Marcello de Nardo im Gespräch
Oktober 1, 2014 in Bühne, Film
VON MICHAELA MOTTINGER
Auf dem Sprung über den großen Teich
MM: Sie sind zurzeit in Produktionen am Volkstheater www.mottingers-meinung.at/volkstheater-die-letzten-tage-der-menschheit und im Theater in der Josefstadt www.mottingers-meinung.at/theater-in-der-josefstadt-cest-la-vie-eine-revue zu sehen. Trotzdem stehen Sie schon mit einem Fuß im Flugzeug Richtung USA. Warum?
Marcello de Nardo: Damit sich mein Wohnzimmer vergrößert, damit es ein Sowohl-Als-Auch gibt. Außerdem habe ich gerade mal einen Finger in der Flugzeugtür. Ich schätze Mitte/Ende Jänner wird Abreisetermin sein. Warum? Ich habe, egal ob in Zürich, Berlin, Wien, immer so Sieben-Acht-Jahreszyklen gehabt, dann musste die Reise weitergehen, dann musste ich runter vom sicheren Floss. Nicht, dass es hier nichts mehr zu entdecken gegeben hätte, aber alles ist eine Variation des Spiels, das ich schon kenne. Ich brauche neue Spielsachen. Ich habe Abenteuerlust, ich habe Lust, mich zu erneuern. Der Gedanke weiter zu ziehen beschäftigt mich seit zwei Jahren, nur auf Deutschland oder Schweiz oder Frankreich hatte ich keine Lust, da passiert nicht so wahnsinnig viel. Ich habe am Theater in den vergangenen 30 Jahren gespielt, was gut und teuer ist – und ich wollte etwas anderes machen: Film, das war immer eine Leidenschaft von mir, weil er andere Energien freisetzt. Mit dem Wunsch nach Film also wohin? Los Angeles, Hollywood! Rein in die Industrie, weg von den zwei, drei Castings, die dir mit Glück in Europa angeboten werden.
MM: Es gab dann eine Initialzündung …
De Nardo: Stimmt. Ich habe vergangenen Sommer auf Burg Kreuzenstein bei der ABC-Produktion „The Quest“ http://abc.go.com/shows/the-quest mitgewirkt. Und ABC ist immerhin der viertgrößte US-Sender. „The Quest“ wird drüben gerade ausgestrahlt, das ist eine Mischung aus Fantasy-Mystery-Serie mit „richtigen“ Schauspielern und Teilnehmern, die Aufgaben zu bewältigen haben. Jede Folge fliegt einer raus, bis es einen Sieger gibt. Ich spiele den Grand Vizier, der über dunkle Mächte verfügt. Wenn Season 1 erfolgreich ist, wird’s wohl eine Season 2 geben – und ich habe einen Cliffhanger! … Ich hatte aber schon mit 23 das Angebot in San Francisco eine Radiosendung für „Gastarbeiter“ zu machen. In Italienisch, Französisch, Deutsch. Nur habe ich mich damals nicht getraut, weil ich dachte, dass ich nicht genug kann. Heute bin ich zwei, drei Jahre älter und traue mir die USA durchaus zu.
MM: Motto – Vom Goldfischteich ins Haifischbecken.
De Nardo (lacht): Eigentlich nicht. Ich habe erfahren, dass amerikanische Schauspieler wahnsinnig kollegial sind. Da gibt es dieses Wiener Rampensau-Phänomen, den Garderobenneid, das Ratschen hinter deinem Rücken nicht. Da wird einem auf die Schulter geklopft, weil man’s geschafft hat. Nun ziehe ich aber tatsächlich ins Blaue. Ich habe drüben weder fixe Angebote, noch einen Agenten. Ich gehe wieder Klinkenputzen. Jeder Schauspieler robbt sich doch auf den Ellenbogen an die Produzenten heran: Hallo, Sir, ich hätte ja solche Lust, mit Ihnen zu arbeiten 😉 …also werd ich das auch machen, irgendwie weiss ich, ich tue das Richtige.
MM: Gibt’s einen Plan B?
De Nardo: Nein! Think big or go home. Sonst wäre es ein Ausflug und ich würde das Ganze vielleicht nicht Ernst genug nehmen. Meine Karriere in Europa ist sehr komfortabel verlaufen, ich hoffe das bleibt so. Man sagt, ich sei ein Glückskind. Darauf verlasse ich mich jetzt mal. Ich habe schließlich dreieinhalb Kilo Papier nach Amerika geschickt, um die Green Card zu kriegen. Du musst beweisen, dass du gut genug bist, in deinem Beruf, dass du auf eigenen Füßen stehen kannst. Ich habe hier vor lauter intellektuellem und politischem Subtext und sich einen abfurzenden Kritikern, vor diesem Schauspieler-Standesdünkel, dem man irgendwann auch erliegt, der mir aber so am Senkel geht, vergessen, dass mein Beruf auch Spaß machen kann. Und den will ich wieder haben.
MM: Wenn Sie es sich aussuchen können, was würden Sie machen wollen?
De Nardo: Jede Rolle, mit der ich umgehen könnte. Egal, ob Sitcom, Krimiserie, Film, Fantasy … Ich finde alles toll, was einem den Schädel öffnet. Ich schließe nichts aus, das kann ich zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht. Fernsehen! Da ist heute das Geld, nicht mehr in der so genannten Traumfabrik. Im Fernsehen haben die USA auch ihre Kernkompetenz: tolle Drehbuchautoren, tolle Sets, tolle Schauspieler. Nicht umsonst wechseln etliche Kino-Superstars drüben die Seiten. Am liebsten würde ich zwischen Film und Fernsehen wechseln, wie etwa Robert Carlyle, der auch sehr dosiert „Once Upon a Time“ macht und dann wieder große Leinwand. Aber erst muss ich einmal Geld verdienen, dann mache ich mir Gedanken über den roten Teppich.
MM: Sie gelten als berüchtigter Perfektionist. Glauben Sie, dass das in L. A. gut ankommt?
De Nardo: Soll das eine galante Umschreibung für Nervensäge sein? Ja, ich hab’s gern auf den Punkt genau. Das ist wie ein Ballspiel: Wenn auf der Bühne der vierte, fünfte den Ball fallen lässt, weil er unaufmerksam oder unmotiviert ist, kannst du den Abend vergessen. Was habe ich mich da schon geärgert, wenn geschludert wird! Auch da habe ich bei „The Quest“ anderes erfahren: Teamarbeit. Und, dass auf Vorschläge von Schauspielern gehört wird. Die Regel lautet: Ist der Schauspieler zufrieden, ist der Regisseur zufrieden, ist der Produzent zufrieden, ist das Publikum zufrieden.
MM: Ihre Vorteile?
De Nardo: Dass ich es gewohnt bin, in zwei, drei Produktionen gleichzeitig zu sein. Die US-Schauspieler machen eher eins nach dem anderen. Meine Ausbildung in Literatur, eine Rolle bis in die letzte Pore zu inhalieren, Bühnen- beziehungsweise Kamerapräsenz, Flexibilität, wenn was schief geht, improvisieren. Wobei ich nicht sagen will, dass es nicht sowohl in Europa als auch in den USA etliche andere gibt, die das auch können!
MM: Was werden Sie vermissen?
De Nardo: Alles! Allein, dass wir hier den Kaffee auf Silbertablett mit einem Glas Wasser serviert bekommen. Drüben gibt’s Pappbecher. Coffee To Go. Dass ich um drei Uhr Früh im Stammlokal noch eine Eierspeis’ kriege, bevor ich auseinander falle. Die prachtvollen Theatersäle – roter Plüsch, weißgoldener Stuck. Die Wiener Festwochen, Tanzwochen, die Lange Nacht von was-weiß-ich … Meine Freunde, meine Fanbase, wenn ich das so flapsig sagen darf. Andererseits wird vieles von meiner Langeweile mit mir selbst, meiner Saturiertheit verschwinden. Ich freue mich auf die Energie von Los Angeles. Also: Auf Richtung großem Teich, ich spring’ ins kalte Wasser!
Wien, 1. 10. 2014