MAK: Sheila Hicks. Garn, Bäume, Fluss – und mehr
Dezember 7, 2020 in Ausstellung
VON MICHAELA MOTTINGER
Wiedereröffnung am 8./9. Dezember bei freiem Eintritt

Porträt Sheila Hicks, 2018. Musée Carnavalet, Paris. Bild: Cristobal Zanartu. © VG Bild-Kunst
Nach der Schließung wegen des #Covid19-bedingten Lockdowns öffnet das MAK den Museumsbetrieb am 8. und 9. Dezember mit fünf neuen Ausstellungen. Ab 8. Dezember sind die Ausstellungen „Adolf Loos. Privathäuser“ (mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=42884), „Frech und frei! Die Invasion verborgener Objekte“, „100 Beste Plakate 19. Deutschland Österreich Schweiz“ (mehr: www.mottingers-meinung.at/?p=42723) und „Antonia Rippel-Stefanska. Einer glänzt weniger“, die fünfte Position der Reihe Creative Climate Care, wieder zugänglich.
Ab 9. Dezember ist die Großausstellung „Sheila Hicks. Garn, Bäume, Fluss“, die erste Personale der international bekannten Künstlerin zu sehen. An beiden Tagen ist das gesamte MAK bei freiem Eintritt geöffnet. Beweglich, sinnlich und anziehend, unendlich farbintensiv, einmal zart und intim, dann monumental und raumgreifend: Die Gewebe, Skulpturen und Installationen der Künstlerin Sheila Hicks fordern traditionelle Vorstellungen von Textilkunst heraus und erforschen neue künstlerische Ebenen.
Hicks gilt als Virtuosin textiler Techniken und historischer Traditionen. Bildende Kunst verwebt sie mit Design, angewandter Kunst und Architektur, um neue Objekte und Environments zu schaffen, in denen das Material, das Taktile, die Form und feine bis vibrierend leuchtende Farbnuancen ihre eigene faszinierende Sprache entfalten. In der MAK-Ausstellung, ihrer ersten Personale in Österreich, präsentiert die Künstlerin sowohl neue als auch bekannte Werke und raumgreifende Skulpturen, die sie in Bezug zur Architektur setzt.
Sheila Hicks, geboren 1934 in Nebraska, begann ihre künstlerische Arbeit als Malerin. Textilien versteht sie weit über einen Werkstoff hinaus als archaische wie zeitgenössische Medien, die interdisziplinäre Felder weltweit verbinden. Seit den 1950er-Jahren arbeitet und forscht sie in verschiedenen kulturellen Kontexten und zählt mit ihren vielfältigen Arbeiten, die durch ausgeprägtes Farbgefühl und eine intensive Auseinandersetzung mit Architektur und Fotografie charakterisiert sind, zu den bedeutendsten Künstlerinnen der Gegenwart.

Sheila Hicks: Work in Progress, 2018. Bild: Cristobal Zanartu. © VG Bild-Kunst

Sheila Hicks: Constellation, 2020. Bild: Cristobal Zanartu. © VG Bild-Kunst

Sheila Hicks: Incomprehensible Yellow Space, 2020. Courtesy die Künstlerin und galerie frank elbaz. Bild: Claire Dorn. © VG Bild-Kunst
Inspiriert von den Konzepten der Wiener Werkstätte und des Bauhauses setzt sich Hicks über die Grenzen von Medium, Nationen und Gender hinweg und lenkt den Blick auf die soziopolitischen Konnotationen von Textilien. Ein ungemein reiches Wissen über indigene Webpraktiken, das sie sich während Aufenthalten in Nord- und Lateinamerika, Europa, im Nahen Osten und in Asien angeeignet hat, ist immanentes Moment ihres facettenreichen Werks.
Im MAK präsentiert die Künstlerin vier Szenerien, die unterschiedliche Aspekte ihres weitreichenden Œuvres beleuchten. Eine Serie von monumentalen „Prayer Rugs“, entstanden 1970 bis 1974 in Marokko, interagiert mit Walter Pichlers „Tor zum Garten“, einem Symbol für den Übergang zwischen Innen und Außen. Die in verschiedenen Knüpf- und Webtechniken ausgeführten Arbeiten stellen sich der Frage der kulturellen Appropriation. Eingebettet in einen säkularen Kontext, öffnen an den Wänden montierte Bas-Relief-Paneele oder -Teppiche den westlichen Blick für verborgene Zugänge. Die hohe Bogenform legt die Ambivalenz von Verbindungen offen, deren Spannung durch einfachste Mittel erzeugt wird. Das Schließen und Ziehen von Grenzen stehen direkt nebeneinander, als Zeichen allumfassender Offenheit.
Im Zentrum der Ausstellung inszeniert Hicks die aus monumentalen Bündeln pigmentierten Garns bestehende Arbeit „La Sentinelle de Safran“ aus dem Jahr 2018, mit der sie Fasern, Texturen und die intensiven Farbtöne Gelb, Rot und Orange in ein energetisches Zusammenspieltreten lässt. Unter Auslotung des gesamten Farbspektrums erzeugt Hicks einen Farbenrausch, der auf Möglichkeiten der traditionellen Verwendung natürlicher Pigmente im Rahmen der Textilproduktion ebenso anspielt wie auf neue technologische Methoden.

Sheila Hicks: Escalade Beyond Chromatic Lands, 2017. Arsenale, Biennale di Venezia. Bild: Cristobal Zanartu. © VG Bild-Kunst
„Apprentissages de la Victoire“, ein voluminöses Bündel aus gelben Schnüren aus Kokosnussfasern, umhüllt von handgesponnener Wolle, betont die vertikale Dimension der MAK-Ausstellungshalle. Die fließende Form der Skulptur symbolisiert das Potenzial der Natur. Wie der Titel der Ausstellung „Garn, Bäume, Fluss“ andeutet, spielen die Natur und der Bezug zum Ort – in Verbindung mit dem Stadtpark und dem Wienfluss – eine wesentliche Rolle beim Entdecken der Schau. Fragmente der Natur wie verschiedene Muscheln, Schiefer oder Zweige werden mit Arbeiten ab den 1960er-Jahren verwoben.
Ein Werk mit eingearbeiteten Maisblättern ist Teil der Serie „Badagara“ von 1966, deren ikonenhafte Gewebe die gerippten Muster von Rollläden in Städten widerspiegeln und subtil auf soziale Brüche verweisen. Der Erweiterung des Mediums Textil um die dreidimensionale Dimension widmet Sheila Hicks besondere Aufmerksamkeit. Dichte, reversible Bas-Reliefs, wie die eigens für die Ausstellung konzipierte Arbeit „Lianes Ivoires“, folgen komplexen Farbsystemen, während sich die aus einer Vielfalt von textilen Materialien bestehende Soft Sculpture „Racines de la Culture“ durch einen imaginären Raum schlängelt.
Die gewebte Tapisserie „Color Alphabet“ aus dem Jahr 1988 nimmt Muster der Sprache auf. Damit lässt Hicks einen Dialog zwischen Zeichnen und Schreiben, Tradition und Kultur, Wissen und Unbekanntem entstehen. Aus der MAK-Sammlung wählte sie ein abstraktes Webstück aus Peru, entstanden zwischen 700 und 800 in Nazca, das für fortschrittlich konstruierte unterirdische Aquädukte bekannt ist. Ausgehend von dem Textilfragment, das ein Symbol oder geometrisches Muster zeigt, zeichnet die Künstlerin eine Linie von der präkolumbianischen Kultur, als Basis, bis zur Gegenwart und Zukunft.
- 12. 2020