MdM Salzburg: Bill Viola

Juli 25, 2022 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Erste Präsentation des Videokünstlers in Österreich

Sharon, 2013, High-Definition-Video, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Der amerikanische Künstler Bill Viola zählt zu den renommiertesten Videokünstlern der Gegenwart. Seine mit modernster Technologie umgesetzten Bildwelten überzeugen durch ihre kontemplative Balance und überwältigen durch ihre unmittelbare Emotionalität und bildnerische Vehemenz. Sie sprengen den Rahmen konventioneller Sehgewohnheiten, die von den alltäglichen Bilderfluten in Film, Fernsehen und den sozialen Medien geprägt sind.

Seine bildgewaltigen Werke sind der conditio humana gewidmet; sie schaffen immersive Erlebniswelten, welche die Betrachtenden mit den Grundbedingungen und Potenzialen menschlicher Existenz konfrontieren und wesentliche Themen wie Leben und Tod, Traum und Wiedergeburt, Erinnerung und Vergessen, Verwandlung und Verklärung thematisieren. Das Museum der Moderne Salzburg zeigt mit der in enger Zusammenarbeit mit dem Bill Viola Studio entstandenen Personale die erste museale Präsentation von Violas Werk in Österreich.

Viola, der sich seit den 1970erJahren intensiv mit dem menschlichen Körper, divergierenden Zeitordnungen, Spiritualität und Transzendenz auseinandersetzt, ist zu Recht als „postmoderner Humanist“  bezeichnet worden, der einen intensiven Dialog mit nichtwestlicher Kunst, Musik und Religion pflegt und seine virtuos komponierten Werke sowohl als Reflexion über die Daseinsverortung

des Menschen in der Welt begreift wie auch als Erkundung der Möglichkeitsbedingungen des menschlichen Bewusstseins. Violas spirituelle Aufgeschlossenheit gegenüber dem östlichen Denken lässt ihn Werke von höchst eindrücklicher visionärer Poetik schaffen, die das Geistige mit dem Ästhetischen verbinden, ohne dabei in neureligiöse Dogmatik abzudriften.

Die Tradition der abendländischen Malerei insbesondere der Einfluss bedeutender Renaissancekünstler ist für sein Werk, das der künstlerischen Erforschung des bewegten Bildes gewidmet ist, von großer Bedeutung. Zudem gelingt es ihm mittels avancierter Videotechniken wie Zeitlupe, Zeitraffer, Überblendung, Mikro und Makroaufnahmen, die Wahrnehmung der realen Welt zu transzendieren. Gerade in unsicheren und verstörenden Zeiten haben Violas Werke eine große Relevanz, da sie von einer Idee der Hoffnung und Solidarität getragen sind.

The Raft, Mai 2004, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

The Raft, Mai 2004, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

So ist beispielsweise seine VideoprojektionThe Raft“, die in extremer Zeitlupe die Überwältigung einer Menschenmenge durch einen gewaltigen Wasserstrom zeigt, eine universelle Metapher der Bedrohung menschlichen Lebens. Bei dieser Darstellung des Leidens der Weltgesellschaft war es dem Künstler wie er in einem Statement festhielt wichtig, dass alle „Schiffbrüchigen“ überlebten: Niemand sollte verloren sein („No one is lost“).

Five Angels for the Millennium, 2001, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Five Angels for the Millennium, 2001, Video-Sound-Installation, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

In Violas Werk tauchen bestimmte Motive wie etwa die Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer, Landschaften, Pflanzen, Tiere und Menschen, der Künstler selbst, Mitglieder seiner Familie immer wieder auf; in manchen zitiert der Künstler auch eigene Werke. Eine der Motivlinien, die sich durch das Werk von Viola ziehen, sind Bilder von Menschen, die ins Wasser tauchen oder darin schweben, etwa in Installationen wieFive Angels for the Millennium“. „Wasser ist ein so kräftiges, augenfälliges Symbol der Reinigung wie auch von Geburt, Wiedergeburt und sogar Tod“, so der Künstler.

Auch die dem Plakatmotiv der Ausstellung am Museum der Moderne Salzburg zugrundeliegende Arbeit ist Teil von Violas jahrzehntelanger Auseinandersetzung mit dem Element Wasser.Sharon“ entstammt einer Serie von Wasserporträts, die etwas Beunruhigendes an sich haben zumal Wasser kein natürlicher Lebensraum für den Menschen ist und doch Träumende zeigen, die eine gewisse Zufriedenheit ausstrahlen und scheinbar ohne zu atmen unter Wasser existieren können.

Night Vigil, 2005/2009, Videoinstallation, Detail, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Night Vigil, 2005/2009, Videoinstallation, Detail, © Bill Viola Studio, Bild: Kira Perov

Licht und Helligkeit als Sehnsuchtssymbol verarbeitet die InstallationNight Vigil“, ein Diptychon auf zwei nebeneinanderliegenden Bildschirmen. Darin werden eine Frau und ein Mann, die mitten in der Nacht durch Dunkelheit getrennt sind, zueinander und zu der Lichtquelle hingezogen, die ihre Sehnsucht erhellt. Die Motive inNight Vigil“ stammen aus einer Produktion von Richard Wagners OperTristan und Isolde“ von 2005 an der Pariser Opéra Bastille, für die Viola mit dem Regisseur Peter Sellars, dem Dirigenten EsaPekka Salonen und Kira Perov, seiner Studiomanagerin und künstlerischen Partnerin, zusammenarbeitete.

Die Überblicksausstellung zu Violas Werk am Museum der Moderne Salzburg ist eine Einladung, sich auf die immersiven VideoRaumWelten dieses großen Künstlers und damit neue, ungewohnte Perspektiven auf die großen Themen des Lebens einzulassen.

Zu sehen bis 30. Oktober.

www.museumdermoderne.at

25. 7. 2022

MdM Salzburg: This World Is White No Longer

April 23, 2021 in Ausstellung

VON MICHAELA MOTTINGER

Eine Schau gegen Rassismus und Xenophobie

Angelika Wienerroither: Utopia (Why can’t we all just get along?) (Detail), 2021. Courtesy of the artist, © Angelika Wienerroither

„Diese Welt ist nicht mehr weiß und wird es nie mehr sein“, stellte der USamerikanische Schriftsteller James Baldwin 1953 in seinem Essay „Stranger in the Village“ fest. Baldwins prophetischer Satz steht für eine entschiedene Kritik am weißen westlichen Denken und zugleich für einen Aufruf zu einem universellen Humanismus. In seinem Essay reflektiert er seine Erfahrung als schwarzer New Yorker, der Anfang der 1950erJahre in einem Schweizer Dorf

zu Besuch ist. Die ausschließlich weißen Bewohnerinnen und Bewohner begegnen dem Schriftsteller nicht mit einer feindseligen, aber doch grundsätzlich abweisenden Haltung. Sein Aussehen, seine Sprache erscheinen ihnen fremd. Von diesem spezifischen einfachen Blick unterscheidet Baldwin jene Erfahrung, in der es nicht mehr eine für sich stehende weiße oder schwarze Sichtweise der Welt gibt, sondern eine Geschichte unterschiedlicher Perspektiven, die durch das Drama von Kolonialismus, Sklaverei und Rassismus und durch das fortwährende Ringen mit diesen Herausforderungen eng, tiefgehend und komplex miteinander verbunden sind.

Die Ausstellung „This World Is White No Longer. Ansichten einer dezentrierten Welt“, ab 24. April im Museum der Moderne Salzburg, sieht in Baldwins Kernaussage, dass der machtpolitisch dominante weiße Blick seine Gültigkeit verloren hat, eine wesentliche Grundlage für die kritische Auseinandersetzung mit Rassismus, Xenophobie und Exklusion. Die Ausstellung vertritt eine Haltung, in der es nicht um eine reine Darstellung von Kritik geht, sondern darum, die „weiße Brille“ abzunehmen. Sie untersucht das Potenzial des Perspektivenwechsels als eine Methode zur Dezentrierung des eigenen Blicks auf die Welt. Die Kritik an rassistischen Denk-und Verhaltensmustern ist dabei ebenso wichtig wie die Wahrnehmung und Reflexion unterschiedlicher Sichtweisen und der Wechsel zwischen verschiedenen Identitätskonstruktionen und Lebenswirklichkeiten.

Ein Referenzwerk der Ausstellung ist die aus der Sammlung Generali Foundation stammende MultimediaInstallation „Black Box / White Box“ der Künstlerin und Philosophin Adrian Piper. Piper bietet in dieser 1992 entstandenen Arbeit zwei Sichtweisen auf die Misshandlung des schwarzen USBürgers Rodney King durch die örtliche Polizei und die darauffolgende Unterstützung der Täter durch den damaligen Präsidenten George Bush senior: eine schwarze und eine weiße Sichtweise.

Samuel Fosso: Self-Portrait (Angela Davis), 2008. Courtesy the artist und JM Patras, Paris © Samuel Fosso und JM Patras, Paris. Bild: Samuel Fosso

Samuel Fosso: Emperor of Africa, 2013. Courtesy the artist und JM Patras, Paris © Samuel Fosso und JM Patras, Paris. Bild: Samuel Fosso

Samuel Fosso: Black Pope, 2018. Courtesy the artist und JM Patras, Paris © Samuel Fosso und JM Patras, Paris. Bild: Samuel Fosso

Die Installation erlaubt es in zwei unterschiedliche Perspektiven einzutauchen und vom jeweils eigenen Standpunkt aus einen Blickwechsel vorzunehmen. In einem solchen Prozess der Dezentrierung des Denkens wird Diskriminierung mit einem Mal spürbar. Während Betroffene darin eine Bestätigung ihrer Situation finden, lernen die anderen, was es bedeutet Rassismus zuerfahren. Pipers Arbeit ist ein Schlüsselwerk der jüngeren Kunstgeschichte. Wie kaum eine andere Arbeit schließt sie die Problematik von Rassismus und Xenophobie mit dem Erkenntnispotenzial eines empathischen Perspektivenwechsels kurz.

Die Ausstellung präsentiert ausgehend von zentralen Werken der Sammlung Generali Foundation eine Auswahl signifikanter Positionen von Künstlerinnen und Künstlern, die sich auf jeweils spezifische Weise mit der Dezentrierung und Dekolonisierung des Denkens und der Bewegung zwischen unterschiedlichen Identitäten und Lebenswirklichkeiten befassen. Diese Instrumente einer multiperspektivischen Globalität bilden wichtige Elemente der Infragestellung von Rassismus, Xenophobie und sozialer und kultureller Exklusion.

Mit Werken von Karo Akpokiere, Lothar Baumgarten, Danica Dakić, Forensic Architecture, Samuel Fosso, Charlotte HaslundChristensen, Alfredo Jaar, Voluspa Jarpa, Belinda KazeemKamiński, Adrian Piper, Lisl Ponger und Kara Walker.

Kara Walker: Bureau of Refugees, Freedmen and Abandoned Lands: Lucy of Pulaski (Videostill), 2009. Courtesy Sprüth Magers und Sikkema Jenkins & Co © K. Walker. Bild: K. Walker

Danica Dakić: El Dorado. Gießbergstraße, 2006–07. Farbdiapositiv, Leuchtkasten. Courtesy of the artist © Danica Dakić / Bildrecht, Wien 2021. Bild: Danica Dakić

Lothar Baumgarten, Unsettled Objects (Detail), 1968–69. © Sammlung Generali Foundation – Dauerleihgabe am MdM Salzburg / Bildrecht, Wien 2021. Bild: Dario Punales

Forensic Architecture: Border Violence Across the Evros/Meriç River: Six Investigations (Videostill), 2019–21: „Ein Zeuge beschreibt die Gewalt, die er während eines Push-Backs durch Grenzschutzbeamte erlitten hat“. Courtesy of the artists © Forensic Architecture. Bild: Forensic Architecture

Dazu präsentiert die Klasse für Fotografie und Neue Medien der Universität Mozarteum Arbeiten, die aus einer intensiven Beschäftigung mit verschiedenen Ausprägungen von Rassismus entstanden sind. Mit einer Vielfalt an Zugängen reflektieren die Studierenden alltäglichen und strukturellen Rassismus, hinterfragen Identitätszuschreibungen und untersuchen Möglichkeiten von Machtkritik und Selbstermächtigung. Sie stellen Verbindungen zu anderen Diskriminierungsformen her und thematisieren die Mechanismen sozialer Medien ebenso wie neokolonialistische Praktiken des Tourismus.

Von zentraler Bedeutung ist dabei die Frage nach der eigenen Position innerhalb von Kulturen und Ökonomien in Österreich und das damit einhergehende Verhältnis zu Rassismus. Die Ausstellung versteht sich als Verhandlungsraum. Sie verändert sich während der Laufzeit und macht damit einen Diskussionsprozess sichtbar, der unbeantworteten Fragen, fragmentarischen Überlegungen und Richtungswechseln gleichermaßen Raum gibt wie vollendeten Werken.

Werke unter anderem von Pia Geisreiter, Hannah Imhoff, Charlotte Pann, Sabine Reisenbüchler, EvaMaria Schitter, Sculpting Feminism Reading Group, Angelika Wienerroither und Alba Malika Belhadj Merzoug.

www.museumdermoderne.at

23. 4. 2021