Stadtsaal – Thomas Maurer: WOSWASI
Januar 28, 2020 in Bühne
VON MICHAELA MOTTINGER
Dem Geistesarbeiter beim Hackln zuschauen

Bild: © Ernesto Gelles
Dass der forsche Fredl dem faulenzenden Alfred in der Entscheidungskurve tagtäglich um die entscheidenden Hundertstel voraus ist, weiß jeder, den’s wegen falsch getroffener bereits aus ebendieser getragen hat. Dass da aber auch noch ein grantiger, älterer Herr im grauen Arbeitsmantel Dritter im Bunde sein soll, ein Renitenzler, der das Rekapitulieren und ergo Wiederholen von Patzern nicht und nicht verhindern will, ist einfach Künstlerpech. In diesem Fall das spezielle von Thomas Maurer.
Im Allgemeinen definiert als Bestätigungsfehler, so genannt des Menschen Neigung, Informationen derart auszuwählen und zu interpretieren, dass sie seine Erwartungen erfüllen. Womit die Rede bei den Kognitionspsychologen und einem derer wichtigsten, Daniel Kahneman, ist.
Mit dessen Theorien hat sich der Kabarettist für sein neues Programm „WOSWASI“ ausgiebig beschäftigt, vor allem mit des Wirtschaftsnobelpreisträgers Bestseller „Schnelles Denken, langsames Denken“ – was Maurer gleich eingangs folgende philosophische Fragestellung ans Publikum weiterreichen lässt: „Haben Sie sich schon einmal gefragt: Warum bin i eigentlich so deppert?“
Ja, Selbsterkenntnis mag der erste Schritt zur Depression sein, aber verwandelt einer wie Maurer theoretische Selbstironie in angewandte Gesellschaftssatire, so hat er ein wirkmächtiges Werkzeug zum Festnageln von Irrwitz zur Hand. Sarkastisches in Sachen Homo sapiens ist bei Maurer bekanntlich prägender Bestandteil seines Rundumschlag-Repertoires, wenn er anhand eigener – inwieweit erfundener? – Erlebnisse eine komplette Palette unser aller Unzulänglichkeiten ausbreitet, mit spitzer Zunge die Existenz an sich und die persönliche im Besonderen seziert, und beim Vom-Hundertsten-ins-Tausendste-Kommen Gott und die Welt und die österreichische Befindlichkeit in ihre Elementarteilchen zerlegt.
„Halbwegs zu wissen, was man nicht weiß, hat schon etwas Befreiendes“, lautet diesbezüglich sein Leitsatz, und dass er mit seinem Seitenhieb auf „gefühlte Kompetenz“, imitierte Intellektualität und Teilbildung selbstverständlich hochpolitisch ist, versteht sich auch ohne das Bemühen diverser Wörter und Unwörter. Dem Geistesarbeiter Maurer beim Hackln zuzuschauen, ist so spaßig wie er sympathisch. Maurer balanciert auf dem schmalen Grat zwischen g’scheit reden und oberg’scheit sein, ein Hochseilhumorakt in Original Wiener Mundwerk, wobei Maurer zwischen „System I“ und „System II“ diesmal quasi nur Trittbrettdenker ist.

Bild: © Ernesto Gelles

Bild: © Ernesto Gelles
Den Denkapparat bedienen nämlich, man ahnt es, der Fredl – mit stummem d – und Alfred, beide entstanden aus des Künstlers zweitem Vornamen, ersterer der erdige Grips fürs Grobe, zweiterer der Hirni fürs Hochgeistige, der eine sofort ang‘fressen, sobald der andere es wagt, sich meinungsbildnerisch zu melden – was durchaus zu Kopfkonflikten führt, die Maurer via Stimme so lustig wie lehrreich vorträgt. Siehe Kahneman ist der Fredl schnell von Entschluss, hingegen Alfreds Zögern ein überlebensnotwendiger Reflex, etwa so wie erst Furcht die Flucht ermöglicht, doch Maurers Machtwort dazu: „Der anzige, der do i is, bin i!“
Im Sinne dieser Selbstermächtigung ist außerdem zu erfahren: Dass Maurer zum Truthahn immer noch lieber Indian als Pute sagt, dass er noch die Stadtbahn und schon eine Koloskopie erlebt hat, diese allerdings bewusstlos, ist er doch bekennender „komfortneutraler Erlebnissammler“, was die Truthahn-Illusion ist (hat was mit Verhaltensökonomik, Risikointelligenz und Thanksgiving zu tun, Anm.), wie Maurers Tante geheißen hat, sowie dass man nicht weiß, wie ein Reißverschluss tatsächlich funktioniert. Die Frage, was passiert im Gehirn, wenn man über andere urteilt, bleibt zum Schluss im Raum hängen. „WOSWASI“, das Gedankenspiel, macht solcherart einen Strich durch schlechte solche. Ein selbsterkenntnisreicher Abend.
Nächste Termine: 30. und 31. Jänner im Stadtsaal.
Thomas Maurer über sein Programm: www.youtube.com/watch?v=ll6S_Jbm9NQ
www.stadtsaal.com thomasmaurer.at
- 1. 2020