Arman T. Riahi : Die Migrantigen
Juni 10, 2017 in Film
VON MICHAELA MOTTINGER
Am Schauplatz Filmsatire

Benny und Marko machen auf „Migrationshintergrund“: Faris Rahoma und Aleksandar Petrović. Bild: © Golden Girls Filmproduktion
Vorgestellt werden die beiden Protagonisten so: Szene 1, der Schauspieler: Benny, der Typ mit den pechschwarzen Haaren, der nach irgendwo zwischen Ägypten und Arabien ausschaut, erdreistet sich für die Rolle eines Wiener Strizzi vorzusprechen. Ja, dass es da einen Taxifahrer Omar im Skript gibt, hat er gelesen, aber er doch nicht …!
„Man kann’s auch übertreiben mit der Integration“, befindet „Regisseur“ Josef Hader trocken. Und draußen ist Benny bei der Tür. Szene 2, der Werbefachmann: Marko hat für das „Dr. Mate“-Getränk eine neue Kampagne entworfen. Doch „der Kunde“ Dirk Stermann ist enttäuscht. Er hat sich von Marko „etwas Tschuschenhaftes“ erwartet. Und weg ist der Auftrag. So trifft sich der eine mit der Clique zum laktosefreien White Russian, der andere mit seiner Lebensgefährtin zum Kinderwagenkauf, weil sie: hochschwanger. Ach, wie hart ist das Bobo-Leben, wenn die anderen in einem in erster Linie den Migrationshintergrund sehen …
Mit „Die Migrantigen“, ab 9. Juni in den heimischen Kinos, ist Filmemacher Arman T. Riahi eine fantastische Satire auf die Dysfunktionalität der Multikultigesellschaft gelungen. In einem rasanten Bilderbogen schickt er seine großartigen Hauptdarsteller Faris Rahoma und Aleksandar Petrović auf eine Tour de Farce, in der er genüsslich alle möglichen Klischees und Vorurteile, Schubladendenken und Stereotype bedient, um sie anschließend in ihre Bestandteile zerlegt. Auf aberwitzige Art zeigt er, wie anfällig Zusammenleben ist, und wie allzu leicht man sich ein Bild macht, wenn es das ist, an das man ohnedies glauben will. Die Fehlerhaftigkeit dieses Ansatzes zeigt Riahi auch, indem er keine Rolle in einem Herkunftsland verortet, es wäre für den Film auch völlig gleichgültig. Nur Marko wird als „Ex-Jugo“ ausgewiesen, weil er gar so verbissen gegen seine Wurzeln, heißt eigentlich: gegen seinen Vater ankämpft.

Herr Bilic lässt sich durch sein Grätzel chauffieren: Zijah A. Sokolović. Bild: © Golden Girls Filmproduktion

Wie sich Ausländer-Gangsta halt so aufführen: irgendwie wild und weird. Bild: © Golden Girls Filmproduktion
Marko und Benny, die Freunde, sind also pleite. Und gerade als sie im Glasscherbenviertel Rudolfsgrund ein altes Sofa von Markos Vater entsorgen, steht sie da: die beflissene Fernsehredakteurin Weizenhuber, Doris Schretzmayer, die „jemand Authentisches“ für eine TV-Serie über das Grätzel sucht. Für so eine ultimativ integrativ leiwande Story. Da greifen die beiden zu, der eine, weil er Ruhm, der andere, weil er Geld wittert. Sie geben der naiv-sensationsgeilen Weizenhuber, was sie sehen will.
Und verwandeln sich in die beiden Kleinkriminellen Tito und Omar Sharif. Das heißt: So einfach ist es nicht, denn die beiden haben ja keine Ahnung. Sie müssen unter den „Brüdern“ recherchieren. Irrwitzige „Wir tauchen in die Szene ab“-Szenen folgen, wenn Rahoma und Petrović mit Prolo-Lederjacke und Trainingsanzug um die Häuser ziehen, laut kurdische Musik vor einem türkischen Lokal spielen, aus einem „Tschuschenbeisl“ fliegen.
Weil sie die Männer ringsum anstarren. Oder einen Stand mit Bio-Kebap suchen. Lieblingsdialog: „Mit scharf?“ – „Nein, mit Lamm.“ Schließlich engagieren sie sogar Juwel (Mehmet Ali Salman) als Ausländercoach. Dass der die beiden Möchtegern-Migranten verarscht, wird Folgen haben … Riahi verschont in seinem Film niemanden. Weder die Zuagrasten, die in ihrer mitgebrachten Welt steckenbleiben, noch die Hiesigen, die nicht über den Tellerrand hinaussehen wollen. Und schon gar nicht die Medien, die sich auf der Suche nach Berichtenswertem aus sozialen Brennpunkten, nach dem Culture-Clash, wie die Trüffelschweine durch Blut und Boden wühlen. In einer sehr schönen Szene spricht Prekariatsösterreich in die Kamera. Und klagt, was sonst? Dass der Asylant ebenso viel Mindestsicherung kriegt. Man selber dafür keinen Leberkäs und keinen Schweinsbraten mehr auf dem Markt. Und der Wirt, dass es kein G’schäft sei, weil die alle keinen Alkohol trinken.

Juwel hat von der TV-Tante bald die Nase voll: Doris Schretzmayer und Mehmet Ali Salman. Bild: © Golden Girls Filmproduktion
Und so machen Marko und Benny auf Gangsta und merken gar nicht, dass sie mit ihrem übertriebenen Gehabe, nämlich weil sie ihrerseits jeden Schwachsinn, den Juwel ihnen über Drogen-Sex-Geldwäschegeschäfte erzählt, glauben, dem Ruf des Viertels ernsthaft schaden. Derart outrieren sie, derart gehen sie in ihren Rollen auf, dass die Stadt Wien von einer geplanten Revitalisierung wieder Abstand nehmen will.
Als dann auch noch unbescholtene Marktstandler ins Visier der Behörden geraten, weil jedermann die TV-Serie für echt nimmt, eskaliert die Situation … „Die Migrantigen“ ist nicht nur eine herrlich komische, hundsgemeine Chaos-Komödie, sondern befasst sich scharfsinnig und mutig mit Identitätsfragen und eben jener, ob Herkunft und Nationalität zum bestimmenden Charakteristikum eines Menschen zu erklären sind. Der Film ist von einer wilden Wahrhaftigkeit. Mit Rahoma, Petrović, Salman und Schretzmayer spielt eine tolle Truppe: Zijah Sokolovic ist als Markos Vater, Herr Bilic, der in den 1970er-Jahren als Gastarbeiter ins Land kam, Daniela Zacherl als Markos Freundin Sophie zu sehen. Margarethe Tiesel ist Bennys Mutter Monika. Maddalena Hirschal und Mahir Jamal geben ein befreundetes Paar, das Benny und Marko zu Hilfe kommen will, indem sie das Spiel für die Weizenhuber mitspielen. Sie als Ostblocknutte Olga, er als schwarzer Drogendealer Jambo. Wie die beiden – schon wieder Klischees – bei ihren Bemühungen übers Ziel hinausschießen, ist das Kabinettstück des Films.
Die Message desselben bringt Herr Bilic auf den Punkt: „Weißt du was diese Stadt wäre, wenn sie keine Menschen wie uns hätte? Was dieser Bezirk ohne uns wäre? Diese Stadt würde nicht funktionieren. Keine Stadt der Welt würde funktionieren.“
Wien, 10. 6. 2017