todestag der Princess of Wales kommt mit „The Princess“ die ultimative Diana-Doku ins Kino, die als Sundance-Höhepunkt gefeiert wurde. Produziert vom Oscar-prämierten Team von „Searching for Sugarman“ erzählt der Film erstmals Dianas ganze Geschichte, mit noch nie gezeigten Archivaufnahmen. Es entsteht ein überraschendes und überwältigendes Bild einer Frau, die heute aktueller und moderner denn je erscheint.

Papicha von Mounia Meddour. Termine: 9. 7. – 21.30 Uhr Augarten, 10. 7. – 19.30 Uhr Metro

Algier in den 1990er-Jahren. Die 18-jährige Studentin Nedjma lebt im Studentenwohnheim und träumt davon, Modedesignerin zu werden. Nach Einbruch der Nacht schlüpft sie mit ihren besten Freundinnen durch den Zaun des Wohnheims, und geht in den Nachtclub, wo sie den „Papichas“, hübschen algerischen Mädchen, ihre Kreationen verkauft. Die politische und soziale Lage im Land verschlechtert sich zunehmend. Ungeachtet dieser Ausweglosigkeit beschließt Nedjma, für ihre Freiheit zu kämpfen, und veranstaltet eine Modenschau, mit der sie sich über alle Verbote hinwegsetzt. Die Geschichte ist inspiriert von den eigenen Erfahrungen der Regisseurin Mounia Meddour und ihrer vier Freundinnen, die alle von einem neuen Leben träumten.

Mein Wenn und Aber von Marko Doringer. Termine: 15. 7. – 21.30 Uhr Augarten, 16. 7. – 19.30 Uhr Metro

Um sich selbst zu verwirklichen, muss man erst mal wissen, was man will. „Mein Wenn und Aber“ ist ein bitter-süßer Beziehungsfilm über die Vereinbarkeit von Beruf und Liebe – und den täglichen Kampf ums Glück. Marko besucht Freunde, Kolleginnen und seine Eltern, um herauszufinden, wie sie mit dem fragilen Gefüge von Partnerschaft, Familie und Arbeit umgehen. Seine Generation ist hin- und hergerissen: Auf der einen Seite die Freude an der Arbeit. Auf der anderen Seite die Angst, dem Partner oder den Kindern nicht gerecht zu werden. Dazwischen der Wunsch, die Versäumnisse der eigenen Eltern nicht zu wiederholen. Gibt es ein Glücksrezept für ein gelungenes Leben? Einfühlsam, beharrlich und humorvoll erforscht Regisseur Marko Doringer die Gefühlswelt einer Generation, die um ihren Weg ringt. Damit kommt nach „Mein halbes Leben“ und „Nägel mit Köpfen“ der dritte Teil der österreichischen Kultserie ins Kino. Preview in Anwesenheit des Regisseurs.

Hive von Blerta Basholli. Termine: 17. 7. – 21.30 Uhr Augarten, 18. 7. – 19.30 Uhr Metro

Dieser starke Debütfilm wurde zum Sundance-Hit. Um ihre Familie zu versorgen, gründet Fahrije, Alleinerzieherin deren Mann im Kosovokrieg verschollen ist, ein kleines landwirtschaftliches Unternehmen. Zusammen mit anderen Frauen aus dem Dorf beginnt sie die Gemüsepaste Ajvar zu produzieren. Ihre Bemühungen, sich und andere Frauen zu stärken, werden in ihrem traditionellen, patriarchalischen Dorf nicht gern gesehen. Doch auch die Männer können ihren Erfolg nicht verhindern. Eine ermutigende Emanzipations-Geschichte über Frauensolidarität nach wahren Begebenheiten. Sundance Festival 2021: Publikumspreis, Beste Regie, Großer Preis der Jury.

Mona Lisa und der Blutmond: Tolles Comeback von Kate Hudson. Bild: © Polyfilm

Höhepunkt in Venedig: Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song. Bild: © Polyfilm

Hive: Preisgekrönter Sundance-Hit. Bild: © Polyfilm

Aus Österreich: Mein Wenn und Aber. Bild: © Polyfilm

Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song von Daniel Geller und Dayna Goldfine. Termine: 23. 7. – 21.30 Uhr Augarten, 24. 7. – 19.30 Uhr Metro

Ein Höhepunkt des Filmfestivals Venedig 2021: berührend, erhellend, witzig und musikalisch erhaben. „Hallelujah: Leonard Cohen, A Journey, A Song“ ist nach dem großen Kinoerfolg „Marianne & Leonard“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=35793) der zweite Dokumentarfilm innerhalb weniger Jahre, der sich mit Leonard Cohen beschäftigt. Der titelgebende Jahrhundersong, eines der am meisten gecoverten Lieder der Popgeschichte, ist das Prisma, durch das Leben und Werk des legendären kanadischen Musikpoeten erzählt wird. Von den Anfängen bis zu seinem letzten Auftritt.

Mona Lisa und der Blutmond von Ana L. Amirpour. Termine: 12. 8. – 21.00 Uhr Augarten, 13. 8. – 19.30 Uhr Metro

Eine seltsame junge Frau mit merkwürdigen Superkräften, eine alleinerziehende Stripperin – ein tolles Comeback von Kate Hudson – und ihr kleiner Sohn sind das liebenswerteste Trio dieses Freiluft-Kinosommers. Gemeinsam machen sie New Orleans unsicher und das macht richtig viel Spaß. Inspiriert von Abenteuerfilmen der 1980er-Jahre, kreiert die iranisch-amerikanische Regisseurin Ana Lily Amirpour nach ihrer Sensation „A Girl Walks Home Alone at Night“ erneut einen wuchtigen und überraschenden Film, der ziemlich einzigartig ist – und sehr cool.

Außerdem auf der großen Freiluftleinwand: Der Publikumshit

Abteil Nr. 6 von Juho Kuosmanen. Termine: 1. 7. – 21.30 Uhr Augarten, 2. 7. – 19.30 Uhr Metro

Der finnische Regisseur Juho Kuosmanen schickt zwei Außenseiter auf eine amüsante und zutiefst berührende Reise, auf der sie – ganz ohne Kitsch – mit der Wahrheit ihrer Gefühle konfrontiert werden. Nur wenige Menschen zieht es im Winter ins eisige Murmansk am nördlichen Polarkreis. Die schüchterne finnische Archäologie- studentin Laura aber ist fest entschlossen, die berühmten Felsenmalereien der Stadt zu besichtigen – eine unglückliche Romanze, die sie in Moskau hinter sich lässt, motiviert ihren Entschluss umso mehr. Die Aussicht auf eine beschauliche Eisenbahnfahrt zerschlägt sich als Laura ihren Mitreisenden im Abteil Nr. 6 kennenlernt:

 

Ljoha ist Bergarbeiter, trinkfest und laut, ein Typ, der keine Grenzen zu kennen scheint und Lauras schlichtweg ignoriert. Doch während der nächsten Tage ihrer gemeinsamen Reise müssen die ungleichen Passagiere auf engstem Raum miteinander auskommen lernen … Zum Sound von „Voyage Voyage“ nimmt Kuosmanen das Publikum mit auf eine atmosphärische Reise durch das winterliche Russland der späten 1990er-Jahre, auf der sich zwei Menschen über alle Kultur- und Klassengrenzen hinweg begegnen und näher kommen. Ein liebevoll raues, melancholisch-komisches Roadmovie auf Schienen, inspiriert durch den gleichnamigen Roman von Rosa Liksom (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=3148).

www.polyfilm.at          Das ganze Programm und Tickets: www.filmarchiv.at/news/kino-wie-noch-nie-2

21. 6. 2022

Bücher über Romy Schneider und von Erni Mangold

September 21, 2021 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Romy spielt sich frei / Sagen Sie, was Sie denken

Wie aus „Sissi“ der Weltstar Romy Schneider wurde: Als süße junge Kaiserin „Sissi“ erobert Romy Schneider ein Millionenpublikum. Der große Erfolg ist jedoch nicht alles – sie möchte ihren eigenen Weg gehen, sich lösen vom Mief der deutschen Nachkriegszeit und von der Schauspieltradition der Familie, mit der sie in Gestalt von Mutter Magda Schneider und Grossmutter Rosa Albach-Retty alltäglich konfrontiert ist. Sie stellt Fragen, verurteilt manches scharf und arbeitet sich bis zu ihrem frühen Tod an ihrer Herkunft ab.

Ihre berührende Lebensgeschichte spiegelt so auch die Geschichte der Familie und ihrer starken Frauen wider: Sie erzählt vom Ringen um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit im Theaterund Filmgeschäft, von der Vereinnahmung durch Politik und Medien, von zweifelhaften Verstrickungen und Irrwegen in turbulenter Zeit. Großmutter Rosa und Vater Wolf Albach-Retty, die ehrgeizige Mutter Magda und Romy Schneider – ein packendes Familiendrama zwischen Triumphen und Abgründen.

Über den Autor: Günther Krenn studierte Philosophie und Theaterwissenschaft und ist Mitarbeiter des Österreichischen Filmmuseums. Er hat sich bereits in mehreren Büchern mit Romy Schneider, Alain Delon und Karlheinz Böhm beschäftigt und ist daher mit dem vielschichtigen Themenkomplex des Romy-Schneider-Universums eng vertraut. Seine filmhistorischen Bücher wurden zweimal mit dem Willy-Haas-Preis ausgezeichnet, zuletzt erschien 2021 „Serge & Jane. Biographie einer Leidenschaft“.

Molden Verlag, Günther Krenn: „Romy spielt sich frei. Glanz und Tragik einer Schauspieldynastie“, Sachbuch, 304 Seiten. Erscheint am 27. September.

95 Jahre in Lebens-Bildern: Sieben Jahrzehnte auf der Bühne und mit über 90 noch im Filmgeschäft: Erni Mangold hat viel erlebt und viel gesehen. In ihrem Haus im Waldviertel gibt es einen alten Holzschrank, darin bewahrt die Ausnahmekünstlerin alle ihre Fotos auf. In wildem Durcheinander repräsentieren sie das abwechslungsreiche Leben der gefeierten Schauspielerin. Die angeborene Gabe die Wahrheit zu sagen, gelegen oder ungelegen, macht sie so prägend, so witzig und so klar. Zu entdecken gibt es nicht nur Erni Mangolds Jahrhundertleben, sondern auch die Geschichte eines Jahrhunderts – Kindheit und Krieg auf dem Land, wilde Jahre mit Helmut Qualtinger, Aufstieg und Ausverkauf als Sexsymbol in einer ausgehungerten Nachkriegsgesellschaft, Theater und Ehe in Hamburg, Schauspielunterricht in Wien, Glück und Auszeit im Waldviertel. Eine Zeitreise mit der grandiosen Schauspiel-Ikone. Mit Gastbeiträgen von Elfriede Jelinek, Michael Schottenberg, Susanne Höhne etc.

Über die Autorin: Erni Mangold. Viele Zeitgenossen erkannten die Unverwechselbarkeit und Qualität ihrer künstlerischen Potenz: Gustaf Gründgens, Rainer Werner Fassbinder, Peter Patzak, Werner Schwab und Xaver Schwarzenberger gehörten dazu. Dieses Buch erzählt von Begegnungen mit Hans Moser, Raoul Aslan, Curd Jürgens, Ernst Waldbrunn, Helmut Qualtinger, O.W. Fischer, Peter Alexander, Heinz Reincke, Elisabeth Flickenschildt, Susi Nicoletti, Romy Schneider sowie Herbert von Karajan, Bruno Kreisky und vielen anderen.

Molden Verlag, Erni Mangold & Doris Priesching: „Sagen Sie, was Sie denken. Mein Leben in Bildern“, Sachbuch, 208 Seiten. Erscheint am 4. Oktober.

www.styriabooks.at/molden

21. 9. 2021

Burgtheater: Mein Kampf

Oktober 10, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Den Witz versteht nur, wer dabei gewesen ist

Und hereinbricht Hitler: Markus Hering als Schlomo Herzl, Marcel Heuperman als Braunauer Bildermaler und Oliver Nägele als Lobkowitz. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Zusammengefasst, das Ganze entwickelt sich vom jüdischen Witz zur Furz-Farce zu einer Brachialgewalt, die durch George Taboris Groteske schlägt, wie die Heiligen Nägel durch Schlomos Hände. Itay Tiran inszenierte am Burgtheater also „Mein Kampf“, er hat sich am Akademietheater als Regisseur schon in „Vögel“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=34508), als Schauspieler in „Der Henker“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=36623) von seiner besten Seite gezeigt.

Nun berichtet der im israelischen Petach Tikva geborene Künstler im Programmheft anrührend von seiner „Kämpferin“, Großmutter Deborah Fixler Yahalom, Shoah-Überlebende und Geschichtenerzählerin und Virtuosin eines Überlebenshumors, mit dem sie ihrem Enkel den Horror beschrieb. „Shoah“, sagt Tiran, „ist für sie, wie für viele andere, kein datierbarer Zeitpunkt in der Geschichte, sondern ein Zustand, der anhält und andauert“, und im Interview, dass er, als seine Regiearbeit angefragt wurde, zweifelte, ob er sich mit dem Familientrauma auseinandersetzen möchte, nicht wissend, was er dem in Wien oft und grandios gespieltem Stück an noch nicht Gesagtem hinzufügen könne.

Dies hier erwähnt als Eckpunkte einer Besprechung, die über ein „Ja, so kann man’s freilich auch machen“ hinauskommen möchte, ist es unsachlich zu sagen, man möge von Themen, die einem zu nah sind, die Finger lassen?, kurz: der gestrige Premierenabend hat seine Momente, skurrile und schwere und solche, die es einem nicht leicht machen.

Jessica Rockstroh hat die Vorderbühne mit einem Jossi-Wieler-Rechnitz-Gedächtnisguckkasten zugebaut, ein Vergleich, dem stattgegeben wird, als Frau Tod Herrn Hitler ihren eben rekrutierten Würgeengel nennt. Bis dahin ist es ein mehr als zweistündiger Weg durch diesen gefinkelten Wandverbau, der sich hoch- und wegklappen lässt, die Paneele mal Bett, mal Bügelbrett, und dessen Teile von Anfang bis Ende durchbrochen und zertrümmert werden, wenn die Schauspieler aus ihnen fallen, drängen, drücken. Kein heiles Heim, dafür ein Heil! im Männerwohnheim, der Hitler und der Himmlisch kommen!

Davor, man weiß es, ein heiterer G’tt aus wenig heiterem Himmel, einer, der sich an nichts erinnern kann, solch aktuelle Hinterlist gibt’s von Schnitzel und Flüchtlingsstrom bis zum Jammern der Tödin übers Aussterben der Pandemien (Publikum: Gelächter!). Der Herr und sein Auserwählter sind, man weiß auch das, Koscherkoch Lobkowitz und Buchhändler Schlomo Herzl, Oliver Nägele und Markus Hering, und im Wortsinn über die beiden hereinbricht Marcel Heuperman als Hitler. Der sich erst in einer hochgeschraubten Schwadronade, dann seinen Darm in einen Kübel entleert. Scheiße aus allen Körperöffnungen, wie gesagt, am Furz- und Kotztheater wird hier nicht gespart. Heupermans unappetitlicher Hitler ist ein Theatraliker ennet der Grenze des Geschmacklosen.

Hering, Heuperman und Hanna Hilsdorf als Gretchen, hi.: Huhn Birne als Mizzi. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Ein händewachelndes Ojojoj der Menschenopfer: Makus Hering und Oliver Nägele. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Rekrutiert ihren Würgeengel: Sylvie Rohrer als Frau Tod und Marcel Heuperman. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Itay Tiran, und dies sein Pluspunkt, stellt die Schauspieler in den Mittelpunkt, er gibt ihnen all den Raum, der zwischen drei Wänden möglich ist. Es ist ein einfaches, ein Armes Theater, das er zeigt, mit einem Stück Kreide zeichnet Herings Schlomo Hitlers neues Zuhause wie den Teufel an die Wand; die Kostüme von Su Sigmund wie aus der Kleidersammlung, Trainingsbuxe, Bademantel, die Kippa eine Strickmütze. Heuperman ist ein feistes, berserkerndes Baby, ein hysterisch wütendes Kleinkind, kindisch-grausam, sobald es nicht nach seinem Kopf geht, die schmutzigen Strümpfe auf Halbmast, die versiffte Unter- eigentlich eine beständig rutschende Windelhose, die Heuperman ebenso beständig über dem nackten Hintern hochzieht.

Hering und Nägele geben sich als zwei Käuze, die mit einem händewachelndem Ojojoj ihre Opferbestimmtheit kundtun, Lobkowitz schon ein jenseitiger Mehlzerstäuber, Herzl noch ein herzergreifend Verzweifelter – am jüdischen Glauben und am jüdischen Witz, der mit mütterlichem Masochismus den Braunauer Bildermaler zum Massenmörder stylt und coacht. In diesem Szenario ist allerlei Bärtchen- und Youth-Cut-Slapstick möglich, so weit, so schön läuft der Abend am Schnürchen, mit komischen Typen und ihren Hals- wie Wortverdrehern. Jede Pointe sitzt, auch wenn man hier bereits den Sinn für Taboris nadelspitzen Sarkasmus und seine beißende Tieftraurigkeit vermisst.

Den schönsten und sie bestimmenden Moment schöpft Itay Tirans Aufführung aus der Verkehrung von Schlomo Herzls Satz zu seinem Buch, titelgebend: „Mein Kampf“, der bei Deborah-Enkel Tiran als Schlomos „letzte Chance endlich zu vergessen, woran ich mich seit meiner Jugend erinnern muss“ dasteht. Lässt er doch den Hering bei ins Gelbe gedimmten Standbildern die Mitakteure nach Schlomos Willen arrangieren, auf dass seine Inszenierung unter greller Glühbirne Szene für Szene ins Grauen entgleise.

Herings Schlomo Herzl mit der KZ-Tätowierung auf dem Unterarm fantasiert aus dem Orkus die Schlächter neu herbei. Und er weiß es und er kann es nicht verhindern, kann das Geschehene nicht umschreiben. Aus seinem Transistorradio hört man HC Strache im Wahlkampfmodus. Geschichte wiederholt sich nur als Farce, um Karl Marx abzukürzen.

Keine Akademie? Hitler ist am Boden zerstört: Marcel Heuperman. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Der Schnauzer wird zum Bärtchen gestutzt: Markus Hering und Marcel Heuperman. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Goldene Göttin statt deutsches Mädl: Markus Hering und Hanna Hilsdorf, hi.: Oliver Nägele. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Und wieder wird ein Jude gekreuzigt: Rainer Galke als Himmlisch und Markus Hering. Bild: Marcella Ruiz Cruz

Von der allerdings ist Tiran mittlerweile weit entfernt. Er hat zur verlangt feinschnittigen Sichel, um noch mal Marx zu bemühen, den dumpfen Hammer hervorgeholt, die Geräuschkulisse von Ludwig Klossek klingt nach Maschinengewehr, Grölen, Stöhnen, Hohngelächter. Mit Bettfedern hereinschneit Gretchen als Goldene Göttin, Hanna Hilsdorf allerdings weder Varganin noch bodenständig deutsches Mädl, sondern in dieser Schlüsselepisode, wie man dem Volk die Stimmung umdreht, deutlich unterbeschäftigt. Am spannendsten und bei Weitem die beste Komödiantin ist die Henne Birne als legendäre Mizzi, die in ein Wandbord gesetzt wird – und man dem Tier am Schnabel ansieht, wie’s überlegt: Wie komm‘ ich da nur wieder runter?

Bleibt: Die großartige Sylvie Rohrer als sich zur Kunstfigur verrenkende Frau Tod, ein bizarrer, kalter Todesengel, als der die Rohrer hier eine Glanzleistung hinlegt: Bleibt: Rainer Galke mit Axt – als Himmlisch von einer Herrenmensch-Rage, der eine Sauerei anrichtet, die Taboris subversives Zotenspiel, seine Assoziationskette von Schmerz zu Scherz zu Ausch-/Witz endgültig zerreißt. Schlomo wird an die Wand gekreuzigt, Mizzi vergast, der Titel „Mein Kampf“, denn ein Buch gibt es nicht, wechselt den Besitzer und Hitler zieht mit seiner Bagage und seinem an den Deportationskoffer gemahnendes Gepäckstück ab, als hätte er Schlomo sogar den gestohlen.

Zusammengefasst, im Dickwanst ist punkto dramatischer Dichte noch Luft drin. Die drastische Oberfläche bräuchte Tiefgang. In Zeiten da Rechts von einer zustimmend nickenden Mitte übernommen wird, braucht es (kultur-)politisch Radikaleres als Horrorclowns wie einen sich ausscheißenden Hitler und einen randalierenden Himmlisch. Ja, George Taboris „Mein Kampf“ ist im Getriebe des Repertoirebetriebs angekommen, kann man ihn aus diesem nun bitte weiterziehen lassen?

Lobkowitz und Robkowitz sitzen im Garten Eden auf einer Bank. Sagt Lobkowitz: Erinnerst du dich noch, wie du auf der Seife ausgerutscht bist und dir den Schädel zerschlagen hast, bevor sie uns vergasen konnten? Robkowitz schüttelt sich vor Lachen und erwidert: Ja, aber weißt du noch, wie du dich beschwert hast, sieben Mann seien zu viel für ein Bett? Kommt G’tt vorbei, böse und aufgebracht darüber, was es denn da zu lachen gebe. Sagt Lobkowitz: Ach Herr, den Witz versteht nur, wer dabei gewesen ist …

www.burgtheater.at           Video: www.youtube.com/watch?v=7x8ihcvJKbQ

  1. 10. 2020

Josef Haslinger: Mein Fall

Februar 18, 2020 in Buch

VON MICHAELA MOTTINGER

Bericht über den sexuellen Missbrauch in Stift Zwettl

Er hat es immer wieder erzählt, erstmals 1982 in „Der Konviktskaktus“, zuletzt vergangenes Jahr in „Child in Time“. 1983 in „Die plötzlichen Geschenke des Himmels“ schrieb Josef Haslinger „Er legte mir sein wulstiges Fleischstück wie eine geweihte Hostie auf die Zunge“ und „Ekel“ und „Es reckte mich“. Zuhörer reagierten bei Lesungen empört, nicht wegen des Vorgefallenen, sondern weil‘s einer wagte, dies öffentlich zu machen, eine Zeitschrift lehnte einen bereits vereinbarten Abdruck der Kurzgeschichte ab, der Autor selbst deklarierte die Fünf-Seiten-Prosa danach als „moralisch einwandfreie Fiktion“.

Das ist, was Haslinger heute seine „Phase der Verharmlosung“ nennt, das Schönreden seines Ausgeliefertseins als Schutzbefohlener, die Unfähigkeit selbst zur späten Auflehnung, stattdessen ein emotionales Verheddern in „So schlimm war’s ja nicht/Selber schuld“-Zuweisungen. Ein einstiger Mitschüler, dessen Namen Haslinger nicht nennt, sagt am Ende des Buches, wie schwer es ihm gefallen sei, seine Autoritätshörigkeit abzulegen, seinen Reflex zum „Einehaun“, also sich anzubiedern, „wir seien“, sagt er, „zu Opportunisten erzogen worden, zu ,Gefallsöhnen‘, gezwungen zur Selbstaufgabe, um uns geliebt zu fühlen.“

Haslingers aktuelles Buch „Mein Fall“ nennt andere Namen klar und deutlich: Pater Gottfried Eder, Pater Maurus König und Organist Viktor Adolf, Lehrer allesamt, sogenannte Erziehungsberechtigte, deren Verklausulierung durch Abkürzungen er sich nun zum ersten Mal erspart. Der Schriftsteller war in den 1960er-Jahren Sängerknabe im Stift Zwettl. Er wurde von Zisterzienser-Patres sexuell missbraucht. Bei Pater Gottfried war er zehn, bei Pater Maurus schon Mopedfahrer. Haslinger hat mit der Entanonymisierung gewartet, bis keiner der Angeführten mehr am Leben war. „Mein Fall“ ist ein Bericht, eine Dokumentation, auch über eine Selbstfindung, und eine „Mein Fall“-Studie darüber, wie Betroffene buchstäblich von Pontius zu Pilatus geschickt werden.

Ergeht es so schon einem Prominenten, wie mag’s wohl erst beim „Normalbürger“ sein, ist eine der Ungeheuerlichkeiten, die man beim Lesen nicht aus dem Kopf kriegt. „Nachdem ich jahrelang entschlossen gewesen war, es nicht zu tun, wandte ich mich am 25. November 2018 an die Unabhängige Opferschutzanwaltschaft“, so Haslinger. Das Resultat – sein Buch. Denn mit dem Wagen dieses ultimativen Schrittes begibt sich der Autor auf – beinah scheint’s absichtlich – verschlungene Irrpfade. Von der Opferschutzanwaltschaft zur Unabhängigen Opferschutzkommission, kurz [Waltraud] „Klasnic-Kommission“, weil beide Institutionen, wobei zweitere für erstere die Entscheidungen trifft, von ihr geleitet, zu Kommissionsmitglied Brigitte Bierlein, zu der Zeit Präsidentin des Verfassungsgerichtshofes.

Dies nur um zu erfahren, dass die von der Erzdiözese Wien eingerichtete Ombudsstelle für Opfer von Gewalt und sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche die richtige Adresse sei. Ein Bibelkenner, der da an Matthäus 12,24 denkt. Schließlich, um hier abzukürzen, endet die Odyssee beim „Erstgespräch“ mit einem Mitarbeiter der Ombudsstelle, Herrn Michelbach, der dem Opfer bei der wiederholten mündlichen Darlegung der sexuellen Übergriffe und erzieherischen Gewalttätigkeiten sinngemäß bescheidet: „Herr Haslinger, Sie sind doch ein Schriftsteller. Sie können das ja alles viel besser formulieren, als ich das kann. Wollen Sie mir nicht freundlicherweise das, was sie mir gerade erzählt haben, schriftlich zusammenfassen?“

Et voilà! Ein 144 Seiten starkes literarisches Protokoll über Vorgänge, die Kardinal Christoph Schönborn als „eine massive Realität“ innerhalb der Kirche bezeichnet. „Ich war zehn Jahre alt, als Pater Gottfried Eder sich für meinen kleinen Penis zu interessieren begann“, schreibt Haslinger in seiner überfälligen Konfrontation mit den Tätern, und: „Es kam mir nicht in den Sinn ernsthaft dagegen etwas zu unternehmen. Ich hätte Angst gehabt, die Aufmerksamkeit und Zuwendung von Pater Gottfried zu verlieren.“ Haslingers expliziter Text schockt. Schwer auszuhalten ist, wie er Intimstes, Peinsames und Peinliches darlegt – und es vor Brigitte Bierlein getan hat, von der sich mittlerweile wohl jeder ein offizielles Bild penibler Gepflegtheit und amtlicher Korrektheit gezimmert hat. Ihre Reaktion, ihr Gesicht dabei – kaum vorstellbar. Sie habe mehrmals genickt, so Haslinger.

Über weiteste Strecken betont sachlich schildert der ehemalige Konviktszögling die psychische und physische Folter an den Kindern. Nicht nur Pater Gottfried habe sich „seine Buben“ mit Gespür und der Verlockung kleiner Geschenke – ein Bazooka-Kaugummi mit Abziehbildern war wie eins des Himmels – ausgesucht, Haslinger deutet ein Netzwerk, zumindest eine Pädophilen-Bekanntschaft bis zu Kardinal Hans Hermann Groër an. Andere, namentlich Pater Bruno Schneider, malträtierten bevorzugt mit körperlicher Züchtigung, sei’s, dass ihm „die Hand ausrutschte“ oder man sich „die Watschen abholen“ musste, ein Vokabular, das man aus dem eigenen Elternhaus kennt und dessen verniedlichender Klang allein im Interesse der Täter ist.

Bild: pixabay.com

Bild: pixabay.com

Bild: pixabay.com

Bild: pixabay.com

Die von Haslinger entdeckte Tortur geht weiter, Stockhiebe aufs Hinterteil, die der Delinquent mitzählen musste, „Kopfnüsse“, Essen müssen bis zum Kotzen, der „Abendsport“, paramilitärischer Drill, bei dem der „Strick“, heißt: der unartig Gewesene, auf dem Gang bis zur Erschöpfung gequält wurden. Haslingers Eltern? Hatten ganz anno 1960er „Pater Bruno ermuntert, mich nicht zu schonen, wenn ich nicht pariere.“ Und apropos, Mutter: An einigen wenigen Stellen ergibt sich Haslinger dem anekdotenhaften Sarkasmus, von Pater Maurus Pornosammlung bis zu Beschimpfungs-eMails, am skurrilsten aber da, wo der bereits fürs Priesteramt angedachte Bauernbub von seiner Vertrautheit mit dem Sexualakt angibt.

Die Kuh wird zum Dorfbullen gebracht, die Sau zum Eber getrieben, im Auftrag des Gemeindepfarrers und in Hinblick auf des Sohnes Einschulung im Stift soll die tieffrömmige Mutter Haslinger dem Sprössling mittels katholischer Aufklärungsfibel den letzten Feinschliff verpassen. Es folgen Ausführungen über „die Perversion und Todsünde der Homosexualität“: „Ich fragte sie, ob der Hintern nicht zu eng sei.“ – „Sie sagte sinngemäß, homosexuelle Männer hätten einen langen, dünnen Penis.“ Was der Pepi glaubt, „bis Pater Gottfried mir anschaulich machte, dass ich einem Phantom aufgesessen war.“ ** Was ihn zur Frage kommen lässt, ob der Pfarrer über die Zisterzienser des Stiftes Zwettl wenn nicht etwas wusste, so doch mutmaßte.

Das Wissen liegt auf der Hand. Zu viele Täter sind still und heimlich von ihren „schulpädagogischen Aufgaben entbunden“ worden, zur Rechenschaft gezogen – keiner. Auf der Webseite der Unabhängigen Opferschutzanwaltschaft www.opfer-schutz.at findet sich ein vierstufiges Opferhilfsmodell, das „die Schwere, Dauer und Folgen der Übergriffe“ berücksichtigt. Bedeutet in Zahlen: € 5.000,- € 15.000,- € 25.000,- sowie: „Darüber hinaus gehende finanzielle Hilfestellungen in besonders extremen Einzelfällen“.

Josef Haslinger hat beschlossen, seine finanziellen Ansprüche geltend zu machen. Am 21. Jänner, rechtzeitig vor Erscheinen seines Buchs, wurde dem Schriftsteller von der Opferschutzkommission eine Entschädigung von 10.000 Euro zugesprochen, berichtet der ORF. Eine Entscheidung, die der Schriftsteller „zur Kenntnis“ nimmt: „Für die zweite Stufe bin ich wohl zu wenig traktiert worden“, wird er zitiert. In „Mein Fall“ ist zu lesen: „Heute sage ich mir, dass für jemanden, der die Klasnic-Kommission für nichts als eine Art moralische Reinwaschanstalt der katholischen Kirche hält, die Frage, wie viel sie zahlen, möglicherweise die einzig sinnvolle ist. Die Zahlungen sind eine Geste der Entschädigung fürs kollektive Wegschauen. Immerhin.“

Über den Autor: Josef Haslinger, 1955 im niederösterreichischen Zwettl geboren, wohnt in Wien und Leipzig. 1992 begründete Haslinger die Menschenrechtsorganisation SOS Mitmensch mit, von 2013 bis 2017 war er Präsident des PEN-Zentrums Deutschland. Seit 1996 lehrt Haslinger als Professor für literarische Ästhetik am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 1995 erschien sein Roman „Opernball“, 2000 „Das Vaterspiel“, 2006 „Zugvögel“, 2007 „Phi Phi Island“, wo er mit Ehefrau Edith und seinen Kindern Sophie und Elias den Tsunami erlebt hatte. Seine Romanbiografie des Eishockeytorwarts Bohumil Modrý, „Jáchymov“, erschien 2011. Haslinger erhielt zahlreiche Preise, zuletzt das Goldene Verdienstzeichen des Landes Wien, den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln und den Rheingau Literatur Preis.

S. Fischer Verlag, Josef Haslinger: „Mein Fall“, 144 Seiten.

www.fischerverlage.de

** Der sexuelle Missbrauch von Kindern – Pädophilie – hängt stark mit Machtdemonstration, Schutzlosigkeit und Abhängigkeit zusammen und hat nichts mit Homosexualität zu tun. Der Prozentsatz homosexueller Täterinnen und Täter entspricht in etwa dem Anteil von Homosexuellen an der Gesamtbevölkerung. In Österreich definieren sich laut einer EU-weite Umfrage derzeit 6,8 Prozent der Frauen und 5,5 Prozent der Männer als schwul, lesbisch, bisexuell oder Transgender. Heterosexuelle Täterinnen und Täter sind also deutlich in der Mehrheit.

  1. 2. 2020

Werk X-Petersplatz: Mein Hundemund

April 27, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Wurst, Wahn, Weltenkrempel

Der Hundsmaulsepp schwadroniert, während der Sohn sein kaputtes Auto bejammert und die Frau ungerührt im Kochtopf rührt: Sonja Kreibich, Jens Ole Schmieder und Benjamin Vanyek. Bild: © Alexander Gotter

Das menschliche Wrack kriecht über die Spielfläche, vorneweg Schnaps und Selbstvernichtung, hinterdrein das im „tausendjährigen Reich“ kriegsversehrte Bein. Das metallene Wrack kommt geflogen, zerlegt in seine Karosserieteile – wie der Hundsmaulsepp von der Vorsehung auf den Mist geworfen worden ist, macht sein Sohn ebendieses nun mit seinem sportroten, schrottreifen Wagen. Und während der eine überall „Führervertreter“ ortet, will der andere nur eins, „einen Vergaser, der vergast“.

Fürs Auto versteht sich, aber nicht einmal einen solchen hat der Vater bei der Hand. Die Maschine bleibt also so kaputt, wie’s der Hundsmaulsepp längst ist, weil doch beide „einen Schmerz“ haben und die eigene Existenz „nicht mehr ausgehalten“. Der junge Regisseur Alexandru Weinberger-Bara, Absolvent des Max Reinhardt Seminars 2017 und diesen Mai als einer der „35 spannendsten Nachwuchskünstler aus der ganzen Welt“ zum Berliner Theatertreffen eingeladen, hat im Werk X-Petersplatz Werner Schwabs viertes Fäkaliendrama „Mein Hundemund“ inszeniert. Das ist, verglichen mit den „Präsidentinnen“ oder der „Volksvernichtung“ keine derb überdrehte Volkskomödie, sondern gnadenloser, erbarmungsloser, und Weinberger-Bara versucht auch nicht, dem Stück ein Schenkelklopfen abzuluchsen, er will den Schauspielern kein Kabinett-Stück aufzwingen, womit was bleibt ein so ekel- wie hasserfüllter Abgesang auf alles und das im Besonderen ist.

Der da seine Allmachts- und Ohnmachtsfantasien ausspeit, eingekerkert in Weinberger-Baras Schutthaldenbühne aus Müllsäcken und Kunststoffhäckseln, ist Jens Ole Schmieder als „Drecksepp“, so die Eigenbezeichnung der Figur. Benjamin Vanyek gestaltet die Rolle des Sohns, Sonja Kreibich „das saubere, streng geschürzte Frauenzimmer“, beide dazu angetan, spöttische, sarkastische Stichwortgeber zu sein, stemmt Schmieder die eindreiviertelstündige Aufführung mit der Dreckseppischen Suada doch beinah allein. Im Furor rechnet der Fleischhauer und Bauer mit Gott und der Welt ab, und Schmieder deliriert sich in dessen Tirade politischer und privater Zwangsvorstellungen.

Im Wortsinn ein Blutbad: Jens Ole Schmieder. Bild: © Alexander Gotter

Der Wagen, ein Wrack: Benjamin Vanyek. Bild: © Alexander Gotter

Sein Drecksepp ist ein auto-/aggressiver Alkoholiker, der augenscheinlich schon die Apokalypse sieht, ist aus jenem Stoff, aus dem die Franz Fuchse und Ted Kaczynskis dieser Erde sind, wenn er sich „in seine Einbildungen hineindenkt“, wie alles vor die Hunde gehen muss. Auch er selber; seiner heißt Rolfi und dringt als Klanggetöse von der Seite herein. Schmieder fordert Schwabs Textmonster zum zornglühenden Duell heraus. Er grunzt, grölt, gurgelt sich die Seele samt der „Innensau“ aus dem Leib – bis zur Unverständlichkeit.

Weil er in der Verausgabung die Wort- deutlichkeit mitunter hintanstellt. Momente, die Schwabs brachial-poetischen Sätzen bedingt guttun, „die Sprache zerrt die Personen hinter sich her“, sagte der über seine surreal-skurrilen Verschlüsselungen, und wenn man die schon nicht alle versteht, so sollte man sie zumindest alle verstehen. Was Sonja Kreibich und Benjamin Vanyek trefflich gelingt. Kreibich, von Kostümbildnerin Antoaneta Stereva versehen mit Kittelstürze, Nylonsocken in Gesundheits- schlapfen und einer abenteuerlich orangen Flechtperücke, stampft hantigen Blicks durch Zivilisationsabfall und familiären Unrat.

Eine verbitterte, vom Abscheu auf ihren Mann getriebene Frau, die sich pausenlos bei ihm über ihn beklagt, ihn nichtsdestotrotz herumzukommandieren probiert, eine Übung die naturgemäß misslingen muss, und ihm schließlich im Wortsinn das Bett vor die Tür stellt. Wunderbar eine Szene, in der Kreibich bis zur Gänsehaut mit dem Küchenmesser im Kochtopf kratzt, die spezielle Folter einer Frau, da er statt zu essen zur x-ten Flasche greift. Sonja Kreibich hört man gern zu, wie sie erklärt, als nächstes das „reine Essgeschirr“ in die „unbefleckte Kredenz“ einräumen zu wollen.

Vanyek macht aus dem aus dieser Ehe hervorgegangenen Sohn, der „Kindsgemeinheit“, wie ihn der Drecksepp nennt, ein verhuschtes Bürschchen, nur weil freundlicher, um nichts weniger psychisch gestört als der Vater, das trotz seiner Furcht vor ihm nicht in die Freiheit flüchten kann, hat er doch dessen Defätismus als etwas Angeborenes angenommen. Wäre sein Wagen nicht hinüber, ja dann, aber so! Vanyek spielt es genüsslich aus, wenn dieser Sohn andauernd mit seinem Autounfug nervt, wenn er über seinen einen, kleinen Wutausbruch selbst verwundert ist, wenn er vom Ableben des Vaters träumt, das sein und der Mutter Aufleben sein wird, davon, wie er mit der Raupe den Drecksepp und dessen Dreck ins Grab schieben wird, um darauf, wie es sich für einen Schlachtersohn gehört, eine Wurst zu defäkieren.

Im Mostkeller werden die Messer gewetzt: Sonja Kreibich und Jens Ole Schmieder. Bild: © Alexander Gotter

Ein Wutausbruch, über den sich der Sohn selber wundert: Benjamin Vanyek. Bild: © Alexander Gotter

Vanyek geht mit dem quälerisch komischen Potential dieses bizarren Charakters, der am Ende aus seiner inneren Emigration auftaucht und den Haus- und Hofumbau zu planen beginnt, großartig um. Wie der unterbutterte Sohn immer mehr Oberwasser bekommt, kriegt der Drecksepp gar nicht mit, alldieweil er im Mostkeller sein Messer wetzt, über Gewalt- und die Wohltaten des von ihm erdachten „Weltpräsidenten“ brütet, wie verrückt Plastikgebinde nach Farben sortiert oder sich, seiner Stricklumpen entledigt, in einer Badewanne voll mit Schweineblut wäscht.

Selbst-/Verletzung als Daseinszweck, da darf Schmieders Drecksepp im Todeswahn auch weinerlich werden, er wirft sich vor den Rolfi und dem „Hundemund“ die Gurgel zum Fraß vor. Und schon bei der Beerdigung ziehen Frau und Sohn aus der schwarzen Trauerkleidung gelbe Gummihandschuhe hervor, um ohne Aufschub anzufangen, des Vaters schlechten Geruch sauber zu wischen. Derlei Einfälle hat Weinberger-Bara in seiner das Absurde mit dem Konkreten austarierenden Arbeit einige zu bieten. Ein, zwei Striche hätten dem Ganzen geholfen, und dem Publikum, würde Jans Ole Schmieder, Aura hin, Atmosphäre her, etwas artikulierter sprechen.

werk-x.at

  1. 4. 2019