TheaterArche: Mauer

November 27, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Die Zähne zusammenbeißen bis sie zerbröseln

Ivana Veznikova, Bernhardt Jammernegg, Pegah Ghafari, Manami Okazaki, Agnieszka Salamon, Maksymilian Suwiczak, Nagy Vilmos, Tom Jost und Eszter Hollosi. Bild: Jakub Kavin

Wo sie gewesen seien, als …? darüber berichten die Darsteller im Programmheft: von ihrem ersten Trip in den „Westen“, der ihnen so viel farbenprächtiger vorkam, als das triste Polen, von Freuden-, heißt: Freiheitstränen, vom Überwechseln aus Ungarn nach Wien – als Kind noch, mit der Mutter, Jacek Kaczmarskis Lied „Mury“ findet sich darin, und Gedanken über Barrieren, die Sprache, Seelenregung, oder ein scheint’s banales Straßen- hindernis sein können …

Anlässlich 30 Jahre Mauerfall zeigt Jakub Kavin in der TheaterArche seine Textcollage „Mauer“. Der Regisseur und Schauspieler ist selbst hinter einer solchen, genauer: hinter dem Eisernen Vorhang, geboren. Seine Eltern Nika Brettschneider und Ludvík Kavín waren Unterzeichner der Charta 77, der Sohn erzählt im Laufe der Aufführung noch davon. Wie er als Zweijähriger, da nun Staatsfeind, von der Staatspolizei aus dem Kindergarten geholt wurde, und wie die Familie das von Bruno Kreisky angebotene politische Asyl annahm.

„Mauer“, das sind Szenen aus dem Stück von Thyl Hanscho, erweitert um persönliche Erfahrungen. Gefängniswärter, Grenzsoldaten, Geflohene sind allgegenwärtig, wenn Kavin aus dem Off Václav Havel spricht, oder Bernhardt Jammernegg auf der Spielfläche Jürgen Fuchs, den nach West-Berlin abgeschobenen Schriftsteller, der die „Zersetzungsmaßnahmen“ der Stasi mit dem Begriff „Auschwitz in den Seelen“ benannte. Uwe Tellkamp kommt zu Wort, Katja Lange-Müller, Antje Rávik Strubel, Robert Menasse. Elf Akteure, mit Kavin und Jammernegg Pegah Ghafari, Eszter Hollosi, Tom Jost, Nagy Vilmos, Manami Okazaki, Agnieszka Salamon, Maksymilian Suwiczak, Christina Schmidl und Ivana Veznikova gestalten den Abend.

„Grenzsoldat“ Tom Jost und Eszter Hollosi. Bild: Jakub Kavin

Tai Chi mit Manami Okazaki und Pegah Ghafari. Bild: Jakub Kavin

Bernhardt Jammernegg und Eszter Hollosi. Bild: Jakub Kavin

In ihren Muttersprachen Deutsch, Polnisch, Tschechisch, Ungarisch, Farsi und Japanisch führen sie das Publikum durch die Vaterländer. Von Deutsch- und Deutschland bis nach den USA und Mexiko. Der „Arm des Gesetzes“ tritt auf und trifft, passend zur Jahreszeit, auf ein Ehepaar, die Frau hochschwanger, das erwartete Flüchtlingskind von Kavin allerdings mit dem Namen „Viktor“ versehen. „Kollektive Forschungsarbeit“ sagt das TheaterArche-Team über dies Projekt, mit dem es auf eindrucksvoll kreative Art eine Vielzahl von Lebens- und Leidensgeschichten verknüpft, ohne je in das Pathos zu entgleiten, und durchs diverse Ensemble auf die Erfahrungsverwandtschaft der Einzelschicksale verweisend.

Von Verwahrungszellen geht’s in innere Sperrgebiete, Intellektuelle werden Inhaftierte, Gewalt hinter verschlossenen Türen ist zu hören, Geräusche von Vernehmungen, und wenn Tom Jost mit dem Schlagstock im Takt klopft, dann weiß man, wo das Unheil lauert. Beobachtung, so eine Figur, als Mauerforscher und Mauertheoretiker wild diskutieren, ist immer Mitschuld. Und apropos, wild: So wird auch getanzt, Tai Chi steigert sich zum Kung Fu, zum Kampf zwischen dem Staat und denen, die in ihm untergebracht sind. Das alles unterstützt von Jost am Schlagzeug, Suwiczak mit der E-Gitarre und Jammernegg, der ein selbstverfasstes, von Wolf Biermanns „In China hinter der Mauer“ inspiriertes Lied singt.

Die Mauer und die, die  hinter ihr leben müssen: Ivana Veznikova, Eszter Hollosi, Nagy Vilmos und Bernhardt Jammernegg. Bild: Jakub Kavin

Bemerkenswert, bedrückend, beklemmend auch, ist die so entstehende Polyphonie. Die Rede kommt auf Gefahr und Gericht, den „Gegenstand“ Mensch und Massengräber in der Grenzregion. Nach dem Sterben in der Wüste wird das Licht meeresblau – man versteht, hier suchen andere in den Fängen von Schleppern Gestrandete das rettende Festland. Bis zu fünf Rollen hat jeder Spieler zu bewälti- gen, und sie tun das einpräg- sam und zu Jakub Kavins und Ausstatterin Erika Farinas effektvoll-abstrakten Bildern.

Die Absurditäten staatlicher Abschottung werden bloßgestellt, und Repressionen an den Pranger, albtraumhaft ein Moment, an dem davon gesprochen wird, wie Gefangene die Zähne zusammenbeißen. Bis zum Zerspringen. Bis sie zerbröseln. Diese „Mauer“ kann Horizonte öffnen. Die TheaterArche, dieses Jahr Nestroy-Preis-Nominee für „Anstoß – Ein Sportstück“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=31865) und nach wie vor ohne Subvention agierend, empfiehlt sich auch mit der aktuellen Produktion. Zu sehen noch bis 3. Dezember.

www.theaterarche.at

  1. 11. 2019

TheaterArche: Das Programm der Saison 2019/20

Juli 20, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Crowdfunding für „MAUER“ und „HiKiKoMoRi“

MAUER: Eszter Hollosi, Bernhardt Jammernegg, Tom Jost, Jakub Kavin, Nagy Vilmos, Ivana Nikolic, Andrea Novacescu, Agnieszka Salamon, Maksymilian Suwiczak und Ivana Veznikova. Bild: Jakub Kavin

Nach der fulminanten Eröffnungsproduktion „Anstoß – Ein Sportstück“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=31865) im Jänner dieses Jahres hat sich das Team der TheaterArche für seine erste komplette Saison 2019/20 einiges vorgenommen. Geplant sind vier Eigenproduktionen, ein einwöchiges Festival und zahlreiche Gastspiele, wie zuletzt der gefeierte Čechov-Abend von Arturas Valudskis und seinem „Aggregat“ (Rezension: www.mottingers-meinung.at/?p=33317).

MAUER ist der Titel der ersten Eigenproduktion, die am 7. November – anlässlich des Falls der Berliner Mauer vor 30 Jahren – uraufgeführt wird. Jakub Kavin, künstlerischer Leiter der TheaterArche, hat die Textcollage nach einem Stück von Thyl Hanscho erdacht, und um autobiografische Berichte von Vaclav Havel, Schilderungen des Grenzsoldaten Jürgen Fuchs von der Grenze zwischen den USA und Mexiko, Erzählungen eines ehemaligen Auftragskillers, zahlreicher Flüchtender aus Lateinamerika sowie diversen anderen autobiografischen Erinnerungen ergänzt.

Proben zu MAUER: Regisseur Jakub Kavin mit Schauspieler Bernhardt Jammernegg. Bild: Jakub Kavin

Proben zu MAUER mit Andrea Novacescu und Maksymilian Suwiczak. Bild: Jakub Kavin

Wie stets wird die Inszenierung in kollektiver Forschungsarbeit entwickelt. Kavin: „Wir wollen die physischen wie psychologischen Mauern die Menschen umgeben, voneinander trennen, einsperren oder auch beschützen, untersuchen. Der Abend wird eine theatrale Reise rund um die Welt, vom ehemaligen Osteuropa, nach China, bis zur Mauer, die Donald Trump errichten möchte. Es geht also um Mauern einst und heute, in den Köpfen und in der Realität.“

Umgesetzt wird das Projekt von zehn Schauspielerinnen und Schauspielern, Eszter Hollosi, Bernhardt Jammernegg, Tom Jost, Jakub Kavin, Nagy Vilmos, Ivana Nikolic, Andrea Novacescu, Agnieszka Salamon, Maksymilian Suwiczak und Ivana Veznikova, in sechs Muttersprachen – Deutsch, Polnisch, Rumänisch, Serbisch, Tschechisch und Ungarisch. Die Musik kommt von Jammernegg, Jost und Suwiczak.

Für „MAUER“ läuft wieder ein Crowdfunding, wobei mehr als zwei Drittel bereits finanziert sind. Für die restlichen knapp 5000 Euro bleiben 37 Tage Zeit, um sich ein Premierenticket samt Sekt, ein Saison-Abo, eine Wohnzimmerlesung oder Schauspielunterricht zu gönnen – oder das Theater für einen Tag zu mieten.

Video: www.youtube.com/watch?v=fkG2C6GpWlE           Crowdfunding: wemakeit.com/projects/mauer

Nach der österreichischen Erstaufführung von NITTEL – BLINDE NACHT, einem Drama von Simon Kronberg über ein Pogrom in der Weihnachtszeit 1941, am 19. Dezember in der Regie von Christoph Prückner, folgt am 19. März als nächste Eigenproduktion HIKIKOMORI, ein Theaterstück nach einer Idee von Jakub Kavin, ein „schizophrener Monolog“, geschrieben im dialogisch-schriftstellerischen Ping Pong von Sophie Reyer und Thyl Hanscho, den Koloratursopranistin und Schauspielerin Manami Okazaki (www.manami-okazaki.com) mit Klavier und Saxophon als Spielpartner performen wird.

Regisseur Kavin: „Auf unserer Forschungsreise nach Japan haben wir versucht, uns möglichst tiefgreifend mit dem Phänomen Hikikomori auseinanderzusetzen. Es ist ein Begriff für junge Menschen, die nach Schulverweigerung oder Arbeitsunfähigkeit viele Jahre zu Hause bleiben, ein Syndrom, ein Tabu, eine Volkskrankheit, die in Japan jeder kennt. Laut einer Studie haben sich in Japan 700.000 Menschen, die im Durchschnitt 33 Jahre alt sind, auf diese Weise zurückgezogen. Das bedeutet, es gibt heute bereits 50-Jährige, die seit 35 Jahren zu Hause eingesperrt sind, sich von ihren 80-jährigen Eltern das Essen vor die Tür stellen lassen und nie aus ihrem Zimmer kommen …“

Manami Okazaki performt „HiKiKoMoRi“. Bild: Jakub Kavin

Manami Okazaki wird den Angst- und Zwangsstörungen, Depressionen, Frustrationen, die diese Rückzugsbevölkerung plagen, mit ihrem Gesang, ihrer Sprache und ihren Instrumenten Ausdruck verleihen, wird vom überspannten Nichtstun zum unkoordinierten Alles-auf-einmal-Machen wechseln, vom Messi zum Putzteufel, von Mager- zu Fresssucht – bis die Absurditäten überhand nehmen …

Auch für diese Produktion, die im Mai kommenden Jahres nach Japan übersiedeln soll, läuft ein Crowdfunding – nur noch sechs Tage werden unter anderem Wohnzimmerkonzerte oder ein Geburtstagsständchen angeboten. Video: www.youtube.com/watch?time_continue=2&v=hXRz-mtt6UM           Crowdfunding: wemakeit.com/projects/hikikomori

Als vierte Eigenproduktion schließlich stehen im April/Mai entweder DIE SCHAMLOSEN – eine Textcollage von Nagy Vilmos mit Texten von Daniil Charms oder VERSUCHE EINES LEBENS – eine Stückentwicklung von Thyl Hanscho auf dem Programm. „Hier müssen wir noch aus produktionstechnischen Gründen, auf die finale Entscheidung warten, welches Stück schlussendlich im Frühjahr gespielt wird. Das andere Stück folgt dann im Herbst 2020“, so Kavin, der für den Jänner 2020, genauer: 13. bis 19., ein FESTIVAL DER VIELFALT verspricht: „Mit Tanztheater, diverser Musik, Clownerie und Kabarett bereiten wir eine bunte und internationale Woche vor. Dies Festival soll ein weiterer Schritt dazu sein, die TheaterArche als Haus für die vielfältige, spartenübergreifende Freie Wiener Szene zu etablieren“.

Womit die Sprache nun auf die Gastspiele kommt, von denen Kavin seinem Publikum vorerst drei ans Herz legen möchte: von 8. bis 12. Oktober „Blasted“ von Sarah Kane im englischen Original, eine Koproduktion Mental Eclipse Theatre House und Vienna Theatre Project, von 18. bis 20. Oktober „Yogur Piano“ von Gon Ramos aus Madrid und ergo auf Spanisch, und von 5. bis 8. Dezember das surreale Zirkustheater „Picknick For One“.

www.theaterarche.at

  1. 7. 2019

TheaterArche: Anstoß – Ein Sportstück

Februar 9, 2019 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

In jeder Hinsicht ein Kraftakt

Colin Kaepernick (Johannes Scherzer) verweigert das Singen der Hymne. Bild: © Jakub Kavin

Das Außergewöhnliche gestern war die persönliche Anwesenheit von Nicola Werdenigg, war es, die ehemalige Skirennläuferin auf der Spielfläche der neu gegründeten TheaterArche zu sehen, wo sie vom systematischen Macht- und vom sexuellen Missbrauch im ÖSV erzählt, von ihrer Vergewaltigung und ihrer Bulimie. Da erscheint Annemarie Moser-Pröll, das heißt: Schauspielerin Johanna König im feschen Dirndl, und widerspricht.

Gut is gangen, nix is gschehn, wie man ja sagt, und wie Johanna König sich aufpudelt, darüber muss man durchaus lachen. Und schon ist man bei Literaturwissenschaftler Wendelin Schmidt-Dengler, der den Sport dereinst mit einem Shakespeare-Stück verglich, so tragisch wie komisch, allerdings spannender, da ungewissen Ausgangs. Das sind die beiden Pole, zwischen denen Jakub Kavin seine aktuelle Arbeit „Anstoß – Ein Sportstück“ auspendelt. Erst zu Beginn des Jahres hat sich dessen TheaterArche im vormaligen Theater Brett häuslich niedergelassen, jetzt diese Eröffnungsproduktion rund um die Tabuthemen des Massenphänomens und Identifikationsobjekts, von Doping zur Droge Alkohol zur Sucht nach Publicity, von psychischem Druck bis Depression, von erzwungenem Geschlechtsverkehr bis Homophobie. Kavin selbst führte Regie, hat auch aus aberhunderten Originalzitaten von Aktiven wie Funktionären, von Autoren wie Ödön von Horváth und David Foster Wallace den Text collagiert, und lässt diesen nun von 17 Akteurinnen und Akteuren performen.

Ein Kraftakt in jeder Hinsicht. Für die Darsteller, die allein oder in ausgefeilten Choreografien als Gruppe körperlich alles geben. Für das Publikum, über das drei Stunden lang Namedropping und Faktenlage prasselt. Für Kavin, der diesen Neustart ohne öffentliche Gelder stemmt, das Ganze getragen vom Enthusiasmus und vom selbstausbeuterischen Einsatz seiner Truppe. Die einmal mehr auf höchstem Niveau ihre Kunst zeigt. Jörg Bergen etwa wankt als dauertrunkener Fussballer Ulli Borowka durchs Aufwärmtraining der anderen, und macht später einen herrischen Peter Schröcksnadel. Nicolaas Buitenhuis spricht Sätze des schwulen Torschützen Thomas Hitzlsperger, Bernhardt Jammernegg legt als zynischer Unsympath Lance Armstrong schauspielerisch und auf dem Spinning-Rad eine Höchstleistung vor. Vom beinah Totenbett zum Doping ein einziger Überlebensbeweis.

Annemarie Moser-Pröll weiß von keinem sexuellen Missbrauch beim ÖSV: Johanna König. Bild: © Jakub Kavin

Zwischen Antike und Offenbach: Opernsängerin Manami Okazaki als Olympia. Bild: © Jakub Kavin

So wie der Radrennsportler seiner Physis alles abverlangt, so schildert Florian-Raphael Schwarz als Thomas Muster dessen harten Weg zurück nach dem Key-Biscayne-Autounfall, Johannes Scherzer als Robert Enke, wie er seinen aus der Depression nicht gefunden hat. Es sind Gänsehautmomente, wenn der Chor dem Torwart ein Spottlied singt, bevor dieser in den Tod geht. Berührend auch die Geschichte von Heidi Krieger, auf der Bühne umgesetzt von Maksymilian Suwiczak, der DDR-Kugelstoßerin, der das Staatsdoping, wie sie sagt, die geschlechtliche Identität genommen hat – und die heute als Andreas lebt. Oder – wieder Scherzer – als knieender NFL-Spieler Colin Kaepernick, den Donald Trump via Vidiwall wüst beschimpft. Auf dieser auch zu sehen, der spektakuläre Sturz von „Verausgabungsapparat“ Hermann Maier in Nagano. „Anstoß – Ein Sportstück“ ist immer wieder auch reinstes Dokutheater. Nagy Vilmos lässt als diverse Trainer Bonmots und markige Sprüche ab, Peter Matthias Lang als Shaolin-Mönch philosophische, Saskia Norman spielt Tonya Harding, Corinna Orbesz die Mixed-Martial-Arts-Fighterin Ronda Rousey, die Trumps Einwanderungspolitik öffentlich kritisierte.

Tabea Stummer spricht als Torhüterin Hope Solo über ihr schwieriges Elternhaus, Sarah Victoria Reiter trägt als Anna Veith mitten in der #MeToo-Debatte das Superfruits-Shirt eines Fruchtsaftherstellers … Mehr gibt es zu sehen und zu hören, als man auf einmal zu fassen vermag. Kavin, so scheint es, hat die Überforderung, die Überfrachtung zum Programm gemacht, man kann’s zwischen Zeitlupenspielzügen und der Haka der neuseeländischen Rugbymannschaft also nur sportlich nehmen, versuchen den roten Faden dieser Übung in freier Assoziation nicht zu verlieren, und wie die hier Dargestellten an und über die eigenen Grenzen gehen. Moderatorin Elisabeth Halikiopoulos hält die Aufführung von Aufstiegen bis tiefen Abstürzen, im Fall der Bergsteigerin Gela Allmann/Johanna König im Wortsinn von einer atemberaubend hohen Leiter, zusammen, bevor Koloratursopranistin Manami Okazaki, als sich gegen Technowummern stemmende Jacques-Offenbach’sche Olympia, auf die transhumanistische Zukunft des Sports und den nächsten Austragungsort der Olympischen Spiele, Tokio 2020, verweist.

Tonya Harding und Jeff: Saskia Norman und Florian-Raphael Schwarz. Bild: © Jakub Kavin

Anna Veith und Ulli Borowka: Sarah Victoria Reiter und Jörg Bergen. Bild: © Jakub Kavin

„Anstoß – Ein Sportstück“ ist ein lohnender, hochaktueller Theaterabend, eigentlich Work in progress, zumal nicht zwei davon gleich sein werden. An jedem ist nämlich ein anderer Gast eingeladen, um aus seiner Perspektive über dieses Spiegel- wie Zerrbild der Gesellschaft zu berichten. Am 22. Februar zum Beispiel wird es wieder Nicola Werdenigg sein, am 24. Februar der Autor Franzobel.

Jakub Kavin im Gespräch: www.mottingers-meinung.at/?p=31475

Video: www.youtube.com/watch?time_continue=68&v=3Z1aY9ny0Nw

www.theaterarche.at

  1. 2. 2019

Theater im Bunker: Inferno. Nachrichten aus der Hölle

August 6, 2014 in Tipps

VON MICHAELA MOTTINGER

Ein extravagantes Stationentheater

„Die Hölle, das sind die anderen.“
Jean- Paul Sartre

dantes infernoAm 10. August hat um 18.30 Uhr im Luftschutzstollen Mödling „Inferno. Nachrichten aus der Hölle“ Premiere.

Gibt es eine Hölle, außer der, die die Menschen einander selbst bereiten? Und wenn ja, wie ist es dort? Welche Benimm- und Bekleidungsregeln gelten für den ahnungslosen Höllenfahrenden? Folgen Sie Dantes Rat, lassen Sie alle Hoffnung fahren und steigen Sie unter ortskundiger Führung hinab an den Ort, der die Phantasie so unterschiedlicher Völker wie Griechen, Römer, Chinesen und Azteken auch ganz unterschiedlich beflügelt hat, den Ort, mit dem Christen, Moslems, Hindus und fast alle andern Religionen ihren Schäfchen seit Jahrtausenden auf ganz unterschiedliche Weise drohen.

Bereits zum sechzehnten Mal werden die etwa einen Kilometer langen Tunnel des ehemaligen Luftschutzstollens einer ebenso extravaganten wie friedlichen Nutzung zugeführt: Als das ungewöhnlichste und größte Stationentheater Österreichs. Das Publikum durchwandert in kleinen Gruppen die mehr als zwanzig Szenen und Schauplätze und erlebt, wie Theatermacher Bruno Max mit seinem mehr als fünfzigköpfigen Ensemble in eindrucksvollen Bildern und skurrilen Situationen das Inferno zum Leben erweckt. Nach „Seven Sins“ und „Angels All Over“ der Abschluss der Bunkertrilogie um Glauben & Unglauben, Erlösung und Verdammnis.

Konzept und Regie: Bruno Max

Es spielen: Stephan Bartunek, Hans-Jürgen Bertram, Sebastian Blechinger, RRemi Brandner, Sebastian Brummer, Manfred Fau, Bernie Feit, Melanie Flicker, Elke Hagen, Edwin Hirschmann, Richard Jamelka, Barbara Lehner, Thomas Marchart, Bruno Max, Max Mayerhofer, Anna Mitterberger, Alexander TT Mueller, Isabell Pannagl, Christoph Prückner, Sarah Reiter, Marion Rottenhofer, Anna Sagaischek, Ralph Saml, Mario Schober, Hans Steunzer, Stefanie Stiller, Robert Stuc, Maksymilian Suwiczak, Irene Marie Weimann u.v.a.

Weitere Termine: jeweils Do – Sa: 14.-16., 21.-23., 28.-30. August und 4.-6. September, Einlass im Viertelstundentakt ab 18.30 bis 21.15 Uhr.

Wien, 6. 8. 2014

www.theaterzumfuerchten.at

Theater zum Fürchten: „Cymbeline“

September 27, 2013 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

In der Scala ist ein seltsamer Shakespeare zu sehen

Christina Saginth, Bernie Feit, Leopold Selinger, Selina Ströbele Bild: ©Bettina Frenzel

Christina Saginth, Bernie Feit, Leopold Selinger, Selina Ströbele
Bild: ©Bettina Frenzel

Zu sagen, Theatermacher Bruno Max hätte auch diesmal wieder ein fast unbekanntes Juwel aus den Tiefen des Theatermeeres geborgen, wäre doch stark übertrieben. Aber – um dies gleich vorweg zu nehmen – Max und seine Schauspieler machen daraus ein funkelndes, flunkerndes Schmuckstück. Ohne Scheu, dem Wort Tragödie etwas Triviales beizumengen. „Cymbeline“ ist eines von Shakespeares seltsameren Werken. Angesiedelt in einer Zeit, als die Kelten in Britannien noch mit den Römern zu rechten hatten. Da gibt es den alten König Cymbeline, basierend auf dem britischen Anführer Cunobelinus, der vor der römischen Invasion im heutigen Colchester (Essex) regierte. Dem wurden als sie noch Kinder waren seine zwei Söhne entführt; so bleibt ihm Tochter Imogen als Hoffnung, doch die schwindet, als sie den in seinen Augen Falschen heiratet. Weshalb der verbannt wird und sie sich als Mann verkleidet auf die Suche begibt. Da gibt’s – wie in jedem Märchen – eine böse Stiefmutter, die zweite Queen, eine Giftmischerin (was sie in Max‘ Inszenierung an Plüschversuchskaninchen ausprobiert), deren Sohn aus erster Ehe Willen zur Macht zeigt. Da gibt es die Römer, die finanziellen Tribut fordern, (unfreiwillig?) komische Geisterszenen … Grauen, Gruseln, Gänsehaut und eine Enthauptung aus Blödheit. Durchgeführt von einem der beiden „verschwundenen“ Söhne. Es gibt Stimmen, die Shakespeares letztes Werk für eine Parodie seiner früheren Stücke halten, worauf die verwirrende Handlung tatsächlich hinweisen könnte. Im Original-Finale des Schauspiels treten jedenfalls fast alle Personen nochmals auf, um deren Bruchstücke  zusammenzufügen. Auch dafür hat sich Bruno Max eine charmante Lösung einfallen lassen.

Er hat die albtraumhafte Saga in die 1920-er Jahre verlegt. Und die Raubersg’schicht‘ irgendwo zwischen Horrorspektakel und Kasperltheater angesiedelt. Cymbeline (Karl Maria Kinsky), der strenge, in seinem Schmerz ungerechte König, leitet eine Schneiderei. Throninteressent Cloten ist eine Art Prinz-Harry-Klon mit trotz Sprachfehler großer Klappe und schnell zurückgezogenen Fäusten, wenn echte Gefahr droht. Die Römer spielen im Caesar’s Palace Billard, gekleidet in echten Ganoven-Nadelstreif. Sex & Crime im Altertum. Dazu wird – wie von Shakespeare übrigens vorgesehen – viel gesungen. Nun halt im Stil von „Danny Boy“ und „Mr. Sandman“. Eine Waldszene (hier werden die wahren Prinzen versteckt) ist mit der Waltons-Titelmelodie unterlegt: „Gute Nacht, Polydor.“ – „Gute Nacht, Cadwal.“ Ansonsten wird mit Banjo und Waschbrett musiziert – und die Römer mit der Bratpfanne in die Flucht geschlagen. Die Königin ereilt wie alle bösen Weiber der Wahnsinn. Was sich liebt, findet sich. Was gerecht ist, wird gerächt. Und das Erklärstück, Fragen über Fragen, beendet Cymbeline mit dem weisen Spruch, die Götter hätten’s so gewollt. Ende gut, Max noch besser.

Hinter all dem Klamauck, den Gags und Gimmicks vermag es Bruno Max nämlich sehr gut, Shakespeares Subtext durchscheinen zu lassen. „Cymbeline“ ist auch ein düsterer Spiegel, in dem die Figuren ihre Fratzen sehen, ein Psychotrip quer durch ihre Herzen und Seelen, ein Klagelied darauf, dass alte Werte nichts mehr wert, Menschen mit Handschlagqualität eine aussterbende Spezies sind. Mit dieser Zwei-, dieser Doppeldeutigkeit spielt ein tadelloses Ensemble. Allen voran der wunderbare Bernie Feit in zwei Rollen, als Diener Cornelius und Prinz Cadwal, für die er nicht nur verschiedene Körpersprachen, sondern auch Stimmen (ein zynisch-rauher Bariton als Cornelius, ein fizzeliger Tenor als Cadwal) erdacht hat. Gleiches gelingt Henrik Winkler (eine Entdeckung!), der sowohl Imogens melancholischen Ehemann Posthumus Leonatus, als auch Cloten mit den falschen Zähnen gibt. Größere Bühnen könnten sich nach solchen Darstellern alle Finger lecken. Selina Ströbele ist als Frau wie „Jüngling“ eine schön elegische Imogen; Christina Saginth changiert zwischen böser Queen und gutmütig-mütterlicher Kronprinzen-Entführerin Bellaria. Randolf Destaller ist ein schmieriger Mafioso in Cäsars Diensten, Leopold Selinger nicht nur dessen großherziges Pendant, sondern auch Kronprinz Nr. 2. Selinger und Feit sollten wirklich einmal überlegen eine A-Cappella-Duo-CD aufzunehmen 😉

Bruno Max hat sich wieder einmal einer Herausforderung gestellt. Und sie bewältigt. Ein als unspielbar geltender Shakespeare wird in seiner Regie zum lustig-lustvollen Theaterabend. Also, bitte, die Logik an der Garderobe abgeben, und sich vom britischen Barden und dem Theater zum Fürchten mitreißen lassen.

www.theaterzumfuerchten.at

Wien, 27. 9. 2013