Patrick Leigh Fermor: Die unterbrochene Reise
Oktober 22, 2013 in Buch
VON RUDOLF MOTTINGER
Ein langer Weg geht zu Ende
Patrick Leigh Fermor brach im Dezember 1933 zu seiner Wanderung quer durch Europa von Hoek van Holland nach Konstantinopel auf. Er war 18 Jahre alt und von verschiedenen Schulen geflogen. Was in drei Bänden entstanden ist, ist Literatur auf höchstem Niveau. Seine beiden berühmten Bände „Die Zeit der Gaben“ und „Zwischen Wäldern und Wasser“ berichten von dieser großen Wanderung, der letztere Band endet mit den Worten „Fortsetzung folgt“ am Eisernen Tor, dem Ende Mitteleuropas. „Die unterbrochene Reise“, der dritte und letzte Teil der Wanderung, an dem Paddy, wie ihn Freunde und Fans nannten, bis wenige Monate vor seinem Tod arbeitete, wurde zur Legende. Das Reisetagebuch setzt sich aus zwei Teilen zusammen. Den ersten Teil bildet das unvollendete Manuskript. Der zweite Teil besteht aus dem erhaltenen sogenannten „Grünen Tagebuch“ des 20-jährigen Patrick Leigh Fermor, der darin seine Tage auf dem Berg Athos festhielt, wo seine Reise endete und mit dem Satz „Wann ich wohl wieder hier sein kann?“.
Fermors Texte sind keine Reiseberichte im herkömmlichen Sinn. Er breitet Landschaften bis ins kleinste Detail vor uns aus, er zeichnet Menschenbilder und Lebensverhältnisse. Historisches (ob Nationalismus und viel mehr noch, der in alle Lebensbereiche eindringende Nationalsozialismus/Faschismus) und Erlebtes fließen ineinander und werden zu einem Ganzen. Der Leser bekommt aber auch Einblicke in die längst untergegangene Welt Fermor ist praktisch Zeuge des Untergangs: „Alle Protagonisten in diesem Buch saßen … auf einem Pulverfass, dessen Lunte bereits unsichtbar brannte; mit allen sollte es in den nächsten anderthalb Jahrzehnten ein unglückliches Ende nehmen.“ Als die „Zeit der Gaben“ erschien, war Paddy quasi der letzte Deutschlandreisenden vor der völligen Zerstörung. In „Die unterbrochene Reise“ ist Fermor wieder Zeuge, Zeuge eines Teils von Europa, der schon bald hinter dem Eisernen Vorhang verschwinden würde.„Die unterbrochene Reise“ ist aber auch der persönlichste Teil der Reise-Trilogie. Fermor gibt viel Privates preis. Er kommt auf seine Eltern zu sprechen. die theaterbegeisterte Mutter und den ihm fast unbekannten Vater, der als hoher Kolonialbeamter fast sein Leben lang in Indien war. Er schwelgt in Begeisterung und verfällt in Depression. Und so ist „Die unterbrochene Reise“ irgendwie auch eine Reise in sich selbst.
Über den Autor: Patrick Leigh Fermor, am 11. Februar 1915 in London geboren, wurde 1932 der Schule in Canterbury verwiesen, weil er sich „in ein Mädchen beim Gemüsehändler verguckte“. Während der Aufnahmeprüfung in die Armee hatte er die fabelhafte Idee, nach Konstantinopel zu wandern. Diesen Plan setzte er auch in die Tat umDrei Jahre lang organisierte er als britischer Agent auf Kreta den Widerstand, konnte 1944 den deutschen General Kreipe gefangen nehmen und wurde ein Held. (Verfilmt wurde diese Begebenheit aus Fermors Leben mit Dirk Bogarde in der Hauptrolle. Titel des Spielfilms: „Ill Met by Moonlight. Fermor reiste in die Karibik, wo der Reisebericht „The Traveller‘s Tree“ und „Die Violinen von Saint-Jacques“, sein einziger Roman, entstanden. Er zählt zu den bedeutendsten englischsprachigen Reiseschriftstellern. Er verstarb am 10. Juni 2011 in Worcestershire, England.
Dörlemann, Patrick Leigh Fermor: „Die unterbrochene Reise“ (engl. „The Broken Road“), 464 Seiten, Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié
Allen Reiselustigen seien auch die beiden ersten Teile ans Herz gelegt:
„Die Zeit der Gaben– Zu Fuß nach Konstantinopel
Von Hoek van Holland an die mittlere Donau
Der Reise erster Teil“
Deutsch von Manfred Allié
„Zwischen Wäldern und Wasser – Zu Fuß nach Konstantinopel
Von der mittleren Donau zum Eisernen Tor
Der Reise zweiter Teil“
Deutsch von Manfred und Gabriele Allié
Wien, 22. 10. 2013