Landestheater NÖ online: Hamlet

Dezember 5, 2020 in Bühne

VON MICHAELA MOTTINGER

Blutiger Albtraum im Popcorn-Kino

Im 3D-Film: Bettina Kerl, Sami Loris, Philip Leonhard Kelz, Michael Scherff, Tim Breyvogel, Marthe Lola Deutschmann, Tilman Rose und Laura Laufenberg. Bild: © Alexi Pelekanos

Das Landestheater Niederösterreich streamt bis Sonntagabend seine mit dem Nestroy-Preis für die beste Bundesländeraufführung 2020 ausgezeichnete Aufführung von „Hamlet“. Der junge britische Regisseur Rikki Henry, unverkennbar ein Peter-Brook-Schüler, führt das Ensemble mit seiner Inszenierung in darstellerisch lichte Höhen – wiewohl es auf der Bühne die längste Zeit finster bleibt. Seine bildgewaltige Shakespeare-Interpretation ist der blutdurchtränkte Albtraum

eines Dänenprinzen, dessen Irre-Sein oder nicht sein sich bis zum Schluss nicht entschlüsseln wird. Als dieser Hamlet ist Tim Breyvogel zum Fürchten gut, er ist Beobachter wie Spielmacher dieser verkommenen Gesellschaft, und wird mit papierener Königskrone bald Hugo Ball im Cabaret Voltaire ähneln, nur mehr Gaga statt Dada – und wenn er den Hof zur 3D-Filmvorführung von „Die Ermordung des Gonzago“ wie zur Familienaufstellung arrangiert, dann wird’s im Popcorn-Kino, denn solches wird gegessen, flottweg freudianisch: „Hamlet“, die Traumdeutung des Dänenprinzen.

Und so beginnt’s. Mit Stimmengewirr, „Mutter!“, „Verrat!“, „Du bist umgebracht“, sogar „Der Rest ist Schweigen“ kann man der Kakophonie entnehmen, eine Galgenschlinge sehen, hat das Gemetzel etwa schon stattgefunden?, da schließt sich der Vorhang und Breyvogel-Hamlet rollt darunter hervor. Bereit für seine Prophetie. Ein somnischer Patient im Grübelkreislauf. Als der sich alsbald die Drehbühne entpuppen wird, entworfen von Max Lindner, die Kostüme von Cedric Mpaka, auf der sich unter einer Riesenkrone immer neue Räume öffnen.

Tim Breyvogel, Sami Loris und Philip Leonhard Kelz. Bild: © Alexi Pelekanos

Die Krone für … Tim Breyvogel und Michael Scherff. Bild: © Alexi Pelekanos

Fecht at its best: Kelz, Loris, Kerl und Breyvogel. Bild: © Alexi Pelekanos

Kämmerleins, Verstecke für allerhand Verräter und Verlogenheit, und ebenso perfide stehen sie einander durch kleinste Bewegungen plötzlich gegenüber – ein Danish Horror House. Eine Vorstellung, die die Lichteffekte von Günter Zaworka und die spooky Sounds von Nils Strunk noch befeuern. Erstere kommen gar doppelt nachtmahrisch zum Einsatz, denn unter den diversen ringelreihenden gibt es à la „Fifty Shades of Grey“ das Spielzimmer in Rot, in dem die Lebenssäfte nur so sprudeln. Allerdings nur im irrealen Raum, siehe das Verhör von Rosenkranz und Güldenstern, das zu Hamlets imaginierter Folter wird.

Ja, im Wortsinn Schlag auf Schlag geht’s zu bei diesem todessehnsüchtigen Mann der Tat. Welch Szenen Breyvogel geschenkt sind. Die Fackelsuche nach des Vaters Geist. Die clowneske, wenn Polonius aus dessen Brief an Ophelia den gekrönten Häupter vortragen muss, er höre nicht nur Helene Fischer, er singe sogar mit ihr, und Hamlet im Hintergrund als Strippenzieher fungiert. Die schon erwähnte in Claudius‘ Heimkino, Schüsse, Schreie; Gesichter, als würden die Royals „The Crown“ anschauen müssen, alldieweil Hamlet „God Save The Queen“ pfeift. Rikki Henry, wie gesagt, kommt aus London.

Und er folgt den dortigen zwei Theatergeboten „Trust the Text“ und „Thou Shallst not be Boring“ ergeben. Immer schneller dreht sich das Schicksalskarussell, und umso mehr Volten reitet die Handlung. Einer wird zu des anderen Spukgestalt, Hamlet bricht Mutter und Claudius „in Rot“ das Genick. All dies erzählt Rikki Henry uneitel und unprätentiös. Laura Laufenberg gelingt es, eine Ophelia jenseits aller Klischees zu geben, die ihre hat Ecken und Kanten, und scheint, da rationale Denkerin, ebenso über der verrückten On-off-Beziehung zu Hamlet wie über Vaters und Bruders Bevormundung zu stehen. Dass sie sich goldgesichtig dennoch entleiben muss, ist …

Im Wortsinn im Kreis gehen: Bettina Kerl, Michael Scherff, Marthe Lola Deutschmann und Tim Breyvogel. Bild: © Alexi Pelekanos

… Shakespeare, dafür darf sie als erste übers Sein oder nicht sein philosophieren. Nach Henry ist am britischen Barden in keinem Moment ein Körnchen Staub. Als in Hamlets Erinnerung seine Mutter noch den Vater liebt, schmust die hinter dem Prinzenrücken schon ungestüm und kichernd mit Onkel Stiefvater. Als der Königsmörder und seine neue Frau die Thronrede proben, wummert hinter ihnen bereits die Party … Michael Scherff und Marthe Lola Deutschmann sind als Claudius und Gertrud brillant, des Weiteren Bettina Kerl als Horatio. Und Tilman Rose als aufgeblasener, geschwätziger Polonius.

Philip Leonhard Kelz und  Sami Loris überzeugen neben anderen Rollen als Rosenkranz und Güldenstern. Nicht mehr als zwei Stunden dauert die Tragödie bei Ricki Henry, und doch hat er Zeit für einen stuntmen’schen Fechtkampf, der sich von der Akrobatik zur Stroboskop-Zeitlupe vorarbeitet. Und weil beim Kreiseln im Karussell das Ende stets der Anfang ist, rollt’s Hamlet noch einmal unterm Vorhang hervor.

Als wär’s eine Anspielung auf die x-en Male, die man das Stück schon gesehen hat. Und so beschließt’s. Mit Stimmengewirr, „Mutter!“, „Verrat!“, „Du bist umgebracht“, sogar „Der Rest ist Schweigen“ kann man der Kakophonie entnehmen, eine Galgenschlinge sehen, hat das Gemetzel etwa schon stattgefunden? …

Trailer: www.youtube.com/watch?v=yAwVQv65nOc           www.landestheater.net           vimeo.com/366135220

  1. 12. 2020