Burgtheater online: Wiener Stimmung Folge #1

Mai 2, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Norman Hacker interpretiert Franzobels „Die Säuberung“

Wiener Stimmung Folge #1: Norman Hacker interpretiert Franzobels „Die Säuberung“. Bild: Screenshot/Burgtheater/Videoart: Sophie Lux

Wien im Frühjahr 2020 ist eine Stadt im Ausnahmezustand, die politischen Entscheidungs- träger souverän, ihre Umfragewerte auf historischem Hoch. Niemand hat es kommen sehen, niemand war darauf vorbereitet, aber die „Österreicherinnen und Österreicher“ – und laut Kurz‘ Arbeit sonst niemand! – leisten alle brav ihren Beitrag. In dieser historischen Situation hat das Burgtheater österreichische und in

Österreich lebende Autorinnen und Autoren eingeladen, kurze Monologe für das Ensemble in Quarantäne zu schreiben. Derart ist aus der Isolation ein Netz aus Geschichten entstanden, ein Stimmungsbild, ein fingierter Stadtplan, ein Bewegungsmuster, ein Parallel-Wien aus Ansichten, Bekenntnissen und Verlautbarungen, die nun jeweils donnerstags und samstags um 18 Uhr auf www.burgtheater.at/wiener-stimmung online gehen.

Den Uraufführungsreigen gestartet hat Norman Hacker mit dem von Franzobel verfassten Text „Die Säuberung“, und großartig ist, was man in der Regie von Mechthild Harnischmacher, Videoart von Sophie Lux, zu sehen bekommt. Den Hacker als Home-Hackler, sozusagen unrasiert und fern der Heimat-Bühne, wie er halbnackt (weil: die Untergürtel-Hälfte sieht man nicht) in den Spiegel spricht. Und mit einer/m imaginären [?] PartnerIn.

Das hat was von Krapp’s Last #Corona-Tape mit einem Hauch Herr Karl, zweiteres soweit es das Wechseln vom Wienerischen zum Hochsprach-Firnis betrifft und selbstverständlich das Vernadertum. Hat zwar nicht er, doch immerhin sein unsichtbarer Raumteiler fürs Anzeigen von Mundschutzsündern den Orden Pandemiebekämpfer 1. Klasse verliehen bekommen. Weshalb die Franzobel-Figur ihn oder sie nun auch vom Fenster weg kommandiert, weil man will schließlich selber auch, ned woa …

Jahreszahl, Tages- oder Nachtzeit, Krisendauer, nichts genaues weiß man nicht, die -stimmung ist so, als ob’s schon lange währe. „Die Säuberung“ ist ein schwarzweißer Endzeitmonolog im Desinfektionsvollbad, eine typisch Franzobel’sche Farce, hinterfotzig und – siehe doppelsinnigem Titel – mit heimtückischem Ende, und Norman Hacker versteht sich in Großaufnahme famos aufs Fotzn-Ziehen, während man vom Gesagten eine feste kriegt. So gesamtgesellschaftlich betrachtet, denn Hacker belässt es nicht beim Lamentieren über Fressattacken, Kiloexplosion und Apfelstrudelsucht.

Bild: Screenshot/Burgtheater/Videoart: Sophie Lux

Bild: Screenshot/Burgtheater/Videoart: Sophie Lux

Bild: Screenshot/Burgtheater/Videoart: Sophie Lux

Bild: Screenshot/Burgtheater/Videoart: Sophie Lux

Zunehmend ist er vom Wahnsinn angepeckt. Der Zusammenhang Ausgangssperre/Alkoholkonsum ist evident. Einen genial paranoid klaustrophoben Charakter hat Franzobel da erdacht, „Glaubst lebt noch wer?“, fragt er ängstlich, weil, wenn nicht, wem soll er dann die Hauspatschen als Pendlerpauschale in Rechnung stellen? „Manchmal träume ich, außer dem Paketzusteller sind alle tot, und die Pressekonferenzen Aufzeichnungen.“ Ein Glück, heißt der Erreger #Corona, wie majestätisch das klingt, und immer heftiger infiziert sich Franzobels Protagonist mit jenem Virus namens autoritärer Maßnahmenstaat.

Mit zwei Streichhölzern, gerade noch zum Entfernen des Schlafgrinds genutzt, zeigt Hacker einen eben gesichteten Verstoß gegen’s social distancing, dieses bereits fixer Kandidat für die Wahl zum Unwort des Jahres, soooo nah, echauffiert sich Hacker, sind sie sich gestanden. Wo man weiß, dass heutzutag‘ jeder eine biologische Waffe ist! Oder doch alles nur ein perfides soziologisches Experiment? Zeit ist’s für „Die Säuberung“! Unbedingt ansehen. „Der Mann ohne Eigenschaften“ ist beim dritten Mal lesen eh schon fad. Schreibt Franzobel, sagt Hacker: „Und wir haben ernsthaft geglaubt, wir dürfen noch einmal hinaus …“

Wiener Stimmung – so geht es weiter:

Folge #2 folgt schon heute, Kathrin Röggla: „Klare Kante“ mit Sarah Viktoria Frick – die dieses Jahr mit dem Österreichischen Kunstpreis für Literatur ausgezeichnete Autorin hat einen Text über die komischen Untiefen der Kommunikation in #Corona-Zeiten verfasst. Man trifft sich zu einer Zoom-Konferenz, doch da ist nur ein Ticken zu hören und ein Schatten zu sehen: www.youtube.com/watch?v=RsYcLgnXVIQ. Folge #3 gibt es ab 7. Mai, Mikael Torfason: „Apfelstrudel“ mit Elma Stefanía Áugústdóttir – der dank Ehefrau Elma in Wien lebende Autor und Dramatiker hat einen Monolog für eine junge Mutter mit zwei Kindern geschrieben, gespielt in der heimischen Küche mit den beiden zwei und zwölf Jahre alten Töchtern Ída und Ísolde.

Weitere Episoden mit Texten von Fahim Amir, Dimitré Dinev, Teresa Dopler, Paulus Hochgatterer, Eva Jantschitsch, Doris Knecht, Thomas Köck, Angela Lehner, Barbi Marković, Thomas Perle, Peter Rosei, David Schalko, Magdalena Schrefel, Gerhild Steinbuch, Marlene Streeruwitz, Miroslava Svolikova, Daniel Wisser und Ivna Žic werden auf der Webseite angekündigt.

www.burgtheater.at           www.youtube.com/watch?v=uL4cfINwqMk

Buchrezension – Franzobel: „Rechtswalzer“: www.mottingers-meinung.at/?p=32483

  1. 5. 2020

Wiener Festwochen: Macbeth

Mai 26, 2014 in Klassik

VON MICHAELA MOTTINGER

Die schottischen Clanchefs als kongolesische Warlords

Die drei Hexen Bild:  Nicky Newman

Die drei Hexen
Bild: Nicky Newman

Es wird am Ende der diesjährigen Wiener Festwochen eine der besten Produktionen gewesen sein, die zu sehen waren: Brett Bailey und sein Third World Bunfight aus Kapstadt, die Wien schon mit Aufführungen wie „Big Dada“, „Orfeus“ oder der Performanceinstallation „Exhibit A“ beglückten, kommen diesmal klassisch. Verdi. Macbeth. Der belgische Komponist Fabrizio Cassol hat das Werk auf zwölf Musiker vom No Borders Orchestra eingerichtet; stimmlich tadellos sind Owen Metsileng als Macbeth, dessen sotto voce, seine gedämpfte Stimme, beeindruckend dunkel tönt, Nobulumko Mngxekeza als seine Lady mit starkem Sopran und Otto Maidi als Banquo; den Rest der Rollen bestreitet ein ebenfalls tadelloser Chor. Man singt italienisch.

Nun aber Bailey. Er verlegt die Handlung vom schottischen Hochmoor in die Demokratische Republik Kongo. Und bald wundert man sich: War sie dort nicht schon immer angelegt? Warlords bestimmen das Geschehen. Eine Million Hutu flüchtet aus Ruanda über die Grenze. Da erscheinen dem Macbeth die drei Hexen, heißt: weißgesichtige „Businessmen“, vermummt wie der Ku-Klux-Klan, mit ihren (Un-)heilsversprechen. „Invest in Africa“ wird später auf der großen Vidiwall stehen. Denn die bösen Geister wollen Coltan, Gold und Kupfer. Eines der ärmsten Länder der Welt ist reich an Bodenschätzen. Macbeths Preis der Macht sind die Handys, Laptops und Spielkonsolen der Ersten Welt. Kinder – „Negerpuppen“, leblos, tot, die von den Hexen achtlos weggeworfen werden, schlachten die „alten (zwei, drei, um Gottes willen: gar vier?) Jahre alten Geräte aus. (Der Laptop auf dem diese Zeilen entstehen ist übrigens zehn Jahre alt und die Wartungsfirma hat seinen Sarg schon bestellt. Doch noch ist Leben in dem alten Mann!)

Bald nicht mehr so in König Duncan. Ein Blauhelm filmt das Begräbnis, auf seiner Kopfbedeckung steht „Monusco“. Die friedenssichernde Einheit der UNO filmt greift nicht ins Stück ein, dafür, dass sie den Schutz der Zivilbevölkerung vor Rebellen im Kongo nicht gewährleistet, ist die UNO in den letzten Jahren wiederholt kritisiert worden. Bailey macht Politik. Wie stets. Für ihn gibt es keinen Maulkorb. Und über die Vidiwall regnen die Dollarzeichen. Und die Handaufhalter. Von Mord zu Mord – Banquo, dessen Brut laut Prophezeiung herrschen wird, Macduff – da wird gleich ein ganzes Dorf geopfert – wird die Lady mondäner, machthungriger, aber auch verwirrter. Die Übertitelübersetzungen sind jetzt bei „Fuck“ und „Echt irre!“ und „Bullshit“ angelangt. Der König ist verängstigt. Zu viel Blut fließt. Großartig, wie Bailey Nachrichtenmeldungen via Leinwand übermittelt. „Global Witness“ berichtet von abertausenden Toten, Massenfluchten, Massenvergewaltigungen. Berggorillas werden im Nationalpark Virunga Opfer von Wilderern. Die Macheten liegen bereit. Bailey projeziert Fotos von Leichen, Kindersoldaten, Verhungernden. Noch nie ging einem Verdis Schöngesang so unter die Haut.

Doch, man weiß es ja: Der Wald rückt näher. Und der nicht von einem Weib Geborene.  Und die Botschaft bleibt bestehen: Die Saat ist gesät, Nachtmahr entsteht. Mit bisher 5,4 Millionen Toten tobt in der Demokratischen Republik Kongo einer der schlimmsten Bürgerkriege unserer Zeit.

Für Brett Bailey und sein Team gab’s minutenlang Standing Ovations.

www.festwochen.at

www.mottingers-meinung.at/wiener-festwochen-2014

www.mottingers-meinung.at/wiener-festwochen-geschichten-aus-dem-wiener-wald/

www.mottingers-meinung.at/wiener-festwochen-bluthaus/

www.mottingers-meinung.at/wiener-festwochen-titkainkunsere-geheimnisse/

www.mottingers-meinung.at/wiener-festwochen-stavangera-pulp-people/

26. 5. 2014