Weltmuseum Wien: Alma M. Karlin. Einsame Weltreise
September 20, 2021 in Ausstellung
VON MICHAELA MOTTINGER
Schreibmaschine „Erika“ war ihre einzige Wegbegleiterin

Alma mit Fächer. © NUK
Das Weltmuseum Wien widmet sich in seiner aktuellen Ausstellung der bewegenden und inspirierenden Lebensgeschichte von Alma Ida Willibalde Maximiliana Karlin. Die Autorin, Journalistin, Amateur–Wissenschaftlerin, Theosophin und Weltreisende verfolgte ihren Lebensweg kompromisslos, vielen Hindernissen zum Trotz und auch unter Einsatz ihres Lebens. Auf sich allein gestellt und, im Gegensatz zu anderen
Weltreisenden dieser Zeit, ohne jegliche finanzielle Unterstützung, machte sie sich im Alter von 30 Jahren auf zu einer Reise, die sie durchgehend acht Jahre lang um die Welt führte und sie regelmäßig an Grenzen stoßen ließ, die sie aber immer wieder überwand. Ihre Reiseberichte machten sie in der Zwischenkriegszeit zu einer der erfolgreichsten Autorinnen in Europa und darüber hinaus. Aufgrund ihrer öffentlich geäußerten Ablehnung des Nationalsozialismus und ihrer Verweigerung dem kommunistischen System gegenüber, wurde ihr allerdings die Möglichkeit genommen, diesen Erfolg fortzusetzen und sie geriet fast gänzlich in Vergessenheit.
1889 kam Alma M. Karlin als einziges Kind deutschsprachiger Eltern slowenischer Herkunft in Celje, damals noch Teil der Habsburger–Monarchie, heute in Slowenien gelegen, auf die Welt. Die Mutter war eine 45–jährige Lehrerin, der Vater ein bereits pensionierter 60–jähriger Major der Österreichisch–Ungarischen Armee. Das Mädchen wurde mit einem hängenden Augenlid geboren und von der Mutter offen abgelehnt. Das Tochter–Mutterverhältnis blieb konfliktreich während sie zum Vater eine innige Beziehung hatte. Er ermutigte sie durch eine Erziehung, die üblicherweise Buben erhielten, zu Stärke und Selbständigkeit. Als Alma M. Karlin acht Jahre alt war, starb der Vater.
Die Mutter versuchte, sie den gesellschaftlichen Konventionen gemäß umzuerziehen. Das Mädchen entwickelte dadurch eine Schüchternheit und Minderwertigkeitskomplexe, die ihr Beziehungen und Begegnungen mit anderen Menschen ein Leben lang erschwerten. Alma M. Karlin wurde dennoch zu einer mutigen und entschlossenen Jugendlichen, die wissensdurstig und zielorientiert war. Mit 16 Jahren erkannte sie, dass Bildung für sie der einzige Weg sein würde, um zu ökonomischer Unabhängigkeit zu gelangen und sich vom mütterlichen Einfluss und der von nationalen Spannungen zwischen der deutschen und slowenischen Bevölkerung geprägten Enge der Kleinstadt Celje zu befreien.
Mit 18 verließ Alma M. Karlin die Heimat und ging ins „freiwillige Exil“ nach London, wo sie Sprachunterricht gab. Der Einblick in die Kulturen ihrer Schülerinnen und Schüler legte den Grundstein für ihre Sehnsucht, diese fremden Kulturen selbst kennenzulernen. Um dieses Ziel zu erreichen, lernte sie selbst acht Sprachen. Mit Bestnoten legte sie 1914 an der Royal Society of Arts Prüfungen in Norwegisch, Schwedisch, Dänisch, Englisch, Französisch, Spanisch, Italienisch und Russisch ab.

Alma und Li Tieguai. © NUK

Li Tieguai. China oder Peru, 19. Jh.

Alma in Yukata Kleid. © NUK
Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs fand Alma M. Karlin auf ihrer Flucht nach Norwegen und Schweden das Leitmotiv ihres Lebens: das Schreiben. Nach einem kurzen Aufenthalt in Celje brach Karlin 1919 im Alter von 30 Jahren mit ihrem selbstzusammengestellten 10–sprachigen Wörterbuch und ihrer Schreibmaschine „Erika“ im Gepäck zu ihrer Weltreise auf. Sie schlug sich als Sprachlehrerin, Übersetzerin, Journalistin und Reise- schriftstellerin durch, wobei es immer wieder vorkam, dass sie keine Arbeit fand und existenziell gefährdet war.
Geldmangel und fehlende Reisegenehmigungen waren Gründe dafür, dass Alma M. Karlin ihr eigentliches Ziel, Japan, erst auf Umwegen erreichte. So eroberte sie die Welt für sich, wobei ihr zahlreiche negative zwischenmenschliche und durch Krankheiten bedingte lebensbedrohliche Erlebnisse nicht erspart blieben. Über den süd– und nordamerikanischen Kontinent gelangte sie schließlich nach Japan, wo sie ein glückliches Jahr mit tiefgreifenden Eindrücken verbrachte. Danach führte sie die Reise weiter nach Asien, auf den australischen Kontinent, in den pazifischen Raum und nach Indien, von wo aus sie 1927 nach Celje zurückkehrte.
Alma M. Karlin lebte bis zu ihrem Tod in ihrer Geburtsstadt, wo sie trotz ihrer Erfolge als Journalistin und Autorin von Romanen und den Reiseberichten auf Ablehnung und Skepsis stieß und, wie sie selbst schreibt, „als ein Kuriosum“ angesehen wurde. Mit ihrer Reisetrilogie, die in Deutschland zwischen 1929 und 1933 publiziert und in mehrere Sprachen übersetzt wurde, erlangte Karlininternationale Bekanntheit. Die Nationalsozialisten, die Slowenien besetzt hatten, verboten ihre Werke allerdings und verhafteten sie, in ihr einen „Feind des Hitlersystems“ sehend. Sie entging der Gestapo, da der sie verhörende Offizier von ihren Reisebüchern begeistert war. 1944 schloss sie sich den Partisanen an, die sie aber ebenfalls überwachten.

Ausstellungsansicht. © NUK

Ausstellungsansicht: Alma in Tapa. © NUK

Almas zehnsprachiges Wörterbuch. Handschriftensammlung der National- und Universitätsbibliothek Ljubljana

Ausstellungsansicht: Auf dem Tisch Almas Reisebegleiterin, die Schreibmaschine „Erika“. © NUK
Aufgrund ihrer Gegnerschaft sowohl den Nationalsozialisten als auch später den Kommunisten gegenüber und ihrer probritischen Haltung überlebte Alma M. Karlin dennoch ihre bereits von den Partisanen geplante Liquidierung. Nach England, wo sie zukünftig leben wollte, gelangte sie aber nie. 1945 wurde sie als deutschsprachige Autorin von jugoslawischer Seite angefeindet und in weiterer Folge vergessen. Völlig verarmt erkrankte Alma M. Karlin an Brustkrebs, dem sie 1950 nach fünfjährigem Kampf erlag.
Für Alma M. Karlin war nichts befriedigender, als durch das Sammeln von Daten, Beobachtungen und Interviews Wissen zu erlangen und dieses zu teilen. Auch wenn ihr Interesse an der lokalen Bevölkerung immer aufrichtig war und man sie als ein Kind ihrer Zeit verstehen muss – aus heutiger Sicht könnte ihr Blick auf „Fremde“ problematisch gesehen werden. Die Vielfalt ihrer Sammlung, die sich heute im Regionalmuseum Celje befindet, begründet sich vor allem auf ihre sehr beschränkten finanziellen Mittel.
Diese machten es ihr unmöglich, in der Auswahl an Gegenständen geplant oder systematisch vorzugehen. Stand ihr ausreichend Geld zur Verfügung, kaufte sie Objekte. Einen Großteil ihrer Sammlungsgegenstände erhielt sie allerdings geschenkt, oder sie ergaben sich zufällig. Postkarten, Textilien und selbstangefertigte zoologische und botanische Aquarell–Zeichnungen, die den Verlauf ihrer achtjährigen Weltreise nacherleben lassen, machen den Hauptteil ihrer Sammlung aus.
Das Weltmuseum Wien zeigt in Zusammenarbeit mit dem Regionalmuseum Celje sowohl Alma M. Karlins ethnografische Sammlung als auch ihre Fotografien, die in der Slowenischen National- und Universitätsbibliothek in Ljubljana aufbewahrt werden.
20. 9. 2021